Bevor ich zu der auf den heutigen Tag angesetzten Parade fuhr, welche auf dem großen Exerzierplatz im Westen der Stadt stattfinden sollte, wurde ich mit meiner japanischen Suite in verschiedenen Positionen photographiert.
In einem Galawagen, begleitet von einer Kavallerie-Eskorte, legte ich den ziemlich weiten Weg bis zum Paradeplatz zurück, wo mich der Kaiser in einem reichgeschmückten, mit Goldbrokat ausgeschlagenen Zelt bereits erwartete und vorerst die üblichen Zigaretten geraucht wurden. Die Truppen, 7530 Mann, waren nicht in Treffen, sondern im Carré formiert, dessen eine Seite für die Aufstellung des kaiserlichen Zeltes sowie für das diplomatische Korps, die Hofchargen und die dienstfreien Offiziere offen gelassen war.
Der Kaiser und ich bestiegen bereit gehaltene Pferde und ritten im Schritt, gefolgt von den Prinzen, dem Kriegsminister, den Militärattaches und mehreren höheren Offizieren, an den Empfangsflügel heran und sodann die Front entlang. Die Infanterie stand in Bataillonsmassen mit entwickelten Kompanien, die Kavallerie, Artillerie und der Train in entwickelter Linie. Die höheren Kommandanten meldeten den Stand der ausgerückten Truppen und ritten dann in der Suite mit.
Wie schon in Kumamoto, hatte ich auch hier wieder Gelegenheit, über die Leistungen zu staunen, die von der japanischen Armeeverwaltung in kurzer Zeit vollbracht wurden. Dies ist das Verdienst der fruchtbringenden Studien, welche die Regierung im Ausland durch ihre militärischen Vertreter hat machen lassen, die, nicht so aufdringlich wie mitunter jene anderer Mächte, in ihrer stillen, bescheidenen Weise verstehen, das Gute zu erfassen und sich anzueignen. Mit seltenem Geschick hat die Armeeverwaltung fremde Einrichtungen ohne gedankenlose Nachäffung den Landesverhältnissen anzupassen und so wirklich Gediegenes zu schaffen gewusst. Charakteristisch ist, dass aus der Haltung der im Ausland herangebildeten Offiziere unschwer zu entnehmen war, wo sie ihre militärische Schulung erhalten haben, da sich der strammer einhermarschierende Offizier als aus deutscher Abrichtung hervorgegangen sofort von jenem unterschied, der in seinem Wesen leichtere Auffassung verriet und sich so als Zögling Frankreichs zu erkennen gab.
Dem Abreiten der Front folgte die Defilierung, die unglaublich gut vonstatten ging, mich jedoch insofern auf einen Fehler im Excerzier-Reglement schließen lässt, als meiner Ansicht nach das Kommandieren der Kopfwendung zu spät erfolgt, so dass die Flügelchargen unwillkürlich vorprellen, woraus sich eine unschöne, halbmondartige Form der entwickelten Kompanien ergibt. Das Marschieren, abwechselnd begleitet von den Klängen eines japanischen und des österreichischen Radetzky-Marsches, erfolgte frei und raumgreifend. Bemerkenswert ist das vortreffliche Material, mit welchem die höheren Infanterieoffiziere beritten gemacht sind, wenngleich denselben nicht durchaus eine entsprechende Reitkunst eigen ist. Artillerie und Kavallerie — eine Escadron von einem sehr kleinen Prinzen auf einem sehr großen Pferde geführt — defilierten in kurzem Trabtempo; die Batterien waren sehr gut alligniert, die Kavallerie hingegen geriet etwas außer Ordnung. was wohl den zahlreichen Hengsten zuzuschreiben war, die sich unter den Mannschaftspferden befanden. Als während der Parade das Pferd des Kaisers unruhig wurde, sprang der Oberststallmeister aus dem Sattel, erfasste eine Handvoll Erde und rieb hiemit Maul sowie Nüstern des Gaules — ein mir ganz neues hippisches Beruhigungsmittel.
Kaum war die letzte Abteilung des Trains vorbeidefiliert, saßen wir ab; der Kaiser nahm Abschied, und ich fuhr in der Gala-Equipage nach unserem Palais zurück, um mich nach einer kurzen Ruhepause zu einem Dejeuner beim Prinzen Komatsu Akihito zu begeben.
Außer dem Prinzen und seiner Familie, worunter auch die hübsche Schwiegertochter des Prinzen, waren etwa 15 Gäste versammelt. Mein Gastgeber erkundigte sich lebhaft nach dem Befinden meines Vaters, bei welchem er gelegentlich eines Aufenthaltes in Wien diniert hatte, und sprach überhaupt viel von unserer Kaiserstadt. Die ganze Familie kam mir sehr herzlich entgegen, so dass das Dejeuner in zwangloser, heiterer Stimmung verlief.
Nachmittags wurde ich durch eine von Sannomija im Garten des Palais veranstaltete Produktion der Schüler der kaiserlichen Fechtschule überrascht, wodurch ich zu meiner Genugtuung Einblick in das Wesen der altjapanischen Fechtkunst erlangte. Bei der Schauübung wurde mit Schwert gegen Schwert, mit einem Schwert gegen zwei Schwerter, mit Lanze gegen Schwert, endlich mit Lanze gegen Lanze gefochten; die Schwerter und Lanzen waren aus starkem Bambus geschnitten. Kopfmasken aus Draht, schwarz und rot lackierte Plastrons sowie Fußschienen schützten die Fechter; Arme und Knie blieben unbedeckt und zeigten manche von kräftigen Hieben herrührende Schramme. Als zulässige Hiebe galten jene auf den Kopf, den Rumpf, den Unterarm und den Hals. Die Fechter machten ihre Sache recht geschickt, man sah, dass sie Schule und Übung hatten; Finten und Paraden scheinen unbekannt, da den Hieben eigentlich nur durch Körperbewegungen sowie durch Beiseite-, Vor- und Rückwärtsspringen ausgewichen wird; hingegen fehlt das bei allen orientalischen Völkern im Kampf übliche aneifernde Geschrei nicht. Ein unterhaltendes Intermezzo war es, als plötzlich mein japanischer Leibjäger die Maske aufstülpte und wacker zu fechten begann. Nach Beendigung jedes Assauts, bei dem ein Richter die Points markierte, begrüßten sich die Fechter, indem sie niederknieten und den Oberkörper zur Erde neigten.
An diese Produktion reihte sich ein Fischfang in dem mit dem Meer in Verbindung stehenden Teiche des Palaisgartens; das Resultat war jedoch ein klägliches, da es in der Erbeutung eines einzigen Fisches bestand. Wie ich hörte, soll die Kaiserin hier zuweilen mit der Angel fischen, doch dürfte auch in solchem Fall die Ausbeute, nach dem heutigen Ergebnisse zu schließen, keine glänzende sein.
Mittlerweile war die Stunde des Gala-Diners gekommen, das für 4 Uhr bei den Majestäten angesagt war. Das Diner fand unter dem gleichen Zeremoniell wie das Dejeuner statt; glücklicherweise herrschte im großen Festsaal wegen der vorgerückten Nachmittagsstunde keine so hohe Temperatur wie gestern. Als Gäste hatten sich dieselben Persönlichkeiten eingefunden, welche schon dem Dejeuner zugezogen waren. Kaiser Mutsu Hito brachte einen Toast aus, welchen der Dolmetsch übersetzte, worauf die Volkshymne gespielt wurde und ich mit einem Trinkspruch auf die Majestäten sowie das ganze kaiserliche Haus antwortete; selbstverständlich erklang hiezu die japanische Hymne. Nach dem Diner verabschiedete ich mich von der Kaiserin, den Prinzen und Prinzessinnen. Der Kaiser machte mir gegen seine sonstige Gepflogenheit noch einen Abschiedsbesuch im Hama-Palais und sprach bei dieser Gelegenheit seine Befriedigung über die günstigen Eindrücke aus, die ich in Japan empfangen; zur Erinnerung übergab er mir das Modell eines Repetiergewehres, die Erfindung eines Japaners, welches demnächst in der Armee eingeführt werden soll.
Die letzte Mahlzeit des heutigen Tages, das Souper in unserem Lustschloss, wurde durch das Schauspiel einer prächtigen Gartenbeleuchtung sowie eines Feuerwerkes gewürzt. Der Garten, weitaus die größte Zierde des Hama-Palais, schon um der Aussicht willen, die er auf das mit Segelbooten besäete Meer bietet, kam in dem hellen Licht der zahllosen Lampions, die sich in dem Teich vielfach wiederspiegelten, und in dem Feuer der Raketen zu vorteilhafter Geltung.
Während des Soupers produzierte sich ein Schnellmodelleur, der, lediglich mittels der Finger arbeitend, mit kaum glaublicher Raschheit aus klebrigen, wie Wachs aussehenden, verschiedenfarbigen Reismassen jeden beliebigen Gegenstand nachbildete; wir ließen von dem Künstler zuerst allerlei Tiere, dann eine Japanerin, zuletzt einen Herrn aus der Gesellschaft modellieren — Aufgaben, die in vollendeter Weise gelöst wurden.
Links
- Ort: Tokio, Japan
- ANNO – am 19.08.1893 in Östereichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet „Die goldene Märchenwelt“ aufführt.