Tandur, 21. Jänner 1893

Nach einer auf meinem ungewohnten Lager schlecht verbrachten Nacht war das erste, was ich sah, eine Ehrenkompanie der Truppen des Nisams von Haidarabad (Hyderabad), die mich bei Wadi an der Grenze des „Staates“ — richtiger gesagt des Gebietes — dieses unter britischem Schutz stehenden Fürsten empfing. Wiewohl mit dem äußerlichen Prunk der Macht ausgestattet und über etwa 214.000 km2 mit 11,5 Millionen Einwohnern herrschend, ist der Nisam von Haidarabad oder Golkonda doch keineswegs ein unumschränkter, sondern nur ein tributpflichtiger Maharadscha, welchen ein englischer Resident und die britische Besatzung der Hauptstadt bewachen, unter dem Vorwand, ihn zu schützen.

Ich lag noch im Bett, konnte dasselbe so rasch nicht verlassen und blickte nur durch die Fenster auf die festlich geschmückte Station. Die Kompanie bestand aus schönen, schwarzen Leuten mit aufgedrehten Schnurr- und Backenbärten.

Die Gegend, die wir bis Tandur durchfuhren, ist wenig reizvoll, eine weite Ebene, nur hin und wieder von niedrigen Hügelketten durchzogen, wo Kulturland mit großen, öden, sterilen Flächen wechselt, auf denen nur vereinzelt stacheliges Dornengestrüpp wächst und Stein- sowie Felspartien und erratische Blöcke sichtbar werden. In den Feldern sieht man Lein, Ricinus, Dschowari (eine Hirseart), den Baumwollstrauch, Mais und Tabak angebaut. Eigentümlich ist die Art der Ackerung, bei welcher man sich noch ganz primitiver Pflüge, einfacher Baumstämme mit Wurzelhaken bedient. Die Egge wird durch zusammengebundene Reisigbündel vertreten und die Frucht dort, wo Sense und Sichel unbekannt sind, einfach mit der Hand ausgerissen. Allenthalben erblickt man in der Nähe der Ortschaften — die Behausungen der Eingeborenen sind hier schon aus Stein gebaut — zerstörte und verfallene Forts und sonstige Befestigungen, Denkmäler aus der Zeit, als die Radschas und Fürsten des Landes untereinander in steter Fehde gelebt haben. Auch portugiesische Forts mit runden Ecktürmen und krenelierten Mauern sind noch vorhanden.

Nach zweiundzwanzigstündiger Fahrt hatten wir, von Wadi aus die Nizam’s Guaranteed State Railway benützend, Tandur erreicht, von wo aus sofort eine dreitägige Jagdexpedition angetreten werden sollte. Der Nawab Vicar ul-Umra, ein Vetter des Ministers des Nisams, war, gefolgt von mehreren Engländern und Schikäris, auf dem Bahnhof erschienen. um mich zu begrüßen. Unter den Anwesenden befand sich auch der Kommandant der Truppen des Nisams, Oberst Nevill, der unseren Zug bereits in Wadi bestiegen hatte und mir nun, obwohl Engländer von Geburt, im reinsten Wienerisch, welches er seit 18 Jahren nicht mehr gesprochen, seine Erlebnisse erzählte. Er hat vormals in unserer Armee gedient und war schließlich Rittmeister bei Haller-Husaren. Während des Besuches Ihrer Majestäten in Mailand im Jahre 1857 hatte Nevill als Ordonnanz-Offizier des Kaisers fungiert und dann bei Magenta als Adjutant Gyulays das Militär-Verdienstkreuz mit der Kriegsdekoration errungen. Er quittierte nach dem Feldzug mit Charakter und zog sich nach England zurück, von wo aus er später nach Indien in den Dienst des Nisams kam, als dessen Generalissimus er bei Hofe eine sehr einflussreiche Stellung einnehmen soll.

Es währte ziemlich lange, bis wir im Stand waren, aufzubrechen, da insbesondere die Verladung des für die Jagd erforderlichen Gepäckes geraume Zeit beanspruchte und die Verständigung mit den Eingeborenen, welche uns voll blinden Eifers immer wieder an Stelle der richtigen die unrichtigen Gepäckstücke entrissen, schwierig war. Endlich waren wir flott.

In einer großen, goldbemalten, von einem Artillerie-Viererzug gezogenen Coach fuhren wir fürs erste durch Tandur, das noch mit Ringmauern und Befestigungen versehen ist, dann einige Meilen quer landeinwärts, um das etwa 16 km entfernte Jagdlager zu erreichen, das wir drei Tage lang bewohnen sollen. Wie staunte ich, als ich eine völlige Stadt von Zelten betrat, die, an den Seiten einer großen, freien, quadratischen Fläche aufgeschlagen, mit dem höchstmöglichen Maß von Bequemlichkeit und Luxus eingerichtet waren.

In der Mitte des Lagers, dem Eingang gegenüber, steht das große Speisezelt, Raum für eine Tafel von 20 Personen bietend, vor demselben aber ist unter einem Zeltdach ein großer Salon situiert, versehen mit den bequemsten Möbeln, mit Schreibtischen und einer Sammlung von Büchern. An diesen Salon anschließend, liegen die für uns bestimmten Zelte, deren jedem von uns eines zugewiesen ist, das ein vortreffliches Bett, einen sehr eleganten Schreibtisch, sonstige Möbel und schwellende Teppiche enthält. Das für mich bestimmte Zelt, vor dem auf einer hohen Flaggenstange meine Standarte weht, zeichnet sich durch seine Größe aus und macht tatsächlich den Eindruck eines Hauses. Die 18 Zelte, die wir bewohnen, umgibt eine hohe Einfriedung, außerhalb welcher noch 40 Zelte stehen, für die Schar der Diener, Köche, Jäger und Pferdewärter. Ungefähr 400 Eingeborene, welche als Handlanger und Treiber verwendet werden sollen, sind in Laubhütten bequartiert, zwischen denen Rinder, Büffel, Ziegen und Schafe in Herden weiden, welche den täglichen Bedarf an Fleisch liefern; denn, um sich militärisch auszudrücken, der Verpflegsstand unseres Lagers beträgt über 500 Mann.
Beim Eingang in das Camp war eine einheimische Ehrenwache von 30 Mann aufgestellt, welcher sich 7 kolossale Elephanten, die für die folgenden Jagdtage dienen sollten, und 20 reichgeschirrte, prächtige, arabische Rosse unter Aufsicht von zwei Stallmeistern in grüner Livree anreihten.

Dieses in wahrhaft großartigem Stile angelegte Jagdlager verdanke ich dem Nisam von Haidarabad, der sich bald telegraphisch nach meinem Befinden sowie danach erkundigte, ob ich mit den getroffenen Einrichtungen zufrieden sei.

Nach der Ankunft im Lager wurde mir der Sohn des Nisams vorgestellt, dem ich durch den Dolmetsch meine Freude über den glänzenden Empfang auf dem Gebiet von Haidarabad ausdrückte.

Sodann besichtigten wir die Pferde, welche von den Stallmeistern des Nisams vorgeritten wurden, sowie die Elephanten, deren lange Stoßzähne mit dicken, reich verzierten Eisenringen gegen das Splittern geschützt waren.

Sobald unsere Bagage angelangt war. legte ich Jagdkleider an und durchstreifte mit Wurmbrand die umliegende Gegend, während die anderen Herren einen Ritt unternahmen. Mir fielen bei diesem kurzen Ausflug Vertreter verschiedener, mir noch neuer Vogelarten zur Beute. so unter anderem zierliche Wachteln (Turnix dussumieri), — von den Engländern Buttonquail genannt — ferner Tauben, Sänger und Schmätzer. Auf niedrigen Tamariskenbäumen fand ich zum ersten Mal eine größere Anzahl der so kunstvoll geflochtenen Nester des Webervogels.

Die Flora war nicht sehr reich vertreten, nur eine strauchartige Rosacee mit reichen, gelben Blüten fiel mir auf, welche vielfach als Opfergabe in Tempeln Verwendung findet, seitdem den praktischen Indern die früher gebräuchlichen Goldopfer doch zu kostspielig geworden sind. So bringen sie denn jetzt statt gelben Goldes gelbe Blüten dar. Wer erinnerte sich da nicht der klagenden Worte Kalchas‘ über die abnehmende Opferfreudigkeit! ….

Günstigste Botschaften liefen über Tiger ein, welche, wie es hieß, ein angebundenes Kalb gerissen hatten und sich nach Aussage der Schikäris in einem nahen Dschungel befanden. Abends erhielt ich ein Telegramm Mr. Jevers‘ aus Colombo, welches die höchst erfreuliche Nachricht brachte, dass ein großer, von mir angeschweißter Elephant, wahrscheinlich jener, auf den ich am 8. Jänner geschossen hatte und der auch gestürzt war, auf 1000 m vom Anschusse verendet gefunden worden sei.

Links

  • Ort: nächst Tandur, Indien
  • ANNO – am 21.01.1893 in Österreichs Presse, Auf Seite Eins der Neuen Freien Presse wird mitgeteilt, dass der ehemalige serbische König sich wieder mit der Königin versöhnt habe, nachdem es in Biarritz zu einer Szene gekommen war. In Bornemouth wurde nun Cornelius Herz, einer der Drahtzieher des Panamaskandals, verhaftet. Frankreich erwartet nun seine Auslieferung. Die Zeitung meldet, dass Franz Ferdinand in Bombay sich vor allem dem Sightseeing gewidmet hat.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater gibt das Lustspiel „Die Welt in der man sich langweilt“, während die k.u.k Hof-Operntheater ein „théâtre paré“ für geladene Gäste veranstaltet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
29 + 1 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.