Kanton, 26. Juli 1893

Dem ursprünglichen Plan zufolge hätte ich schon in der Nacht nach Macao fahren sollen, aber das große Interesse, welches Kanton in mir erweckte, bewog mich, Mr. Drew zu ersuchen, uns noch einen Tag Gastfreundschaft zu erweisen, zumal ich mit meinen Einkäufen noch nicht völlig zu Ende war. Da ich von meinem Standpunkt aus in Kanton leicht einen Tag zugeben konnte, nachdem durch das Entfallen des Besuches Bangkoks gegenüber dem offiziellen Programm
ein gewisser Vorsprung gewonnen war, und da mein liebenswürdiger Wirt sich über mein Ansinnen sehr erfreut gezeigt hatte, erfuhr unser Aufenthalt in der Tat eine eintägige Verlängerung.

Mein erstes war, im Palankin wieder in die Straßen der Chinesenstadt zu eilen, um mich heute den Möbelhändlern und nochmals den Malern zu widmen. Wir hatten uns in zwei Partien geteilt, um so rasch als möglich alle noch zu besorgenden Einkäufe fertig zu bringen. Bis am späten Nachmittag handelten, feilschten und kauften wir in der Stadt, und selbst abends knapp vor der Abreise war des Geschäftes kein Ende, da uns Händler mit Spitzen und namentlich mit seidenen Geweben noch auf Scha-mien aufsuchten.

Als uns der Himmel nachmittags einen freundlichen Sonnenstrahl gönnte, fuhren wir nach dem an einem Seitenarm des Perlflusses gelegenen Kollegium, welches der letzte Gouverneur zur Pflege höherer chinesischer Wissenschaft hatte erbauen lassen. Die Gründung besteht aus zahlreichen, tempelartig aufeinanderfolgenden Gebäuden, die durch Hallen und Gänge verbunden sind und große Prüfungs-, Lehr- und Konferenzsäle umfassen, deren Wände Sprüche aus den Schriften der Weisen bedecken; eine Flucht von Räumen dient zur Aufnahme von Studierenden.

Nicht weit von diesem Kollegium breitet sich ein Dorf, eigentlich eine Vorstadt Kantons, mit großen Anstalten für die künstliche Erbrütung von Enten aus. In niedrigen Räumen werden hier die Enteneier, schichtenweise in Körben, die mit Papier ausgefüllt sind, übereinandergelagert, durch ungefähr drei Wochen einer ziemlich hohen, gleichmäßigen Temperatur ausgesetzt. Nach Ablauf dieser Frist ist das Piepsen des Jungen im Ei hörbar, — hievon habe ich mich selbst überzeugt — und bald darauf durchbricht das Entchen die Hülle, um erstaunt in die Welt zu blicken, sich dann aber, ins nasse Element versetzt, darin sofort heimisch zu fühlen. Dem chinesischen Gaumen sagen merkwürdigerweise angebrütete Eier und eben ausgekrochene Küklein besonders zu, so dass Brutanstalten recht gute Geschäfte machen; unser eingeborener Cicerone trug hiezu bei, indem er gelegentlich des Besuches einige angebrütete Eier zum Souper erwarb.

Wie mir Mr. Drew im Verlauf des Abschieds-Diners erzählte, waren an ihn während meines Aufenthaltes in Kanton von Chinesen mancherlei Fragen über den fremden Prinzen gerichtet worden. Bei den Verhören, welche Mr. Drew um meinetwillen zu bestehen hatte, äußerten die Wissbegierigen meist das Verlangen, zu erfahren, wie viel Frauen ich wohl besäße, und gingen, als die Aufklärung zuteil wurde, dass ich kein teueres Weib mein eigen nenne, kopfschüttelnd und ungläubig von dannen.

Wir nahmen recht herzlichen Abschied von unseren Gastfreunden, deren Bemühungen ich es danke, dass der Aufenthalt in Kanton sich so überaus befriedigend gestaltet hat, und schifften uns auf dem „Tschuen-tiao“ ein, um bei herrlichstem Vollmond — dem besten Feuerwerker auch in China — stromabwärts gegen Macao zu steuern. Von magischem Licht übergossen lag die Landschaft vor uns, die wir auf dem zitternden, glitzernden Tschu-kiang dahinschwammen, und lange genoss ich auf dem Deck das schöne Schauspiel sowie die Wonne, frische Luft atmen zu können.

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  • Ort: Kanton
  • ANNO – am 26.07.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater ein Ballet „Die goldene Märchenwelt“ aufführt.

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