Sydney, 17. Mai 1893

Der lohnendste, weil in den schönsten Teil von Neu-Süd-Wales führende Ausflug von Sydney aus ist jener in die Blauen Berge — eine Partie, die an landschaftlichen Reizen in der Tat unvergleichlich ist.

Die Blauen Berge sind ein der Küste in der Entfernung von 40 km bis 200 km so ziemlich parallel laufendes, im Norden an die quer, das heißt von West nach Ost liegenden Bergzüge der Liverpoolkette, im Süden an die Australischen Alpen stoßendes Bergland, dessen bedeutendste Erhebung der Mount Beemarong (1230 m) bildet. Dieses Bergland steigt schroff aus der Ebene auf, um sich dann zu Hochebenen auszubreiten, auf welche einzelne Höhenzüge aufgesetzt sind. Mit Wald bedeckt, im übrigen unfruchtbar, jedoch reich an mineralischen Schätzen, scheiden die Blue Mountains die welligen, grasreichen Weidegründe des Innern von dem mit fruchtbarem Alluvium ausgestatteten, üppigen Landstriche der Ostküste.

An der ziemlich entlegenen Redfern Station der Western Line, welche von Sydney aus in westlicher Richtung die Blauen Berge übersetzt, erwarteten uns der Minister für öffentlichen Unterricht, Mr. F. B. Suttor, der Leiter und Arrangeur der Fahrt, sowie der deutsche Generalkonsul Pelldram.

Der Tag war wunderbar schön, die Atmosphäre klar und rein. Obgleich der Extrazug mit englischer Geschwindigkeit fährt, braucht er doch geraume Zeit, um Sydney und die weithin sich ausdehnenden Vorstädte und Vororte zu durchfahren, so dass der Reisende einen annähernden Begriff von der räumlichen Ausdehnung und von dem Aufschwung erhält, den diese junge Stadt innerhalb der letzten Dezennien genommen hat. Überall herrscht Reinlichkeit und Nettigkeit, die Häuser in den Vorstädten sind zumeist ebenerdig, klein und mit Wellblech gedeckt. Hat der Zug endlich dieses Häuserlabyrinth verlassen, so treten große Orangengärten und weiterhin Eucalyptus-Haine an die Bahn heran, welche nun an einer mit Nadelholz bedeckten Hügelkette emporzusteigen beginnt. Wir finden hier kalifornische Pinien (Pinus insignis), Pinus Strobus (Weymouthskiefer) und hin und wieder mächtige Gummibäume.

Auch in diesen Wäldern fehlt es nicht an zahlreichen Ansiedlungen, da die Ausläufer der Blauen Berge den Sydneyern als Sommerfrische dienen und jeder reichere Bewohner der Stadt hier sein Landhaus hat, so dass man alle hübschen Aussichtspunkte, alle idyllisch gelegenen Stellen in den Tälern und Schluchten mit Villen besäet findet, welche den Stempel der Gemütlichkeit und des Frohsinns an sich tragen. In den Gärten der Villen blühen überall in den mannigfachsten Varietäten Chrysanthemen und Spätrosen.

Nach Passierung eines langen Tunnels beginnt die Bahntrace stärker zu steigen und die Szenerie nimmt den Charakter der Gebirgslandschaft an; Täler wechseln mit bewaldeten Höhenzügen und von Zeit zu Zeit treten groteske Felsformationen hervor. Infolge der Reinheit der Atmosphäre nehmen die entfernteren Hügel und Bergketten eine intensiv bläuliche Färbung an, woraus sich der Name „Blaue Berge“ erklärt; dieser zartbläuliche Hauch liegt auch über den Tälern — ein seltsames Naturspiel, das ich hier zum ersten Mal zu beobachten Gelegenheit hatte.

Gegen 1 Uhr kamen wir in der Station Wentworth Falls, 871 m über dem Meer gelegen, an, bestiegen bereitgehaltene Wagen und fuhren, wie sich unsere Begleiter bescheiden ausdrückten, zu einem schönen Aussichtspunkt. Eine halbe Stunde mochte die Fahrt durch Eucalyptus-Wälder gegangen sein, als plötzlich bei einer Biegung des Weges ein Gebirgspanorama vor uns lag, das in seiner Originalität und effektvollen Wirkung wohl nicht seinesgleichen haben dürfte.

Umgeben von steilen, schroffen Höhen, breitet sich zu unseren Füßen ein weiter, tiefer Talkessel aus, bedeckt von mächtigen Bäumen und Farnen, gebadet in duftigem Blau. Ein klarer Gebirgsbach stürzt als imposanter Wasserfall mit gewaltigem Rauschen und Brausen über drei Absätze die Felsabhänge hinab in eine Tiefe von 300 m, um sich daselbst in einer Mulde zu einem See zu sammeln und sprudelnd seinen Weg in der Talsohle weiter zu eilen; feiner Wasserstaub überwölbt, einer zitternden, schwingenden, schwebenden Wolke gleich und weithin im Sonnenlicht als farbenprächtiger Regenbogen erglänzend, das abstürzende Wasser.

„Über allen Wipfeln ist Ruh'“, und nur wenn ein Windhauch über die Baumkronen zieht, nicken sie mit leisem Flüstern ihren Beifall zu den tosenden Akkorden des Wasserfalles; kein Vogelgezwitscher ist vernehmbar und nur hin und wieder zieht einsam ein Raubvogel seine Kreise im blauen Äther.

Auf einem schmalen, vorspringenden Felsen bis an den Rand der mehrere hundert Meter senkrecht zu Tal stürzenden Steinwand vorschreitend, genießen wir in vollen Zügen das entzückende Schauspiel. Die Größe des Niveauunterschiedes zwischen unserem Standpunkt und der Talsohle wird am besten durch den Umstand veranschaulicht, dass die riesigen, wohl zu hundert Meter emporwachsenden Gummibäume, welche vorzugsweise den Bestand des Waldes im Tal bilden, wie kleines Buschwerk erscheinen. Der jungfräuliche Wald steht dort so dicht, dass kein Fleckchen des Bodens bloß liegt und das Auge nur über einen Teppich von Baumkronen schweift; allenthalben sprießt üppiges Pflanzenleben hervor; Epacrideen und Farne lugen neugierig aus den Felsspalten nach den Wundern der Natur; ja selbst der sterilste Boden schmückt sich mit allerlei Grün und trägt sein Scherflein bei, den Anblick zu verschönern. Starker Tau, welcher des Morgens gefallen war, hatte sich unter der Kraft der Sonnenstrahlen in viele Millionen Perlen verwandelt, die nun in allen Farben spielend an jedem Halme glitzerten.

Unter den überhängenden Partien einer das Tal begleitenden Felswand sind schmale Steige hergestellt; sie führen zu verschiedenen Felsspitzen und Vorsprüngen, welche die wunderbarsten Bilder in immer neuer, wechselvoller Umrahmung zeigen.

Nur das stete Drängen unserer Begleiter, welche die mögliche Verspätung des Extrazuges mit Besorgnis zu erfüllen schien, konnte uns dazu bewegen, von dem majestätisch schönen Gemälde Abschied zu nehmen.

Der Zug führte dann an einer Reihe lieblicher Punkte, darunter auch an dem kleinen Orte Katoomba vorbei, welcher am Zusammenlaufe mehrerer anmutiger Täler liegt und eine der beliebtesten Sommerfrischen von Sydney ist.

In der Station Blackheath machten wir abermals halt, um an reizend gelegenen Villen vorbei zu dem 5 km entfernten Wasserfall Govett’s Leap zu gelangen, wo unser ein ähnliches Bild harrte, wie bei den Wentworth Falls.

Auch hier blicken wir vom Rand einer senkrecht abfallenden Felswand in ein tief unten gebettetes Tal, das von scharfgezackten, felsigen Höhen umsäumt und weithin von einer Matte grüner Baumwipfel bedeckt ist. Die Riesen dieses Tales dünken uns noch kleiner als jene von Wentworth Falls, da die Wand, wie von Menschenhand abgemeißelt, noch tiefer abfällt. In einem Bogen stürzt auch hier ein Gebirgswasser hinab, während ein zweites, kleineres Gewässer, in Myriaden von Tröpfchen zerstäubt, einem Schleier ähnlich zutal flattert. Die letzten Strahlen der sinkenden Sonne brachten zauberhafte Lichteffekte hervor; das zarte Blau der Atmosphäre verschwamm mit dem rosigen Hauch der beleuchteten Bergspitzen, und über dem dunkelgrünen Wald lagerte sich allmählich veilchenblauer Duft. Selbst der kühlste Kritiker der Natur muss von Wentworth Falls und Govett’s Leap begeistert sein; denn ich glaube — ganz abgesehen von meiner Vorliebe und Empfänglichkeit für landschaftliche Schönheit — kühnlich behaupten zu dürfen, dass der Genuss allein, welchen der Anblick der Blauen Berge gewährt, jeden für die Mühen langer Seefahrt nach Sydney reichlich entschädigen muss.

Außer Wentworth Falls und Govett’s Leap gibt es hier übrigens noch eine Reihe anderer Punkte, die sich durch hohe landschaftliche Schönheit auszeichnen; doch reichte die kärglich bemessene Frist unseres Aufenthaltes in Neu-Süd-Wales leider nicht hin, alle diese lohnenden Stellen seines Bergreviers in Augenschein zu nehmen.

Wieder im Zug, erreichten wir bald den höchsten, 1025 m über dem Meer und unmittelbar vor der Zigzag Station befindlichen Punkt der Bahn. Bei dem das Gebirg überschreitenden Teil der Western Line — Zigzag Railway genannt — hat sich der Erbauer Mr. John Whitton in einer ähnlichen Weise geholfen, wie dies bei der nach Dardschiling führenden Bergbahn der Fall war, da auch hier die Trace im Zickzack geführt ist. Die Zigzags beginnen bei Lapstone Hill und setzen sich bis zu einer 31 m unter dem höchsten Punkt der Bahn gelegenen Stelle fort, von wo die Trace nach Bathurst absteigt.

Während wir uns talwärts senkten, fehlte es nicht an Anzeichen, dass wir uns gegen das Innere des Landes bewegten, uns dessen großen Farmen näherten; denn die Lastzüge bestanden fast durchwegs aus langen Reihen von Viehwaggons; jeder dieser Waggons war mit lebenden Schafen vollgepfropft, und so beladen rollte Zug für Zug den Docks und den Schlächtereien von Sydney zu. Die trockenen Schafweiden des Innern haben die Züchter zwar darauf angewiesen, zunächst feine Wolltiere und erst in zweiter Linie Fleischschafe zu produzieren; allein trotz dieses vorwiegend auf Produktion von Zuchtschafen und von Massen wertvoller Wolle gerichteten Betriebes ist in Neu-Süd-Wales immerhin auch der Export von Fleischschafen ein bedeutender. Für den Umfang, welchen der Handel dieser Kolonie mit Schafvieh überhaupt angenommen hat, spricht, dass im Jahre 1892 1,583.666 Stück Schafe von hier ausgeführt und 520.660 Stücke nach Neu-Süd-Wales eingeführt worden sind.

Bei Sonnenuntergang waren wir am jenseitigen Fuß der Blauen Berge angelangt. Bevor die Bahn wieder völlig in die Ebene tritt, durchzieht sie ein ausgedehntes Gebiet reichhaltiger Kohlengruben, in welchem die Kohle in mächtigen Flötzen liegt und allenthalben Förderungsschächte, Kennzeichen eifrigen Bergbaubetriebes, zu sehen sind; rings um die Schächte wimmelt es von rasch emporgewachsenen Ansiedlungen, die Wohnhäuser der Arbeiter und Werksbesitzer umfassend. Einige Wände aus Wellblech oder Holz, das Dach manchmal bloß aus der starken, holzartigen Rinde des Gummibaumes gefügt — und die Behausung ist fertig. In dieser Art entstehen in Australien Städte und Ortschaften in unglaublich kurzer Zeit, fast wie aus dem Boden hervorgezaubert.

Bei der Station Bathurst wurde das Diner im Zug eingenommen, und gegen Mitternacht waren wir am Ziel unserer Fahrt, in Narromine, von wo aus wir unter der Leitung des Farmers Mr. Mack drei Tage hindurch Jagdzüge unternehmen sollten.

Links

  • Ort: Narromine, Australien
  • ANNO – am  17.05.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Torquato Tasso”, während da k.u.k. Hof-Operntheater “Der Wildschütz” aufführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
1 + 23 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.