Von Tandur nach Haidarabad, 24. Jänner 1893

Der Tag der Vermählung meiner Schwester! Mit den Gefühlen der innigsten Liebe dachte ich ihrer, die heute den entscheidendsten Schritt im Leben, jenen aus dem elterlichen Haus in ein neues Heim, in eine neue Heimat tut. Möge dieser Schritt sie auch einem neuen, reinen, ungetrübten Glück entgegenführen! Der Himmel segne und geleite sie! Die rauschenden und blendenden Festlichkeiten in Haidarabad vermochten meine Gedanken nicht zu hindern, vom Hof des Nisams weg in die Heimat zu fliegen, um so mit den Meinen im Geist vereint zu sein, wenn in der letzten Umarmung der Eltern und der Geschwister die Bande der Liebe zu der Tochter und Schwester sich aufs neue und fester verknüpfen.

Gleichsam als wollte ich mein Verweilen in der Fremde gerade an diesem Tag vor mir selbst rechtfertigen, wiederholte ich mir alle die Gründe, welche es unmöglich gemacht hatten, die Reise erst nach dem Vermählungstage anzutreten. Ich freute mich heute schon, — so Gott will — meine Schwester als die erste all der Meinen auf dem Heimweg in Stuttgart wiederzusehen.

Infolge der gestrigen Dispositionen waren wir um halb 6 Uhr morgens zum Aufbruch vom Jagdlager gestellt; dessenungeachtet dauerte es eine volle Stunde, bevor sich unsere mit 13 Personen vollgefüllte Coach in Bewegung setzte. Die braven Artilleristen fuhren über jeden in der Gegend wahrnehmbaren Stein, so dass knapp vor Tandur eine Feder am Wagen brach und der Rest der Fahrt im Schritt zurückgelegt werden musste. Der Vicar ul-Umra, ein Mann, der mein Herz dadurch gewonnen hatte, dass er uns versicherte, wir Österreicher seien sehr gemütliche Leute, die gut zu jagen und zu reiten verständen und ihm daher sehr gut gefielen, war vorausgeritten und wartete bereits auf dem Bahnhof in Tandur, von wo aus uns der Extrazug nach Haidarabad brachte.

Höchst eigentümlich gestaltet sind die Felspartien und die Steinhügel, welche vor der Einfahrt nach Haidarabad sichtbar werden. Dieselben bestehen aus großen, runden Granitblöcken, welche regellos geschichtet und häufig zu dreien und vieren aufeinandergetürmt sind. Oft ist es kaum begreiflich, wie die ganz schief übereinandergestellten und scheinbar hängenden Kolosse sich in solcher Lage im Gleichgewichte erhalten können. Bei der Einfahrt nach Haidarabad fällt der Blick zunächst auf einen blau schimmernden Teich, welcher die ganze Stadt mit Wasser versorgt, während weiterhin zwischen Bäumen versteckte Paläste und Moscheen hervorlugen.

Auf dem Perron des Bahnhofes von Haidarabad standen, umgeben von goldstrotzenden Würdenträgern und Adjutanten, der Nisam und der englische Resident, Mr. Trevor C. Plowden. Der Nisam, seiner Macht und seinem Range nach noch immer der erste unter den Vasallenfürsten Indiens, steht, wie schon die zahlreiche britische Besatzung in dem vor den Toren Haidarabads angelegten, befestigten Lager von Sikandarabad (Secunderabad) beweist, tatsächlich unter britischem Protektorat, welches jede selbständige, gegen England gerichtete Regung im Zaum zu halten weiß. Der Beherrscher Haidarabads führt den Titel Nisam ul-Mulk (Ordner des Staates), welchen Aurengzeb, der Großmogul von Dehli (1658 bis 1707), einem der Vorgänger des Nisams verliehen hat. Die Familie des Nisams ist arabischen Ursprungs. Der Nisam und die Großen des Reiches bekennen sich zur mohammedanischen Religion, während der größte Teil der Landbevölkerung aus Hindus besteht. Der Nisam ist 28 Jahre alt, von kleiner und hagerer Gestalt, trägt schwarzen, spärlichen Vollbart und lange, zur Schulter reichende Haare; sein Teint ist gelblich, die kleinen Augen blicken klug.

Im Verkehr mit Europäern ist er zurückhaltend, ja geradezu schüchtern und äußerst schweigsam, gegen seine Landeskinder soll er jedoch recht energisch aufzutreten im Stand sein. Er kleidet sich stets europäisch; zumeist trägt er einen schwarzen Gehrock, und das einzige, was der Nisam von seinem heimatlichen Kostüm bewahrt hat, ist eine turbanartige Mütze aus gelbem Zeug mit goldener Quaste; diese Kopfbedeckung legt er nie ab. Gleich der europäischen Tracht scheint der Nisam auch europäische Sitten zu lieben und nach seiner Weise angenommen zu haben, obwohl er im allgemeinen Europäern nicht sehr hold gesinnt ist, was ihm bei den Erfahrungen, die er gemacht, wohl nicht verübelt werden kann.

Asman Dschah, der erste Minister des Nisams, zugleich dessen Schwager, vereinigt fast alle Ressorts in seiner Hand; er ist ein Mann mit intelligentem, schlauem Gesichtsausdruck und nimmt eine wichtige Stellung ein, weil er als Vermittler einerseits zwischen der englischen und der einheimischen Regierung, andererseits zwischen dem Nisam und der Landesverwaltung fungiert. Asman Dschah verfügt über bedeutende Einkünfte, da er von seinem Hab und Gut ein Jahreseinkommen von 1,000.000 fl. ö. W. und nebstbei jährlich einen Gehalt von 230.000 fl. ö. W. bezieht. Der Minister besitzt in der Stadt Haidarabad und auch im Lande selbst verschwenderisch eingerichtete Paläste, so auch den Palast Baschir Bägh, welcher uns als Absteigequartier dient.

Die Großen des Reiches, Nawäbs oder Nabobs, zumeist Verwandte des Nisams, haben die hervorragendsten Stellen der Administration in Händen und zeichnen sich durch Reichtum, insbesondere durch großen Grundbesitz aus; einige derselben wohnen stets in der Stadt Haidarabad und erscheinen in Gesellschaft des Nisams bei allen Hoffesten. Nawäb bedeutet »Abgeordneter« und ist ursprünglich der Titel der Administratoren im Reich der Großmoguln, später jener von Großen geringerer Macht, englischer Vasallen gewesen, bis schließlich der Titel Nawäb oder Nabob für Männer gebräuchlich geworden ist, die in Ostindien irgendwie zu großem Reichtum gelangt sind. Meist wird in Hindustan dieser Titel, wie in Italien die »Eccellenza«, jedem angesehenen Mann zugestanden.

Nach Vorstellung der erschienenen Würdenträger und mehrerer höherer Offiziere, sowie nach Abschreitung der Ehrenkompanie, bestiegen der Nisam und ich mit zwei Adjutanten einen gelb ausgeschlagenen, auf weichen Federn ruhenden Galawagen, der von vier prächtigen à la Daumont eingespannten Schimmeln gezogen wurde.

Vor dem Bahnhof stand das englische 21. Husarenregiment, welches uns mit je zwei Escadronen vor dem Wagen und hinter demselben eskortierte. Dieses Regiment macht einen ausnehmend guten Eindruck. Die Uniform besteht aus schwarzem Attila, schwarzen Hosen mit reicher, bei der Mannschaft gelber, bei den Offizieren goldener Verschnürung und weißem Helm. Die Pferde, durchwegs australischer Zucht, sind im Verhältnisse zu unseren Dienstpferden sehr groß und schön und befinden sich, trotz der eben erst beendeten Manöver in guter Condition. Der Ankaufspreis der Remonte beträgt 720 fl. ö. \V.

Vom Bahnhof an bis zu unserem Quartiere, dem Palais Baschir Bagh, hin standen Truppen Spalier, und zwar die berittene afrikanische Leibwache des Nisams, 2 Uhlanenregimenter, 3 Infanterieregimenter und die Golkondaer Infanteriebrigade, bestehend aus dem Golkondaer und dem Myseram-Regimente.

Baschir Bägh dient in der Regel zur Aufnahme von Gästen, sowie zur Abhaltung größerer Festlichkeiten, welche der Minister alljährlich zu geben pflegt. Das Gebäude ist ziemlich groß, mitten in einem kahlen, unschönen Garten gelegen und mit einer kleinen Privat-Moschee ausgestattet, von der aus der Muezzin seinen einförmigen Gesang ertönen lässt. Die innere Einrichtung des Palais ist europäischen Ursprunges, aber unharmonisch, ja geradezu konglomeratartig zusammengestellt und besteht zum Teil aus Dekorationsgegenständen absonderlicher Art: ein gläsernes Billard; Tische, bedeckt mit mechanischen Spielereien; Fische und Wild darstellende Farbendruckbilder, wie man sie bei uns etwa auf Jahrmärkten und in Försterhäusern findet; japanische Decken; eine Anzahl von Gegenständen mannigfaltigster Art aus Gold, Silber und anderen Metallen; dazwischen Amorstatuen aus Wachs; bunte Papiere; verschiedenartige Spiegel — alles dieses vereint bringt einen unruhigen, fast schwindelerregenden Eindruck hervor. Der Besitzer des Hauses scheint ein besonderer Freund von Uhren zu sein; denn in jedem Zimmer schlugen wenigstens zehn Pendulen, Stutzuhren u. dgl. m. in völliger Unabhängigkeit von einander die Stunden. Auf einen zu Rheumatismen neigenden Gast dürfte Baschir Bagh keine besonders angenehme Wirkung hervorbringen; denn kein einziges Fenster, keine einzige Türe schloss, so dass uns in den kühlen Nächten die Zugluft recht empfindlich wurde.

Der Nisam geleitete mich unter ersichtlicher Äußerung großer Verlegenheit bis in den Salon des Palais und schien sich erleichtert zu fühlen, als ich ihm ermöglichte, seinen Besuch abzukürzen und sich bald wieder zurückzuziehen. Wir richteten uns nun in unseren Gemächern häuslich ein und bereiteten uns auf die offizielle Visite des Nisams vor, dessen Erscheinen für halb 2 Uhr angesagt war. Dieser Besuch vollzog sich nach einem, in allen Details streng geregelten, mir begreiflicherweise ungewohnten Zeremoniell.

Clam und Crawford waren um 1 Uhr in die Residenz des Nisams gefahren, um den Fürsten abzuholen. Als dieser, von einer galoppierenden Escadron seiner Leibwache eskortiert, angefahren kam, erwartete ich ihn in Galauniform und in Ordenssternen erstrahlend nächst der Pforte von Baschir Bägh, am Rand eines Teppiches; denn auch dieser Punkt war genau bestimmt. Nachdem der Nisam und ich in das Palais eingetreten waren, ließen wir uns auf zwei thronartigen, nebeneinander stehenden Stühlen nieder. Zur Rechten des Nisams nahm sein Gefolge, zu meiner Linken meine Suite Platz, so dass wir auf diese Weise im Halbkreise umgeben waren. Ich und Kinsky bestritten die Kosten der Unterhaltung, indem wir dem Nisam von dem angenehmen Aufenthalt in Tandur, von Haidarabad und von seiner Armee sprachen, leider ohne den Fürsten dazu bestimmen zu können, seine unerschütterliche Schweigsamkeit aufzugeben, da er sich nur auf wenige „Yes“ beschränkte. Nachdem schließlich eine völlige Stockung in der Konversation und damit eine etwas befremdliche Situation eingetreten war, begann der Resident, aus der Verlegenheit helfend, programmäßig mit der wechselseitigen Vorstellung des Gefolges und der Suite. Dem Zeremoniell entsprechend, überreichte ich dem Nisam auf einer großen Tasse „attar“ und „pan“, Rosenwasser und Betelblätter, worauf einer der Funktionäre dieselben Ingredienzen an die hervorragendsten Persönlichkeiten der Versammlung verteilte. Sobald dies geschehen war, erhob sich alles; die Feierlichkeit war zu Ende. Unter dem Donner einer Batterie, die schon den ganzen Tag über Freudenschüsse abgefeuert hatte, kehrte der Nisam in seine Residenz zurück.

Zwei Stunden später erwiderte ich den Besuch des Nisams in dessen Residenz, dem Palais Tschaumahala. Ein Viergespann prächtiger Füchse, von einem Stallmeister gelenkt, holte mich ab; zwei Escadronen englischer Husaren und zwei Escadronen eingeborener Madras-Kavallerie eskortierten den Wagen durch das Viertel, das wir beim Einzug in Haidarabad bereits gesehen hatten, und so gelangten wir bei dem festungsartig umschlossenen Palaste des britischen Residenten vorbei, über den Fluss in die eigentliche Stadt der Eingeborenen. Diese trägt völlig den höchst originellen Charakter der alten indischen Städte an sich, den sie schon uranfänglich gehabt haben mag: enge, von Menschen wimmelnde Straßen, kleine, schmutzige, einstöckige Häuser mit vielfachen Holzverzierungen, Kaufläden und Bazars. An dem Kreuzungspunkt der vier an ihrem äußeren Ende durch hohe Steintore abgeschlossenen Hauptstraßen erhebt sich ein viereckiges Gebäude »Tschar Minar« mit seinen berühmten vier Minarets, in welchem sich auch die Polizeistation befindet. Überall waren salutierende Wachen und Truppen aufgestellt, hinter welchen sich die neugierige, lärmende Menge drängte.

Auf einer von zwei hohen Mauern eingeschlossenen Straße gelangten wir endlich zum Tor des Palastes, eines Konglomerates umfangreicher, aber niedriger Gebäude, welche das Gepräge eines Defensivplatzes an sich tragen. Vor dem Eingang waren mehrere Gardisten postiert; an dem Fuß der Haupttreppe empfingen mich der Nisam und die Würdenträger des Reiches, in deren Geleit wir einen schmalen, gewundenen Korridor durchschritten, um uns sodann plötzlich in einem prächtigen Hof von quadratischer Form zu befinden. An zwei Seiten des Hofes liegen große, mit Säulen versehene Empfangshallen oder vielmehr besondere Paläste, mit kostbaren Möbeln, Spiegeln und Teppichen versehen, während an den beiden anderen Seiten des Hofes für Gäste bestimmte Prunkgemächer angeordnet sind, vor deren Pforten sich Kolonnaden hinziehen. Der Hof ist mit niedrig gehaltenen Gartenanlagen und einem hoch liegenden, ungefähr 100 m langen Wasserbecken geschmückt.

Der rings von einer Mauer umgebene Palast des Nisams bedeckt mit seinen Häuserlabyrinthen, Pavillons, Nebengebäuden, Harems und Parks einen Raum von über 1000 ha und nimmt ein Viertel der gesamten Stadt Haidarabad ein. Die Bewohnerzahl des Palastes soll nach ziemlich sicherer Quelle 7000 Personen betragen; sind ja doch hier allein 3500 Damen, welche der Nisam erhalten muss, vorhanden, und unter diesen nahezu 3000 Frauen und Verwandte der vormaligen Nisams, während der Rest der weiblichen Einwohnerschaft der Residenz durch die Frauen und Sklavinnen des regierenden Nisams, sowie durch ein Korps von einigen hundert Amazonen, die als Palastwache für den Harem fungieren, gebildet wird. Diese Amazonen sind für das Auge fremder Männer nicht sichtbar; sie sollen sich aber, wie uns eine englische Dame versicherte, welche die Bekanntschaft dieses Elitekorps gemacht hatte, durch besonders abstoßende Hässlichkeit auszeichnen. Begibt sich der Nisam in das Zenana, wie der Harem in ganz Indien heißt, so tritt die Hauptwache der Amazonen ins Gewehr und leistet die Ehrenbezeigung. Ewig schade, dass uns dieser Anblick versagt geblieben!

In der großen Empfangshalle waren unter einem reich gestickten Baldachin zwei Thronsessel postiert, auf denen wir, der Nisam und ich, uns niederließen, worauf sich die Visite unter demselben Zeremoniell vollzog wie jene, welche der Nisam mir in Baschir Bägh gemacht hatte; jedoch mit dem Unterschied, dass die Staatsvisite diesmal noch stiller verlief als zuvor, da der Nisam nun noch weniger oder eigentlich gar nichts sprach, und dass uns die Betelblätter in sehr schön gearbeiteten, silbernen Gefäßen geboten wurden, deren eines ich mir zum Andenken erbat.

Nachdem wir unsere Gala mit bequemen Zivilkleidern vertauscht hatten und durch den Leibphotographen des Nisams ein Bild von uns aufgenommen worden war, sollte ein Ritt auf Elephanten durch die Stadt unternommen werden. Wir bestiegen mit unseren Suiten eine ganze Schar von Elephanten, die alle auf das reichste mit Seidendecken von gelber Farbe, der Lieblingsfarbe des Nisams, geschmückt waren. Dieser Zug wird mir unvergesslich bleiben. Er bot das bunteste und bewegteste Bild, welches sich eine üppige Phantasie ausmalen kann, ein von der Kultur noch unberührtes Stück altindischen Lebens, eine Betätigung urwüchsigen Vergnügens an prunkhaften Schaustellungen und Aufzügen. Von der beträchtlichen Höhe meines Hofelephanten konnte ich aus einer Art Vogelperspektive meine Beobachtungen anstellen: in der langen Straße, die vom Palast in die Stadt führt, wimmelte, Kopf an Kopf, eine dichtgedrängte Menge, welche durch rücksichtslos dreinschlagende Polizisten Schritt für Schritt vorwärts geschoben wurde; die zahllosen Turbans und die in grellen Farben, vorwiegend rot, gelb und weiß gehaltene Kleidung der Eingeborenen wirkten überaus malerisch.

Den Zug eröffnete die irreguläre afrikanische Leibwache des Nisams, die ununterbrochen vor uns sang, wilde Kriegstänze aufführte und die Waffen schwang. Es ist sowohl beim Nisam als bei allen größeren Nawäbs des Reiches Sitte, sich eine afrikanische Leibwache zu halten, ein aus Angehörigen aller möglichen afrikanischen Stämme, namentlich aus Somalis, bestehendes, zusammengelaufenes Gesindel, das bei seiner steten Rauflust Grund zu häufigen Straßenaufläufen und Kämpfen in Haidarabad gibt. Man konnte wahre Räuberfiguren und Galgengesichter unter dieser Leibwache wahrnehmen, deren Mitglieder nicht uniformiert sind, sondern beliebige Kleidung und ausschließlich ihre eigenen Waffen, meist lange mit allerlei Zierat beschlagene, ostafrikanische oder arabische Gewehre und breite Gürtel tragen, in welchen die verschiedenartigsten Pulverhörner, Pistolen und Messer stecken.

Unmittelbar vor den Elephanten marschierten uniformierte Leibwachen und ritten die Adjutanten in Nationaltracht; diese Vorhut hielt die Ordnung aufrecht, während mehrere Escadronen Kavallerie den Zug schlossen. Unausgesetzt stiegen, wiewohl es hellichter Tag war, Raketen zum Himmel empor, ununterbrochen donnerten von den umliegenden Höhen die Batterien ihre Grüße herab. Sämtliche Fenster und auch alle Dächer der Häuser waren von Neugierigen besetzt: selbst aus den Frauengemächern lugte manch neugieriges Gesicht heraus. Endlich war der Zug— ein farbenprächtiges Tohuwabohu — am Ende der Hauptstadt angelangt; das vor uns befindliche Volk wurde durch die Leibwache in Nebengassen gedrängt, und ich verließ mit dem Nisam die Häuda.

Begleitet vom 21. Husarenregimente, das mich hier erwartet hatte, kehrte ich nach Baschir Bägh zurück.

Leider hatte Kinsky wieder einen Fieberanfall, so dass er mich nun zu dem folgenden Gala-Diner beim Nisam, welches für 8 Uhr angesagt war, nicht begleiten konnte. Als wir uns dem Palast näherten, erstrahlten die Mauern, welche den Palast und den Park umgaben, und vor allem das Eingangstor im Licht sternförmig angeordneter Lämpchen. In die Pracht der indischen Märchenwelt glaubte ich mich versetzt, als ich den großen Hof betrat, der von 40.000 Lichtern taghell beleuchtet war; jede Stufe, jedes Gesimse, jede Säule, jeder Baum, jeder Strauch trug, als hafteten Glühwürmchen daran, Hunderte von Lämpchen; dazwischen waren große, mit Lichtern dicht besetzte Bögen gespannt; in dem Marmorbassin schwammen, als spiegelten sich die Sterne in ihm, leuchtende Funken — ein Meer von roten, grünen, blauen und weißen Lichtern, die sich in zauberhafter Kombination zu einer wahren Symphonie von Lichteffekten vereinigten.

In der inneren, großen Empfangshalle wurden der Nisam und ich von den Gästen, unter denen auch viele englische Damen zu sehen waren, erwartet. Nach kurzem Cercle gab jeder von uns einer der Damen den Arm und wir schritten in den Speisesaal. Wie groß war mein Erstaunen, als wir aus der Empfangshalle in einen zweiten Hof gelangten, der ebenso groß als der erste und, wenn möglich, noch herrlicher illuminiert, in Flammen getaucht war, ja von buntem Feuer zu glühen schien. Auf den Kieswegen waren Teppiche aufgelegt und unter Vorantritt einer Eskorte von Adjutanten schritten wir in den Speisesaal, der auf einer Seite offen, die Aussicht auf den feenhaften Glanz des beleuchteten Hofes bot. 85 Personen nahmen an dem Paradediner teil.

Ein seltsames Bild, die vielen in Gold strotzenden Prachtgewänder der einheimischen Würdenträger neben unseren und den britischen Uniformen, neben den Toiletten der englischen Damen und der Tracht der einheimischen Offiziere. Die Tafel war mit prachtvollen Goldaufsätzen, bunten Blumen und riesigen Bonbonnieren wahrhaft verschwenderisch ausgestattet.

Eine Regimentskapelle der regulären Truppen des Nisams besorgte die Tafelmusik, die leider mit der gediegenen Pracht, welche uns allerseits umgab, nicht in Harmonie stand. Ich habe bisher den Eindruck gewonnen, dass bei den Festen in Indien überhaupt die europäische Musik eine stiefmütterliche Behandlung genießt; denn die Inder scheinen für dieselbe geringes Verständnis, dafür aber Vorliebe für falsches Klarinett- und Flötengewinsel zu besitzen. Außerdem fehlt es entschieden an rhythmischem Gefühl, wenigstens waren einige der vor uns konzertierenden Musikkobolde ihren Genossen stets um mehrere Takte voraus, ohne sich hiedurch in ihrer Seelenruhe auch nur im geringsten stören zu lassen.

Im Verlauf des vortrefflichen und durch Weine reich gewürzten Diners brachte ich einen Toast auf die Gesundheit der Königin von England aus, welchem der Nisam einen Toast auf Seine Majestät den Kaiser und sodann einen Trinkspruch auf mein Wohl folgen ließ, den ich mit einem solchen auf den Gastgeber beantwortete. Jeder der Toaste wurde von den entsprechenden Hymnen begleitet; doch war unser herrliches „Gott erhalte“ kaum zu erkennen. Aufrichtiges Mitleid empfand ich mit meinem Nachbar, dem Nisam; denn die Notwendigkeit toastieren zu müssen, schien ihm schrecklich bitter zu sein. Gleich nach der Suppe zog er aus seinem Rock ein langes Papier, auf welchem die Reden aufgeschrieben waren; das Blatt in den zitternden Händen haltend, memorierte der Nisam während des ganzen Diners. Bei meiner keineswegs großen Vorliebe für die Sitte des Toastierens gab mir die Seelenangst und Pein meines Nachbars einen gewissen Rückhalt, da ich nun an dem Nisam einen Leidensgenossen hatte, dem die Sache, wenn möglich, noch unangenehmer war als mir.

Zu Ende des Diners wurden jedem Gaste Kuchen serviert, und als wir dieselben aufschnitten, flog eine Menge kleiner, bunter Vogel hervor, die sich alsbald im Saal verteilten — ein orientalischer Scherz, der besonders bei den englischen Damen viel Wohlgefallen erregte.
Der schwarze Rock, welchen der Nisam zum Diner angelegt hatte. trug anstatt der Knöpfe geradezu fabelhaft große Diamanten, welche mich veranlassten, dem Nisam während des Diners meine Bewunderung solchen Schmuckes auszusprechen, worüber jener sichtlich vergnügt lächelte.

Zigarren und Kaffee wurden im Hof serviert, wo wir uns auf Divans, die in goldenem und silbernem Zierate prangten, niedergelassen hatten. Alsbald wurde von dem Dach des gegenüberliegenden Hauses ein kolossales Feuerwerk mit drei Fronten abgebrannt, dessen Garben von Raketen, Schwärmern, Sonnen und Fallschirmen zum dunklen Himmel emporstiegen. Große feurige Schiffe mit voller Takelage erschienen und zum Schluss erstrahlte die ganze Front in den buntesten Lichtern mit der Aufschrift: „Welcome to His Imperial and Royal Highness the Archduke Francis Ferdinand of Austria-Este.“

Hiemit hatte das orientalische Zauberfest sein Ende erreicht. Mit vielen Worten des Dankes empfahl ich mich vom Nisam und kehrte, diesmal mit afrikanischer Eskorte, in mein Palais zurück.

Links

  • Ort: Hyderabad, Indien
  • ANNO – am 24.01.1893 in Österreichs Presse, Die Blätter sind natürlich voll mit Informationen über die Hochzeit von Franz Ferdinands Schwester Margarete Sophie mit Herzog Albrecht von Württemberg. Bis zur Hochzeit war die Erzherzogin Äbtissin! Sie starb früh mit 32, nachdem sie sieben Kinder geboren hatte. Ihr Gatte sollte nicht wieder heiraten. Er diente im Ersten Weltkrieg als General und kommandierte erfolgreich den Südabschnitt der Westfront bis zur Schweizer Grenze.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt die zwei Lustspiele  „Fräulein Frau“ und „Der sechste Sinn“, während das k.u.k Hof-Operntheater Wagners „Die Walküre“ schmettern wollte doch beim Triumphzug von Verdis „Aida“ endete wegen einer erneuten Unpässlichkeit.

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