Revelstoke — Northport, 18. Sept. 1893

Lärmen, Gepolter und das klägliche Geheul der Dampfpfeife zeigten uns nach 4 Uhr morgens das Abgehen des Dampfers an, und wir steuerten, als ich bald darauf die Galerie betrat, bereits mit voller Fahrgeschwindigkeit im Columbia-Fluss. Dieser ist im allgemeinen ziemlich schmal und läuft in zahlreichen, oft sehr scharfen Windungen durch ein enges, zu beiden Seiten von steilen Hügeln und Bergketten eingeschlossenes Tal; die Navigation wird außerdem durch viele Bänke und Felsen des Flussbettes erschwert. Ich musste daher die Geschicklichkeit und Kühnheit des Kapitäns bewundern, der auf seinem mangelhaft steuernden Schiffe mit ganzer Kraft durch diese Hindernisse fuhr; allerdings ist der Tiefgang des Dampfers gering, wodurch die Schwierigkeit der Navigation etwas verringert und die Gefahr vermindert wird, und andererseits ist das Fahrzeug, wie bemerkt, mit zahlreichen Rettungsringen ausgestattet, was wohl für alle Eventualitäten als genügend erachtet wird, da ja bekanntlich in Amerika Menschenleben nicht allzu viel gelten.

Bald verließen uns die vom Feuer verheerten Wälder, und wir traten in Gebiete ein, die von solchen Verwüstungen bisher verschont geblieben sind; sollte auch hier eine Eisenbahn gebaut werden, so wäre wohl die schöne Zeit der prächtigen Waldungen zu Ende. Das Gebiet des Columbia Rivers gehörte bis vor kurzem zu den wenigst bekannten und erforschten Teilen Nordamerikas, und Weiße kommen erst seit Beginn der Flusschiffahrt in diese Wildnis; gegenwärtig sind es zumeist Goldgräber, welche als erste Pioniere vordringen und ihr Dasein fristen, indem sie teils im Fluss Gold waschen, teils in den Gebirgen Erze suchen. Auch einzelne Farmer trachten hier dadurch ihr Glück zu begründen, dass sie zuerst ein Stückchen Wald roden und dieses dann bebauen; unser Dampfer brachte einem dieser Farmer seinen ersten Pflug. Die Ansiedler finden anfänglich ihren Lebensunterhalt nur in der Jagd, die sehr ergiebig sein soll, da viel Hochwild und zahlreiche Bären vorkommen.

Mitunter fuhr unser Dampfer mitten im Wald, ohne dass sich eine Ansiedlung in der Nähe befand, gegen das Ufer und schiffte daselbst einige Goldgräber aus, die sofort in den Urwald eindrangen. Man kann sich daher unschwer vorstellen, welch eigenartige Gesellschaft an Bord vereinigt war; wüste und rohe Gesellen trieben sich in abgeschabter, zerrissener Kleidung, den großen Hut auf dem Kopf und den Revolver zur Hand, auf Deck und in den Salons umher, uns Gelegenheit bietend, schon hier mit der amerikanischen Rücksichtslosigkeit bekannt zu werden. Allenthalben lümmelten diese Kumpane umher, legten die Füße auf Sofas und Stühle, spuckten überall hin und nahmen Bücher, die nur einen Augenblick im Salon liegen geblieben waren, einfach an sich.

Der Fluss geht noch innerhalb Kanadas zweimal in Seen, in den Upper und den Lower Arrow Lake, über, was wir jedoch nur an der lichteren Färbung des Wassers wahrnahmen, da wir sonst die Seen nur für eine Verbreiterung des Flussbettes gehalten hätten.

Die einzige größere Ansiedlung an unserer Route verdankt ihre Entstehung einer Silbermine, welche in der Selkirk Range erschlossen wurde und ziemlich reichhaltig sein soll; infolge der gegenwärtigen Entwertung des Silbers fand eine Verminderung des Betriebes statt, und man verwendet daher die vorhandenen Arbeitskräfte zur Erbauung einer vom Bergwerk zum Seeufer führenden Eisenbahn. Bei dieser Ansiedlung, die aus mehreren kleinen Bretterhäuschen mit dem unvermeidlichen Kramladen und aus einer Dampfsäge besteht, sahen wir alle Arbeiter am Landungsplatz versammelt, weil eben Zahlungstag war und unser Dampfer das Geld brachte. Das Einschiffen des Holzes für unsere Kesselfeuerungen zog sich schier endlos hinaus: große Holzscheite lagen am Rand des Waldes aufgeschichtet, der Kapitän ließ den Dampfer in deren Nähe im Schlamm aufsitzen und schickte ein paar Leute ans Land, welche die Klötze einzeln an Bord trugen.

Schlechtes Wetter verfolgte uns auch hieher, und während vormittags dichter Nebel über den Bergen lagerte, jede Fernsicht benehmend, fing es nachmittags überdies zu regnen an; es wurde bitter kalt, so dass ein Verweilen im Freien unmöglich wurde und wir bei den spuckenden Söhnen der Wildnis im Salon verweilen mussten. Erfreulicherweise hatte eine mitreisende, nebenbei bemerkt, auch sehr hübsche Amerikanerin hinlängliche Nachsicht, uns das Rauchen zu gestatten, wofür wir ihr herzlich dankbar waren.

Links

  • Ort: Nahe der US-Grenze, Kanada
  • ANNO – am 18.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt die Tragödie „Arria und Messalina“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Don Juan“ aufführt.

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