Nach einer recht kühlen, im Waggon verbrachten Nacht langten wir am Pfingstsonntag morgens nach 7 Uhr wieder in Sydney an. Die sonst so schöne und belebte Stadt bot jedoch ein totes Bild, da zufolge der strengen englischen Sonntagsheiligung alle Verkaufsläden geschlossen waren und sich, einige schlaftrunkene Straßenkehrer ausgenommen, niemand in den Straßen zeigte.
An Bord erledigte ich die Post und nahm noch von Schleinitz Abschied, der mit Leopold nach Wien zurückkehren sollte.
Die katholische St. Mary’s-Kathedrale, in der ich dem feierlichen Hochamt beiwohnen wollte, war mit Andächtigen überfüllt; im gotischen Stil erbaut und bis auf Dach und Türme vollendet, wird das Gotteshaus, dessen künstlerisch ausgeführte Glasfenster bemerkenswert sind, einstweilen von einem provisorischen Holzdach bedeckt. Das Amt wurde, da der erste katholische Kirchenfürst Australiens, der Kardinal und Erzbischof Patrick Francis Morran, in Rom weilte, vom Weihbischof mit großer Assistenz zelebriert. Die Feierlichkeit währte geraume Zeit, nämlich von Schlag 11 Uhr vormittags bis gegen halb 2 Uhr nachmittags; auch hatte ich noch niemals einer so lang andauernden Predigt beigewohnt, gewiss aber keiner solchen, die ich, wie die heutige, in englischer Sprache gehaltene, nicht verstand.
Nach Schluss des Gottesdienstes versammelte sich vor der Kirche eine große Menschenmenge, die sich dergestalt um mich drängte, dass ich kaum zum Wagen gelangen konnte; eine Anzahl von Personen, darunter namentlich Irländer, berührte meine Kleider, da dies, wie ich mir erzählen ließ, Glück bringen soll. Von dieser mir innewohnenden, übernatürlichen Kraft, die ich bisher nie geahnt, sehr erfreut, musste ich, während die Menge ein Hurrah nach dem anderen ausbrachte, noch einige Zeit im Wagen an Ort und Stelle verweilen, weil der Gaul meines Cabs durch das Geschrei komplett stutzig geworden war und nicht von der Stelle wollte, bis man ihn am Zügel anführte. In diesem Moment stürzte unter großem Gepolter eine Holzestrade, auf welcher eine bedeutende Anzahl Menschen Platz gefunden hatte, neben meinem Wagen zusammen. Glücklicherweise wurde niemand verletzt; nur ein besonders vorwitziger Junge flog mit dem Kopf voraus in ein nebenstehendes, leeres Fass, was einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch zur Folge hatte. Die Szene wäre des Griffels eines Wilhelm Busch würdig gewesen!
Kaum wieder an Bord, empfing ich den Besuch sämtlicher Minister der Kolonie Neu-Süd-Wales, wobei Generalkonsul Pelldram als Dolmetsch fungierte. Mit gutem Gewissen konnte ich den Herren mein Entzücken über das schöne Land und die reizende Stadt aussprechen, was große Befriedigung zu erregen schien; wenigstens war die Stimmung bei der Audienz eine sehr animierte; besonders als der Generalkonsul sich irrte und mir beharrlich in englischer Sprache statt in deutscher antwortete, wollte das Lachen kein Ende nehmen. Der Premierminister Sir G. R. Dibbs, ein stattlicher, hoch gewachsener Mann, Vater von sechs blühenden Töchtern, machte mir nicht bloß durch sein imponierendes Äußere, sondern auch durch sein Wesen einen sympathischen Eindruck. Die Herren waren in einer kleinen Dampf-Yacht gekommen und luden mich ein, eine Fahrt an die schönsten Punkte des Hafens zu machen — ein Anerbieten, das ich umso weniger Ursache hatte auszuschlagen, als mir ja schon das Wenige, was ich bisher gesehen, so außerordentlich gut gefallen hatte.
Fährt man den einzelnen Buchten entlang, gewissermaßen an die intimeren Details der Szenerie heran, so entrollen sich dem staunenden Auge Panoramen von einer Lieblichkeit, die geradezu hinreißend ist. Überall in bunter Folge und Abwechslung Wasser und Land, Schiffe, Gärten und reizende Villen; azurblaue Wogen bespülen das Gestade des Festlandes und der Inseln; Ufergelände und Eilande sind bedeckt mit reicher Vegetation und umrahmt von schimmernden Felsen; tiefe Buchten dringen ins Land, während weithin sich streckende Landzungen in die dunkle Flut vorspringen, welche zahlreiche Schiffe und Boote durchfurchen; über all dem der heitere, klare Himmel und die köstliche, frische Luft.
Die Yacht nahm den Kurs zuerst um Dawes Point an dem tief in die Südküste einschneidenden Darling-Hafen vorbei, in welchem die großen Merkantilschiffe vertäut sind. Den Windungen der nordwestlich von Darling Harbour liegenden Buchten Waterview Bay und der Bai nördlich von Morts Dock folgend, gelangten wir bis nach der Insel Cockatoo, wo wir das große Trockendock besichtigten, welches, mit dem Aufwand vieler Millionen vor kurzem erbaut, zwei Schiffen von der Größe unserer „Elisabeth“ hinlänglich Raum bietet. Von dieser Insel aus genossen wir eine entzückende Aussicht auf die ausgedehnte Stadt, auf die grünen Hügel mit den zahllosen Villen, die traulich zwischen großen Bäumen hervorlugen. An verschiedenen Stellen der Buchten liegen ausrangierte Kriegs- oder Handelsschiffe, die in beschaulichem Dasein das Ende ihrer Tage erwarten und vorläufig noch als Depots und Magazine verwendet werden. Von Cockatoo Island steuerten wir in den Parramatta River, den westlichen Arm von Port Jackson. Am Ende dieser sich 29 km weit ins Land erstreckenden Bucht, in welche das unbedeutende Flüsschen Parramatta mündet, liegt an blühendem Gelände die Stadt gleichen Namens. Durch die Schönheit der landschaftlichen Szenerie, sowie durch prächtige Orangerien und Obstgärten sind namentlich die am Ufer der Bucht gelegenen Ortschaften Hunters Hill und Gladesville berühmt. Aus dem Parramatta River herausfahrend, wendeten wir uns nördlich und erreichten, die Landzunge Greenwich passierend, die Woodford Bay, welche den landschaftlich schönsten Teil der Umgebung Sydneys darstellt und mich glauben machte, ich sei plötzlich an die Gestade eines unserer heimatlichen Seen versetzt. Bei perlendem Champagner wurde hier eine Reihe von Toasten ausgebracht, die unsererseits stets im Entzücken über Sydney ausklangen. Der weiteren Ausdehnung des schönen Ausfluges war dadurch ein Ziel gesetzt, dass der Weihbischof um 5 Uhr zu mir in Audienz an Bord kommen sollte.
Zu einem abendlichen Gala-Diner, welches der Stellvertreter des Gouverneurs im Government House gab, waren die Spitzen sämtlicher Behörden geladen. Als einen Akt dankenswerter Zuvorkommenheit muss ich erwähnen, dass der Governor Lieutenant, obwohl des Deutschen nur unvollkommen mächtig, das Wohl Seiner Majestät des Kaisers dennoch in dieser Sprache ausbrachte — das erste Mal in der Reihe der zahlreichen Diners, denen ich bisher auf dem Boden britischer Kolonien beigewohnt habe.
Links
- Ort: Sydney, Australien
- ANNO – am 21.05.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater ist am Pfingstsonntag geschlossen, während das k.u.k. Hof-Operntheater eine Soloaufführung mit Personal der Mailänder Scala von “Falstaff“ darbietet.