Früh morgens passierten wir in der Nähe von Fort Shepherd die Grenze zwischen Britisch-Kanada und den Vereinigten Staaten und befanden uns jetzt im Gebiet des Staates Washington.
Vormittags legte der Dampfer in Northport, der Endstation unserer Flussfahrt, an; da aber hier die weise Einrichtung besteht, dass nur an jenen Tagen, an welchen der Dampfer nicht verkehrt, ein Eisenbahnzug abgeht, war jch gezwungen, einen Extrazug zu nehmen, der nur aus Maschine, Gepäckswagen und einem Pullmann-Salonwagen bestand, welch letzteren ich gleich für die ganze weitere Reise mietete. Dieser Wagen hatte eine Küche, bequeme Schlafstellen und bot den Vorteil, dass wir hoffen durften, unter uns zu bleiben und so der Berührung mit unliebenswürdigen Reisegefährten überhoben zu sein.
Der Übergang von der Landungsstelle zum Bahnhof von Northport ist eigenartig; denn das Gleis ist in den Fluss hineingeführt, der Dampfer kommt so nahe an dieses heran, dass er aufsitzt, der Zug aber fährt buchstäblich bis über die halbe Achsenhöhe ins Wasser, und der Reisende gelangt, während kleine Fischchen rings um den Dampfer und den Zug schwimmen, großen Schrittes vom Schiff in das Coupe. Unser Gepäck war rasch umgeladen, und nun ging es, trotz des wenig vertrauenerweckenden Baues der Spokane Falls and Northern Railway, sehr schnell das steil abfallende Seeufer entlang bis Marcus, wo die Bahn den See verlässt, um sich nach Spokane zu wenden.
Die Gegend zeigt hier ein wesentlich anderes Gepräge als tags zuvor; nicht besonders hoch entwickelte Kiefern wachsen in ziemlicher Entfernung von einander, den Boden bedeckt trockenes, gelbes Gras, statt der früher so häufigen Brandstellen zeigen sich mit Mais, Hafer und Weizen bebaute Felder, und in der Nähe der Farmen tummeln sich Herden schöner Rinder sowie Rudel gut gebauter Pferde. Auffallend viele Dampfsägen liegen an der Bahn und riesige Stöße zugeschnittener, gehobelter Bretter beweisen, dass man hier den Wert des Holzes sehr zu schätzen weiß. Die Besitzungen der einzelnen Farmer waren von Zäunen umschlossen oder mit Stacheldraht umfriedet. Wir erblickten auch etwas Wild, indem von kleinen Seen und rohrbewachsenen Tümpeln größere Kitten Enten aufstiegen und pfeilschnellen Fluges an den Coupefenstern vorbeizogen.
Schon in Northport hatte ich ein Telegramm des Obersten Cook erhalten, der mich aufforderte, sein in der Nähe der Stadt Spokane befindliches Regiment und Lager zu inspizieren, da wir uns im genannten Ort zwei Stunden aufhalten müssten. Ich lehnte mit Rücksicht auf mein Incognito die etwas eigenartige Einladung dankend ab, was Veranlassung zu einem Schmähartikel im Spokaner Abendblatte gab, das uns in den Waggon zugestellt wurde. Dieser Artikel trug den lakonischen Titel: „Franz is here“, war mit meinem Bildnisse verziert und strotzte von böswilligen Unwahrheiten, die aber keinesfalls den beabsichtigten Zweck, mich zu ärgern, erreichten; ich fand im Gegenteil diese Zeitungsblüte nur lächerlich, umsomehr als sich verschiedene Stellen von unbeabsichtigt komischer Wirkung eingeschlichen hatten. So hielt sich beispielsweise der übellaunige Reporter über unsere allzu zahlreichen Gepäckstücke auf und stellte die Frage, wie dies erst sein würde, wenn ich verheiratet wäre; dann bemängelte er das „nonchalante“ Abstreifen der Zigarrenasche und brachte noch allerlei anderen Unsinn vor.
Statt der Parade beizuwohnen, benützte ich den Aufenthalt zu einer Besichtigung der Stadt Spokane, die mit ihren geschmacklosen, grün oder rot angestrichenen Bauten ein wenig erfreuliches Bild darbietet. Mittelpunkt eines reichen Agrikulturdistriktes, wurde Spokane im Jahre 1878 gegründet und 1889 nach einem großen Brande umgebaut; Spuren des letzteren sind noch jetzt im Stadtzentrum wahrnehmbar. Die Straßen wiesen ganz außerordentliche Kotmengen auf, die mich an Zustände in kleinen Ortschaften Halbasiens erinnerten.
Die beiden innerhalb der Stadt gelegenen Wasserfälle, Spokane Falls, werden als Naturschönheit gerühmt, sind aber in der Tat nur Wehre, über die das Wasser aus der Gesamthöhe von 45 m abfällt und dessen Kraftäußerung einer Beleuchtungsanlage sowie zahlreichen Fabriken und anderen Unternehmungen dienstbar gemacht wurde.
Nach einem zweistündigen Aufenthalt wurde unser Waggon an den Haupttrain, der trotz seiner Länge von Passagieren dicht besetzt war, angehängt und die Weiterreise mit der Northern Pacific Railway angetreten.
Links
- Ort: Spokane, Vereinigte Staaten
- ANNO – am 19.09.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt das Lustspiel „Wilddiebe“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Die Jüdin und der Templer“ aufführt.
- Spokane Daily Chronicle 19 September 1893 Artikel „Franz is here“ [PDF] (Quelle: Google News Archiv) – Franz Ferdinands Wiedergabe ist ziemlich fern zum relativ neutralen Text.
- Siehe auch C. S. Kingston: Franz Ferdinand at Spokane—1893, The Washington Historical Quarterly, Vol. 16, No. 1 (Jan., 1925), pp. 3-7 (via JSTOR).