Shingle Creek — Black Mountain, 13. Sept. 1893

Unserem ursprünglichen Plan zufolge hätten wir die ganze Dauer unserer Expedition, nämlich fünf Tage, auf dem Lagerplatz im Shingle Creek bleiben sollen; doch drangen die Indianer darauf, schon heute morgens weiter und höher auf den Black Mountain zu wandern, da sie der Meinung waren, dass sich dort mehr Wild finden würde. Sie selbst hatten die vierte Morgenstunde zum Aufbruch bestimmt: doch lachten sie uns, als wir sie gegen 5 Uhr ermahnten, ernstlich an den Aufbruch zu denken, einfach aus, begannen ihr Frühstück zu kochen, fingen dann in aller Ruhe nach und nach die Pferde ein und sattelten diese sehr langsam, so dass wir uns erst gegen 7 Uhr in Bewegung setzen konnten. Leider gab es kein Mittel, diese phlegmatischen Leute anzuspornen, ganz abgesehen davon, dass die Anwendung irgend welchen Zwanges wahrscheinlich nur die gegenteilige Wirkung gehabt hätte; es erübrigte uns daher nichts, als uns mit Geduld zu wappnen.

Im Verlaufe des Rittes bedauerten wir den verspäteten Aufbruch nicht mehr, weil es in der Dunkelheit doch nicht möglich gewesen wäre, auf den schmalen Pfaden und an den schroffen Abhängen zu reiten. Hiebei war uns reichlich Gelegenheit geboten, die Geschicklichkeit der Pferde zu bewundern, welche ohne einen Fehltritt zu tun, der jedenfalls von verhängnisvollen Folgen begleitet gewesen wäre, auf den kaum fußbreiten Steigen emporkletterten und häufig genug gestürzte Baumstämme von bedeutender Dimension übersteigen mussten.

Heute galt es abermals, tief eingeschnittene Schluchten zu durchqueren, doch war die Berglehne wenigstens anfänglich ziemlich dicht bewaldet. Auch konnten wir die ersten Spuren von Wild wahrnehmen, dessen Fährten unseren Weg kreuzten; aus einem dichten Busch von Preiselbeeren strich ein Grouse ab, das in seinem Gebaren und Aussehen der europäischen Birkhenne ähnelt, und schließlich sahen wir sogar an jungen Pappeln die Rinde vielfach geschält und abgefegt Je höher wir emporkletterten, desto rauher wurde die Luftströmung, desto unwirtlicher gestaltete sich die Szenerie. Zu meinem Leidwesen nahm ich wieder überall die Spuren der entsetzlichen Waldbrände wahr, dürre, halb verkohlte, teils noch emporragende, teils gestürzte Bäume. Dass wir uns der Grenze des Baumwuchses näherten, verrieten kleinere, aber widerstandsfähige Bäume, so eine reizende Gattung Balsam-Tannen, mit dem charakteristischen, kegelförmigen Wuchs und dichten, kurzen Ästen, die als echte Wettertannen allen atmosphärischen Einflüssen Trotz bieten. Zwischen den Bäumen traten mächtige Felspartien hervor und hemmten den Blick; frostiger wurde die Luft, und ein kalter, schneidender Wind wehte uns entgegen.

Als wir eben eine ziemlich schwierige Passage zurückgelegt hatten, sprang plötzlich der führende Indianer einer Katze gleich vom Pferd, kauerte sich nieder und zeigte, mir „Deer, Deer“ zurufend, nach der jenseitigen Lehne. Ebenfalls abspringend, gewahrte ich auf wenigstens 300 Schritte ein Mule-Tier äsen; da ein Anpürschen der ungünstigen Wind- und Terrainverhältnisse wegen nicht durchführbar erschien, versuchte ich den Schuss, aber ohne Ergebnis; denn das Tier verschwand in einer Kieferndickung.

Es galt nun noch einen besonders beschwerlichen Anstieg zu überwinden, der uns sehr steil auf ein hohes Joch führte, so dass die braven Mustangs schwere Mühe hatten, uns an dieser Stelle emporzubringen. Knapp unter dem Joch zog sich eine windumtoste Mulde hin, in der unser neues Lager aufgeschlagen werden sollte; doch konnte der Train erst in einigen Stunden eintreffen, weshalb wir von den dampfenden Pferden absaßen, um sogleich in der Nähe zu pürschen. Ein Indianer blieb bei den Pferden, ein zweiter sollte mich führen, meine Herren vertrauten sich zu je zweien ebenfalls der Führung von Rothäuten an, dann bestimmten wir genau die Rayons, in welchen jeder von uns jagen sollte, und trennten uns mit einem kräftigen „Waidmannsheil!“

Geführt von meinem Indianer, namens Charley, der sich kürzlich den Arm gebrochen hatte und ihn in der Schlinge trug, wandte ich mich westwärts und spürte bald nächst dem Lagerplatz zwei Grizzly Bären, wie es schien eine glückliche Mutter mit ihrem Jungen, die kurze Zeit vorher an dieser Stelle vorbeigewechselt sein mussten, — eine erfreuliche Entdeckung, welche meine Pulse höher schlagen ließ und meinen Jagdeifer steigerte. Auch riss nicht weit von uns ein Stück Hochwild aus, von dem ich aber nur noch die Läufe sehen konnte. Das lautlose Pürschen war hier nicht leicht; wir mussten häufig über niedergebrochene Bäume steigen, klettern und springen und hatten auch sonst große Terrainschwierigkeiten zu überwinden. Die Gebirgslandschaft, die sich vor mir ausbreitete, bot viel Anziehendes und Interessantes: den größtenteils dürren, an der Grenze des Baumwuchses befindlichen Wald, eigentümliche Fels- und Steinpartien, mit vielfarbigen Moosen und Flechten bedeckt, versumpfte Stellen, die wie Hochmoore im Kleinen erschienen, und endlich eine Gebirgsflora. welche manche Verwandtschaft mit der heimatlichen aufwies. Ich fand Schafgarben, rote Akelei, violette Orakelblumen, Zwergwachholder. eine Art Arnica u. dgl. m. Nebelstreifen jagten über die Höhen hin. verschwanden aber bald, worauf ein eiskalter, scharfer Wind einsetzte.

Um eine Ecke biegend, sah ich plötzlich ein Stück Wild flüchtig vor mir ausreißen und auf einem Kamme gegen mich zurückhoffen: obgleich die Distanz sehr groß war, wagte ich den Schuss, das Stück zeichnete gut auf Blattschuss und verschwand hinter dem Kamm. Durch den Schuss aufgeschreckt, erschien ein zweites Stück und stellte sich, jedoch durch Aste gedeckt, fast auf demselben Fleck; auch jetzt gab ich Feuer und schickte mich zur Nachsuche an, in deren Verlauf ich zuerst reichlich guten Schweiß, bald darnach auf ungefähr hundert Schritte vom Anschuss das eine Stück mit Blattschuss und schließlich in der Nähe auch das zweite fand. Beide Stücke waren starke Tiere des Mule-Wildes, in der Größe zwischen unserem Hoch- und Damwild, mit merkwürdig geformten, beinahe fledermausartigen Lauschern; ein weiteres Kennzeichen dieser Tiere ist das gänzliche Fehlen von „Krandeln“.

Kopfschüttelnd betrachtete der Indianer beide Stücke, meinte, dass dies gute Schüsse gewesen seien, machte dann das konventionelle Zeichen für Essen und sprach fortwährend vom Camp. Die Verständigung mit diesem Mann war für mich sehr schwer, da er nur ein Gemisch von Englisch und Indianisch kauderwälschte; doch bestand kein Zweifel, dass er nach dem Lagerplatz zurückkehren wollte, womit ich aber durchaus nicht einverstanden war, da ich weiterzupürschen wünschte, und es gelang mir nur durch Anwendung geeigneter Mittel. in meiner Rothaut die Sehnsucht nach dem Lagerplatz zu unterdrücken und das Verständnis für die Fortsetzung der Pürsche zu wecken.

Wir kamen zu einem schön gelegenen Punkte, von welchem aus ich die durch eine tiefe Schlucht von uns getrennten jenseitigen Felsenberge und einen über viele hundert Hektare sich ausdehnenden Wald bewundern konnte, der durch eine blaue Bergkette abgeschlossen wurde. Auch hier waren bedeutende Komplexe durch Brände zerstört worden; doch erfuhr ich, dass nicht allein Indianer, Bahnarbeiter und Kolonisten die Urheber solcher Verwüstungen sind, sondern auch die Goldgräber in dieser Region, deren Berge den bezeichnenden Namen Gold Range tragen, den Wald anzünden, um den Boden dann genauer untersuchen zu können.

Als ich langsam in einer ziemlich bewachsenen Lehne weiterpürschte, wechselten abermals zwei Mule-Tiere vorbei; ich schoss, worauf das erste nach einigen Schritten verendet stürzte, während das zweite, anscheinend gut getroffen, gegen das Tal zu flüchtig wurde und bald unter den Bäumen verschwand. Jetzt war der Indianer aber nicht mehr zu halten, er wiederholte öfters das ominöse Wort „Camp“ und nahm schnurgerade Direktion gegen das Lager, obgleich ich gerne die Pürsche ausgedehnt und vor allem das zweite Tier noch weiterhin gesucht hätte, da wir es innerhalb einiger hundert Schritte nicht finden konnten. Hiezu wollte er sich nicht bequemen, ich musste ihm schließlich nachgeben und so erkletterten wir eine steile, bereits oberhalb der Waldgrenze gelegene Höhe, die an zwei Stellen ewigen Schnee zeigte, und stiegen auf dem jenseitigen Hange wieder bergab. Um die Rückkehr in das Camp zu verzögern, setzte ich mich nieder und markierte eine Rast. Obschon ich glaubte, mich noch wenigstens eine Stunde weit vom Lagerplatz zu befinden, hörte ich plötzlich in der Nähe Schüsse fallen und Kugeln über meinem Kopf pfeifen, ein Beweis, dass ich in das Pürschterrain einer anderen Partie gekommen war; als ich der Richtung, aus welcher die Schüsse fielen, nachging, traf ich auf Prónay und Imhof, die beim Lager auf Grouse schossen und mich nicht in dieser Direktion wähnten, die eigentlich in ihren Rayon fiel.

Die Indianer hatten uns alle kunterbunt durcheinandergeführt und zeigten für ihre Aufgaben überhaupt wenig Eifer. Ich hatte den ganzen Tag ausbleiben wollen und war doch schon um 12 Uhr wieder im Camp; ebenso war es Imhof und Prónay ergangen, welche unfreiwillig mit Wurmbrand und Clam zusammengetroffen waren und, ebenfalls in das Lager zurückgeführt, nunmehr auf Grouse jagten. Da mein Indianer durchaus nicht zur Fortsetzung der Jagd zu bewegen war, gab ich ihm den Auftrag, wenigstens die erlegten Tiere abzuholen, und beteiligte mich an der Pürsche auf Grouse.

Es ist fast unglaublich, wie vertraut oder, besser gesagt, dumm diese Tiere sind; werden sie vom Boden aufgescheucht, so streichen sie nur eine kurze Distanz weiter, um gleich wieder einzufallen, und baumen sie auf, so kann man sich ziemlich ungedeckt nähern und sie herabschießen. Sind mehrere aufgebaumt, so können alle geholt werden, da sie zumeist trotz der Schüsse sitzen bleiben; von einer Kitt, die auf eine große Tanne oberhalb der Pferde und des Lagerfeuers einfiel, schoss Imhof der Reihe nach drei Stücke, deren eines ins Feuer, ein  weites auf ein Pferd fiel. Nach einer halben Stunde untersuchten wir den Baum abermals genau, wobei wir noch zwei Grouse an den Stamm gedrückt entdeckten, die ich dann schoss; leider waren sie, weil mit Kugeln erlegt, etwas zerschossen, bereicherten aber gleichwohl unseren Tisch.

Während dieser Zeit war die durch die Schwierigkeiten des Marsches aufgehaltene und etwas erschöpfte Trainkolonne unter Kommando Sanchez‘, der seine ersten Versuche als Reiter sehr gut und wacker absolvierte, mit den Zelten und dem Proviant eingetroffen, worauf die Zelte in der Höhe von weit mehr als 2000 m auf dem hiefür in Aussicht genommenen, den Stürmen ausgesetzten Platz aufgeschlagen wurden und ich mich, noch immer nicht ganz wohl, durch einige Zeit der Ruhe hingab. Als ich mich nach drei Stunden um den Verbleib der erlegten Tiere erkundigte, waren die unverlässlichen Indianer noch immer nicht weggeritten, dieselben zu holen.

Endlich litt es mich nicht mehr beim Lagerfeuer; ich nahm meinen Stutzen und pürschte, da kein Indianer zur Stelle war, allein durch die nächstgelegenen Höhen und Wälder und vernahm, von einem Felsblock auslugend, alsbald den Schrei eines Indianers; auf meine Antwort arbeitete sich Charley durch das Gewirr der Holzstämme und berichtete, dass er durch ein naheliegendes Tal zwei Grizzly-Bären vertraut wechseln gesehen habe. Auf diese Nachricht hin eilte ich trotz meiner Müdigkeit, so rasch es die gestürzten Bäume gestatteten, vorwärts und fand zwar die noch ganz frischen Spuren, leider aber nicht die Bären; auch meine Hoffnung, ihnen den Weg abkaufen zu können, erwies sich als trügerisch. Der Abend brach herein, und ich musste ins Lager zurückkehren; nur selten habe ich einen so schlechten und ermüdenden Weg wie diesmal vor mir gehabt, da wir in einen großen Wind- oder Schneebruch kamen, in dem uns ein wahres Labyrinth wild durcheinander liegender Stämme zu unausgesetztem Klettern und Springen nötigte. Bald schmerzten uns die Füße so sehr, dass wir kaum weitergehen und nur mühsam uns vorwärts schleppend das Lager erreichen konnten; ein Grouse bildete meine einzige Beute. Inzwischen war auch die Partie Wurmbrand-Clam nach sechsstündigem Marsch rückgekehrt, von dem sie ein Mule-Kalb und ein Grouse mitbrachte.

Nach Sonnenuntergang wurde es stets kälter und ungemütlicher; eisiger Wind, der direkt von den nahen Schneefeldern kam, blies uns unbarmherzig ins Gesicht, und wir konnten uns am Lagerfeuer nur wenig erwärmen, da der Platz wegen des Mangels hoher Bäume gar keinen Schutz bot.

Links

  • Ort: Penticton, Kanada
  • ANNO – am 13.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Der fliegende Holländer“ aufführt.

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