Nach der ersten regenlosen Nacht war Hoffnung vorhanden, dass ein Tiger mit Sicherheit bestätigt werden würde. Das Geschäft des Bestätigens verstehen die hiesigen Schikäris ganz vorzüglich; sie sitzen Tag und Nacht auf Bergspitzen, Graten und überhaupt hochgelegenen Punkten, von welchen aus sie eine gute Übersicht über Stellen, an denen sich die Tiger am liebsten aufhalten, genießen und namentlich die Plätze, wo die Büffelkälber zur Anlockung von Tigern angebunden sind, beobachten können. Schlägt ein Tiger das Kalb, so tut er sich in der Regel, nachdem er das Stück angeschnitten, in dessen Nähe für einige Zeit nieder. Bleibt er nun in einem bestimmten von Beobachtern umstellten Gebiet, einer Talschlucht oder einem Dschungel, so wird hievon schleunigst die Meldung ins Lager erstattet, wo alsbald lebhafte Bewegung entsteht, bis in aller Hast die letzten Vorbereitungen zur Jagd getroffen sind und die Elephantenkarawane zum Jagdplatz aufbricht. Nach dem Einlangen solcher Meldungen schickten wir meist unsere Jäger mit den Elephanten voraus und folgten zu Pferd, obgleich das Reiten auf den verrittenen und zappelnden indischen Gäulen gerade kein Genuss ist.
So war’s auch heute. Gegen 9 Uhr vormittags kam die Meldung, dass zwei Tiger in einem dichtbewachsenen Tal geschlagen hätten und dort bestätigt seien. Der Oberstjägermeister ritt auf seinem Elephanten mit den Schikäris und Treibern voraus, um alle Anstalten zu treffen; wir folgten eine Stunde später nach, durchquerten zunächst die Ebene und ritten dann in einem engen, sehr dicht verwachsenen Tal etwa 3 km vor, bis an einen Punkt, wo uns der Jagdgewaltige mit der sehr erfreulichen Meldung erwartete, dass die Tiger noch da seien, und zwar in der Nähe des Platzes, auf dem sie im Morgengrauen ein Büffelkalb gerissen hatten. Die Pferde wurden nun mit Jagdelephanten vertauscht; ich bestieg das Lieblingstier des verstorbenen Maharadschas, dessen sich dieser bei seinen Tigerjagden stets bedient hatte.
Der Head-Schikäri ordnete nun an, dass ich, da der Tiger sich entweder auf dem geschlagenen Büffel oder ganz in der Nähe befinden müsse, zuerst allein vorpürschen und anzukommen trachten solle, worauf im Fall des Misslingens ein Trieb gemacht werden würde. Meinem Mahaut wurde die größte Ruhe beim Vorgehen anempfohlen, damit nicht die Aufmerksamkeit des Tigers vorzeitig erregt werde. Ich richtete mich in meiner Häuda so gut als möglich ein und legte zwei Springer’sche Stutzen geladen neben mich, mit der Absicht, dem Tiger aus meinem alten 500er Stutzen, dessen ich mich auf heimatlichen Jagden bei der Erlegung von über tausend Stück Wild bedient hatte, den ersten Gruss zu senden. Janaczek und der Schikäri, welcher den Tiger bestätigt hatte, saßen hinter mir. So pürschte ich, auf meinem klugen Elephanten thronend, möglichst geräuschlos, den Bäumen und Ästen ausweichend, in der Talsohle weiter, während die Schikäris auf den Kämmen der Hügel folgten, um die Bewegungen des Tigers zu beobachten. Hohes, gelbes Gras wechselte mit Bäumen und dornigem Gebüsch, und jeden Augenblick glaubte ich das Haupt des Tigers irgendwo auftauchen sehen zu müssen.
Bald waren wir an dem Killplatz angelangt, wo das angerissene Kalb lag, um welches Geier und Schakale stritten; doch war vom Tiger keine Spur. Ich drang noch eine Strecke weiter vor und wollte eben auf Anraten des Schikäri umkehren, als von der jenseitigen Lehne ein spähender Schikäri laut „Bagh, Bagh“ (Tiger) zu mir herabschrie. In demselben Augenblick sah ich auf ungefähr 300 m einen Tiger in voller Flucht von der Höhe der Lehne durch das Gebüsch gegen das Tal zukommen, leider aber auch in einem dichten Dschungel verschwinden. Schon gab ich jede Hoffnung auf, erteilte aber gleichwohl dem Mahaut den Befehl, dem Tiger in der Direktion, die er genommen, so rasch als möglich nachzueilen. Zum Glück hatte Colonel Fraser, ein vielerfahrener Tigerjäger, der weiter rückwärts im Tal stand, das Manöver des Tigers bemerkt und schoss einige Meter vor denselben hin, um ihn zu einer Wendung zu bestimmen. Der Versuch gelingt; der Tiger schlägt um und kommt nun in voller Flucht auf 60 Gänge durch das Gebüsch an mir vorbei. Ich habe gerade noch Zeit, dem Mahaut „Teiro“ (Halt) zuzurufen, der Schuss kracht —- und wie ein Hase roulierend liegt das mächtige Tier vor mir.
Meine Freude über den ersten Tiger, den ich erlegt, vermag ich nicht zu schildern; nur ein Waidmann kann das Gefühl ermessen, das mich in diesem Augenblicke erfüllte. Mein Jäger musste einen herzhaften „Juchezer“ schreien, worauf die Herren herbeieilten, mich zu beglückwünschen.
Doch blieb keine Zeit zur näheren Besichtigung des Tigers; denn nach wenigen Minuten riefen uns die noch auf den Höhen postierten Späher und die das Tal absperrenden Treiber zu, dass sich noch ein Tiger im Tal befinde und wir gegen eine Schlucht vorgehend am Rand derselben Stellung nehmen sollten. Ich hielt es nicht für wahrscheinlich, dass ein zweiter Tiger nach den Schüssen und dem Lärm Stand gehalten haben würde und dies um so weniger, da die Breite der Schlucht höchstens 200 Schritte betrug und die Treiber mit größtem Geschrei schon bis an den Rand derselben vorgerückt waren. Doch klärte sich später der Sachverhalt auf; die Treiber hatten Recht; ein zweiter Tiger hatte sich tatsächlich in der dichtbewaldeten Schlucht niedergetan und wollte nun das Weite suchen, stieß aber hiebei auf die Treiberwehr, vor welcher er sich wieder in das Dschungel zurückzog.
Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt, gingen wir in Linie auf unseren Elephanten gegen besagte Schlucht vor, ein Unternehmen, das nicht ganz leicht durchführbar war, da einige unter uns, zu denen auch ich gehörte, eine steile, steinige Lehne erklettern mussten. Hiebei hatte ich abermals Gelegenheit, die Geschicklichkeit und Kraft meines Elephanten zu bewundern, der mit dem Kopf sich anstemmend, einen im Wege stehenden Baum von mindestens 30 bis 40 cm im Durchmesser abknickte.
An dem steil abfallenden Rand der kesselartigen Schlucht stellten wir uns im Halbkreis auf, und zwar in folgender Anordnung: zu oberst stand Clam, dann folgten Stockinger, ich, Wurmbrand, Prónay und Kinsky, in der Sohle der Schlucht aber schloss sich der Head-Schikäri mit einigen Elephanten zur Abwehr an; auf der anderen Lehne hatten sich Colonel Fraser und Fairholme postiert. Dieser Punkt war eigentlich für mich bestimmt gewesen, doch hatte mich mein Mahaut in der Aufregung auf die linke Lehne entführt.
Die Treiber gingen höchst vorsichtig, Schritt für Schritt, Steine in die Schlucht rollend, vor. Nach einigen Minuten spannender Erwartung klopfte mir mein Jäger auf die Schulter, nach der Talsohle weisend, in der ich einen capitalen Tiger tief unter mir über eine kleine Blöße langsam gegen den Stand Frasers und Fairholmes wechseln sah — ein prächtiger Anblick, wie die große Katze, von allen Seiten bedrängt. vorsichtig schleichend, kaum die Äste des Buschwerkes streifend, nach einem Ausweg suchte. Schon seit langer Zeit wusste ich nicht mehr, was Jagdfieber sei; aber in diesem Augenblick erfasste es mich wieder so wie damals, da ich als Knabe ein Jünger St. Hubertus werden durfte und meine ersten Versuche im edlen Waidwerk unternahm.
Fairholme schoss auf den Tiger, fehlte ihn jedoch, so dass derselbe in das Dschungel zurückwechselte, um in der Sohle des Tales zu entweichen, wo er aber vom Oberstjägermeister mit seiner Wehr sehr geschickt vertrieben wurde, um sich dann in das dichteste Buschwerk zu verkriechen. Ich hatte diesen Bewegungen mit der größten Spannung zugesehen und konnte vor Ungeduld den Moment kaum erwarten, in dem Colonel Fraser das Zeichen geben würde, gegen den Tiger vorzugehen. Als dies endlich geschehen, spornte ich meinen Mahaut zu der größtmöglichen Eile an und kletterte nun auf meinem Elephanten die Böschung hinab, wo sich mir Kinsky und Prónay als die Nächststehenden anschlössen. So drangen wir in ein wahres Labyrinth von Bäumen und Buschwerk ein, bis ich, kaum 50 Schritte vorwärts gekommen, zwischen zwei Bambusschäften einen gelben Fleck erblicke. den ich, schärfer hinlugend, als Tiger ausnehme, welcher auf mich zurückäugt. Rasch gebe ich dem Mahaut das Zeichen zu halten; doch der Tiger bemerkt dies und wendet sich. Ich drücke los, sehe sofort nach dem Schuss den Tiger stürzen und höre ihn über eine kleine Lehne auf ungefähr 30 Schritte von meinem Elephanten mit großem Gepolter herabkollern. Im dichten Dschungel verliere ich das Tier aus dem Auge, sehe es jedoch bald wieder sich erheben und Anstalten treffen, meinen Elephanten anzugreifen; aber nur ein einziger Sprung gelingt dem Tiger, dann versagen die Kräfte und er bricht zusammen. In demselben Augenblick arbeitet sich Wurmbrand von der anderen Seite durch die Bäume und Äste, gibt dem Tiger einen Fangschuss in einen Lauscher und regungslos liegt das gewaltige Tier vor uns.
Da sich inzwischen Jäger, Schikäris und Treiber versammelt hatten, entwickelte sich in der wilden Schlucht rings um den toten Tiger eine der lebendigsten Szenen, die ich je gesehen. Oberhalb des Tigers 500 Treiber, die ihn alle aus nächster Nähe sehen wollen; neben dem Tiger die freudestrahlenden Schikäris, die in ihm einen alten Bekannten, dem sie so manche durchwachte Nacht gewidmet hatten, begrüßen und nun ihrer Freude durch Schreien, Jauchzen und fortwährende Verbeugungen vor mir Ausdruck verleihen; alle Elephanten im Halbkreis um den Tiger, darunter einige noch in höchster Erregung trompetend und schnaubend; mitten in diesem Chaos, hoch in seiner Häuda thronend, der Head-Schikäri, bald mich beglückwünschend, bald — Jupiter tonans gleich — schreiend, gröhlend und Befehle erteilend.
Der heutige Tag mit seiner Beute von zwei Tigern im Verlaufe von kaum einer halben Stunde bildet die schönste jagdliche Erinnerung meines Lebens, und heißen Dank sage ich dem heiligen Hubertus für solches Waidwerk.
Die beiden Tiger waren starke, ausgewachsene Exemplare mit auffallend schönen, tadellosen Decken und nach Schätzung des Oberstjägermeisters fünfjährig. Hodek hatte seinen photographischen Apparat mitgenommen und verewigte das Trio, nämlich den Tiger, „Tisza“ und mich, gleich an Ort und Stelle. Bei einer Flasche Champagner wurden die Tiger gefeiert, und fröhlich trat die Karawane den Heimweg an: voran die beiden Tiger, auf Elephanten gebunden; dann wir teils zu Pferde, teils auf Elephanten; hinter uns das ganze Corps der Schikäris und Treiber. Nach der Ankunft im Lager kam die Einwohnerschaft, Alt und Jung, des in der Nähe gelegenen kleinen Dorfes herbei, um die Tiger zu bewundern. Dann wurden diese der Hand Hodeks übergeben, der sie noch denselben Abend für meine Sammlung präparierte. Die Tigerin hatte vier Junge in der Größe von Ratten inne.
Links
- Ort: Sariska, Indien
- ANNO – am 24.02.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt die Komödie „Der Erbförster“, während das k.u.k. Hof-Operntheater Verdis „Troubadour“ aufführt.