Kioto, 14. Aug. 1893

Da ich den lebhaften Wunsch hegte, den vielgepriesenen Biwa-See zu besuchen, setzten wir uns dahin mittels der Tokaido-Eisenbahn in Bewegung. Nach kurzer Fahrt durch unabsehbare Reisplantagen lag — wir hatten eben einen Tunnel passiert und eine scharfe Wendung gegen Nordosten gemacht — der liebliche See von der Morgensonne übergossen vor uns. In der Station Baba wurde das Coupe mit Hofwagen vertauscht, die uns nach der am Seeufer gelegenen Stadt Otsu brachten, dem Hauptort der Präfektur Schiga und der Provinz Omi, welche bereits zu der Landschaft des Tosando, das heißt der Ostberglandstraße gehört. Diese Stadt hat eine ihr selbst recht unliebsame Berühmtheit erlangt durch das tückische Attentat, welches im Jahre 1891 in einer der Straßen, die auch wir passierten, auf den Cesarewitsch verübt worden ist. Diesem Umstand hatte ich offenbar zuzuschreiben, dass hier noch umfassendere polizeiliche Maßregeln getroffen waren als gewöhnlich; alles starrte von Wachleuten.

Der Biwa-See soll den Namen seiner Gestalt verdanken, welche der Form des „Biwa“ genannten Instrumentes gleicht. Zahlreiche Sagen knüpfen sich an dieses Gewässer, das in japanischen Erzählungen eine große Rolle spielt und zugleich mit dem Berg Fudschi einem Erdbeben seine Entstehung verdanken soll. Mit dem bläulich schimmernden Spiegel ist der See liebreizend eingebettet zwischen grünende Hügel und Haine; kleine Ortschaften umsäumen die Ufer, da die lebensfrohen Japaner den landschaftlichen Zauber dieses Juwels zu würdigen gewusst haben; eine Idylle liegt hier vor uns, und die Lust wandelt den Beschauer an, zu verweilen, und einige Zeit hier zu verträumen. Sieht man von der Bauart der Häuschen ab, so könnte man glauben, an die Ufer des Starnberger Sees versetzt zu sein. Zahlreiche Dampfer und Segelschiffe ziehen hin und her, den Verkehr zwischen den verschiedenen Punkten des Seeufers vermittelnd.

Wir schifften uns auf einem kleinen Dampfer ein, welcher pustend und stöhnend — er war wohl noch nie so rasch gefahren — die blauen Fluten teilte, aber leider den Genuss der Fahrt dadurch störte, dass er rastlos die Dampfpfeife ertönen ließ, was als eine recht schlechte Eigenschaft unseres Fahrzeuges oder, besser gesagt, seines Kommandanten, der übrigens nur dem herrschenden Gebrauch folgte, bezeichnet werden muss; jede Begegnung, jede Begrüßung, jedes Signal wird von dem schrillen Pfiffe begleitet.

Bei Kurasaki, nicht ganz 6 km von Otsu westlich am Ufer des Sees gelegen, wurde gestoppt. Den Anziehungspunkt bildet hier die berühmte Kiefer, die noch vor Christi Geburt gepflanzt worden sein soll, jedesfalls aber in die grauesten Zeiten des Altertumes zurückreicht und mit Recht als ein durch den Verlauf von Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden, geheiligter Baum Verehrung genießt. Die Höhe des Stammes beträgt allerdings nur 27 m, da der Baum wahrscheinlich in seiner Jugend als ein Opfer der ersten Regungen japanischer Gartenkunst gestutzt worden sein dürfte; hingegen beläuft sich der Umfang des Stammes auf mehr als 22 m und die durch die Enden der Aste gebildete Peripherie auf etwa 300 m. Die Äste laden teils fächerförmig weithin und nach abwärts geneigt aus, so dass man stellenweise nur in gebückter Haltung unter ihnen hinwegschreiten kann, teils ziehen sie sich in schlangenartigen Windungen dahin und sind durch förmliche Gerüste von Holz sowie durch Unterlagen aus Stein gestützt; unter den Ästen birgt der Baum, welcher einen ebenso riesenhaften als ehrwürdigen Eindruck hervorbringt, einen ganzen Schinto-Tempel. Wo sich im Stamm Löcher zeigen, sind dieselben fürsorglich verklebt; auch in der Krone ist der Baum, da er gegen Regen empfindlich sein soll, zwar durch ein kleines Dach geschützt, scheint aber aller Sorgfalt ungeachtet zu kränkeln, wie das Aussehen vermuten lässt, und heuer haben dem Greis überdies Raupen arg zugesetzt.

Unweit der Riesenkiefer wurden wir Zeugen eines Fischfanges; im See sind nämlich labyrinthisch angeordnete Gänge, Gitterwerke aus Bambus in Verbindung mit Reusen, so angelegt, dass die eintretenden Fische schließlich in einen verhältnismäßig kleinen Raum von wenigen Metern im Durchmesser geraten, aus welchem es kein Entrinnen mehr gibt. Vor unseren Augen wurde nun ein derartiger Raum ausgefischt, wobei mehrere hundert Kilogramm an Fischen, unter diesen insbesondere Karpfen von respektabler Größe, an das Tageslicht gelangten. Offenbar ist hier der Fang recht einträglich, weil der See, wie alle japanischen Binnengewässer, sehr fischreich ist. Die Dampfer fahren, ohne die geringste Rücksicht zu nehmen, allenthalben an die hoch aus dem Wasser emporragenden Bambusgitter an, so dass man glaubt, diese müssten gebrochen und zerrissen werden; doch mit nichten — das elastische Material schmiegt sich unter dem Bug und dem Körper des Schiffes hindurch, um sich unverletzt hinter dem Hecke des Dampfers wieder zu erheben.

Nach Otsu zurückgekehrt, stieg ich die zahlreichen Stufen einer steinernen Treppe zu einer mit Nadelholz bedeckten Anhöhe empor, welche von einem Buddha-Heiligtum, dem Mii-tera, gekrönt wird, der angeblich schon im 7. Jahrhundert erbaut worden sein soll, aber wiederholt bauliche Umgestaltungen erfahren hat. Von hier bot sich eine herrliche Rundschau über den See und die denselben umfassende Landschaft; weniger entzückend wirkt der Anblick der ganz in europäischem Stil erbauten öffentlichen Gebäude, welche sich in ihrem dreisten, weißen Anstrich recht selbstbewusst, um nicht zu sagen protzig, von der Umgebung abheben.

Mit großer Anerkennung muss eines Meisterwerkes moderner Technik erwähnt werden, nämlich des Kanals, welcher mittels des Kamo-gawa-Kanals, des Kamo-gawas selbst und des Jodo-gawas den Biwa-See mit dem japanischen Binnenmeer in Verbindung bringt. Die höchst bemerkenswerte, in den Jahren 1885 bis 1890 ausgeführte Anlage besteht aus dem 11 km langen, westlich von Kioto in den Kamo-gawa mündenden Schiffahrtskanal und einem 8 km langen Nebenkanal, welcher für Zwecke der Bewässerung dient und auch die zum Betriebe verschiedener industrieller Etablissements erforderliche Wasserkraft liefert.

Die Schwierigkeiten dieses Bauwerkes lagen einmal darin, die Kanalanlage durch das harte Felsgestein des zwischen dem See und dem Kamo-gawa aufgetürmten Höhenzuges zu führen, und dann in der Überwindung einer Niveaudifferenz von 44 m. Das erstgenannte Hindernis wurde durch Erbauung von drei Tunnels, das zweite aber durch Einführung eines Systems schiefer Ebenen überwunden, auf denen die Fahrzeuge mittels starker Drahtseile, die von der im Nebenkanal verfügbaren Wasserkraft betrieben werden, auf- und niedergleiten. Der Entwurf dieser Kanalanlage stammt von Tanabe Sakuro, einem Hörer der Ingenieurschule zu Tokio, welcher — beiläufig gesagt — die sämtlichen Pläne und Zeichnungen hiezu mit der linken Hand ausgeführt hat. Während ich die Aussicht bewunderte und mich über den Kanal des Näheren informieren ließ, wurde ein prächtiges Tagfeuerwerk abgebrannt, so dass rings um uns in der Luft farbige Ballons schwebten und bunte Schleifen und Bänder flatterten.

Oberhalb einer neu erbauten, reinlichen Kaserne, welche ein Infanterieregiment birgt, ist auf einer Anhöhe das Offizierscasino situiert. Seiner Lage und Umgebung nach wohl das meistbegünstigte Casino, das ich kennen gelernt, ist dieses aus Holz erbaut und in landesüblicher Weise ausgestattet. An den Wänden hängen Photographien, kriegerische Szenen aus dem Satsuma-Aufstande darstellend, sowie zahlreiche Widmungstafeln mit Gedenksprüchen und Unterschriften von fürstlichen Persönlichkeiten, Generälen und anderen Würdenträgern. Ich ließ mir einige Gedenksprüche übersetzen, deren manche offenbar an bestimmte Vorkommnisse anknüpfen oder in einem dritten Personen unbekannten Zusammenhange stehen und daher nicht recht verständlich sind, während aus anderen der Schalk spricht, so zum Beispiel aus dem Worte des Prinzen Arisugawa: „Wir werden uns mit Bauernmädchen unterhalten.“ Ein Dejeuner, das wir hier einnahmen, mundete dank der angenehmen Kühlung, welche mächtige Eisblöcke spendeten, und angesichts der entzückenden Landschaft vortrefflich.

Die Abfahrt von Otsu erfolgte um halb 3 Uhr, und zwar wieder mit der Tokaido-Eisenbahn, welche den See an dessen Ostseite umfährt, um sich bei Maibara ostwärts gegen Gifu zu wenden. Ein Ort, der in der Geschichte Japans für immerwährende Zeiten denkwürdig bleiben wird, bildet heute eine der Bahnstationen, und zwar Seki-ga-hara, wo Ijejasu im Jahre 1600 an der Spitze von 75.000 Mann über das 130.000 Mann starke Heer der gegen ihn gebildeten Liga einen entscheidenden Sieg erfochten und so das Schoögunat an das Haus der Tokugawa gebracht hat. Nach dreistündiger Fahrt waren wir in Gifu, nicht ohne dass ich im Laufe der Reise, von der Hitze und Ermüdung überwältigt, einer kurzen Ruhe gepflogen hätte, zu welchem Zweck ich mich als Japaner verkleidet und lediglich in meinen Kimono gehüllt hatte, was die lebhafteste Heiterkeit des Zugspersonals erweckte.

Auf dem Bahnhof begrüßte mich im Auftrag des Kaisers Kapitän Jamagutschi, der Direktor des kaiserlichen Jagdamtes, des Schurio Kjoku, und ein Kammerherr, beide in schmucken, grünen Uniformen; dann folgte der übliche, festliche Einzug in die Stadt. Da das Volk in hellen Massen herbeigeströmt war und die Straßen dicht erfüllte, fuhren einige Polizeiorgane in Dschinrickschas voraus, um Raum für uns zu schaffen, wobei die von der Neugierde hergelockten, harmlosen Zuseher in recht unsanfter Weise angefahren und niedergestoßen wurden, ohne dass jedoch diese Opfer, deren Ruhe mir Bewunderung einflößte, auch nur mit einem Scheltwort erwidert hätten; der Japaner bleibt eben in allen Lebenslagen höflich. Auffallend war die große Zahl reizender Gesichter, durch welche der weibliche Teil der Einwohnerschaft zur Verherrlichung des Einzuges beitrug.

Gifu, die Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur und der Provinz Mino, ist, weil im Jahre 1891 durch ein Erdbeben und eine infolge desselben entstandene Feuersbrunst gänzlich zerstört, neu erbaut und macht daher einen überaus reinlichen, schmucken Eindruck. Einen im Osten der Stadt liegenden Hügel hatte der große Nobunaga seinerzeit als geeigneten Punkt für ein festes Schloss auserkoren. Die Provinz Mino ist ausgezeichnet durch Fruchtbarkeit und den Gewerbefleiß der Bewohner, welcher hier im Betriebe der Seidenzucht, der Seidenweberei, der Krepperzeugung, der Töpferei und der Papierindustrie zutage tritt; das Minopapier, besonders für Fenster beliebt, Lampions, Sonnen- und Regenschirme sowie Servietten, aus Papier gefertigt, bilden gesuchte Artikel. In einem Clubhaus wurden allerlei Erzeugnisse der genannten Arten zum Kauf ausgeboten und waren auch verschiedene mir von der Stadtvertretung dargebrachte Ehrengeschenke ausgelegt.

Der Zweck unseres Besuches in Gifu war, den hier üblichen Fang von Fischen durch hiezu abgerichtete Cormorane kennen zu lernen; daher ging es alsbald in Dschinrickschas nach dem etwa eine Wegstunde oberhalb der Stadt im Nagara-gawa ausgewählten Fischplatz, die Hauptstraße Gifus entlang, auf einer hübschen Brücke über den Nagara und auf dem rechten Ufer flussaufwärts, an reizenden, kleinen, in Gärtchen gelegenen Häusern sowie an Bambusgebüsch vorbei. Die bereits ersichtlichen Lampions ließen für den Abend eine großartige Beleuchtung erwarten. An der Stelle, wo wir uns einschiffen sollten, harrte ein gedecktes, reich geschmücktes und illuminiertes Boot, in welchem, nachdem wir die Mitte des Flusses erreicht hatten, zunächst ein vortreffliches Diner serviert wurde, da der Fischfang erst bei Eintritt der Dunkelheit beginnen konnte. Die japanische Hofküche verdient ganz besondere Anerkennung, da sie uns nichts weniger als Hungers sterben ließ, sondern stets ein „Tischlein deck‘ dich“ für uns vorbereitet hatte.

Beide Flussufer waren von Menschen dicht besetzt, die hieher gekommen waren, das Schauspiel zu sehen, und zahlreiche Boote, in welchen die Honoratioren Gifus sowie mehrere Reporter, deren einige uns immer das Geleit gaben, Platz genommen hatten, tanzten auf den Wellen des Flusses. Dieser ist hier 30 bis 40 m breit, hat eine starke Strömung, bildet im oberen Teil des Laufes, durch Granitblöcke eingeengt, Stromschnellen, ähnlich wie der Katsura-gawa, und verrät seinen Charakter als Gebirgsfluss insbesondere durch das bedeutende Inundationsgebiet, welches auf die verheerende Tätigkeit des Gewässers im Frühjahr hindeutet.

Als völlige Dunkelheit eingetreten war, wurde unser Fahrzeug noch einige hundert Meter nauwärts gestoßen, bis auf ein Raketensignal 12 Boote, jedes etwa 6 m lang, um eine Krümmung des Flusses hervorkamen. Ein mächtiges Kienspanfeuer, bestimmt, die Fische anzulocken, flammte in einem eisernen Korb am Buge jedes Bootes, in dem ein Fischer stand, der acht vorausschwimmende Cormorane an Schnüren hielt, während an jeder Seite des Fahrzeuges je ein anderer Fischer zwei Cormorane leitete; ein vierter Mann lenkte das Boot. Wie man mir sagte, wird der jung eingefangene Cormoran nur soweit gezähmt, dass er handfromm wird, das heißt aus der Hand frisst und sich berühren lässt. Ist dies erreicht, so wird er alsbald zum Fischfang verwendet, und zwar in der Weise, dass er, mittels einer starken, um den Hals geschlungenen Schnur vom Fischer an der Flucht gehindert, ins Wasser gesandt wird, Fische zu fangen und in den Kropf aufzunehmen; dies tut der Vogel, seinem Trieb entsprechend, mit Begierde; um jedoch hintanzuhalten, dass Fische aus dem Kropf in den Magen gelangen, wird die Schnur sehr eng um den Hals geschlungen. Hat nun der tauchende Cormoran eine Anzahl Fische erhascht und im Kropf untergebracht, so wird der Vogel ins Boot gezogen und von seinem Herrn durch einen Druck gegen den Hals der Beute beraubt.
So geschah es auch hier. Als der Schein der Flammen eine hinlängliche Anzahl von Fischen angelockt hatte, setzte sich die Flotille in Bewegung; gleichzeitig wurden die Leinen der Cormorane nachgelassen, und die beutegierigen Vögel begannen nun, durch Schlagen an die Bootswände und laute Zurufe angefeuert, rastlos tauchend, eine mörderische Jagd. Ein Nachtbild von eigentümlichem Reiz entwickelte sich vor uns: die gegen uns zutreibenden Boote; vor ihnen die unter oder empor tauchenden Cormorane, deren bald dieser, bald jener in das Fahrzeug gehisst wurde, um, der Beute entledigt, wieder in der Flut zu verschwinden; das aufregende Schreien und Lärmen der Fischer; das Prasseln der weithin das Dunkel der Nacht erhellenden Feuer; die zahlreichen den Fluss bedeckenden Fahrzeuge und die im roten Schein der Flammen sich an den Ufern drängende Menge.

Als die Boote bis zu uns gelangt waren und, unser Fahrzeug in die Mitte nehmend, weiter flussabwärts trieben, konnten wir aus nächster Nähe die Cormorane bei ihrer Arbeit sehen. Die Feuer erhellten das Wasser bis auf die Sohle des Flussbettes, Schwärme von Fischen schossen erschreckt hin und her, stets verfolgt von den Cormoranen, und besondere Lebhaftigkeit entwickelte sich unter Wasser, wenn zwei der braven Taucher einen und denselben Fisch verfolgten, da sich dann ein wahrer Wettstreit entspann, bis aus diesem einer der Vögel als Sieger hervorgieng. Wir selbst gerieten schließlich in Aufregung und begannen so lebhaften Anteil an dem Fischfang zu nehmen, dass auch wir die Cormorane durch Zurufe anfeuerten, was aber eigentlich nicht nötig war, weil die braven Tiere, vom Jagdeifer erfasst, sich, kaum in das Boot gehoben, sofort wieder kopfüber ins Wasser stürzten. Kapitän Jamagutschi hatte an unserem Interesse seine helle Freude, die auch dann nicht gemindert wurde, als ich, um dem Schauspiel besser folgen zu können, aufstand und infolge einer Schwankung des Bootes eine Tasse schwarzen Kaffees in den Schoß des trefflichen Mannes goss.

Anerkennung verdiente die von den Fischern in der Ausübung ihres Berufes dargetane Geschicklichkeit, mit welcher sie die Boote in der starken Strömung lenkten und die Cormorane so zu leiten verstanden, dass dieselben, ohne die langen Schnüre in Verwirrung zu bringen, nach allen Richtungen hin tauchen konnten. Innerhalb der Frist von kaum einer Stunde hatten die 144 Cormorane an 3000 Fische gefangen, deren einige so groß waren, dass die tauchenden Vögel sich ihrer nicht ohne Kampf bemächtigt haben konnten. Einem Cormoran wurden vor unseren Augen nicht weniger als 16 Fische aus dem Kropf genommen — eine Zahl, die ganz außer Verhältnis zu der Größe des Vogels steht.

Die erbeuteten Fische gehörten alle zu den Salmoniden, die sehr geschätzt sind und ein Lieblingsgericht des Mikados bilden sollen, so dass sie angeblich nie auf seiner Tafel fehlen dürfen. Bei dem Diner im Boote hatten wir Gelegenheit, Fische dieser Gattung zu verkosten; wir fanden sie schmackhaft, aber nicht so vortrefflich wie unsere Forelle. Das Fischwasser, in dem heute gefangen wurde, ist Eigentum des Kaisers, während andere Strecken der Stadt oder Privaten gehören. Für den geradezu ans Fabelhafte grenzenden Reichtum dieses Flusses und wohl auch anderer Gewässer an Fischen spricht der Umstand, dass die Fangmethode, deren wir heute Zeugen waren, wie man sagt, durch fünf Monate hindurch allnächtlich, mit Ausnahme der klaren Mondnächte, angewendet wird und die durchschnittliche jedesmalige Ausbeute 5000 bis 10.000 Stück Fische beträgt, welche sofort auf Eis gelagert und dann in alle Teile des Landes versendet werden. Trotz dieses Raubfanges — der Cormoran ist eben der ärgste Fischräuber, der wahllos fängt, was er zu erhaschen vermag — ersetzt sich der Fischbestand immer wieder. Dies kann, da es weder Schonzeiten noch andere Einrichtungen zur Förderung der Fischerei gibt, nur aus den in den Gewässern Japans vorhandenen, der Fischfauna günstigen Existenzbedingungen, ganz insbesondere aber daraus erklärt werden, dass eine Verunreinigung der Fischgewässer durch industrielle Etablissements entweder nicht oder doch nicht in jenem Maß wie bei uns daheim stattfindet.

Beide Ufer des Flusses waren in der Nähe der Brücke von Menschen besäet, ja die Leute liefen sogar, um uns sehen zu können. ins Wasser, dass es ihnen bis zur Brust reichte; in der Menge schwirrte und summte es wie in einem Bienenschwarm, bald da, bald dort schlug helles Lachen auf, und lebhafte Zurufe drangen zu unseren Ohren — alle diese Töne und Laute verschmolzen mit dem Rauschen und Brausen des Flusses zu einer seltsamen Harmonie.

Die Stadt der Lampions schien ihren Ruf übertreffen zu wollen; denn sie verabschiedete sich von uns mit einer alle Erwartungen übertreffenden Illumination. Längs der Flussufer sowie auf der Brücke erglänzten viele Tausende von roten Lampions; über den Straßen wölbten sich kühn geschwungene Bogen, von welchen festonartig gezogene Guirlanden von Lampions herabhingen, die in hellem Rot erstrahlten; die bizarren Formen der Tempeldächer sowie die Fronten der Häuser entlang liefen feurige, durch weiße Lampions gebildete Linien; in den Straßen flammten allenthalben Transparente auf. Rot und weiß leuchtete und glänzte es aus allen Richtungen, so dass sich der Stadtteil bis zum Bahnhof wie in Licht gebadet vom dunkeln Nachthimmel abhob.

Unter Vorantritt des Bürgermeisters und gefolgt von einer gewaltigen Menge Volkes, bewegte sich der lange Zug von Dschinrickschas nach dem Bahnhof, wo mir das Oberhaupt der Stadt für den Besuch Gifus dankte. Nach einigen Worten der Erwiderung meinerseits entführte uns der Zug auf der Tokaido-Bahn in südöstlicher Richtung nach Nagoja. Hier begrüßte mich der Divisionsgeneral Katsura in fließendem Deutsch, mir unter anderem mitteilend, dass er viele Jahre in Wien zugebracht habe und diesem Aufenthalt die wärmste Erinnerung bewahre.

Während der Einfahrt in die Stadt wurde ein Feuerwerk, diesmal ein solches nächtlicher Natur abgebrannt, welches zu den schönsten gerechnet werden muss, die ich gesehen. Ungeachtet der vorgerückten Stunde hatten sich vor dem Hotel, in welchem wir die Nacht verbringen sollten, die Bewohner Nagojas in hellen Scharen eingefunden und applaudierten, da ich zufällig auf der Veranda erschien, lebhaft, als wäre ich eine gefeierte Operndiva, worauf ich mich dankend verneigte.

Links

  • Ort: Nagoya, Japan
  • ANNO – am 14.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet „Excelsior“ aufführt.

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