Owa raha, 7. Juni 1893

Die tropische Regenzeit, in die wir jetzt wieder eintreten, macht sich in unangenehm fühlbarer Weise immer mehr geltend; sehr heftige Böen wechseln mit kurzen Phasen schönen Wetters ab. Gegen Mittag tauchten aus einer Wolkenwand, die sich bisher vor unsere Blicke gelagert hatte, die Höhen der Insel San Cristoval und die der Südostspitze dieser Insel vorliegenden Eilande Owa raha (Sta. Anna) und Owa riki (Sta. Catalina) empor.

Die Gruppe der Salomon-Inseln zieht sich in der Richtung von Nordwest nach Südost durch 10 Breitegrade; der nördlichste Punkt der Salomonen, das Cap North der Insel Buka, liegt unter 5° südlicher Breite und 154° 35′ östlicher Länge, der südlichste, die vorerwähnte Insel Owa riki, unter 10° 54′ südlicher Breite und 162° 30′ östlicher Länge. Der gesamte Flächeninhalt der Salomonen wird auf etwa 43.900 km2, die Zahl der Einwohner auf beiläufig 180.000 geschätzt. Die zahlreichen Inseln dieses Archipels sind zum größten Teil von einer spanischen Expedition unter dem Befehl Alvaro Mendana de Neyras entdeckt und von ihm in dem Glauben, ein neues goldreiches Ophir vor sich zu haben, dem biblischen König Salomo zu Ehren Salomon-Inseln benannt worden. Diese Expedition, aus zwei Schiffen, „Almirante“ und „Capitano“, bestehend, war von Lope Garcia de Castro, Gouverneur von Peru, ausgesandt worden, um Entdeckungen im Stillen Ozean zu machen. Sie hatte 1567 den Hafen von Callao verlassen, das Jahr 1568 der Entdeckung der Salomonen gewidmet und war 1569 wieder nach Callao zurückgekehrt. Im Jahre 1768, also genau zweihundert Jahre später, hat Bougainville auf seiner Weltreise die Salomonen neu entdeckt und die beiden großen nordöstlichen Inseln, Bougainville und Choiseul, neu benannt.

Wiewohl im Lauf unseres Jahrhunderts einige Male besucht, bilden die Salomon-Inseln doch auch heute noch, namentlich was die vielen, kleinen Inseltrabanten anbelangt, ein fruchtbares, weil nahezu noch unbekanntes Gebiet für den Forscher und ganz speziell für den Ethnographen.

Die Salomonen sind in zwei Reihen angeordnet. Der nordöstlichen Reihe gehören vier größere Inseln an: Bougainville, Choiseul, Ysabel — diese drei sind deutsches Schutzgebiet — und Malaita, welch letztere Insel nebst den die südwestliche Reihe bildenden drei größeren Inseln, Neu-Georgia, Guadalcanar und San Cristoval, britisches Schutzgebiet darstellt. Beide Reihen sind, wie bereits bemerkt, von zahlreichen kleinen, mitunter geradezu winzigen Eilanden begleitet.

Das Ziel der Reise bildete zunächst das Eiland Ugi, nördlich von San Cristoval. Da uns am Mittage des 7. noch 70 Seemeilen von der Küste von Ugi trennten, das Anlaufen bei Dunkelheit jedoch, zumal zahlreiche Regenböen Schwierigkeiten beim Landen voraussehen ließen, nicht rätlich erschien, beschloss der Kommandant, eine näher liegende Bucht (Port Mary) auf der Südwestseite der östlich von San Cristoval gelegenen Insel Owa raha aufzusuchen.
Weil die Lotungen und Küstenaufnahmen im ganzen Gebiet der Salomonen noch sehr unverlässlich sind, gestaltete sich unsere Einfahrt in die kleine, aber durch Randriffe gegen Seegang gut geschützte Bucht ebenso schwierig als interessant. Zwei Jollboote wurden vorausgesandt, um die schmale, zwei Kabel breite Einfahrt auszuloten und in derselben als Markierungspunkte zu dienen, zwischen welchen hindurchgesteuert wurde.

Die Bucht selbst, in der wir uns dann verankerten, hat nur wenige hundert Meter im Durchmesser und ist von der Seeseite überall von Korallenriffen umgeben, die bei Ebbe sogar zutage liegen. Von der Landseite geht dichter Wald, in welchem zahlreiche Palmen sichtbar waren, bis hart an das Ufer heran, und wir konnten die Hütten einer Ansiedlung Eingeborener unter den Bäumen wahrnehmen. Schöne, friedliche Natur lag schlummernd ringsum, nur gestört von den ob unseres Erscheinens in Aufregung versetzten Wilden von Owa raha.
Schon während der Einfahrt in die Bucht hatten wir ein kleines Kanu, in Welchem Eingeborene ihre primitiven Ruder gebrauchten, vom Land abstoßen gesehen, und entdeckten, als das Fahrzeug nahe gekommen war, in demselben einen Weißen, der sofort an Bord kam und vorerst, da er die „Elisabeth“ für ein französisches Kriegsschiff hielt, Misstrauen bezeugte. Sobald ihm über die Nationalität unseres Schiffes Aufklärung geworden war, wurde der Weiße gesprächiger und berichtete, dass er auf Owa raha erst seit einigen Monaten sich aufhalte, hier Handel treibe und mit den Eingeborenen, welche übrigens seinen Vorgänger wegen einiger Meinungsverschiedenheiten erschlagen hätten, auf freundlichem Fuße stehe.

Wir waren sehr erstaunt, hier einen Europäer zu finden, da sich nach allen Aussagen dermalen nur in dem südöstlichen Teile der Salomon-Inseln, und zwar in Ugi, zwei oder drei Weiße aufhalten sollen. Über die Nationalität des sich der englischen Sprache bedienenden Mannes konnten wir nicht recht klar werden, da er in dieser Beziehung keinerlei Andeutungen machte und sich überhaupt wortkarg zeigte, was den Verdacht rechtfertigte, dass derselbe ein Deserteur oder ein entsprungener Sträfling aus den Kolonien sei.

Die noch ganz wilden und anthropophagen Bewohner der Salomon-Inseln sind äußerst heimtückisch, hinterlistig und besonders den Weißen gefährlich, wie wohl aus der Tatsache hervorgeht, dass vom Juni 1889 bis Anfang 1890, also in wenigen Monaten, nicht weniger als sechs Weiße an verschiedenen Plätzen von den Eingeborenen der Salomonen ermordet worden sind.

Behufs Landung auf Owa raha wurde unverzüglich eine Expedition organisiert, die in zwei Partien abging; die eine derselben, unter meine Führung gestellt und aus einigen Herren sowie dem Weißen bestehend, dem die Aufgabe zufiel, als Dolmetsch zu fungieren, bezweckte die Erforschung der Ansiedlung, während die andere, Mallinarich und zwei Matrosen umfassend, möglichst viel Korallen und andere Seetiere fischen sollte.

Wenige Ruderschläge brachten unser Boot in der Nähe der Ansiedlung ans Land, doch hatten wir dieses kaum betreten, als ein wahrhaft tropischer Regenguss niederging, der uns in wenigen Minuten bis auf die Haut durchnässte. Weil die wilden Bewohner der Südsee die liebliche Gewohnheit haben, Weißen, welche eine Landung bewerkstelligen, ohne die Boote zu schützen, diese zu rauben und dann den Gelandeten den Rückzug abzuschneiden, ließen wir bei dem Boot einen Teil von dessen Bemannung unter Kommando eines Kadetten zurück, während vier Matrosen, mit Mannlicher Gewehren bewaffnet, uns ans Land begleiteten.

Zunächst besichtigten wir die Behausung des Weißen, eine recht nett eingerichtete und ganz wohnliche Hütte, rings um welche sich eine kleine Veranda zog, an deren Rückwand Käfige mit bunten Papageien hingen. Das Innere zeigte mehrere Räume, die teils als Wohnung, teils zur Aufbewahrung von Vorräten dienten. In der Küche begrüßte uns mit freundlichem Händedruck eine Melanesierin von rußschwarzer Hautfarbe, angeblich die Gattin des Ansiedlers, der wir galant eine Zigarre anboten, welche sie entgegennahm, sofort anzündete und zu rauchen begann. Die Gewandung der dunklen Dame war dem Klima und der Landessitte gemäß eine sehr dürftige und bestand im wesentlichen aus einem Schurz der kleinsten Gattung. Dank dieser Toilette vermochten wir die Gestalt der Melanesierin in Augenschein zu nehmen; sie war von mittlerer Statur und ebenmäßig, schlank gebaut; die Gesichtsbildung machte jedoch keineswegs einen anziehenden Eindruck, da diese flache, vorspringende Stirne, breite, semitisch geformte Nase, großen, dicklippigen Mund zeigte. Auch war das ohnehin schon hässliche Gesicht durch Nasenringe sowie dadurch entstellt, dass die Melanesierin, putzsüchtig, wie die ozeanische Rasse überhaupt zu sein pflegt, in den durchbohrten Ohren Gehänge trug, welche aus runden, an langen Nadeln befestigten Stücken Holz von ansehnlicher Größe bestanden.

Unsere ethnographischen Studien über den weiblichen Teil der Bevölkerung beschränkten sich auf jene, welche wir an der Frau des Ansiedlers anstellen konnten; diese war nämlich das einzige weibliche Wesen, das wir hier zu Gesicht bekamen; denn als wir in dem Dorf
angelangt waren, versteckten sich die schwarzen Schönen in das tiefste Innere ihrer Hütten, verrammelten die Türen mit Matten und ließen sich durchaus nicht mehr blicken.

Neben der Hütte des Weißen erhob sich eine größere Hütte, eine Heilige Stätte, Tabu genannt, in welcher die Eingeborenen ihre Kriegskanus aufbewahren und zugleich die Häuptlinge und Vornehmen ihres Stammes begraben. Solcher Stätten trafen wir vier im Dorf, und sind dieselben originell genug, um einer näheren Beschreibung wert zu erscheinen. Jede dieser Hütten bildet eine Art hoher Scheune, deren Stirnseite offen ist; das Dach ist mit Rinde gedeckt, und die Trag- sowie die Strebepfeiler und Sparren, mit einem Worte das ganze Gebälk, sind mit Schnitzerei geschmückt und bunt bemalt, wobei rot, weiß und schwarz vorherrschen. Dieser Zierrat stellt fratzenartige Götzenbilder in den erschrecklichsten Formen und in höchst realistischer Auffassungsweise dar, zumeist Menschengestalten mit sehr kurzen Füßen, langen, geraden Leibern und scheußlichen, von der üblichen hohen Kopfzier umgebenen Gesichtern. Eines dieser Holzbilder, das aus einem Pfeiler herausgeschnitzt war, erweckte meine besondere Aufmerksamkeit, da es sich als Karikatur eines englischen, die Bibel in Händen haltenden, mit Tropenhut und Schleier versehenen Missionärs erwies. Diese Fetische sollen von besonderen, im Ahnenkult eine Rolle spielenden Dämonen, Ataro, bewohnt sein. Als Schmuck dienten hier ferner, zu Hunderten, Unterkiefer des Schweines. Auf dem Boden der Scheune und auf Gestellen lagen die Kriegskanus, die sich durch ihre schlanke Form, durch Leichtigkeit und reiche Verzierung auszeichnen; insbesondere der Bug der Fahrzeuge, doch auch deren Seiten sind mit vielen Schnitzereien, vor allem aber mit Intarsiatura aus Perlmuscheln, von wahrhaft künstlerischem Geschmack versehen, deren Motive Tiergestalten sowie Blumen bilden. Die Boote, aus dünnen Brettern zusammengefügt und mit Harz verklebt, sind bis zu 7 m lang und kaum 1/2 m breit, doch findet man auch ganz kleine, anscheinend nur für einen einzigen Mann bestimmte Fahrzeuge.

In der Mitte der „Heiligen Halle“ erhebt sich ein Gerüst oder eigentlich ein Katafalk, auf dem in einer hölzernen Kiste die Gebeine des letztverstorbenen Häuptlings ruhen. Rings um diesen Katafalk sind bis zur Decke der Hütte gar sonderbare Särge angebracht, nämlich große, aus Holz geschnitzte Delphine von täuschender Naturtreue, die, innen hohl, die Schädel und Knochen der Angesehenen des Stammes zu bergen haben. Jeder dieser Holzdelphine ist in einem anderen Niveau befestigt, damit durch den Abstand des Sarges von der Decke der Hütte die Anzahl der Menschen markiert werde, welche der in dem Holzdelphine Beigesetzte zeitlebens getötet hat. Je höher, das heißt je näher der Decke der Sarg hängt, desto größer ist die Zahl der von dem Beigesetzten erschlagenen Feinde; je niedriger der Sarg Platz gefunden, desto kleiner ist dieselbe.

Die Eingeborenen der Salomon-Inseln gelten als leidenschaftliche Kannibalen, so dass die Erbeutung von Menschenleichen, um deren Fleisch gekocht zu verzehren, den Hauptzweck der unaufhörlichen Kämpfe und Kriegszüge der Insulaner bildet. Da die Einwohner jedes der Eilande und auf diesen wieder die einzelnen Stämme, ja sogar regelmäßig die Insassen benachbarter Dörfer untereinander in steter Fehde leben, lässt sich denken, wie häufig hier den Anthropophagen Gelegenheit geboten sein mag, ihrem scheußlichen Gelüste zu höhnen. Schon Mendana, dem Entdecker der Salomonen, wurde am 15. März 1568 auf Santa Ysabel zubereitetes Menschenfleisch angeboten. 1872 und noch später fanden englische Seefahrer gekochte Leichen und Reste solcher auf Santa Ysabel und San Cristoval, und selbst heute noch dauert dieser entsetzliche, jedem besseren Gefühle Hohn sprechende Barbarismus in gleichem Maße fort. Unsere Freunde von Owa raha fahren, wie uns versichert wurde, ziemlich häufig insbesondere nach dem benachbarten San Cristoval hinüber, um dort Feinde zu überfallen und zu töten, deren Leichnam hieher zu führen und daheim mit Behagen zu verzehren!

Die zwischen den Heiligen Stätten liegenden viereckigen Hütten der Eingeborenen sind klein, aber verhältnismäßig gut gebaut; jede derselben ist mit einem hohen, weit vorspringenden, aus Rinde, Palmenblättern oder Gräsern gefügten Dach versehen. An einer der aus Rohr konstruierten Wände erhebt sich stets ein Vorbau, auf dessen meterhohem Sockel die hier hausende Familie sich zur Zeit der Ruhe, in hockender Stellung gelagert, dem Rauchen von Tabak hingibt, welches Genussmittel die Europäer auf den Salomon-Inseln verbreitet haben. Die Rückwand des Vorbaues oder Söllers ist mit den Keulen, Speeren, Bogen, Pfeilen und Schilden der Bewohner geschmückt, und auch die geschnitzten Stöcke, welche die Eingeborenen bei ihren Festtänzen in den Händen zu tragen pflegen, sind hier verwahrt. Unter dem Söller findet sich eine Art Stall für die zahmen Schweine, welche in keiner Hütte fehlen dürfen und wie Hausgenossen betrachtet werden. Solch ein Söller mit seinem Schmucke, den lagernden, schmauchenden Eingeborenen, wobei die im Unterbau verwahrten Schweinchen ab und zu die Unterhaltung ihrer „Herrschaft“ durch Gegrunze beleben, liefert ein Genrebild seltsamer Art.

Das Innere der Hütte, welche durch eine niedrige, mit Bastmatten verdeckte Türe abgeschlossen ist, besteht, soweit wir von außen her sehen konnten, aus einem großen Raum, an dessen Wänden allerhand Gerätschaften hängen, und in dem an offener Feuerstelle, einer runden, mit großen Steinen ausgelegten, muldenartigen Vertiefung, gekocht wird. Eine Art spanischer Wand, aus rohem Geflechte, teilt in manchen der Hütten diesen Raum in kleinere Abteilungen, in welche sich die Frauen bei unserer Ankunft geflüchtet zu haben schienen, während die Männer bei unserer Wanderung von Hütte zu Hütte entweder uns ungescheut entgegenkamen oder doch auf der Schwelle ihrer Behausung standen und erstaunt auf die fremden Eindringlinge blickten.

Wie in Neu-Caledonien zeichnen sich auch die Bewohner von Owa raha durch ihre muskulöse, kräftige Gestalt aus, die Gesichtszüge aber, besonders bei älteren Leuten, sind durchwegs sehr hässlich; das krause, ungemein dichte Haar wird hier hinaufgekämmt und in einen Schopf gebunden. Im allgemeinen jedoch pflegen die Bewohner der Salomonen das Haar zu scheren oder herabhängend und zu kleinen Zöpfen geflochten zu tragen; bei einzelnen Leuten bemerkte ich hingegen als Eigentümlichkeit das Vorkommen von schlaff herabhängenden Haaren, die sich büschelweise zusammenlegen, so dass das Ganze der Decke eines Schnürlpudels vollkommen ähnelt. Manche der Eingeborenen haben eine etwas lichtere Hautfarbe und sind dadurch von ihren Genossen unterschieden, deren Farbe dunkelkaffeebraun, beinahe schwarz ist. Die Kleidung beschränkt sich fast allgemein nur auf Schmuckgegenstände; vor allem stecken die Eingeborenen von Owa raha die verschiedenartigsten Dinge in die Ohren, deren Läppchen durchstochen und künstlich derart vergrößert sind, dass Holzstücke, die mehrere Zentimeter im Durchmesser haben, hineingezwängt werden können. Als weitere Zier sehen wir den Hals- und Stirnschmuck, der aus Glasperlen oder aus Hundezähnen oder aus ganz kleinen, aneinandergereihten Muscheln besteht. Arm- und Fußringe sind meistenteils aus Geflecht, in das ebenfalls Muscheln oder Schnecken eingewoben sind, Nasenringe nicht selten aus Schildpatt hergestellt. Sehr beliebt sind europäische Hüte, und es gewährt einen äußerst komischen Anblick, so einen schwarzen Kerl nur mit einem alten Zylinder oder einem Strohhut bekleidet aus seiner Hütte treten zu sehen.

Die Natur bietet hier freiwillig so Vieles, dass die Eingeborenen fast gar nicht bemüssigt sind zu arbeiten; denn ihren Lebensunterhalt liefert ihnen die fischreiche See und das unerschöpfliche Pflanzenkleid des Landes; Schweine, Geflügel, Fische, Schildkröten, Muscheln bilden die Fleischnahrung der Eingeborenen. Doch sind diese im wesentlichen Vegetarier und nähren sich von allerlei Wurzeln, die ihnen Feld und Garten gewähren, so von der Yamswurzel und dem Taro, die hier auf Stellen, welche durch Feuer gerodet sind, kultiviert werden, ferner von den Früchten der Areca- und Sagopalme, der Musa sapientium und der Musa paradisiaca u. s. w. Als Genussmittel dienen, wie schon Mendana berichtet, Betel und ein aus den Wurzeln von Piper methysticum bereitetes, nicht nur stimulierendes, sondern auch berauschendes Getränk, Kawa genannt.

Das größte Vergnügen der Insulaner ist Rauchen und Betelkauen; nie sieht man die männlichen Eingeborenen ohne Tabak, den sie sich durch Tauschhandel verschaffen, noch ohne Betelbüchse, ja auch die meisten Frauen pflegen aus kurzen Pfeifen zu rauchen. Das Geschenk von einigen Zigarren machte die Männer, die wir zu Gesicht bekamen, sofort vertrauter, die ursprüngliche Scheu wich, und einer von ihnen zeigte sich, dank der angebotenen Zigarre, so vergnügt, dass er, mit den Armen in der Luft herumfuchtelnd, eine Art Tanz begann, den er mit Geschrei und den komischsten Gestikulationen begleitete.

Wir baten nun unseren europäischen Führer, uns ein wenig in das Innere der Insel zu führen, wozu er sich nach längerem Parlamentieren bereit zeigte, und wurden von ihm zuerst einige Zeit die Küste entlang und dann auf einem schmalen Saumpfad in den Wald geleitet. In diesem Augenblick entfuhr uns allen ein Ruf des Erstaunens; denn die Pracht der Pflanzenwelt, in die wir uns mit einem Schlageversetzt sahen, war geradezu überwältigend: die schmale Schlucht, die uns aufnahm, wurde zu beiden Seiten von porösen, aus Tuffstein gebildeten Mauern eingefasst, und diese sowie der Boden zeigten sich über und über mit den herrlichsten Palmen, namentlich Elfenbeinpalmen (Phytelephas), Pandanen, Farnbäumen, besetzt, zu deren Wipfeln sich, Ast und Stamm umschlingend, hunderterlei wuchernde Blattgewächse emporrankten.
Jeder Schritt ließ vor unseren entzückten Blicken neue Formen erstehen, noch nie geschaute merkwürdige Pflanzen auftauchen und Gewächse erscheinen, die keines unserer Warmhäuser birgt, kein Buch zu nennen weiß. Ich bedauerte lebhaft, nur unsere heimische, nicht
aber auch die Flora der tropischen Länder zu kennen, um doch mindestens einen Teil der Ordnungen, Familien und Gattungen der mir hier entgegentretenden Pflanzen bestimmen zu können.

Die in phytologischer Beziehung noch so wenig bekannten und mangelhaft durchforschten Salomon-Inseln scheinen in Bezug auf Mannigfaltigkeit, Formenreichtum und Üppigkeit geradezu einzig dazustehen; ja zuweilen war hier selbst das herrliche Vegetationsbild Javas in den Hintergrund gedrängt. Feuchtigkeit, Wärme und Boden vereinen sich hier, um in den undurchdringlichen Urwäldern der Niederungen bis hoch empor zu den höchsten Gipfeln der Bergzüge tropische Pflanzen aller Arten in größter Üppigkeit zur Entfaltung zu bringen, so dass eine Wanderung durch die märchenhafte Pflanzenwelt Owa rahas jeden Freund der Natur mit aufrichtigem Entzücken erfüllen muss. Jedes Fleckchen, zu dem wir kamen, schien dem allerreichsten unserer Warmhäuser zu entstammen; was wir daheim als köstlichste Gaben des Glashauses, Glaskastens oder Blumentisches en miniature anstaunen, gedieh hier als mächtiger Baum, als Strauch, Kraut, Gras, Blüte gigantischer, üppigster Form. Der Boden — geologisch junge, eruptive Gesteine bilden die Hauptmasse der Salomon-Inseln — bietet eben in den humosen Zersetzungsprodukten der so reichen Pflanzensubstanzen im Verein mit der tropischen Wärme und den nicht beständigen, aber doch häufigen, großen Niederschlägen dieses Gebietes den Gewächsen einen unvergleichlichen Keim- und Wurzelgrund.

Hier stehen Ficus-Bäume, welche Stämme von wohl mehr als 80 m Höhe in die Lüfte emporsenden und mit ihren Riesenästen einen mehr als 100 m2 umfassenden Raum bedecken. Daneben erheben sich riesige Dracaenen, Araliaceen, Gummibäume, dazwischen die schönsten Fächerpalmen, und jeder der pfeilgeraden Stämme ist mit hunderterlei Schmarotzerpflanzen und Orchideen bedeckt, von Lianen aller Arten umfangen. Alles wächst, gedeiht, wuchert. Wo ein Baum von der Last der Jahre oder vom Windbruch gefällt zu Boden liegt, erstehen auf seinem Stamm in kurzer Frist wieder armdicke Bäume, und Luftwurzeln werden, sobald sie wieder die Mutter Erde erreicht haben, aufs neue zu selbständigen pflanzlichen Individuen. Jedes Gewächs trägt Frucht, jeder Same keimt, jeder Keim treibt Knospen und Blätter; überall sprießt junges Leben aus der Wiedergeburt der Pflanze. Nie hat die Hand eines Menschen an die Stämme dieses Urwaldes gerührt; schier unermesslich ragen sie empor gegen die Wolken. Um die Höhe eines dieser Riesen des Waldes annähernd zu bestimmen, bedienten wir
uns des einzigen Hilfsmittels, das hier zugebote stand, wir feuerten nämlich aus unseren besten Gewehren einen Schrotschuss nach Vögeln ab, die auf einem Wipfel aufgebaumt hatten, ohne diese jedoch mit der Ladung erreichen zu können.

Immer wieder behinderten in diesem jungfräulichen Wald die glatten Wurzeln und das zerrissene Tuffgestein unsere Schritte; doch kamen wir heute rascher fort als in anderen der bereits betretenen tropischen Wälder, weil die Lianen hier den Boden nicht allzu dicht überwuchern; ja selbst die sumpfigen Stellen, die häufig unseren Weg kreuzten und von den schönsten Blattpflanzen aller Größen und Arten erfüllt waren, konnten wir ausnahmslos unschwer überschreiten. So drangen wir, unaufhörlich bewundernd und beobachtend, vor, bis wir plötzlich am Gestade eines reizenden Sees standen, dessen Uferbäume, mit Stamm und Ästen zum Wasser niederhängend, so dicht aneinandergereiht waren, dass wir seinen Spiegel nur durch die Spalten der grünen Blätterwand übersehen konnten. Zu Ehren der „Elisabeth“, als des ersten Kriegsschiffes unserer Marine, welches die Salomon-Inseln besucht hat, gab ich dem weder in den Segelhandbüchern noch in den Karten verzeichneten, schönen Wasserbecken den Namen „Elisabeth-See“. Seine Breite beträgt etwa 400 m; die Länge war, da uns hiezu die Zeit mangelte, nicht zu ermitteln.

Die jagdliche Ausbeute dieser Expedition gestaltete sich zu einer sehr geringen; denn einerseits scheint Owa raha wenig faunistische Besonderheiten zu besitzen, und andererseits hatten sich die Vögel, des strömenden Regens halber, fast sämtlich in den Baumkronen verborgen. Nur am Rande des Elisabeth-Sees gelang es mir, zwei Tauben (Ptilopus richardsi und Carpophaga pistrinaria) zu erlegen.

Allmählich war der Abend hereingebrochen, so dass wir den neugetauften See verlassen mussten, um nach dem Dorf von Owa raha zurückzukehren, wo sich, da der Regen zum Glück nachgelassen hatte, bald ein lebhafter Tauschhandel entwickelte. Nach Tabakfabrikaten, besonders Virginia-Zigarren, war die Nachfrage seitens der Eingeborenen eine äußerst lebhafte, während Toiletteartikel flauer blieben. Für zwei Zigaretten erhielt ich einen schönen Speer, hingegen nur einen geflochtenen Beutel, der als Betelbehälter gedient hatte, für ein farbiges Taschentuch. So ist denn das auf dem Wiener Graben erkaufte zarte Batisttüchlein als Schmuck und einziges Kleidungsstück an den Hals einer dunklen Anthropophagin gewandert! Auch mehrere der Herren vom Stab vermochten dem regen Angebote von hölzernen Speeren, Harpunen und Schmuckgegenständen nicht zu widerstehen und gaben dafür allerlei heimatliche Artikel hin, so dass wir mit reich gefüllten Booten endlich an Bord zurückkehrten.

Weniger gut als unserer Expedition war es aber Mallinarich ergangen. Dieser hatte sich mit den ihm beigegebenen zwei Matrosen schon nächst dem Dorfe von uns getrennt und war, indessen wir gegen Osten wanderten, westwärts ausgezogen, um, meinem Wunsch folgend, Korallen und Muscheln zu sammeln.

Alles hatte gemessenen Befehl erhalten, bei Sonnenuntergang an Bord zu sein, doch war dieser Zeitpunkt schon lange verstrichen, ohne dass jemand von der Expedition Mallinarich sich hätte blicken lassen, und Stunde um Stunde verrann, bis endlich allgemeine Aufregung auf der „Elisabeth“ herrschte. Die abenteuerlichsten Vermutungen über das Ausbleiben der Expedition wurden hörbar, da die einen dieselbe in Gefangenschaft geraten sahen, die anderen gar behaupteten, nun werde Mallinarich gewiss schon als Leckerbissen in einem großen Kessel geschmort. Die meisten unter uns jedoch waren, gleich mir, der Ansicht, dass sich die Expedition verirrt habe und vor Anbruch des Morgens nicht an Bord zurück sein könne. Der Kommandant ließ mit den großen elektrischen Projektoren die ganze Küste beleuchten, und ein Boot mit Bewaffneten spähte am Strand aus, aber nichts zeigte sich. Endlich wurde eine größere Abteilung, mit Laternen und Raketen versehen, unter Kommando von Offizieren auf die Suche ausgesandt und wollte eben in das Innere der Insel vordringen, als von einem Cap wiederholt Signalschüsse ertönten. Sofort wurde ein Boot dahin dirigiert, und nach 10 Uhr abends waren Mallinarich sowie die beiden Matrosen ganz ermattet, aber gesund an Bord zurück.

Den Strand absuchend, waren sie im Eifer des Sammeins allzuweit abgekommen, so dass sie vom Einbruch des Abends überrascht und plötzlich, als es eben zu dunkeln begann, etwa fünfzehn Eingeborene gewahr wurden, welche den Weg nach dem Strand hin absperrten. Rasch entschlossen wenden sich die Drei wieder der Richtung zu, aus welcher sie gekommen waren, doch auch auf dieser Seite treten Eingeborene, fünf an der Zahl, aus dem Wald, und so ist unsere Trias von bewaffneten Wilden, die eine immer drohendere Haltung annehmen, förmlich umzingelt. Eine Lücke in dem ihn und die beiden Matrosen umgebenden Kreise erspähend, beschließt Mallinarich hier die Reihe der Feinde zu durchbrechen, feuert einen Schuss gegen dieselben ab, wirft den nächststehenden Wilden zu Boden und entkommt so samt den Matrosen der feindlichen Schar. Da diese jedoch ihren Posten zwischen den Bedrohten sowie den Booten beibehält und daher den Rückzug zu den Fahrzeugen abschneidet, sehen sich unsere Leute genötigt, die Runde um die ganze Insel herum zu machen, wobei natürlich die Mehrzahl der am Strand aufgelesenen Objekte als gefährlicher Ballast zurückgelassen werden muss.

Vielleicht war Mallinarich, da sich möglicherweise die Wilden hätten durch Parlamentieren beschwichtigen lassen, etwas zu energisch vorgegangen; andererseits aber mag die Situation, in welcher er sich befunden hatte, eine recht peinliche und auch der Nachtmarsch nicht eben angenehm gewesen sein. Jedenfalls war Grund genug vorhanden, die Heimgekehrten und uns selbst zu beglückwünschen, dass alles glatt abgelaufen war.

Die Eingeborenen im Dorfe hatten sicherlich rasch Kunde von dem Vorfall erhalten; denn wiewohl sie, als ich am Abend dort eingetroffen war, bestimmt zugesagt hatten, mit neuen Tauschobjekten an Bord zu erscheinen, ließ sich keiner mehr blicken.

Ich benützte den Abend, um in der schönen, ruhigen Bai einen mir ganz neuen Sport, Fischestechen bei Licht, zu versuchen, worin unser braver Bootsmann Zamberlin Meister war. Dieser rüstete mit der vollen Fertigkeit, welche die Bewohner unserer Küste in derlei Übungen auszeichnet, das Jollboot aus, indem er an dessen Spitze den erforderlichen, höchst einfachen Beleuchtungsapparat anbrachte. Letzterer bestand lediglich aus einem pfannenartigen Rost, in welchem mittels Teers und trockenen Fichtenholzes ein so intensiv brennendes Feuer unterhalten wurde, dass die See bis zu beträchtlicher Tiefe hinab hell beleuchtet war.

Langsam fuhren wir über die Korallenbänke hin, niederblickend zu den mannigfaltigen, phantastisch geformten Gebilden, die im Schein unserer Lichtquelle rötlich schimmernd auftauchten. Hier erhoben sich liliputanische Wälder und Blumenbeete, dort starrte ein Koralleninselchen von Stacheln, Spitzen und Armen; dann bildete die kalkige Masse Grotten und Höhlen, in welchen allerlei kleine, lichtrote, himmelblaue, grasgrüne, silberglänzende Fische auf und nieder schossen. Dazwischen lagen träge Seesterne, Seeigel und Holothurien oder Seegurken, und alles das leuchtete, schimmerte, strahlte, sobald das Licht einfiel, in den buntesten Farben, in den zartesten Nuancen, wie sie eben nur das Seewasser mit seinem eigentümlichen Brechungsvermögen hervorzurufen vermag.

Größere Fische sahen wir nur zu Beginn der Fahrt, dann aber waren sie, vom Schalle der Ruder und vom Scheine des Lichtes erschreckt, scheu in die Tiefen entschwunden. Dennoch gelang es unserem Bootsmann, der, Neptun gleichend, mit der Harpune bewehrt am Bug stand, einzelne merkwürdige Stücke zu erbeuten, so einen ganz weißen Rochen, eine Art Mondfisch, mehrere aalähnliche Fische mit reiherartigem Schnabel und spitzen Zähnen, eine selten schöne Languste mit schwarzgelb geränderten Extremitäten und grünen Rückenschildern. Wo die See Wellen warf, wurde geölt, was die Sicherheit des Fischestechens wesentlich erhöhte.

Der Blick in die nächtlichen, jäh erleuchteten Tiefen des Meeres, auf die Korallengebilde und auf all die seltsamen Bewohner der See, das Fischestechen, der eigentümliche Zauber der ganzen Fahrt — alles hat sich meiner Erinnerung lebhaft eingeprägt.

Links

  • Ort: Owa raha, Salomon Inseln
  • ANNO – am 07.06.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Ein Wintermärchen“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.

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