Manitou — Chicago, 2. Oktober 1893

Auch während der heutigen langen Fahrt hatten wir Gelegenheit, die Rücksichtslosigkeit, mit der auf allen Kreuzungspunkten unser Pullman Car verschoben wurde, in recht unangenehmer Weise zu empfinden. Wagt es der Reisende, bei dem Lokomotivführer oder dem Conducteur um schonungsvolleres Vorgehen zu ersuchen, so wird er ausgelacht oder erhält zur Antwort, dass niemand gezwungen werde, die Bahn zu benützen. Als Beweis für die Wucht und Stärke der Stöße, die wir erhielten, diene der Umstand, dass beinahe alle unsere Weinflaschen, die wohlverpackt in Holzgestellen eingebettet waren, zerbrochen wurden. Das unausgesetzte Läuten der an den Lokomotiven angebrachten Glocke, das als Warnungssignal dient, greift die Nerven an, da der Glockenton eine frappante Ähnlichkeit mit jenem unseres Zügenglöckleins hat.

Nachts passierten wir die große Stadt Denver, die sich durch zahlreiche industrielle Etablissements auszeichnet. Des Morgens sahen wir keine Naturschönheiten, keine Canons mehr, da wir mit der Burlington and Missouri River Railroad bereits die fruchtbaren Gefilde des Staates Nebraska, eine endlose Ebene, in östlicher Richtung durchzogen. Über Mais und immer wieder Mais, der zwar das Auge des Landwirtes erfreuen mag, dem Reisenden aber auf die Dauer ziemlich eintönig erscheint, schweift der Blick dahin; zahlreiche artesische Brunnen, von Windmotoren betrieben, besorgen die Bewässerung der Felder. Die Farmen und die Städte zeigen das Gepräge des raschen, überhasteten Entstehens und der Ungemütlichkeit; die Wohnhäuser tragen keinerlei Zier, nur zahllose Annoncen und Reklameplakate; allenthalben ersetzen landwirtschaftliche Maschinen die menschliche Arbeitskraft; Rinder- und Pferdeherden ziehen umher.

In Lincoln, der Hauptstadt Nebraskas, kamen unserem Gesandten während des Verschiebens der Hut und die Bagage abhanden; auch traf uns hier die unangenehme Nachricht, dass wir in Chicago am Tag der Ankunft das vorausgesandte Gepäck wahrscheinlich nicht vorfinden würden. Die vielgerühmten amerikanischen Eisenbahnverhältnisse sehen eben aus der Nähe betrachtet wesentlich anders aus, als man nach schönfärbenden Schilderungen glauben sollte, und selbst in Italien habe ich ähnliche Zustände wie hier nicht wahrgenommen; so läuft bei den riesig langen Zügen nur ein einziger Gepäckswagen mit, und das Gepäck der zahlreichen Reisenden wird, wenn es keinen Platz findet, ohne dass der betreffende Passagier verständigt würde, zurückgelassen, um erst 24 Stunden später am Bestimmungsort anzulangen.

Omaha, „die Torstadt“, eine der Haupteinbruchstationen nach dem Westen, bleibt mir unvergesslich durch den Ansturm, welchen die dortigen Reporter während unseres viertelstündigen Aufenthaltes auf meinen Waggon unternahmen; als ich für kurze Zeit ausgestiegen war, um frische Luft zu schöpfen, konnte ich mich nur sehr schwer vor den drohenden Interviews retten. Eine Zudringlichkeit, im Dienste der öffentlichen Meinung, wie sie hier an den Tag gelegt wurde, hätte ich nicht für möglich gehalten, obwohl die amerikanischen Pressverhältnisse eigentlich alles erwarten lassen; denn die Pressfreiheit scheint hier im Sinne der Vogelfreiheit des Nebenmenschen verstanden zu werden, dessen intimstes Privatleben davor nicht sicher ist, vor die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Die Zeitungen, von der größten angefangen bis zu dem kleinsten Sudelblättchen herab, wimmeln von sensationellen
Nachrichten, von Schmähartikeln sowie pikanten Histörchen, und im politischen Parteikampf scheint auch das schlechteste Mittel gut genug. Dass meine Person ebenfalls herhalten musste, damit den Lesern verlogene Stilblüten ärgster Sorte aufgetischt werden konnten, betrachte ich mit jener Gleichgültigkeit, welche die einzig richtige Würdigung eines derartigen Vorganges ist.

Bei Omaha tritt die Bahntrace an den Missouri heran, läuft einige Zeit längs dessen rechtem Ufer und überschreitet ihn endlich mittels einer hohen und langen Brücke, welche der Zug, sich bereits auf der Strecke des Chicago, Burlington und Ouincy Railroads bewegend, ganz langsam befährt. Der Missouri präsentiert sich hier als ein sehr träger Strom mit zahlreichen Nebenarmen und schmutzig gefärbtem Wasser.

Keinerlei Wild belebte die Gegend; hingegen boten die Auen einen erfreulichen Anblick, da sie an unsere Auen erinnerten, in welchen jetzt der Brunftschrei des Hirsches ertönt und jeder Waidmann die schönsten Stunden des Jahres verlebt. Eichen, Ahorne, Pappeln, Weiden, kurz alle ständigen Vertreter des Auwaldes waren hier zu sehen, und Waldparzellen in kleinen Bodensenkungen und Tälern verschönerten, auch nachdem wir den Flusslauf schon verlassen hatten, das Gesamtbild der Gegend.

Links

  • Ort: Omaha, Nebraska, USA
  • ANNO – am 02.10.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt das Stück „Die Braut von Messina“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Der fliegende Holländer“ aufführt.
  • Ganz anders als von Franz Ferdinand vermittelt, ist die zuvorkommende Berichterstattung des Omaha Bee.
The Omaha Bee mentions "distinguished foreigners" in Denver

Omaha Bee vom 2. Oktober 1893 erwähnt in der Morgenausgabe die „herausragende Ausländer“ in Denver

The Omaha Bee 2 October 1893 in the evening edition includes a respectful account of the stop in Omaha.

Omaha Bee vom 2.Oktober 1893 in der Abendausgabe berichtet mit Respekt vom kurzen Aufenthalt in Omaha.

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