Ugi, 9. Juni 1893

Um den zweiten und leider letzten Tag unseres Aufenthaltes auf Ugi gehörig auszunützen, das heißt um noch anderweitiges Material für meine Sammlungen aufzubringen und die Insel näher kennen zu lernen, sollten heute schon bei Anbruch des Tages mehrere Expeditionen ausgehen und erst am Abend an Bord zurückkehren. Die Disposition war die folgende: ich wollte mit Prónay und Regner längs der Südküste jagen und zwar bis zu dem Cap Panna nihi, wo unser einige Boote warten sollten, mit deren Hilfe wir den Nachmittag über die interessanten Korallenbänke zu durchforschen beabsichtigten; Wurmbrand und Clam stellten sich die Aufgabe, unter Führung eines Eingeborenen rund um die ganze Insel zu gehen, was sie in acht Stunden zu leisten hofften, während Bourguignon, Sanchez und Preuschen beschlossen, bis zu einem Dorf an der Nordküste vorzudringen, um dort für mich ethnographische Gegenstände zu sammeln, Mallinarich aber sollte mit zwei Unteroffizieren Schmetterlinge fangen.

So stießen wir denn von der „Elisabeth“ ab, nicht ohne dass der um seine Schutzbefohlenen besorgte Kommandant uns noch ans Herz gelegt hätte, bei Sonnenuntergang ja wieder an Bord zurückzukehren. Auf dem Land trennten sich die einzelnen Expeditionen mit herzlichem „Waidmannsheil“. Jede derselben hatte Matrosen zur Begleitung und führte den nötigen Proviant mit sich.

Ich wandte mich zunächst wieder gegen das Dorf Ete-Ete, unterwegs nach Vögeln spähend, doch sah es, da kurz vor Tagesanbruch ein Regen niedergegangen war und auch jetzt noch Regen mit Sonnenschein abwechselte, mit der Vogelwelt, deren Vertreter in den dichten Laubkronen versteckt waren, übel aus, und ich konnte daher nur einen großen, grünen Papagei erlegen, während Prónay eine selten schön gefärbte Taube mit gelben, violetten und grünen Federn zur Strecke brachte. Der Boden war durch den Regen fast grundlos geworden, und bei jedem Schritt sanken wir bis über die Knöchel in die durchweichte Humusschicht ein, welche hier den Boden bedeckte. Im Wald fand ich einen eben verendenden Eber des Hausschweines, der mir durch seine kolossalen, spiralförmig nach rückwärts gebogenen Waffen auffiel. Einige Zeit hindurch verweilten wir im Dorf, um das Leben und Treiben der Wilden noch genauer zu beobachten, da sich diese heute weit weniger scheu und misstrauisch zeigten als tagszuvor.

Bei den Bewohnern der Salomon-Inseln herrscht eine Art „Zweikindersystem“ vor, so dass angeblich ein namhafter Teil der Neugeborenen umgebracht wird; tatsächlich fiel uns auf, dass wir nur eine geringe Zahl Kinder sahen. Polygamie ist hier die Regel; doch pflegt die Zahl der Frauen in einem und demselben Haushalt selten mehr als zwei zu betragen. Die Stellung des Weibes ist eine gar trübselige, da dieses dem Gatten völlig untergeordnet, mit jeglicher Arbeit in Haus und Feld belastet und der rohesten Behandlung seitens des Mannes überhaupt preisgegeben ist. Letzteres erklärt wohl, weshalb die Frauen uns gegenüber anfänglich noch mehr Scheu an den Tag legten als die Männer, obwohl es heute schien, als hätte unser Auftreten in Ete-Ete am vorhergehenden Tag auch die Frauen zutraulicher gemacht; ja ein junges Weib, das in paradiesischem Kostüm vor einer der Hütten stand, ließ sich sogar herbei, mit freundlichem Grinsen eine Zigarette anzunehmen, welche ich ihr angeboten hatte.

Weiterschreitend kam ich nach einer halben Stunde Weges zu einer Lichtung, auf welcher ich eine Anzahl aus Holz geschnitzter Götzenbilder und Fetische vorfand. Die Figuren, sowie die ringsum wahrnehmbaren Überbleibsel von Hütten schienen darauf hinzudeuten, dass auf dieser Lichtung sich einst ein Dorf sowie eine Heilige Stätte befunden hatten, und ich beschloss sofort, auf dem Heimweg mit den Booten an der Küste unweit der Lichtung anzulegen und mich der anscheinend herrenlosen, interessanten Fetische zu bemächtigen. Um nun späterhin die Lichtung wieder zu finden, markierte ich von dieser bis zur Küste hin einen Weg, indem ich eine zum Meeresufer reichende Reihe von Bäumen anplätzte, an der Küste aber den Beginn dieses „Weges durch Markierung zweier der größten Palmen bezeichnete. Dieser Vorgang mochte den Wilden aufgefallen sein und ihnen mein Vorhaben kundgetan haben; denn als einige Herren des Schiffsstabes, bald nachdem ich die Lichtung verlassen, hier vorbeikamen, fanden sie, wie ich später erfuhr, vor jedem der angeplätzten Bäume bereits einen bewaffneten Eingeborenen als Schildwache vor, so dass ich den Plan, in den Besitz der genannten Fetische zu gelangen, wohl oder übel aufgeben musste.

Gegen 10 Uhr endlich war ich in der Nähe von Panna nihi, wanderte jedoch, da die Sonne nun schon intensiver zu brennen angefangen hatte und infolge dessen alle Vögel in den dichtesten Baumkronen verborgen waren, der Küste zu, wo zwei Jollboote und die Putzjolle warteten.
Korallen fischend, fuhr die kleine Flotille dem Ufer entlang auf und nieder. An jeder der Stellen, wo derartige Gebilde zum Vorscheine kamen, wurde halt gemacht, vier der Matrosen sprangen ins Wasser und holten tauchend allerlei Korallen hervor. Während wir im Bereiche der Küste verweilten, kam plötzlich die Expedition Wurmbrand-Clam an der Küste in Sicht und stieß, unseren Spuren folgend, bald zu uns; die Herren hatten sich ihrem eingeborenen Führer nicht verständlich machen können, so dass er sie stundenlang in dichtem Wald umhergeführt und schließlich an den Ausgangspunkt ihrer Wanderung zurückgebracht hatte. Da es inzwischen Mittag geworden war, gaben sie ihren ursprünglich gefassten Plan notgedrungen auf und beschlossen, mindestens unsere Expedition aufzusuchen, was ihnen auch unschwer gelang.
Die Putzjolle war bald mit Korallen so ziemlich vollgefüllt, und hielten wir dann in kühlem Schatten Mittagsrast, ein keineswegs schwelgerisches Mahl einnehmend, dessen Hauptbestandteil die von Sydney mitgebrachten Konserven bildeten.

Während der Rast sprach der Bootsmann die Vermutung aus, dass wir an dem westlichen Strand der Reede, also jenseits des Ankerplatzes der „Elisabeth“, noch weit schönere Korallen finden dürften als in der Nähe des Ortes, an welchem wir uns eben befanden. Diesem Winke folgend, ruderten wir, sobald unser Mahl beendet war und auch die Mannschaft abgegessen hatte, die vier Seemeilen betragende Strecke bis zur „Elisabeth“ zurück, gaben die bisher
gemachte Beute an Bord ab und steuerten ohne weiteren Aufenthalt dem bezeichneten neuen Reviere zu, das sich in der Tat als ein ausnehmend reicher Fundort erweisen sollte. In einer Entfernung von etwa 20 m von der Küste lagen hier die herrlichsten Korallen in einer Tiefe von 1 bis 2 m unter dem Wasserspiegel; weiterhin fiel die Bank zwar in bedeutendere Tiefen ab, allein auch da schimmerten durch das blaue Wasser die schönsten Gebilde empor. Wir sprangen sämtlich sofort aus dem Boot, tummelten uns, teils watend, teils schwimmend, rings um die Bank umher und holten jede besonders schöne Koralle, die wir in dem klaren, bis auf den Grund hinab durchsichtigen Wasser ersahen, tauchend hervor; größere Stücke, insbesondere massige Formen, waren jedoch nicht einfach mit der Hand abzulösen, so dass wir uns, um solcher habhaft zu werden, einer eisernen Brechstange bedienen mussten, welche von einem der Taucher angesetzt wurde, während die anderen drückten und schoben, bis das begehrte Stück absprang.

Hier stand Koralle an Koralle; wir zählten deren an dieser Stelle nicht weniger als vierzehn von einander verschiedene Arten, und nirgends auf diesem Riffe berührte der Fuß etwas anderes als immer wieder Korallengebilde. Zwischen diesen aber schwammen allenthalben rote, blaue und grüne Fischchen, lagen prachtvoll gefärbte Holothurien, Seesterne, Muscheln und andere Seebewohner, deren wir eine größere Anzahl erbeuteten.

Die unter Wasser befindlichen Korallen schillern in den herrlichsten Farben, deren Gewirre schon von oben her, insbesondere jedoch beim Tauchen aus nächster Nähe betrachtet, den Eindruck hervorruft, als seien hier alle nur erdenklichen Abtönungen in einer unendlichen Skala der feinsten, aufs zarteste abgestuften Nuancen kunstvoll aneinandergereiht.

So immer von neuem angeregt, schwammen, tauchten, fischten wir in dem lauen Seewasser mehrere Stunden lang mit größtem Eifer, wobei jeder den anderen durch seine Funde zu überbieten, jeder die allerschönsten Exemplare aus der Tiefe zu holen suchte. Endlich waren zwei Boote bis an den Rand mit Beute vollgefüllt, worauf wir noch die Küste in einer Länge von etwa 500 m eingehender Untersuchung unterzogen, um auch hier eine große Anzahl von Muscheln, Schnecken und Krabben zu finden. Der ganze Strand ist fußhoch mit weißglänzenden Muschel- und Korallenstückchen bedeckt, so dass es aus der Ferne den Anschein hat, als sei jener mit weißem Sande bestreut. Diese Trümmer sind durch die zerstörende Gewalt der Brandüng entstanden und durch die Flut an die Küste geworfen; ab und zu erscheinen zwischen den Bruchstücken eingeklemmt auch noch völlig unversehrt gebliebene Muscheln oder Schnecken. Weiterhin wimmelte es von Krabben, während an den Stämmen der am Rande des Ufers stehenden Bäume Landschnecken hafteten, deren Gehäuse mitunter Einsiedlerkrebsen als Wohnung dienten. Nachdem wir den Strand durchsucht und mit der gewonnenen Beute zwei Baljen vollgefüllt hatten, traten wir im Scheine der sinkenden Sonne die Heimfahrt an, welche jedoch nicht ganz glatt ablief, da unsere Boote wiederholt auf hoch emporragenden Korallenriffen aufsaßen und nur mit Mühe wieder flott gemacht werden konnten; zudem ereilte uns eine heftige Regenböe, welche wir aber, von dem Korallenfischen ohnehin völlig durchnässt, wenig beachteten.

An Bord der „Elisabeth“ wurde das ganze Achterdeck von der Beute des heutigen Tages in Anspruch genommen; bis in die späte Nacht hinein wurde hier gestaut, um die Korallen zu bergen und zu schichten.

Inzwischen war auch die dritte Expedition, jene, welche die Insel durchquert hatte, heimgekehrt. Die Herren waren von ihrem Ausflüge ganz entzückt; in Begleitung des Häuptlings Rora und einiger seiner Untertanen hatten sie, stets im Wald weiter schreitend, nach ziemlich mühevollem Marsch in drei Stunden die Nordküste erreicht und dort auf einer höchst einladenden, mit feinem Sand bedeckten Plage ein erquickendes Bad genommen. Weiterhin an das Ziel der Wanderung, in das an der Nordküste gelegene Dorf gelangt, hatten sie dessen Bewohner anfangs noch weit scheuer gefunden als jene von Ete-Ete; doch wurden dieselben bald dadurch zutraulich gemacht, dass die Herren ihre Waffen ablegten und ihr Frühstück mit den Eingeborenen teilten. Auch der würdige Rora hatte im Vollbewusstsein seiner Wichtigkeit nach Kräften dazu beigetragen, die Eingeborenen zu beruhigen, so dass es den Herren sogar gelungen war, nebst einer großen Menge anderer Objekte zwei Fetische und einzelne Schmuckgegenstände für mich zu acquirieren.

Als die Expedition die von ihr erworbenen Gegenstände auf die „Elisabeth“ bringen wollte, zeigten sich drei junge Eingeborene bereit, die Dinge zu den Booten zu tragen, und ließen sich sogar bewegen, an Bord zu kommen. Die Wilden erschraken aber ganz gewaltig, als eben beim Einholen der Flagge die Musikkapelle einschlug und der Flaggenschuss abgefeuert wurde.

Den ganzen Tag über hatte schon eine größere Anzahl von Kanus das Schiff umfahren, auch ließen sich die Wilden, die nun einsahen, dass ihnen keine Gefahr drohe, in eifrigen Tauschhandel ein, wobei hauptsächlich kleine Geldstücke, Virginia-Zigarren und Zigaretten anziehende Kraft äußerten. Nur wollten die Eingeborenen um keinen Preis eines ihrer Kanus hergeben; und gerade um ein solches war es mir zu tun, da diese Fahrzeuge mit ihrem leichten, eleganten Bau und ihrem Schmuck — aus Muscheln und Seegras hergestellten Zieraten — die schönsten Kanus der Südsee darstellen sollen. Erst als unser Artillerieoffizier mit zwei Werndl-Karabinern herausrückte und diese zum Tausch anbot, wurden zwei Kanus unser Eigentum.

Die vierte, von Mallinarich geführte Expedition kam mit reichen Funden an Schmetterlingen und Hautflüglern aller Art heim.

Links

  • Ort: Ugi, Salomon Inseln
  • ANNO – am 09.06.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „College Crampton“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.

 

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