Der jüngste Kontinent wollte die Söhne der alten Welt nicht bei schlechtem Wetter empfangen; denn als ich um halb 7 Uhr morgens auf Deck kam, fand ich den Himmel klar und heiter; die Sonne war eben im Aufgehen begriffen; die See hatte sich einigermaßen beruhigt; verschiedenartige Möven und Seeschwalben, sowie große Alken oder Pinguine umschwärmten unser Schiff, welches sich der Einfahrt nach Sydney, Port Jackson, näherte. Der Tag war prächtig, doch herrschte so niedrige Temperatur, dass wir warme Mäntel wohl vertragen konnten. Aus weiter Ferne blicken uns schon die beiden Caps oder Halbinseln — Outer North and South Head — weiß leuchtend entgegen, zwischen welchen hindurch die Fahrt in den Hafen geht; diese Halbinseln fallen mit steilen Felswänden und Klippen scharf ins Meer, und schäumend bricht sich die Brandung an ihren Ufern; Hunderte von Felsen- und Mauerschwalben umkreisen da zwitschernd ihre Nistplätze. Outer South Head trägt einen Leuchtturm; die Einfahrt ist reich an grellen Direktions-Obelisken. Auf einem kleinen Dampfer kam uns der Lotse entgegen, um die Stelle unseres alten Kapitäns von Port Kennedy einzunehmen.
Alle Häfen, die ich bisher gesehen, werden an landschaftlicher Schönheit durch jenen von Sydney übertroffen — eine Ansicht, die auch die anderen Herren teilten, welche denselben zum ersten Mal sahen.
Trotz mancher begeisterten Schilderung von Port Jackson, die uns gegeben worden, überraschte uns die Szenerie, welche sich hier dem Auge darbot, und von Minute zu Minute wuchs unser Erstaunen, unsere Bewunderung.
Nach Passierung der genannten Vorgebirge tritt das Schiff in einen engen Kanal, wendet dann scharf gegen Südwest — und nun liegt ein reizender Sund vor uns. In der Ferne schimmert das Häusermeer von Sydney, rechts und links öffnen sich kleine Baien, umrahmt von grünenden, mit Bäumen bedeckten Hügeln, die mit zahllosen Villen und Landhäusern, deren Gärten trotz der kalendarischen Herbstzeit im Blütenschmuck prangen, besäet sind und so ein äußerst lebendiges, heiteres Bild darstellen. Die Baien sind bevölkert von Dampfern, Yachten und Booten aller Art, deren Insassen der einfahrenden „Elisabeth“ Grüße zuwinken. Wahrlich, Australien hätte uns einen freundlicheren Empfang nicht bereiten können! Wir alle erblickten hierin ein gutes Vorzeichen für unseren Aufenthalt, dem wir in gehobener Stimmung entgegensahen.
Nicht wenig trug zu dem gewinnenden ersten Eindruck die herrlich klare, kühle Luft bei, die uns erfrischend umwehte, — doppelt willkommen nach dem drückend heißen, feuchten Klima Javas, das auf Geist und Körper gleich erschlaffend wirkt.
Unsere freudige Stimmung wurde aber noch wesentlich dadurch gesteigert, dass der deutsche Generalkonsul Pelldram, welcher derzeit auch mit der Vertretung Österreich-Ungarns betraut ist und uns zur Begrüßung entgegengefahren war, drei Posten auf einmal überbrachte.
Die ganze Strenge, mit welcher die sanitätspolizeilichen Vorschriften, namentlich gegen die aus Batavia kommenden Schiffe, gehandhabt werden, hatten auch wir zu empfinden; denn wir mussten bis zur Konstatierung des Gesundheitszustandes in der Watson Bay vor Anker gehen — ein Aufenthalt, den zu bereuen wir keine Ursache hatten, weil wir mit Entzücken an der Landschaft hingen, die uns umgab.
Nachdem wir freie Prattica erhalten hatten, setzte die „Elisabeth“ die Fahrt längs der malerischen Ufer der Bai, deren Vorsprünge kleinere Forts und Batterien — von wie es schien untergeordneter fortifikatorischer Bedeutung — krönen, fort. Wir passierten noch Garden Island, mit dem Arsenal und den Werften der australischen Kriegsflotte sowie die Woolloomooloo Bay und gingen dann in der zwischen Lady Macquarie’s Chair und Fort Macquarie gelegenen Farm Cove mitten unter den Kriegsschiffen der australischen Escadre an eine Vertäuboje.
Die Küstenverteidigung wird von in den australischen Gewässern stationierten Schiffen der britischen Kriegsflotte, von der Australian Auxiliary Squadron und von Kriegsfahrzeugen, welche Eigentum der Kolonien sind, besorgt. Kraft des Australasian Naval Force Act vom Jahre 1887 zahlen nämlich die australischen Kolonien eine jährliche Subvention von 1,092.000 fl. ö. W. an die britische Regierung, wofür diese die „Australische Hiitsflotte“ zu erhalten hat; überdies werden die von der britischen Regierung getragenen Baukosten der Schiffe dieser Flotte von den Kolonien mit 5 Prozent verzinst, doch dürfen die Zinsen den Betrag jährlicher 420.000 fl. ö. W. nicht überschreiten. Diese Hilfsflotte setzt sich aus 5 schnellen Kreuzern und 2 Torpedokanonenbooten zusammen und steht unter dem Befehl eines britischen Contre-Admirals, welcher außerdem die in den australischen Gewässern stationierte, aus Schiffen der britischen Kriegsmarine zusammengestellte Escadre kommandiert. Diese Escadre wird aus 1 Panzerschiff, 3 Kreuzern, 3 Kanonenbooten und 1 Schrauben-Yacht gebildet; die Hauptstation derselben ist Sydney. Die Kriegsflotte, welche den australischen Kolonien gehört, besteht im ganzen aus: 1 Panzerschiff, 2 Kreuzern, 4 Kanonenbooten, 13 Torpedobooten, 2 Torpedobarkassen und 7 Dampfern; die Mehrzahl dieser Schiffe entfällt auf Victoria und Queensland, während Neu-Seeland kein Kriegsschiff besitzt.
Uns zunächst lag das stolze britische Admiralsschiff, der Panzerkreuzer „Orlando“, mit 5600 t; diesem reihten sich der Kreuzer „Royalist“ und von der Australian Auxiliary Squadron der Kreuzer „Mildura“ nebst dem Kanonenboote „Boomerang“ sowie das der Kolonie Queensland gehörige Kanonenboot „Paluma“, welches auf gemeinsame Kosten der Kolonie und der britischen Regierung zur Küstenvermessung verwendet wird, an. Auf diesen Schiffen erklang, von dem Donner der Geschütze begleitet, unsere Volkshymne.
Es währte nicht lange, so erschienen der Lieutenant Governor Sir F. M. Darley, von seinem Adjutanten und Kabinetssekretär begleitet, und bald nachher der Kommandant der königlichen Escadre, Contre-Admiral Bowden-Smith, sowie der Bürgermeister von Sydney, Mr. Manning, an Bord, um mich zu begrüßen. Der Gouverneur selbst war nach nur zweijähriger Dienstzeit nach England abberufen worden; sein Nachfolger soll demnächst eintreffen. Zahlreiche Landsleute, namentlich Istrianer und Dalmatiner, die in Sydney ihrem Erwerb nachgehen, fanden sich auf der „Elisabeth“ ein, um Freunde und Bekannte zu suchen und zu finden.
Die Disposition für die nächsten Tage war bald getroffen, dann brachte mich ein Boot ans Land, den Boden der Kolonie Neu-Süd-Wales zu betreten und deren Kapitale, die älteste Stadt Australiens, zu besichtigen.
Sydney, welches an der Südküste der tief in das Land einschneidenden Jackson-Bucht liegt, erstreckt sich — durch die Anzahl und Mächtigkeit seiner Gebäude imposant — über eine Reihe von Hügeln hin, um allmählich in Villeggiaturen überzugehen und sich so in das Grün der Landschaft zu verlieren. 1788 als Sitz der Strafkolonie Neu-Süd-Wales gegründet, hat Sydney — ursprünglich Port Jackson, dann dem Staatssekretär Viscount Sydney zu Ehren mit dessen Namen belegt — namentlich in den letzten Jahren einen gewaltigen Aufschwung genommen. Das Anwachsen der Bevölkerung Sydneys wird am besten durch die folgenden Zahlen illustriert: im Jahre 1800 hatte Sydney kaum 2600 Einwohner, im Jahre 1861 95.596, im Jahre 1881 schon 237.300, am 31. Dezember 1892 einschließlich der Vororte bereits 411.710 Einwohner.
Als Handels- und Industrieplatz von großer Bedeutung, verdankt Sydney seinen Aufschwung hauptsächlich der Sicherheit und Geräumigkeit seines Hafens, über welchen mehr als drei Viertel der Gesamteinfuhr und mehr als die Hälfte der Gesammtausfuhr der Kolonie Neu-Süd-Wales ihren Weg nehmen. Hier sind im Jahre 1892 2960 Schiffe mit 2,804.549 t eingelaufen und 3067 Schiffe mit 2,842.635 t ausgelaufen; die Einfuhr der Kolonie repräsentierte in diesem Jahr einen Gesamtwert von 249,318.312 fl. ö. W., die Ausfuhr einen solchen von 263,666.964 fl. ö. W.
Das Boot landete unterhalb des Government House bei Fort Macquarie, von wo aus der Weg einen Quai entlang in die Stadt führt. An diesem Quai herrscht überaus reges, geschäftliches Leben, da hier die großen Dampfer der Peninsular and Oriental Steam Navigation Company sowie jene der Messageries maritimes vertäut werden und sich in nächster Nähe die vielstöckigen Magazine befinden, in welchen ununterbrochen Wollballen und Felle aus- und eingeladen werden. Vom Quai aus durchschneiden die zwei Hauptstraßen und Verkehrsadern Sydneys, George Street und Pitt Street, von Nord nach Süd parallel laufend, das Innere der Stadt. Obschon viele Straßen im rechten Winkel geführt sind, fällt diese monotone Regelmäßigkeit moderner Stadtanlage wenig auf, weil Sydney auf Hügeln situiert ist, was beständige Abwechslung in den Straßenzügen mit sich bringt.
Unter den öffentlichen, durchwegs aus Stein erbauten Gebäuden, an denen Sydney so reich ist, nenne ich als die hervorragendsten: die Universität, ein kolossales, mit einer grandiosen Halle ausgestattetes Bauwerk in gotischem Stile, welches sich am Nordende des schönen Victoria-Parkes erhebt, die Kathedrale und die neuerbaute katholische Marien-Kirche, das prächtige Stadthaus (Town Hall), das palastartige, mit Kolonnaden und einem hohen Turm geschmückte Post Office, das nächst dem Hydepark gelegene Museum und endlich das Parlamentshaus.
Hübsche Häuser, vielfach mit Balkonen und Veranden versehen, in den Erdgeschossen Kaufläden enthaltend, worin europäische Artikel feilgehalten werden, säumen die macadamisierten Straßen ein, in denen eine geschäftige Menge auf und nieder wogt. Die Straßen machen einen großstädtischen und dabei anheimelnden, freundlichen Eindruck; nicht zum wenigsten, weil der Ankömmling sich in eine europäische Stadt versetzt wähnt, da er nur weißen Gesichtern begegnet, darunter auffallend vielen schönen Frauen und Mädchen — ein wohltuender Anblick nach der farbigen und von unserem Standpunkt aus nicht eben anziehend zu nennenden Physiognomie der Eingeborenen jener Länder, die wir kürzlich besucht hatten.
In den Straßen herrscht, wie dies für Sydney, als einen so bedeutenden Handelsplatz, wohl begreiflich ist, lebhafter Wagenverkehr, an dem ich nur auszusetzen finde, dass man hier die Londoner Cabs eingeführt hat, schnelle, aber für die Insassen unbequeme, ungemütIiche Gefährte.
Bei den Einkäufen, welche wir zu besorgen hatten, wurde ganz nach europäischer Art vorgegangen; die Abwicklung der Geschäfte vollzog sich glatt und rasch, und wir waren angenehm berührt, nicht mehr, wie in Bombay, Calcutta, Singapur und Batavia, stundenlang suchen und feilschen zu müssen.
Sodann stattete ich dem Lieutenant Governor einen Besuch im Government House ab, das, im Tudor-Stil erbaut, sich innen durch die vornehm ruhige Eleganz der Einrichtung auszeichnet. Sir F. M. Darley, welcher des Deutschen einigermaßen mächtig ist, wodurch die Konversation wesentlich erleichtert wurde, zeigte mir den Garten des Palais, von welchem aus sich ein reizender Ausblick auf den Hafen und die gegenüberliegende Mossmans Bay mit dem Villenviertel St. Leonards darbietet. Der Garten ist wohlgepflegt und enthält eine reichhaltige Sammlung australischer Baum- und Straucharten.
Der nächste Besuch galt.— ich leide an der Museomanie — dem Museum, das, in einem imposanten Bau untergebracht, durch Reichhaltigkeit, richtige Anordnung und gute Konservierung der Objekte ausgezeichnet ist. Da mich zunächst die spezifisch australischen Formen interessierten, wandte ich mich den Säugetieren zu, um namentlich die eigentümliche Klasse der Beuteltiere zu studieren. Unter den gut ausgestopften Tieren waren die verschiedenen Känguruh- und Wallaby-Arten, vom Riesenkänguruh bis zum allerliebsten Felsen-Wallaby (Petrogale penicillata), die Beutelratten, die fliegenden Eichhörnchen, verschiedene Beutelmarder- und Kusuarten, der australische Beutelbär, der Wombat, der Dugong, der wilde Hund Dingo oder Warragal und das Schnabeltier vertreten.
Die Ornis Australiens ist vollzählig versammelt; hervorgehoben zu werden verdienen: der neuholländische Kasuar oder Emu; der seltene Leierschwanzvogel; die zahlreichen, ungemein intensiv und bunt gefärbten Kakadu- und Papageienarten, sowie die Gruppe der Sumpf- und Wasservögel, welche manche mir noch unbekannte Spezies aufwies. An Raubvögeln und Hühnerarten scheint Australien, nach dem Überblick, den ich im Museum gewann, zu urteilen, arm zu sein, während die Ordnung der Tauben schöne Formen umfasst. Je ein Exemplar jeder Vogelart ist gut ausgestopft in einem Glasschrank untergebracht; hingegen werden Tausende von Bälgen in Truhen aufbewahrt, um gelegentlich als Tauschobjekte Verwendung zu finden.
Außerdem besitzt das Museum eine reiche Sammlung von Korallen und Muscheln, von Käfern und Schmetterlingen und endlich eine solche ethnographischer, von dem Kontinent und den Inseln Australiens stammender Gegenstände, deren Besichtigung ich jedoch einem zweiten Besuch vorbehielt.
Inzwischen war es 5 Uhr geworden, die Stunde, zu welcher in den Straßen Sydneys lebhafteste Bewegung herrscht, da die Einwohner der Stadt um diese Zeit sich im Freien zu ergehen pflegen.
Diesem Beispiel folgend, schlenderten wir im Hydepark und in der George Street umher, bis die Uhr zur Table d’hote im Australian Hotel, an welcher ich teilzunehmen beabsichtigte, rief.
Dieses, in sechs Stockwerken sich auftürmende Riesengebäude ähnelt in der Anlage, in den Dimensionen und den Einrichtungen den englischen und amerikanischen Hotels, jedoch mit dem angenehm berührenden Unterschied, dass man nicht bloß auf englische Küche mit Roastbeef und verwässerten Gemüsen angewiesen, sondern mit Speis und Trank gut versehen ist. Die Table d’hôte vereinigte in einem großen Saal eine zahlreiche Gesellschaft; die Herren waren, nach englischer Sitte, im Frack, die Damen in großer Toilette, zumeist sogar decolletiert erschienen. Wenig Rühmenswertes lässt sich der Tafelmusik nachsagen, welche von einigen Künstlern bestritten wurde, die ihren Instrumenten greuliche Töne entlockten.
Da das, wie man sagt, durch gute Vorstellungen sich auszeichnende Operettentheater geschlossen war und ein Zirkus tags zuvor Sydney verlassen hatte, erübrigten uns als Stätten lang entbehrten „künstlerischen“ Genusses nur — zwei Singspielhallen, „Tivoli“ und „Alhambra“, in denen sich Volkssänger, worunter auch Neger, und Tänzerinnen vor einem Publikum produzierten, welches seinem Beifall nach Landessitte durch schrilles Pfeifen Ausdruck gab und nicht eben sehr gewählt war; es bestand größtenteils aus Arbeitern, Matrosen und Geschäftsleuten geringerer Kategorie.
Links
- Ort: Sydney, Australien
- ANNO – am 16.05.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Die kluge Käthe”, während da k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet “Die goldene Märchenwelt” aufführt.