In einer gewissen Aufregung eilte ich heute morgens zu der Brücke empor. Erblickten wir ja doch um die achte Stunde einen neuen, den zuletzt entdeckten und, wie die Wissenschaft behauptet, den allerältesten Weltteil, Australien. Vorerst blieb uns allerdings der insulare Kontinent noch verborgen; dagegen kam uns aber ein, wenn auch kleines Stück Ozeaniens zu Gesicht: die der Nordspitze des australischen Festlandes, dem Cap York vorliegende Prince of Wales-Insel und das Booby Island mit seinem weithin sichtbaren Leuchtturm, den wir von Südwesten anliefen, um in den Normanby-Sund zu steuern.
Allmählich waren die Konturen dieser Inseln bestimmter hervorgetreten. Dann tauchten aus der blauen See immer wieder neue, grüne Eilande empor, bis wir endlich die Einfahrt zwischen der Goode-Insel und Friday Island deutlich wahrnehmen konnten. Nördlich von Goode Island starrten uns die traurigen Überreste eines zugrunde gegangenen Schiffes, des deutschen Vollschiffes „Olga“, entgegen: obgleich seit der Katastrophe drei Jahre vergangen sind, ist das Wrack doch noch gut erhalten und ragen die drei Masten, sowie die Raaen hoch aus der brandenden See.
Wie hier, legt längs der ganzen Torresstraße, eines etwa 90 km breiten Kanals mit reißender Strömung, manches Wrack Zeugnis dafür ab, wie verhängnisvoll dieses von zahllosen, oft ganz verborgenen Korallenriffen, Granitklippen und Sandbänken erfüllte, von Luis Vaz de Torres im Jahre 1606 zum ersten Mal durchquerte Fahrwasser den Schiffen werden kann. In den dunkeln Tiefen der Straße schlummern die Trümmer so mancher verschwundener Schiffe, die mit Mann und Maus in stürmischen Zeiten hier hinabgezogen worden sind in die gurgelnden Schlünde der See.
Zugleich mit uns lief ein zweiter großer Dampfer ein. Bei Goode Island erschien in einem kleinen Boot der Lotse. Dieser erwies sich an Bord als ein Sohn Albions, welchem wohl der nationale Whisky die Nase gar so rot gefärbt und „in ein unverwischbares Leuchtfeuer verwandelt“ hatte.
Bei der Einfahrt von Schiffen nach Port Kennedy auf Thursday Island besteht die Sitte, die Fahrzeuge unterhalb der Signalstation von Goode Island so lange warten zu lassen, bis von Port Kennedy aus die Erlaubnis zur Weiterfahrt in den eigentlichen Hafen signalisiert worden ist. Dieser Gepflogenheit mussten auch wir uns fügen und so standen wir, indes ein mächtiger Seeadler uns umkreiste, mit gestoppter Maschine still und warteten das Signal ab, das uns nach längerem Harren endlich zukam. Obgleich größere Kriegsschiffe sich in der Regel im Außenhafen verankern müssen, führte der Lotse uns doch durch eine sehr schmale Passage in den Innenhafen, wo wir vor der Stadt in unbedeutender Tiefe vor Anker gingen.
Der erste Anblick des Hafens ist ein freundlicher, da ihn ein Kranz grüner Inseln umgibt, welche mit Baumwuchs bedeckt sind, doch ist hier die Vegetation, obwohl noch der Äquatorialzone angehörend, nicht mehr so üppig wie auf den Inseln des malayischen Archipels. Der australischen Vegetation mangelt der Reichtum, die Mannigfaltigkeit der Formen, das bunte Durcheinander der Gewächse; eintönige Ruhe ist ihr Kennzeichen.
Vor uns liegt die Insel Horn; zur Rechten das größte Eiland dieses Archipels, die Prince of Wales-Insel; zur Linken die kleine Insel Thursday mit Port Kennedy. Die einzelnen Inseln aus der Reihe, deren Glied das letztgenannte Eiland bildet, tragen, vielleicht zum Gedächtnis der Tage, an welchen sie entdeckt wurden, vorwiegend Namen der Wochentage; so finden wir von Osten her in rascher Folge die Inseln: Tuesday, Wednesday, Thursday, Friday.
Port Kennedy bietet uns sofort ein Beispiel für den echt britisch-australischen Unternehmungsgeist und Eifer, welcher an den Küsten des Kontinents, dem wir uns nähern, in überraschend kurzer Zeit verhältnismäßig Bedeutendes zu schaffen gewusst hat.
Im Jahre 1878 ist die Ansiedlung Somerset von Cap York, wo sie sich bis dahin befunden hatte, auf die Thursday-Insel verlegt worden. Vor acht Jahren, wie die Segelhandbücher besagen, nur fünf Häuser zählend, ist Port Kennedy seither zu einem ziemlich ansehnlichen Gemeinwesen emporgeblüht, welches, wie der Lotse mit Stolz erzählte, ein Regierungsgebäude, fünf Hotels und 36 Billards besitzt. Diese lapidare Statistik des alten Seebären sei durch die Mitteilung ergänzt, dass gegenwärtig auf Thursday Island Fortifikationen erbaut werden; schon erheben sich Militärbaracken und die Grundfesten eines Forts. Dieses ist zwar vorläufig noch mit alten Geschützen bestückt; aber schon der nächste englische Dampfer soll moderne Kanonen und die zukünftige Garnison, 30 Artilleristen, hier ans Land setzen.
Seine rasche Entwicklung verdankt Port Kennedy einerseits dem Umstand, dass die Insel den die Torresstraße passierenden Schiffen viel bequemer liegt als Cap York; andererseits jenem, dass sie den Mittelpunkt der in diesem Gebiete sehr bedeutenden Perlmutterfischerei darstellt.
Der Hafen wird von vielen Dampfern angelaufen, teils um hier die Kohlenvorräte zu ergänzen, teils um Passagiere für die Linie Singapur—Hongkong aufzunehmen.
Der erste, der, sobald wir Anker geworfen hatten, an Bord erschien, war der britische Resident Mr. Douglas, ein sehr alter Herr, welcher den größten Teil seines Lebens in Australien und auf Neu-Guinea verbracht hatte. Wir bestürmten ihn alsbald mit Fragen, wie es in der Umgebung von Port Kennedy mit der Jagd aussähe und wie wir Perlmuscheln und Korallen zu erwerben vermöchten, doch zeigte er sich auf diesem Gebiete gar nicht versiert und sprach nur von einem Afternoon tea, den er mir zu Ehren veranstalten wolle. So beschloss ich denn, am Nachmittag auf eigene Faust eine Expedition nach der Insel Horn auszurüsten, welche auf unserer Karte irrigerweise als unbewohnt bezeichnet war.
Mehrere Herren schlossen sich mir an und in einem Boot, von der Dampfbarkasse geschleppt, stießen wir von Bord ab; der Sicherheit halber hatten wir auch noch für seichtes Wasser die Putzjolle mitgenommen. Anfänglich mussten wir zwei langgestreckte Korallenriffe, deren Vorhandensein sich durch die lichte Färbung der See deutlich zu erkennen gab, umfahren. Dann bereitete uns das Landen große Schwierigkeiten; denn die Ebbe war eingetreten und lange Schlammbänke zogen sich längs der Küste hin; auch verwehrten dichte Streifen von Mangrovebäumen mit ihrem Labyrinth von Luftwurzeln die Passage. Nachdem wir dreimal vergebens versucht hatten, ans Land zu kommen, saßen wir endlich mit dem Boot im Schlamm fest und mussten von der Barkasse wieder flott gemacht werden; doch zum Glück fanden wir endlich in der Nähe einer kleinen Ansiedlung in dem Schlamm eine Art Treppelweg, auf dem wir mit Hilfe der Putzjolle die Landung bewerkstelligen konnten.
Mit großem Erstaunen sahen die Bewohner der am Ufer gelegenen Hütten unserem Beginnen zu. Es waren Austral-Neger, die ersten, welche wir zu Gesicht bekamen; ganz merkwürdige Menschen mit ihren entsetzlich hässlichen Gesichtszügen, ihren wulstigen, autgeworfenen Lippen und dem nicht wolligen, aber krausen Haare. Diese Leute schienen schon einiges von der Zivilisation angenommen zu haben; denn sie waren nicht, wie die meisten ihres Stammes, bemalt und trugen auch schon einzelne Stücke europäischer Kleidung, so grellfarbige Jacken und die unglaublichsten Kopfbedeckungen schwarze, spitze Filzhüte, Eisenbahnkappen u. dgl. Die Weiber und Kinder zogen sich, sobald wir das Land betreten hatten, scheu in die Hütten zurück.
Diese Hütten waren wohl die sonderbarsten Wohnungen, die ich bisher gesehen; sie bestanden eigentlich nur aus Gabelästen, die mit Stücken von Baumrinde bedeckt waren und gegen Witterungseinflüsse beinahe gar keinen Schutz boten. Nur in kriechender Stellung konnten sich die Leute darin fortbewegen. Und so eine Hütte, die kaum 2 m Länge, 1 m Höhe hat, ist mit Menschen, Hunden, Katzen, Schweinen vollgefüllt — alles das lebt in demselben beschränkten Raum in trauter Gemeinschaft. In den Hütten werden auch die Fische gedörrt und die Schildkröten getrocknet, welche den Mundvorrat der menschlichen Insassen bilden und den Innenraum der Behausungen durch ihren abscheulichen Geruch verpesten. Unzählige Fliegen surren darin umher. Als Schmuck der Außenwände waren leere Petroleumkisten, Flaschen,
Blechbüchsen u. dgl. m. angebracht. Die Unordnung und Bizarrerie eines Zigeunerlagers reicht nicht im entferntesten an das Chaos und die exzentrische Gestaltung solch einer Negrito-Ansiedlung heran.
Die Leute arbeiten fast gar nicht, ihr einziger Lebenserwerb ist die Fischerei, bei welcher ihnen merkwürdig konstruierte und mit bunten Lappen geschmückte Boote als Fahrzeuge dienen. Mit diesen Kanus schiffen sie oft viele Meilen weit zwischen den Riffen und Sandbänken der Torresstraße umher, hauptsächlich auf den Fang von Riesenschildkröten bedacht, die zur Nachtzeit die Bänke besuchen, um dort ihre Eier zu legen.
Ein großer, dunkelfarbiger Kerl, wie es schien der Häuptling der Ansiedlung, kam uns entgegen und unterhielt sich mit uns in gebrochenem Englisch. Wir baten ihn, uns eine Stelle zu zeigen, wo wir einen breiten Wasserarm, der sich auf hundert Schritte von der Küste im Lande hinzog, passieren könnten; er zeigte sich bereit und unter seiner Leitung wurde zunächst der Wasserarm übersetzt, worauf wir, in einer langen Linie verteilt, in das Innere der Insel eindrangen. Hier war es nun freilich leichter vorwärts zu kommen, als in dem tropischen Urwald von Pulu Besar, wo wir ja auch eine ähnliche Inselexpedition unternommen hatten; denn der Wald der Insel Horn hatte bereits völlig das den meisten nördlichen Territorien des australischen Festlandes eigentümliche Gepräge: niedrigere, weit von einander abstehende Bäume mit starren, lederartigen, von den Achsen abgewendeten Blättern; die Bäume selbst unschön; ihre Stämme des tropischen Schmuckes, der Lianen, entbehrend; die Färbung kein intensives Grün, sondern graublau oder blaugrün; wenige Blüten; der Boden ohne wuchernden Unterwuchs, mit kümmerlicher Humusschichte und gelblichem Riedgras bedeckt oder kahl und sandig. Überall Schattenlosigkeit, leblose Starrheit, Einförmigkeit in Form und Farbe.
Von Waldbäumen bemerkte ich hier namentlich die traurigen, schachtelhalmartigen Casuarinen, Myrtengewächse und Eukalypten.
Dem trübseligen Charakter dieses Waldes entsprach hier auch die Tierwelt. Säugetiere fanden wir nicht, Vögel in geringer Anzahl. Am Strand beobachteten wir einige Uferläufer; weiterhin Bienenfresser, eine Drongo-Art (Chibia bracteata) und einige kleine Sänger: Vertreter zweier Spezies fielen uns besonders auf: jene der einen sahen wie kleine Nashornvögel aus, gehörten jedoch in die für Australien charakteristische, überaus formenreiche Familie der Honigfresser (Meliphagiden) und wurden als Philemon argenticeps bestimmt; die Angehörigen der anderen Spezies waren australische Riesenfischer oder Jägerlieste (Dacelo leachii), welche eine Höhe von über 50 cm erreichen und zu den größten aller bekannten Fischer zählen. Der australische Riesenfischer führt auch den Namen „Laughing Jackass“ (lachender Hans), da ihn sein lautes Geschrei im Wald schon aus weiter Ferne verrät.
Wir waren ungefähr 3 km in das Innere der Insel vorgedrungen, der schwarze „Bürgermeister“ aber sowie ein Jäger, den er uns im Verlauf der Wanderung als Führer beigesellt hatte, bereits seit einiger Zeit verschwunden, als unversehens ein Platzregen, der schon längst drohend am Himmel gestanden, niederging und uns in wenigen Minuten ganz durchnässte. Solche plötzliche, wolkenbruchartige Güsse hat ein Teil Australiens mit sämtlichen Äquatorialgegenden gemeinsam. Mit einer Heftigkeit, die wir in Europa kaum zu ahnen vermögen, stürzt das Ungewitter nieder und im Nu ist alles unter Wasser; überall bilden sich Bäche und Wasserläufe, da der Boden trotz seiner außerordentlichen Durchlässigkeit nicht vermag, so ungeheuere, jäh niederfallende Wassermengen aufzunehmen. Nun hieß es an die Rückkehr denken, denn es war schon hoch an der Zeit; wir wateten also an den Strand zurück, wo inzwischen Mallinarich eine hübsche Kollektion von Muscheln und Kerbtieren gesammelt hatte.
Auch als wir uns wieder auf unserem Schiff befanden, dauerte der Regen noch immer an, so dass wir nicht einmal wie gewöhnlich auf dem Achterdeck speisen konnten. Erst gegen 10 Uhr ließ das Unwetter nach, und mühsam genug brach sich der Mond Bahn durch die dichten Wolkenschichten.
Links
- Ort: Thursday Island
- ANNO – am 05.05.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Das Hochzeitsnest“, während da k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet „Die goldene Märchenwelt“ aufführt.