In See nach Port Said, 18. Dezember 1892

Schon beim Erwachen bemerkte ich, dass die See ziemlich hoch gehen müsse, da ich in der Kabine starke Rollbewegungen verspürte. Nachdem ich mich mühsam mit Hilfe des Marinedieners angekleidet, stieg ich auf Deck, wo ich bereits manch verstörtem Gesicht begegnete, da Vater Neptun seine ersten Opfer verlangt hatte. Eine steife Brise kam aus Nordost und See auf See ging übers Verdeck. Dabei war der Tag klar und in intensivem Blau prangte der Himmel über uns.

Vormittags hätte Aufwartung des Stabes und Messe in der Batterie stattfinden sollen, doch musste beides der starken Rollbewegungen wegen abgesagt werden; erst gegen Mittag, als wir auf die Höhe von Kreta kamen, wurde die See ruhiger. Wir änderten nun etwas den Kurs und steuerten längs der Küste von Kreta zwischen dieser und der Insel Gavdos durch. Der Blick auf Kreta ist landschaftlich überaus pittoresk; die Berghäupter des bis zu 2457 m aufsteigenden Ida krönen das ganze Bild, während steile, felsige Lehnen bis zum Meer hin abfallen. An Vegetation scheint die Küste fast ebenso arm zu sein, wie an menschlichen Niederlassungen, obschon von letzteren in der Karte so manche eingezeichnet sind. Nur an einzelnen markanten Punkten springen kleine, weißgetünchte Gebäude, anscheinend Kirchen oder Klöster, hervor. Der auf dem Ida tief herabreichende Schnee, die violett-rötliche Beleuchtung der Berge und der tiefblaue Himmel vereinigen sich zu einem wirkungsvollen Panorama.

Nach dem Lunch fand als Sonntagsscherz eine Tombola für die Matrosen statt, zu welcher die dienstfreie Mannschaft sich auf dem Mitteldeck versammelt hatte. Unser braver Bootsmann — noch ganz der Typus der alten Schule, gegen alle modernen maritimen Einrichtungen mit einer gewissen Abneigung behaftet — rief die Nummern aus, wobei er jede Zahl mit einem italienischen Witzwort verknüpfte, was viel Heiterkeit erregte. Wein, Zigarren und verschiedene Kleinigkeiten dienten als Preise.

Abends wurde zu Ehren meines Geburtstages von den Matrosen ein Festzug arrangiert, der, äußerst gelungen und amüsant, von dem Witz und der Erfindungsgabe unserer Leute Zeugnis gab. Mit den einfachsten Mitteln, wie Werg, Ruß, gebrochenen Riemen, Angelhaken u. dgl. erzielten sie die drolligsten Effekte. Hinter der Musikkapelle marschierte zunächst ein italienischer Sängerchor auf, der einige gut gestimmte Lieder zum Besten gab: dann kam eine böhmische Musikband, welche mit den verschiedensten, den Kadetten entlehnten Gewändern angetan, in den gewagtesten Modulationen das bekannte Lied „Nejde to“ spielte; zugleich trat ein Tierbändiger auf, der eine ganze Schar von Löwen, Affen, Elefanten, Kamelen mit sich führte. Besonders sinnreich waren die Elefanten konstruiert: je zwei Mann hatten sich eine geteerte Geschützdecke aufgestülpt und benutzten den Laufschutz als Rüssel. Ein ganz unheimliches Tier mit beweglichem, zähnebewehrtem Rachen, eine Kreuzung von Marabu und Krokodil, hatte das Licht der Welt in der Schusterwerkstätte erblickt. Echt wienerische Weisen ließ ein Schrammel-Quartett ertönen, und zum Schluss erschien unter Anführung eines prächtigen Häuptlings eine ganze Horde rabenschwarzer Zulukaffern, die, gegen den frischen Nordost nur durch Schwimmhosen und eine tüchtige Schicht Ruß geschützt, vor Kälte klapperten. Die Wilden, die ein großes Transparent mit meinem Namenszug herbeischleppten, brachen in stürmisches Hurra aus und vergnügten sich dann an einem Tanz, dessen lebhafte Bewegungen sie bei ihren luftigen Kostümen einigermaßen erwärmten. Da übrigens die Musik im gemeinverständlichen Rhythmus einer lustigen Polka erklang, so drehte sich bald die ganze Mannschaft paarweise in fröhlichem Reigen.

Die ungezwungene Heiterkeit unserer Matrosen macht einen wohltuenden Eindruck. Bei den strengen, mitunter harten und gefahrvollen Anforderungen, welche der Dienst stellt, darf man hierin gewiss einen Beweis für die physische und psychische Gesundheit der Mannschaft, aber auch für den vorteilhaften Einfluss eines streng geregelten militärischen Lebens erblicken. Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie die Angehörigen der verschiedensten Nationalitäten und Länder kameradschaftlich verbunden sind. Deutsche aus Niederösterreich, namentlich aus Wien, aus Oberösterreich, Salzburg, Steiermark und aus anderen Ländern, Slawen aus Böhmen, dem Küstenland und aus Dalmatien, Italiener und Magyaren sind bunt durcheinandergewürfelt. Das Hauptkontingent, insbesondere an Unteroffizieren, liefern die südlichen Länder. Unbeschadet der Nationalität jedes Einzelnen fühlt sich die polyglotte Mannschaft im Dienstverband unter einer stolzen, ruhmvollen Flagge zur Einheit zusammengefasst. Hiedurch wird das Bewusstsein der Vereinigung aller Nationalitäten unter einem Herrscherhause und in einem gemeinsamen Vaterland genährt und gekräftigt — gewiss eine erziehliche Wirkung des Heeresdienstes, die nicht sorgfältig genug gepflegt und gefördert werden kann.

Links

  • Ort: Gavdos (Griechenland)
  • ANNO – am 18.12.1892 in Österreichs Presse. Am Geburtstag Franz Ferdinands spendiert ihm das Wiener Salonblatt ein Portrait auf der ersten Seite in der Uniform eines Generalmajors und informiert die Leserschaft über die Abreise in Triest und die erwartete Ankunft in Port Said in Ägypten am 20. Dezember.

Title page of the Wiener Salonblatt with a portrait of Franz Ferdinand

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