Singapur, 12. Juli 1893

Morgens 4 Uhr kam das Leuchtfeuer von Horsburgh in Sicht, und um 8 3/4 Uhr fielen die Anker auf der Rhede von Singapur.

Der noch immer die Geschäfte unseres Konsulates versehende belgische Generalkonsul M. J. de Bernard de Fauconval, Vertreter der englischen Regierung und Lieferanten brachten alsbald Mitteilungen aus Europa an Bord, die mir auf meinem Schmerzenslager sogleich berichtet wurden.

Die letzten Nachrichten, die wir aus der Heimat, und zwar in Sydney erhalten hatten, stammten aus dem Beginn des Monates April, und die jüngsten Wiener Zeitungen, die uns zugekommen waren, trugen das Datum des 6. April. Seit dieser Zeit waren wir, offenbar infolge von Irrtümern bei Instradierung der Postsendungen, ohne Nachrichten geblieben. Während der langen Fahrt durch die melanesische Inselwelt bis nach Singapur hatten wir an Bord unablässig Kombinationen darüber angestellt, wann und wo wir mit der für uns bestimmten Postsendung zusammentreffen würden, und vor dem Anlaufen eines jeden Hafens, in dem dieselbe möglicherweise für uns erliegen konnte, bildete unsere Erwartung das allgemeine Gesprächsthema, wurde der Kommissär mit Fragen über die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit der Erfüllung unserer Hoffnungen bestürmt und im vorhinein für eine Enttäuschung verantwortlich gemacht. Leider blieb letztere nicht aus! Wir hatten mit Sicherheit darauf gerechnet, schon in Thursday Island oder etwa in Amboina ein Postpaket zu finden — aber jedes Mal vergebens! Wie bitter es ist, vierthalb Monate reisen zu müssen, ohne die geringste Nachricht aus der Heimat zu erhalten, kann nur mitempfinden, wer die Freude nachzufühlen vermag, die in den Herzen jener, welche Tausende von Meilen fern von der Heimat weilen, das Erscheinen eines voluminösen Postpaketes an Bord hervorruft — eines Postpaketes, welches Briefe und mit ihnen die Gewissheit bringt, dass manch liebes Wesen daheim des fernen Seefahrers nicht vergessen hat.

Einige Nachrichten, welche der Generalkonsul an Bord gebracht hatte, waren keineswegs erfreulicher Natur. Außer dem Gerücht, dass in Paris eine Revolution ausgebrochen, und der Mitteilung, dass das englische Admiralschiff „Victoria“ untergegangen sei, wobei 400 brave Seeleute ihren Tod in den Wellen gefunden hatten, wurde uns hier die Botschaft zuteil, dass die politische Konstellation in Siam mittlerweile eine solche geworden war, welche schon jetzt Zweifel wachrufen musste, ob es für uns rätlich sei, Bangkok anzulaufen. Man sprach von einer Blockade, welche die französische Regierung einzuleiten beabsichtige, davon, dass die Siamesen energischen Widerstand zu leisten gedächten und zu diesem Zweck bereits den Fluss Menam mit versenkten Schiffen gesperrt hätten, dass mehrere französische Truppenschiffe und Kanonenboote dahingeeilt seien, und dass angesichts der gespannten Situation jeden Augenblick die Kriegserklärung zu gewärtigen sei. Ich telegraphierte sofort an Coudenhove, den in Bangkok weilenden Legationssekretär unserer Gesandtschaft in Tokio, mit dem Ersuchen, uns über die eingetretenen Verwickelungen authentische Informationen zukommen zu lassen; doch lief von diesem die Antwort ein, dass der König von Siam meinen Besuch mit Bestimmtheit erwarte. Im Laufe des Tages kam ein siamesischer Offizier Luang Visadh Parihar an Bord, um im Auftrage seiner Regierung Erkundigungen über meine Intentionen einzuholen, und diesem Boten wurde unsere Ankunft in Bangkok in Aussicht gestellt.

Tagsüber mussten wir auf der Reede bleiben, da der Neue Hafen, in dem Kohlen gefasst zu werden pflegen, mit Schiffen so überfüllt war, dass wir nicht einlaufen konnten.

Links

  • Ort: Singapur
  • ANNO – am 12.07.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Die guten Freunde“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.

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