Morgens hieß es, ein starker Tiger habe in der Nacht gerissen und sei in einem nicht sehr entlegenen Dschungel ziemlich sicher bestätigt. Entgegen dem Rat des Residenten, unsere Jäger mit den Häuda-Elephanten vorauszuschicken und erst eine Stunde später selbst nachzufolgen, zogen wir es vor sofort mitzureiten und wurden, auf dem Stelldichein angelangt vom Oheim des Maharadschas mit der Nachricht empfangen, dass der Tiger noch jung wäre und sich beim geschlagenen Stück befände. Als die Flügel voreilten, um den Kreis zu formieren, wurde aus dem Tiger ein Panther und, als der Kreis geschlossen war, aus dem Panther — nichts. Ziemlich enttäuscht verließen wir das Dschungel; doch da die Eingeborenen mit Bestimmtheit auf einen Tiger rechneten und uns versicherten, dass ein solcher sich in der Nähe befände, wurde die Linie gebildet und ein Streif in einem ziemlich lichten, benachbarten Dschungel unternommen, wobei aber auf kein anderes Wild als auf Tiger geschossen werden sollte.
Dem hervorragenden Spürsinn der Schikäris widerfuhr glänzende Genugtuung; denn wir mochten ungefähr eine halbe Stunde gestreift haben, als vom linken Flügel her der Ruf „Bara Bagh“ erscholl. Ich befand mich mit Wurmbrand und Kinsky in der Mitte und musste stehen bleiben, während die Flügel von den Schikäris zur Schließung des Kreises beordert wurden. Mein Mahaut wies, mir „Bagh“ zurufend, beständig gegen einen ziemlich entfernten Grasbusch hin, ohne dass ich jedoch etwas wahrnehmen konnte, da ich beim Halten der Linie in eine sehr ungünstige Position, in eine von Bäumen umgebene Vertiefung geraten war. Um die Anordnungen der Eingeborenen nicht zu beirren, verharrte ich auf meinem Posten und sah, als die Flügel bereits anfingen, den Kreis zu schließen, in beträchtlicher Entfernung von mir einen Tiger zwischen den Bäumen sich im Trolle fortbewegen. In demselben Augenblicke fiel ein Schuss Kinskys, der Tiger stürzte getroffen und tat sich bei einem großen Baum nieder. Kurz darauf schoss Wurmbrand links von mir auf einen schwachen Tiger, den ich nicht sehen konnte und der sich, auch getroffen, in einem Grasbusch verbarg. Unmittelbar nachher sah ich, ebenfalls sehr weit von mir, einen dritten Tiger über eine kleine Blöße direkt gegen Clam wechseln, der ihn roulierte, worauf das Tier noch bei Kinsky durchzubrechen versuchte, von diesem aber einen Fangschuss erhielt.
Bei dem Einschwenken des linken Flügels zur Schließung des Kreises war eine kleine Verwirrung dadurch entstanden, dass ein vierter Tiger durchbrach und Fairholme denselben mit einigen Elephanten besonders einzukreisen versuchte. Stockinger und Prónay wollten die hiedurch eingerissene Lücke verstellen, verloren aber hiebei die Direktion, erschienen im Jagdeifer plötzlich mitten im Kreise vor uns und eröffneten hier, auf den von Wurmbrand angeschossenen Tiger stoßend, auf diesen ein wohlgenährtes Schnellfeuer, so dass er zum Schluss von sieben Kugeln durchbohrt auf die Strecke gebracht wurde.
Da ich sah, dass die Jagd zu Ende war, rief ich Kinsky herbei und zeigte ihm den von ihm angeschossenen Tiger, damit er ihm den Fangschuss gebe. Es war sein erster Tiger, ein starkes Weibchen, die beiden anderen dessen Junge vom Vorjahr. Der vierte Tiger, der hinausgewechselt war, dürfte ein drittes Junges derselben Tigerin gewesen sein.
Bei der heutigen Jagd — einer neuerlichen Probe der Geschicklichkeit, der raschen Orientierung und des richtigen jagdlichen Sinnes der Nepalesen — hatten wir eine uns noch ungewohnte Methode kennen gelernt, nämlich das Einkreisen von Tigern in einem ganz lichten Dschungel ohne Unterwuchs, während die Tiger bisher stets in dichten Gras- oder Schilfpartien eingekreist worden waren. Leider hatte ich infolge meines ungünstigen Standpunktes von der Jagd wenig gesehen; doch erzählte mir Clam, dass er, durch eine Lichtung blickend, ein seltenes Schauspiel genossen habe. Als nämlich die Tigerin die Anwesenheit der vielen sie einkreisenden Elephanten bemerkt hatte. setzte sie sich, offenbar entschlossen, sich selbst und ihre Nachkommenschaft bis zum äußersten zu verteidigen, eines ihrer Jungen zur Rechten, das andere zur Linken, auf die Hinterpranten und begann, nach allen Seiten hin die Zähne fletschend, laut zu brüllen.
Bedauerlicherweise wurde auch bei dieser Jagd ein Elephant verletzt, doch nicht durch Tigerbiss, sondern durch eine Prellkugel, die von einem der glatten Baumstämme abgeprallt sein mochte und dem Elephanten gerade über dem Stoßzahn in den Rüssel gedrungen war. Auch ein Elephantenführer hatte durch einen wahrscheinlich zufolge eines Schusses abgesplitterten Teil eines Astes eine Verletzung davongetragen, die zum Glück ganz gering war; einige Rupien Schmerzensgeld wirkten nach der Miene des Verwundeten zu schließen, wie der beste Balsam. Dass solche Verwundungen vorkommen konnten, erklärt sich daraus, dass man stets gezwungen ist, in den Kreis hineinzuschießen und eben an den glatten Teak- und Sal-Bäumen leicht eine Kugel abprallen kann.
Der alte Oheim des Maharadschas war sehr ungehalten, dass ich keinen Tiger geschossen, beruhigte sich aber, nachdem ich ihm versichert, dass es mich nicht minder freue, wenn die Herren meiner Gesellschaft schössen, und ließ die Linie formieren, um mittels eines Generalshootings in das Lager zurückzukehren. Es ist in der Umgebung unseres Lagers von Katni auffallend weniger Wild als in den ersten Lagern, da die Eingeborenen hier viel schießen. Dieselben bedürfen jedoch zur Erlegung von Tigern besonderer Erlaubnis, welche dann erteilt wird, wenn ein Tiger unter den Viehherden der benachbarten Ortschaften große Verheerungen anrichtet.
Leider wurde abermals ein Nashornvogel gefehlt; Fairholme erlegte einen Black-buck, den ersten, den wir bisher in Nepal gesehen.
Gegen Ende unseres Streifs, schon ganz nahe am Lager, begannen zwei Elephanten aus unbekannter Ursache miteinander zu kämpfen, wobei der eine derselben mit einem Stoßzahne dem Mahaut des anderen Elephanten eine tiefe Riss- und Quetschwunde in der Kniekehle beibrachte und den Mann hiedurch so schwerverletzte, dass der Bedauernswerte das Bett wohl durch viele Wochen wird hüten müssen.
Im Lager statteten wir dem armen angeschossenen Elephanten einen Besuch ab und fanden ihn eben unter der Behandlung des Arztes, wobei ich die Klugheit und Geduld des Tieres bewundern konnte. Auf Befehl des Wärters legte sich der Elephant auf die rechte Seite und sah mit den klugen Augen nach dem Arzt, der die Wunde mit der Sonde untersuchte, ohne dass sich hiebei die Kugel gefunden hätte. Empfand der Elephant Schmerz, so verzog er nur die Lippen, verhielt sich aber im übrigen, ebenso wie bei der noch schmerzvolleren Operation des Auswaschens und Einpinselns der Wunde ganz ruhig, als wüsste er, dass ihm diese Prozedur nützen würde. Die Ruhe des Tieres war um so höher anzuschlagen, als nach den Tränen, welche den kleinen Augen entquollen, zu urteilen, die Schmerzen, welche der arme Häthi zu ertragen hatte, nicht geringe waren.
Links
- Ort: Katni, Nepal
- ANNO – am 21.03.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Bernhard Lenz“, während das k.u.k. Hof-Operntheater Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ aufführt.