Port Kennedy, 7. Mai 1893

Einer der Herren, die tagszuvor ans Land gegangen waren, um die Stadt zu besehen, hatte einen Jagdkundigen ausfindig gemacht. Dieser, wie es hieß, der beste Jäger von Thursday Island, wollte uns an eine gute Stelle führen, wo wir reiche Ausbeute an Flugwild finden sollten. Das Ziel unserer Expedition, die früh morgens von Bord abstieß, war diesmal Prince of Wales Island, auf welches die Dampfbarkasse mit Booten im Schlepptau zusteuerte. Wir suchten an der Insel einen Anlegeplatz, den wir endlich in einer Bucht fanden; das Wasser war zwar auf eine weite Strecke hin sehr seicht, die Barkasse musste bald stoppen, aber mit Hilfe des kleinen Jollbootes und der Putzjolle konnten wir landen.

Das erste, was wir da fanden, war ein verlassener Lagerplatz der Eingeborenen, auf welchem Überreste von Fischen und Schildkröten, zerbrochene Flaschen und Feuerstellen sichtbar waren. Unser Führer berichtete, dass die Wilden hier vor wenigen Monaten ein großes Fest und einen Schmaus abgehalten hätten, an dem auch er teilgenommen habe. Das Auffallendste auf diesem Platz war aber das Grab eines Häuptlings, ein Hügel, weithin kenntlich durch drei in
einer Reihe stehende abgestutzte, gabelförmige Baumstrünke, deren Zahl auf einen hohen Rang des Toten zu deuten schien; denn derartige rudimentäre Zierate pflegen in diesem Gebiete von den Eingeborenen nur auf Gräbern angebracht zu werden, welche Leichen Vornehmer bergen. Der Grabhügel, den wir besichtigten, war sonderbarerweise mit einer Menge von Flaschen, bunten Glasstücken, Blechbüchsen und anderen glänzenden Gegenständen bedeckt. Offenbar leitet die Eingeborenen das Bestreben, die Grabstätten ihrer Vornehmen so reich als möglich auszuschmücken, wozu jeder beliebige Gegenstand verwendet wird, vorausgesetzt, dass er bunt oder glänzend ist.

Unter Führung des Jagdkundigen drangen wir, in gewohnter Weise in Linie verteilt, in den Wald ein, der sich längs einer Hügelkette hinzog. Im Anfange zeigten sich Vögel verschiedener Arten. Ich schoss hier eine selten schön gefärbte Papageitaube; Prónay eine enorm große Nachtschwalbe. Allmählich jedoch wurden auch die Vertreter der Vogelwelt seltener und schließlich, als die Bäume sich enger aneinanderschlossen und wir in einer hübschen, von einem Bach durchrieselten Talschlucht standen, schien die Jagd zu Ende zu sein.

Der Jagdkundige zeigte sich sehr erstaunt und versprach uns zu einer Lagune zu führen, die viel Wasserwild enthalte und uns bessere Jagdgelegenheit bieten werde, weshalb wir eine ziemlich weite Strecke in der angegebenen Richtung vorwärtsgingen. Einige Riesenfischer flogen schreiend von Baum zu Baum; einer der Herren sah auch Kakadus. Jeden Augenblick versicherte uns der Führer, die Lagune mit dem vielen Wasserwild könne nur mehr wenige Schritte entfernt sein, bis wir endlich, nach einer weiteren halben Stunde, den Menschen in ein scharfes Verhör nahmen, wobei er dann gestand, er sei einige Zeit zuvor hier gewesen, da habe die Lagune existiert, nun aber sei sie wohl eingetrocknet.

Vielleicht hatte der „Führer“ bei jenem großen Schmause der Eingeborenen unter dem Einfluss der hiebei genossenen Spirituosen die gute Jagdgelegenheit an der unsichtbar gewordenen Lagune wahrgenommen, welche er uns so zu rühmen gewusst hatte. Wie dem auch sein mochte, heute hatte uns der Biedermann jedenfalls ganz vergeblich kreuz und quer umhergeführt, und es waren nicht eben Schmeicheleien, die wir ihm zuriefen, als wir den Heimweg antraten.

Wir hatten im Sonnenbrand noch gegen 2 km Weges zurückzulegen, bevor wir, ohne einen Schuss getan zu haben, den Landungsplatz wieder erreichten. Hier nun erwartete uns eine neue Überraschung.

Die Ebbe war eingetreten; da diese hier ungemein stark ist, fanden wir die Stelle, an welcher wir am Morgen gelandet waren, jetzt durch eine über 600 Schritte lange Strecke tiefen Schlammes von den Wellen der See getrennt. Unsere Boote lagen, ein trübseliger Anblick, schief am Landungsplatz; die Barkasse aber, weiche der Ebbe weichend, weiter ins Meer hinausgefahren war, erschien nur noch als ein kleiner, dunkler Punkt am Horizonte.

So beschlossen wir, uns ins Unvermeidliche fügend, das Wiedereintreten der Flut abzuwarten.
Unsere Matrosen hatten inzwischen unter einem Mangrovebaum aus Riemen und Sonnenplachen ein nettes Zelt konstruiert, worin wir während der heißesten Stunden Rast hielten, die mitgebrachten Mundvorräte verzehrend. Als wahre Landplage erwiesen sich hier die Myriaden von Fliegen, die uns in Schwärmen nachzogen und jeden Versuch zu ruhen oder zu schlafen vollkommen illusorisch machten; mit wahrem Ingrimm stürzten sie sich auf ihre Opfer, so dass wir uns ihrer unablässig zu erwehren hatten.

Späterhin untersuchten wir das Grab des Häuptlings. Nur mit Hirschfängern und Messern versehen, gingen einige Herren daran, den Hügel zu eröffnen, in dem wir Schmucksachen oder doch wenigstens den Schädel des Toten zu finden hofften. Allein weder die ethnographische, noch die anthropologische Sammlung an Bord der „Elisabeth“ erfuhr durch die hier angestellten Ausgrabungen irgendwelche Bereicherung; denn, als die vielen Flaschen und Konservenbüchsen hinweggeräumt waren und wir nicht ohne Mühe bis zum Innern des Grabes vorgedrungen waren, fanden sich nur wenige verkohlte Knochenüberreste und ein großer Stein, welchen wir seines Gewichtes ungeachtet als Andenken mitnahmen.

Da die Zeit vorgerückt war, mussten wir endlich doch daran denken, die Barkasse zu erreichen. Noch immer zeigten sich die ersehnten Flutwellen nicht, obgleich seit unserer Rückkehr von der Jagd mehrere Stunden verflossen waren. So blieb denn nichts anderes übrig, als uns der Schuhe zu entledigen und, auf die Überfahrt mit den Booten verzichtend, den Weg zu der Barkasse zu Fuße zurückzulegen. Das war bei der zu durchmessenden bedeutenden Distanz kein leichtes Beginnen; wir versanken bei jedem Schritte bis über die Knie in dem tiefen Schlamm und zerschnitten uns die bloßen Füße an scharfen Muscheln und Korallenstückchen. Nach geraumer Zeit, ganz durchnässt, schmutzig und mit blutenden Füßen erreichten wir endlich die Dampfbarkasse. Einen Teil der Mannschaft hatten wir bei den trocken liegenden Booten zurückgelassen; erst nach 7 Uhr abends wurde die Flut so hoch, dass unsere Fahrzeuge wieder flott wurden und zurückkehren konnten.

Ich benützte den Rest des Nachmittages, um Port Kennedy zu besichtigen, das von weitem, das heißt vom Hafen aus gesehen, einen ganz freundlichen Eindruck macht; in der Nähe betrachtet aber verwischt sich dieser. Da steht man einer im Verlauf der kürzesten Zeit wie aus dem Boden gewachsenen Stadt gegenüber, welche überall den Stempel des Unfertigen, der Überhastung an sich trägt. Als einziges Baumaterial ist hier Wellblech verwendet; Dächer, Wände. Türen, alles besteht aus diesem Material, das freilich rasch ein Haus erstehen lässt. Die Umgebung dieser steifen, kahlen Blechhäuser bietet den Anblick arger Verwahrlosung; da ist kein Garten, kein Baum zu sehen, überall wuchert Unkraut; die Straßen und Wege sind nur markiert und der Kehricht türmt sich in großen Haufen vor den Fenstern auf.

Auffallend ist hier bei einer Einwohnerzahl von nur ungefähr 2000 Seelen die große Menge von Hotels, Restaurants und Billardzimmern, was sich daraus erklärt, dass Port Kennedy den Vergnügungsort der Perlmutterfischer darstellt, welche teils hier, teils auf den benachbarten Inseln wohnen und, seit einer Reihe von Jahren steten, häufig bedeutenden Gewinnes teilhaftig, oft in der allerkürzesten Zeit namhafte Beträge verausgaben, ja vergeuden. Da die Perlmutterfischerei einen Betriebszweig bildet, dessen Erträgnis den Unternehmern und Händlern alljährlich große Summen liefert, diesen Leuten zwar nicht der Luxus, wohl aber feinere Genüsse fremd sind, so sucht in Port Kennedy, wer Gold in seiner Börse klingen hört, den Becher der Freude so rasch und so übermütig als nur möglich bis auf die Neige zu leeren. Jene Fischer aber, welchen das Glück nur ab und zu ein Häuflein Sovereigns in den Schoß wirft, trachten, wie die Menschen eben sind, es den Reichen in üppigem Leben gleichzutun und verjubeln so, achtlos der kommenden, ungewissen Tage, selbst den allerletzten Schilling.
Ein Konglomerat der verschiedensten Völker und Menschen ist in diesem kleinen Städtchen vereint. Durch die Straßen wandernd, begegneten wir den eigentümlichsten Figuren. Das Hauptkontigent stellen natürlich Australier, Perlenfischer und Squatter, worunter manch verkommene, verdächtig aussehende Gestalt mit dem üblichen großen Hut auf dem struppigen Haupt und dem nie fehlenden Revolver im Leibgurt; daneben erscheinen Austral-Neger, Südsee-Insulaner, Chinesen, Japaner, sogar Singhalesen.

Hier machte ich zum ersten Mal unangenehme Bekanntschaft mit den übertrieben strengen Vorschriften der englischen Sonntagsfeier. Nach unserer Fußwanderung durch die Straßen Port Kennedys wollten Gratzl und ich in dem ersten Hotel der Stadt eine Erfrischung zu uns nehmen und bestellten bei der Wirtin eine Flasche Bier, welche wir auf der Hotelterrasse leeren wollten, um hier zugleich die Aussicht auf den Hafen zu genießen. Doch sofort erklärte die Wirtin unser Vorhaben, auf der Terrasse Bier zu trinken, für undurchführbar, weil derlei, wie sie beifügte, heute, am Sonntage, öffentliches Ärgernis erregen würde. Sie könne uns im besten Falle gestatten, in einem abgeschlossenen Raum alkoholisches Getränk, selbst wenn es nur Bier sei, zu uns zu nehmen. Wohl oder übel mussten wir uns fügen und unser Bier, anstatt im Freien bei kühler Abendluft, in einem heißen, dunklen Zimmer trinken. So sehr ich jeden auf religiösen Gründen beruhenden Gebrauch zu achten gewohnt bin, schien mir doch diese subtile Rigorosität zu weitgehend und ungereimt.

Wir kehrten auch der kühlen Blechstadt mit ihren sonderbaren Bewohnern bald wieder den Rücken und eilten an Bord, wohin ich den Residenten zum Speisen geladen hatte. Beim Diner verschaffte ich voraussichtlich einem unserer vaterländischen Artikel ein neues Absatzgebiet; der Resident war nämlich von unserem Gießhüblerwasser so entzückt, dass er beteuerte, er werde unverzüglich für seinen eigenen Bedarf eine Sendung dieses vortrefflichen Säuerlings bestellen.

Mattonis Gießhübler Wasser

Werbung für Mattonis Gießhübler Wasser

Abends erschien eine aus drei Personen bestehende Deputation von Perlmutterfischern, um mir eine Adresse zu überreichen und zu gleicher Zeit verschiedene Gattungen von Perlmuscheln, darunter auch mehrere mit eingeschnittenen Figuren, darzubieten. Das Geschäft der Perlmutteriischer ist hier ein sehr rentables, die Leute besitzen eine ganze Flotte von kleinen Kuttern, mit welchen sie an geeignete Plätze fahren, um dort aus bedeutender Tiefe durch Taucher die Muscheln heraufholen zu lassen. Die Muscheln werden dann geputzt und kommen sofort zur Verpackung und Versendung. Der Preis pro Tonne Perlmuscheln stellt sich jetzt auf 1320 fl. ö. W. Äußerst selten finden sich hier Perlen; es ist eben auch nur Perlmutter, die innere Schicht der Schale der Perlmuschel, welche gewonnen werden soll. Da die seichten Stellen in der Umgebung Thursday Islands schon so ziemlich ausgefischt sind, müssen die Taucher in bedeutende Tiefen bis zu 30 und 40 m hinuntergehen, wobei sich sehr viele Unglücksfälle ereignen; ja allmonatlich sollen deren durchschnittlich fünf bis sechs mit tödlichem Ausgang vorkommen.

Links

  • Ort: Thursday Island
  • ANNO – am  07.05.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Faust”, während da k.u.k. Hof-Operntheater die Oper “Merlin” aufführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
21 − 4 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.