Vancouver, 7. Sept. 1893

Wir mussten noch einen Tag in Vancouver verbringen, um den Jagdarrangeuren Zeit für die Vorbereitungen zu unserer Expedition in die kanadischen Rocky Mountains zu lassen, und ich beabsichtigte daher heute mit einem jagdkundigen Herrn in der nächsten Umgebung der Stadt etwas umherzustreifen, um ein Grouse oder ein anderes Getier zu erlegen. Die Ansichten über das zu erwartende Resultat dieses Unternehmens waren sehr geteilt; die einen meinten, wir würden Wild antreffen, die meisten behaupteten aber, dass die richtige Saison hiefür vorüber sei. Mein Vorhaben schien genügt zu haben, den Himmel zu verstimmen — schon früh morgens goss es in Strömen und ein kalter Wind pfiff und heulte über den Dächern, so dass die Abfahrtsstunde verschoben werden musste, bis der Regen nachzulassen begann; dann ging es in einem hohen, leichten Wagen mit drei meiner Herren und dem Jagdkundigen, welcher sich äußerst unpraktisch in einen tadellosen schwarzen Salonanzug gekleidet und mit dünnen Stiefletten sowie mit schwarzem Hut versehen hatte, aus dem Bereich der Stadt.

Unser Weg führte zuerst auf einer langen Holzbrücke über einen Meeresarm, dann einen sanften Bergrücken entlang, der anfangs nur verbrannten, toten Wald aufwies, später aber und besonders auf dem jenseitigen Hang mit üppigen, schönen Bäumen bestockt war. Über eine zweite Brücke hinweg erreichten wir eine große Insel, welche den lieblichen Namen Lulu Island trägt und ziemlich dicht von Farmern besiedelt ist. Zwischen den Waldpartien lagen primitiv mit Kartoffeln, Hafer und Gerste bebaute Felder; landwirtschaftliche Maschinen surrten allenthalben, während Rinder und Pferde auf kleinen Wiesen grasten — den ersten wirklichen Wiesen, die wir fast nach Jahresfrist wieder zu sehen bekamen. Die Wohnhäuser der Farmer unterschieden sich nicht im geringsten von den Häusern Vancouvers.

Wir waren auf dem Schauplatz unserer Taten angelangt, und der Jagdkundige riet, einen am Rande des Meeres sich hinziehenden Rohrbusch zu durchstreifen, blieb aber, während wir eindrangen, seinen dünnen Stiefletten zuliebe wohlweislich zurück. Das Rohr war nicht besonders hoch, doch der vielen eingeschnittenen Wasseradern wegen schwierig zu passieren. Gleich zu Beginn unserer Wanderung sahen wir in unerreichbarer Distanz einige Gänse und Enten vom Meeresspiegel aufstehen, dann aber schien die Gegend wie ausgestorben. Eine Rohrdommel und drei Bekassinen bildeten später unsere ganze Ausbeute, da wir von den in Aussicht gestellten Enten nur noch einmal eine Kitt hoch über unsere Köpfe hinwegziehen sahen; hingegen trafen wir auf eine Menge toter Lachse mit dunkelrotem Fleisch, welche teils auf der Oberfläche des Wassers schwammen, teils durch die Flut an das Land geworfen waren.

Da es während dieser unbefriedigenden Expedition wieder heftig zu regnen begonnen hatte, kehrten wir zu dem Jagdkundigen zurück und fragten nach seinen weiteren Plänen. Ein ansässiger Experte wurde herbeigerufen und versicherte uns, dass in dem Inselgebiet Grouse und Fasanen in Fülle zu finden seien; mehrere Felder und Remisen bezeichnete er als die besten Jagdplätze. Zu diesen ging es nun bei strömendem Regen, nachdem wir zuvor in einer Scheune einen kleinen Imbiss verzehrt hatten. Eine mit hohen Farnkräutern überwucherte Waldparzelle enthielt jedoch kein lebendes Wesen — es hieß daher, dass die Grouse, da sie nicht im Wald seien, in den Feldern zu finden sein müssten. Wir stürmten also unverdrossen kreuz und quer durch die Haferfelder, aber ebenso resultatlos wie im Wald, bis endlich der Jagdkundige erklärte, dass offenbar die Farmer die Grouse selbst schössen und wir wahrscheinlich deshalb dieses Wild nicht angetroffen hätten. Wir dankten mit einigen geflügelten Worten bestens für die etwas spät erteilte freundliche Auskunft und bestiegen ganz durchnässt wieder unsere Wagen, um nach Vancouver zurückzukehren, wo wir den Abend mit Vorbereitungen zu unserer Abreise ausfüllten und ein herzlich schlechtes Diner den Tag beschloss.

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  • Ort: Vancouver, Kanada
  • ANNO – am 07.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Margarethe (Faust)“ aufführt.

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