Penticton—Shingle Creek, 12. Sept. 1893

Die Nachrichten, welche wir erhalten hatten, waren sehr günstig; man sprach von ausgezeichneten Erfolgen, die uns nicht ausbleiben könnten, ja es verlautete, dass ein Rudel von 100 Bergschafen durch Indianer bestätigt und ein Mann eigens beauftragt sei, dieses seltene Wild zu beobachten. Gegen derartige, übertrieben scheinende Anpreisungen verhalte ich mich, durch die mannigfachen jagdlichen Misserfolge bei verschiedenen Völkern gewitzigt, sehr reserviert, da mich die Folge noch jedesmal gelehrt hat, dass es mit dem gerühmten Wildreichtum nicht so weit her ist.

Es war beschlossen worden, die Bagage — Gewehre, Zelte, Proviant und die notwendigsten Kleidungsstücke — gleich bei Tagesanbruch auf Pferden verpackt abzusenden, während wir gegen 10 Uhr vormittags folgen wollten. Leider schien auch hier die Pünktlichkeit eine unbekannte Tugend zu sein; denn als ich nach 9 Uhr meine Kabine verließ, waren weder Packpferde noch Indianer zu entdecken. Endlich kamen die Rothäute einzeln, ganz gemütlich herbeigeritten, und auch Mr. Ellis, der einzige Grundbesitzer dieser Gegend, welcher für die Beistellung der Pferde und der als Führer und Jäger erforderlichen Indianer sorgen sollte, schien es keineswegs eilig zu haben und über unsere ganze Expedition recht ungehalten zu sein. Diesem Herrn Ellis, einem gebürtigen Schotten, gehört der ganze Umkreis, ein Tausende von Quadratkilometern umfassendes Gebiet; alle in der Nähe befindlichen Indianer stehen zu ihm in einer Art von Untertanenverhältnis, und er liebt es, sich als König dieses Ländchens zu fühlen und zu zeigen. Mit scheelen Augen beobachtet er das Vordringen und die Erfolge der Canadian Pacitic-Bahngesellschaft in dieser unermesslichen Wildnis, in der er bisher alleiniger Herrscher war und durch 28 Jahre völlig ungestört walten konnte, was begreiflich erscheinen lässt, dass er jeden Fremden als Eindringling betrachtet. Seine Ungnade erstreckte sich daher auch auf uns; wir mussten aber, mit der Beistellung von Mann und Pferd ausschließlich auf ihn angewiesen, gute Miene zum bösen Spiele machen und bei dem Gewaltigen die eindringlichsten Bitten und schönsten Phrasen vorbringen. Gegen 10 Uhr wurde schließlich die Trainkolonne flott und ging unter Kommando unseres Reisemarschalls und Hodeks in die Berge ab; mehrere Indianer, die ihren Tieren schier unglaubliche Lasten aufgebürdet hatten und jene mit Lassos vor sich hertrieben, folgten.

In angemessenem Verhältnisse zu der Verspätung des Bagagetrains kamen auch unsere Leibrosse erst nach 11 Uhr herbei, so dass lmhof hinlänglich Muße hatte, einen der vier unser Schiff umkreisenden Fischadler mit einem glücklichen Schuss herabzuholen. Der Tod eines aus ihrer Mitte schien die Genossen wenig anzufechten, da sie immer von neuem herbeistrichen.

Doch konnten wir ihnen keine weitere Aufmerksamkeit schenken, weil wir aufbrechen mussten.
Jedermann wählte eines der keineswegs schönen, aber kräftigen Indianerpferde aus und trachtete so gut wie möglich, sich mit dem mexikanischen Sattel vertraut zu machen, einem Marterinstrument, welches das Sitzen keineswegs zu einer Annehmlichkeit macht und selbst einem passionierten Reiter einen langen Ritt verleiden kann. Das hohe Sattelgestell, an dem sich vorne der Knopf zum Befestigen des Lassos befindet, zwingt den Reiter, ganz steif und nach Art des von mir perhorreszierten sogenannten „alten Husarensitzes“ in der Gabel zu sitzen; die nur handbreiten Seitenblätter gehen nicht vom Sattel aus, sondern hängen an den Bügelriemen; die Bügel selbst sind unförmlich groß; die Befestigung des Sattels geschieht durch Gurten. ähnlich jenen unseres Damensattels; die Pferde sind mit Stangen aufgezäumt, die bei den einzelnen Rossen die denkbar verschiedensten Formen aufweisen.

Unsere Führer, die für die nächstfolgenden Tage auch als Jäger dienen sollten, waren Vollblutindianer und Mischlinge von dem etwa 150 Köpfe zählenden Stamme der Okinagans, welche die umliegende Gegend bewohnen und sich angeblich durch Arbeitsamkeit und gutes Verhalten auszeichnen; auch sind sie fast sämtlich zum katholischen Glauben bekehrt. Zwei Cowboys, die uns ebenfalls begleiteten, waren den Indianern ziemlich gleich adjustiert; sie trugen breitkrämpige Filzhüte, Wollhemden und lange, mit Fransen besetzte Lederhosen, lederne Mokassins und merkwürdigerweise auch dicke Lederhandschuhe, die an Fechthandschuhe aus Hirschleder gemahnten und Verzierungen in grellen, gestickten Dessins aufwiesen.

Unsere Karawane setzte sich nun durch ein am Rande des Sees gelegenes, auenartiges Terrain bis zur Farm des Mr. Ellis in Bewegung, der hier die nötigen Instruktionen an die führenden Indianer erteilte. Die Farm, aus mehreren kleinen Häusern und Stallungen bestehend, liegt, von Wiesen und einzelnen Feldern umgeben, sehr hübsch unter hohen Bäumen in einem freundlichen, grünen Tal am Ufer des Okinagan-Flusses, dessen besonders klare Wässer eilenden Laufes vorbeiströmen. Mr. Ellis beschäftigt sich hauptsächlich mit der Zucht von Rindern und Pferden, die sich das ganze Jahr hoch in den Bergen aufhalten und daselbst ein halbwildes Leben führen; ein großer Prozentsatz geht durch Abstürze oder als Opfer der Bären zugrunde, so dass man allenthalben Skelette verendeter Tiere sieht; aber immerhin dürfte Mr. Ellis seine Rechnung finden, da ihm die Erhaltung seiner Herden fast keine Kosten verursacht.

Bis zu den höchsten Stellen der steilsten Berglehnen sieht man die Tiere emporklettern, die sich an den Bächen und den sonstigen Trinkwasser bietenden Stellen in größeren Rudeln sammeln. Ich war über das gute Aussehen der Herden in hohem Grad erstaunt, da ich annehmen musste, dass die Tiere in den versengten und verdorrten Lehnen kein genügendes Futter finden könnten; doch hat die Natur hiefür gesorgt, da zwischen den gestürzten Baumstämmen manches Alpenkraut und in den tieferen Lagen eine unscheinbare, blaugraue Pflanze sprießen, die besonders zur Winterszeit ein gesundes und vom Vieh gesuchtes Futter liefern. Bedarf der Farmer einer größeren Anzahl Rinder oder Pferde zum Verkauf, so sendet er seine Cowboys und Indianer beritten in die Berge, damit dieselben die erforderlichen Tiere einfangen und abtreiben. Die Feldwirtschaft wird nur in dem für den Bedarf der Farm erforderlichen Umfang betrieben; als wir Mr. Ellis fragten, ob er auch Weizen baue, bejahte er dies mit dem Zusatz, dass er dies nur seinen Hühnern zuliebe tue.

Am jenseitigen Flussufer drangen wir in das Indianerdorf, das teils aus Hütten, teils aus Wigwams, das ist Zelten, besteht; erstere sind einfache Blockhäuser und mit Rasenziegeln belegt, letztere zeichnen sich nur durch die in ihrem Innern vorherrschende Unordnung aus. Die Haupterwerbsquelle bildet die Viehzucht, welche in derselben Weise wie vom Farmer betrieben wird und einzelnen Indianern bereits ein ansehnliches Vermögen eingetragen haben soll. Rings um die Hütten liegen kleine Felder und sogar Obstgärten, in welchen wir zu unserer Überraschung schwer mit Früchten behangene Bäume erblickten.

Auf einem schmalen Viehpfad, welcher die Lehne entlang führte, ritten wir den Bergen entgegen. Dieser Teil unserer Route war ziemlich eintönig, da die Nadelbäume, zumeist Kiefern, auf dem gelben, sandigen Boden in großen Abständen verteilt stehen und nirgends geschlossenen Wald bilden; erst nach einiger Zeit kamen wir in ein schmales Tal, woselbst sich schöne Ausblicke auf die entfernter liegenden Bergketten erschlossen. Manche steil eingeschnittene Schlucht, in welcher klare Bäche Rossen und Reitern willkommenen Labetrunk boten, musste passiert werden; des schlechten, schmalen Pfades wegen konnten wir fast nur im Schritt reiten und bloß auf einigen kleinen Plateaux war es möglich, für kurze Zeit zu galoppieren. Unser scharfes Auslugen nach Wild hatte keinen Erfolg, da wir außer einigen Falken und Vertretern einer grauschwarzen Hühnerart nichts entdecken konnten; dagegen wurde der Anblick der Gegend wieder freundlicher, und von dem Glanz der sinkenden Sonne schön überstrahlter, dichter Wald zeigte sich uns. Bald darauf überholten wir unseren Train, der sich nur sehr langsam und mit Schwierigkeiten kämpfend vorwärts bewegte, weil die eben erst eingefangenen Mustangs sich, an das Tragen von Lasten nicht gewöhnt, jeden Augenblick niederlegten, so dass unsere Weinvorräte, die Gewehre und der photographische Apparat in arge Gefahr kamen.

Zwei Stunden später erreichten wir ein kleines Tal, wo unter vielhundertjährigen Tannen und Kiefern, am Rand eines Bächleins im Shingle Creek das Lager aufgeschlagen wurde. Nach dem Abpacken der Pferde schritt man an das Aufstellen der Zelte, und bald entwickelte sich ein äußerst reges und fröhliches Leben; Bäume wurden gefällt. Holz gespalten, und in kürzester Zeit loderte ein mächtiges Feuer auf, an dem mehrere Mitglieder der Expedition ihre Kochkunst versuchen mussten, weil wir kein fachkundiges Individium angeworben hatten. Während tagsüber recht angenehme Temperatur geherrscht hatte, wurde es abends empfindlich kühl, weshalb wir recht nahe ans Lagerfeuer rückten.

Die der Lasten und Sättel entledigten Pferde weideten, in ein Rudel zusammengetrieben, das unter den Bäumen spärlich wachsende Gras ab; denn Körnerfutter erhalten die Tiere auch bei den größten Anstrengungen nicht. Überhaupt war die schlechte Behandlung, welche die Pferde durch die Indianer erfahren, auffallend; zu mangelhafter Fütterung trotz harter Anforderungen gesellten sich bei jeder Gelegenheit Fußtritte und Schläge, da der Indianer eben keine Liebe für seine Pferde zu besitzen scheint und sie nur so viel als möglich ausnützt. Wenn man demungeachtet und obgleich die Pferde schon in früher Jugend, oft als Füllen, Dienste leisten müssen, mitunter auffallend gute Exemplare findet und die Tiere im allgemeinen nicht nur reine Füße, sondern überhaupt kein schlechtes Exterieur besitzen, so spricht dies für die Rasse. Die Rothäute bedienen sich nicht immer eines Sattels; sie sitzen häufig nur auf einer Decke ohne Gurte und ziehen dem Pferd als Zaum bloß einen Strick durch das Maul oder begnügen sich mit einer Halfter, so dass es ein fremdartiges, stets fesselndes Bild ist, einen Reiter mit Hilfe derart primitiven Reitzeuges über Stock und Stein rasen zu sehen.

Seitwärts von uns lagerten die Indianer, welche mit ihrer Kochkunst rascher ans Ziel kamen als wir, da es uns noch an Übung fehlte und wir viel Zeit mit Versuchen verloren. Eine ungemein versalzene Suppe und ein ebensolches Gulyas, beides ein sprechender Beweis für die Richtigkeit des bekannten Sprichwortes, dass viele Köche den Brei versalzen, waren das heutige Ergebnis unserer kulinarischen Bildung; doch genossen wir dasselbe lachend und scherzend und saßen dann noch lange beim Lagerfeuer, welches gespenstige Lichter auf die alten Tannen warf, während die Sterne hell zu uns herniederfunkelten.

Derartige Expeditionen haben ihre eigenen Reize; denn man lernt, sich in jede Lage zu schicken, sich allenthalben selbst zu helfen und ist beständig bei Mutter Natur zu Gast. Wenn ich vor die Wahl zwischen einer offiziellen Reise, bei welcher nach endlicher Bewältigung einer langen Reihe von Empfängen und Feierlichkeiten ein vorzügliches Diner, ein bequemes Bett sowie aller erdenkliche Komfort winken, und einem fröhlichen Jagdzug, wie wir ihn derzeit unternehmen, gestellt bin, so werde ich mich wohl ohne Zaudern für letzteren entscheiden.

Für mich, meine Herren und die Diener war je ein Zelt bereitet worden; da aber das Zelttuch ganz dünn, ohne Doppellage und hauptsächlich darauf berechnet war, einem Pferd aufgeschnallt zu werden, so mussten wir uns gut in unsere Pelze einhüllen, um während der kühlen Nacht nicht zu frieren.

Links

  • Ort: Penticton, Kanada
  • ANNO – am 12.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Romeo und Julie“ aufführt.

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