Port Kennedy, 8. Mai 1893

Die Art der Kohlenverladung war eine so primitive und daher zeitraubende, dass wir am Morgen, obschon ununterbrochen und mit dem größten Fleiß gearbeitet worden war, noch immer nicht den nötigen Bedarf an Bord hatten und erst gegen Mittag mit dem Verladen fertig wurden. Da sich um diese Zeit die Ebbe und starke Gegenströmung fühlbar machten und wir nur mehr 1 Fuß Wasser unter dem Kiel hatten, so hieß es noch einen Tag warten, bevor die Weiterreise nach Sydney angetreten werden konnte.

Den Vormittag verbrachte ich an Bord und erlegte vom Eisendeck aus einen Seeadler, — ein sehr schönes Exemplar von Haliaetus leucogaster — der auf ein im Wasser schwimmendes Stück Fleisch gestoßen hatte.

Nachmittags stand uns die Wahl offen, der Jagd zu obliegen oder nach Korallen und Muscheln zu fischen.

Ich entschloss mich zu letzterem und so fuhren der Kommandant und ich auf ein in der Karte verzeichnetes Riff zwischen Goode Island und Hammond Island, während die anderen Herren auf Hammond Island, einer bis jetzt von uns noch nicht betretenen Insel, landeten, um dort zu jagen. Wir versahen uns mit allem, was zum Fischen der Korallen erforderlich ist, mit Hauen, Hämmern und Brechstangen, und fuhren im Jollboot dem Riffe zu.

Wie unvollkommen die Leute von Port Kennedy die Umgebung ihrer Stadt kennen und wie schlecht orientiert sie im allgemeinen sind, hatte uns schon der Jagdkundige von Prince of Wales Island bewiesen. Heute sollten wir in dieser Richtung abermals Erfahrungen machen; denn obgleich der Resident und alle anderen, die wir befragt, erklärt hatten, dass es hier keine Korallen gebe. — allerdings kommt in den tropischen Meeren die wertvolle rote Edelkoralle gar nicht vor sahen wir uns, kaum nachdem wir das Riff angelaufen hatten, von den schönsten und interessantesten Korallen umgeben. Das ganze Riff, welches bei der tiefsten Ebbe durch einzelne aus dem Wasser hervorragende Punkte deutlich erkennbar ist, mochte ungefähr 100 m lang sein und fiel nach der einen Seite schroff in tiefes Wasser ab, während es nach der anderen Seite, sich allmählich verflachend, gegen das Land zu verlief. An der tiefen Stelle verankerten wir das Boot und sprangen auf das Riff, wo uns das Wasser nur bis zu den Knien reichte.

Wir befanden uns hier an einem der für den Sammler entzückendsten Punkte, die ich je gesehen. Obwohl ich zahlreiche Abbildungen derartiger Korallenriffe in der Hand gehabt und manche Beschreibung derselben gelesen hatte, fand ich meine Erwartungen hier weit übertroffen und war durch das, was ich hier an Ort und Stelle in Augenschein nehmen konnte, auf das freudigste überrascht. Das Korallenriff glich einem mit Blumen der verschiedensten Art und Farbe gefüllten Gartenbeete, hervorgezaubert durch eine in unfassbarer Menge und Mannigfaltigkeit auftretende Tierwelt. Da gab es zunächst Korallenstöcke, die in ihrem vielfach verästelten Bau an Geweihe erinnerten; armdicke Stämme, die baumartiges Gezweige trugen; fächerförmige Platten, grosse Klumpen, die trotz ihres groben Aussehens bei näherer Betrachtung eine äußerst zarte und feine Gliederung aufwiesen; dann in zahllosen Arten Schwämme, Mollusken, Holothurien und andere Tiere niederer Ordnung, die sich alle durch bunte, grelle, intensiv leuchtende Färbung auszeichneten. Kein Maler — und besäße er die Palette eines Makart — vermöchte die prismatischen Farbeneffekte, die schimmernde Pracht, den Glanz, die Leuchtkraft, die unendliche Skala der Farbentöne darzustellen, mit denen diese Kinder der See so herrlich geschmückt sind.

An dem grauen Gerüst einer Madrepore zum Beispiel hängen Hunderte und aber Hunderte von Stachelhäutern und Weichtieren, die in den feinsten Nuancen des Regenbogens, in allen Schattierungen des Farbenspieles erglänzen. Zwischen den Sträuchern, Vasen, Kugeln, Ästen jener Polypenstöcke, den so vielgestaltigen, kalkigen Skeletten der Korallentierchen, erscheinen allerlei merkwürdige Fischchen, Seesterne, Krebse, Schnecken, und selbst in den Stöcken der Korallen ist noch allerlei Getier verborgen und vergraben. Lind hier und da und dort; über, neben, unter einander; an hundert, an tausend Stellen des Korallenriffes: immer wieder eine überwältigende Unzahl organischer Wesen — ein ungekanntes, unfassbares Schauspiel!

Der Kommandant, die Matrosen und ich wateten unablässig in dem seichten Wasser über Korallen hinweg und bei jedem Schritt entdeckten wir etwas Neues, das ins Boot wanderte, um der Sammlung an Bord einverleibt zu werden. Wir kamen in solchen Eifer, dass nur das allzu schnelle Sinken der Sonne uns veranlasste, an die Rückkehr zu denken und unser bis an den Rand vollgefülltes Boot von der Dampfbarkasse in Schlepp nehmen zu lassen. Das Verlassen des Riffs gestaltete sich schwierig: die Strömung war eine gewaltige und überdies hatte sich der Anker inmitten der Korallen derart verfangen, dass wir schließlich mit voller Kraft anfahren mussten, um Schaft und Flügel loszureißen. Eine so starke Strömung wie jene in den Kanälen zwischen den Inseln der Torresstraße habe ich noch nicht gesehen und glaube. dass ein Ruderboot gegen dieselbe sicherlich nicht aufgekommen wäre. da ja selbst die Dampfbarkasse uns nur sehr langsam an Bord zu bringen vermochte.

Erst spät abends kehrten die Herren der anderen Partie von der Hammond-Insel zurück, nachdem sie nur geringe Beute gemacht hatten, weil der Wald zu dicht war und daher nur wenige Vertreter der Vogelwelt wahrgenommen werden konnten. Auch diese Partie musste bei der Einschiffung Schwierigkeiten bestehen und sogar einen der Anker preisgeben.

Links

  • Ort: Thursday Island
  • ANNO – am  08.05.1893 in Österreichs Presse. Der Kaiser ist zurück aus Budapest.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Kriemhilde”, während da k.u.k. Hof-Operntheater die Oper “Cavalleria Rusticana” und das Ballet „Sylvia“ aufführt.

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