Des Morgens stellten sich heftige Regenböen aus dem Südwesten und dem Südsüdosten ein. Infolge starken Seeganges rollte die „Elisabeth“ zeitweise bis zu 18°. Vormittags wurde für kurze Zeit die Insel Udsi gesichtet; gegen Mittag erblickten wir die Gruppe der Koschiki-Inseln. Dann ergossen sich schwere Regen über uns, die jeden Ausblick verhinderten, und erst nach 4 Uhr nachmittags hellte es sich etwas auf, so dass das Cap Nomo in Sicht kam und wir nun den Kurs auf den Hafen von Nagasaki nehmen konnten.
Nagasaki liegt auf Kiuschiu (Neunland), der südlichsten der großen japanischen Inseln. Das Kaiserreich Japan, auch Nippon oder Nihon genannt, mit 382.412 km2 und 40,718.677 Seelen, umfasst bekanntlich eine Anzahl von Inseln, worunter vier von beträchtlicher Größe sind, nämlich Kiuschiu, Schikoku, Nippon oder Hondo, das Hauptland, welche das eigentliche Japan bilden, und endlich das nördlich hievon gelegene Jeso. Der Rest der Oberfläche Japans verteilt sich auf eine Anzahl kleinerer Inseln.
Eine hohe Rauchsäule verriet uns die am Eingang der langgestreckten Bucht von Nagasaki gelegene kleine Insel Taka, auf welcher die herzlich schlechte Fettkohle gewonnen wird, mit der sich die in Nagasaki einlaufenden Dampfer in der Regel versorgen.
Die Insel Kiuschiu oder, richtiger gesagt, deren westliche, vielfach zerrissene Halbinsel Hisen lässt von grünender Vegetation völlig bedecktes Bergland erscheinen; die Küste und insbesondere die ihr vorgelagerten Eilande weisen an vielen Stellen groteske Formen auf. Im allgemeinen erinnert die Einfahrt in den bei aller Großartigkeit anmutigen Hafen von Nagasaki an einen norwegischen Fjord; denn in vielfachen Krümmungen führt eine etwa drei Seemeilen lange Wasserstraße zwischen Inseln und Landzungen hindurch, bis sich endlich der Hafen öffnet und im Hintergrunde der Bucht die in einem Talkessel und an Berghängen gelegene Stadt Nagasaki — das „lange Vorgebirge“ — sichtbar wird. Scharf sondert sich das helle europäische Villenviertel, aus welchem die Signalmaste der Konsulate emporragen, von dem japanischen Teil der Stadt, dessen einförmig graues Häusermeer sich an dem nordöstlichen Strand dahinzieht. Am Eingang des Innenhafens sind die seetechnischen Etablissements, Docks u. s. w. der japanischen Marinestation angelegt.
Auf hoher See schon hatte uns der japanische Torpedokreuzer „Jajejama“ erwartet und war, nachdem er sich durch Signale zum Wegweiser erboten, als Lotsenschiff vor der „Elisabeth“ hergelaufen. Vom Deck des „Jajejama“ ließ dessen Musikkapelle Klänge zu uns herüberschallen, welche offenbar unsere Volkshymne wiedergeben sollten, — eine Aufmerksamkeit, die wir bemüssigt waren, durch Abspielen der japanischen Hymne zu erwidern.
Ich lief ohne Standarte in den Hafen von Nagasaki ein, was die Japaner abhielt, auf ihren zahlreichen, vor Anker liegenden Kriegsschiffen den Geschütz- und Raaensalut zu leisten, wozu bereits alle Vorbereitungen getroffen waren. Ein Torpedoboot umkreiste uns im Hafen mit Blitzesschnelle und wies uns den Ankerplatz, der durch eine im Wasser schwimmende, unsere Farben tragende Flagge bezeichnet war. Am Eingang des Hafens lag ein größerer englischer Kreuzer, „Leander“, den eine Maschinenhavarie genötigt hatte, hier einzulaufen; außerdem befand sich eine Eskadre japanischer Kriegsschiffe im Hafen, und zwar: das Flaggenschiff „Itsukuschima“, ferner die Schiffe „Matsuschima“, „Takawo“, „Takatschiho“, „Kaimon“ und „Katsuragi“, zu denen sich nun auch unser Wegweiser „Jajejama“ gesellte. Alle diese Kriegsfahrzeuge stellten sich als imposante, schöne Schiffe dar, die nach den modernsten Modellen gebaut, sowie mit allen Neuheiten maritimer Technik und Armierung versehen sind; denn Japan hat für seine Flotte eben nicht geringe Opfer gebracht und ist nicht wenig stolz auf seine Seemacht, welche gegenwärtig einen Stand von 55 Schiffen mit 55.053 t, 79.694 indizierten Pferdekräften und 439 Geschützen sowie mit einer Besatzung von 6815 Mann aufweist.
Noch am Abend kam unser Gesandter Baron Biegeleben in Gala an Bord, um mir das Programm für den Aufenthalt in Japan mitzuteilen. wobei ich zu meinem Erstaunen erfuhr, dass mein Wunsch, auf der „Elisabeth“ bis Jokohama fahren zu können und erst von dort die Reise offiziell fortzusetzen, unerfüllbar sei. Die Vorbereitungen für die Fahrt durch das Land waren bereits getroffen und die Mitglieder der japanischen Suite, welche ich telegraphisch für Jokohama erbeten hatte, schon in Nagasaki angelangt. So musste ich denn darauf verzichten, die Fahrt durch die vielgepriesene Inland-See auf der mir liebgewordenen „Elisabeth“ zurückzulegen, sowie mindestens einen Teil Japans in nicht-offizieller Weise, in aller Ruhe zu besichtigen, und mich bereits von Nagasaki aus in feierlicher Weise, in einer Art Triumphzug, von den japanischen Würdenträgern durch das Land geleiten lassen.
Links
- Ort: Nagasaki, Japan
- ANNO – am 02.08.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Don Juan“ aufführt.