Jodhpur, 28. Februar 1893

Nächst Adschmir berührt die Bahnstrecke die Ausläufer des Arawali-Gebirges, welches die westliche Grenze des gewaltigen Stromgebietes des Ganges bildet. Aus Schiefern, Quarzen und Gneiß bestehend, ist das Arawali-Gebirge geologisch durch seine Faltung, geographisch durch seine Rolle als Scheidewand zwischen Ost-Radschputana und dem schon zum Gebiet der Wüste oder richtiger gesagt der Mulde Tharr gehörenden Flachland von Marwar bemerkenswert. Die Kette der Arawali mag in einer früheren Periode die Küste einer Meereszunge gebildet haben, in welch letzterer das Hügelland von Dschodpur eine Insel dargestellt hat. Spärlich bebaut und besiedelt, wasserarm und reich an Sand, weist jener Teil West-Radschputanas, den wir durchfuhren, anscheinend denselben landschaftlichen Charakter auf, wie die Gegend von Alwar. Täler in der Breite von 16 bis 24 km erschienen von Hügelketten eingefasst; bebautes Land wechselt mit ausgedehnten Heideflächen ab, die dort, wo süßes Wasser und Strauchwerk Tränke und Deckung bieten, ganzen Rudeln von Wildschweinen, sowie Gazellen und Black-bucks Aufenthalt gewähren.

Schon aus weiter Ferne blickten uns über die kahle Ebene her die Sandsteinhügel, der hoch aufragende Burgberg, das Fort und einzelne Paläste von Dschodpur entgegen. Um 9 morgens lief unser Zug in den Bahnhof ein.

Auf dem Perron empfingen mich Dschaswant Singh Bahädur, der Maharadscha von Dschodpur oder, wie sein Reich auch genannt wird, von Marwar, der britische Resident Colonel Abbott und die Würdenträger des mächtigen Radschputenfürsten. Alle trugen ihre so kleidsamen Nationalcostüme; das Gewand des Maharadschas war mit den kostbarsten Smaragden und Rubinen geschmückt. Der Empfang war in jeder Beziehung glänzend. Außerhalb des Bahnhofes harrte eine große Volksmenge, während Truppen Spalier bildeten. Diese sowie die uns begleitende Eskorte waren von dem Kavallerieregiment. welches der Maharadscha der englischen Regierung stellt. Auch reich  geschmückte Elephanten, mit kostbaren goldgestickten Decken versehen, und der Marstall waren en pleine parade ausgerückt. Das Kavallerieregiment sieht ausnehmend gut aus und ist weitaus das schönste, welches ich bisher in Indien gesehen; durchwegs aus gut gewachsenen Leuten rekrutiert und mit vorzüglichen, größtenteils einheimischen Pferden beritten gemacht. Die Adjustierung besteht aus weißem Rock mit lachsrotem Gürtel und weißen Hosen, lichtgrauem Turban mit kleiner silberner Aigrette; die Bewaffnung aus Lanze mit Fähnlein und Karabiner – ein malerischer Anblick.

Die Konversation mit dem Maharadscha, der etwa 50 Jahre zählen dürfte, struppigen, schwarzen Vollbart trägt und ernst in die Welt blickt, ging etwas schwerfällig vonstatten, da Crawford jedes Wort in die Hindustani-Sprache übersetzen musste.

Der Radschputenstaat Marwar oder Dschodpur, den angeblich Rao Siadschi, ein Enkel Maharadscha Dschaj Tschands, Königs des am rechten Gangesufer gelegenen Reiches von Kanodsch (Kanauj). im Jahre 1211 n. Chr. gegründet, hat sich seit jeher durch die Tapferkeit seiner Fürsten und Krieger hervorgetan.

In der Reihe der Fürsten von Dschodpur erscheinen besonders bemerkenswert: Rao Dschodha, der Stifter der neuen, nach ihm benannten Hauptstadt Dschodpur (1459); Rao Maldeo, unter dessen Herrschaft der Großmogul Akbar Marwar mit Krieg überzog (1561). Rao Maldeos Sohn, Tschander Sen, bot dem Großmogul 17 Jahre lang die Spitze; Rao Ude Singh, dem vom Großmogul der Titel Mota Radscha und neuer Länderbesitz verliehen worden ist; Sur Singh (gestorben 1620) und Gadsch Singh, dessen Sohn (gestorben 1638), genannt Dalthamban, »die Abwehr des Feindes«, beide große Krieger; der ebenso gelehrte als streitbare, im Jahre 1638 zur Regierung gelangte Dschaswant Singh, dessen Macht selbst ein Aurengzeb fürchten gelernt hatte, und endlich Takat Singh (gestorben 1873), ein Seitenspross des regierenden Hauses, der während des Aufstandes vom Jahre 1837 auf der Seite Englands stand. Der Sohn Takat Singhs ist der jetzt regierende Maharadscha, unter dessen Machtgebot Dschodpur, das, von kleinen Trübungen abgesehen, seit dem im Jahre 1803 mit England abgeschlossenen Friedensvertrage der britischen Krone treu anhängt, modernen Reformen unterzogen wurde und neuer friedlicher Blüte entgegenreift.

Wir sahen sonach in Dschaswant Singh den Abkömmling der Rathor, eines Hauptstammes der alt-arischen Sonnendynastie, einen Urenkel der Sonnenkönige, deren Taten das Nationalepos Ramayana verherrlicht, deren Städte und Residenzen in altersgrauer Zeit das Zwischenstromland des Ganges und der Dschamna erfüllt haben. Die nicht eben zahlreichen Radschputen sind edlen Stammes und nicht bloß im Volk, sondern selbst durch englische genealogische Werke als Nachkommen der glorreichen Geschlechter der uralten Sonnenkönige beglaubigt.

Das Haus Dschaswant Singhs gehört zu den durch Macht und Ansehen blühenden Herrscherhäusern Radschputanas und ist in der Lage, sich wahrhaft königlichen Blutes zu berühmen. Gleichwohl sollen zwischen Mitgliedern dieses Hauses und solchen der großmogulischen Dynastie abgeschlossene Ehebündnisse wiederholt zu erbitterten Streitigkeiten und Kriegen zwischen Dschodpur und Udaipur geführt haben, da die in Udaipur regierende Familie, auf ihre reinblütige Abstammung stolz, jede Verbindung mit der dem Hause der Großmoguln versippten Dschodpurer Dynastie als Missheirat betrachtete. Dieser Zwist vermochte schließlich nur unter der Bedingung geschlichtet zu werden, dass die den Ehen mit Prinzessinnen aus dem Hause Udaipur entstammenden Söhne der Fürsten von Dschodpur in der Erbfolge den Vorrang eingeräumt erhielten.

Der Staat Dschodpur umfasst rund 95.000 km mit etwa drei Millionen Einwohnern, worunter 86 Prozent Hindus, deren Mehrzahl auf Radschputen entfällt, 10 Prozent Dschainas und 4 Prozent Mohammedaner. Getreide, Opium, etwas Baumwolle, Tabak und Zuckerrohr, Obst, Vieh, Häute und Wolle, Marmorwaren aus Makräna, sowie Salz bilden die Hauptprodukte des Landes. Großartige Salzlager finden sich als Auswitterung auf dem Boden jener Mulde, welche zur Regenzeit den 480 km2 umfassenden Sambar-See bildet. Die Ausbeutung dieses Lagers, welches im Jahre durchschnittlich 300.000 englische Tonnen Speisesalz liefert, ist im Jahre 1870 seitens der Uferfürsten von Dschodpur und Dschaipur als Hoheitsrecht der englischen Regierung abgetreten worden, welche den Betrieb und Verschleiß dieses größten aller indischen Salzwerke rationell eingerichtet hat.

Abgesehen von den irregulären Truppen zählt die Armee 256 Mann Artillerie mit 75 brauchbaren Kanonen, 3162 Reiter zu Pferde und auf Kamelen und 3653 Mann Infanterie. Nebstbei hält der Maharadscha ein Regiment von 600 Mann zu Pferd zur Verfügung der englischen Regierung — vielleicht die best berittene und adjustierte der Imperial Service Troops in Indien, der unter Aufsicht der englischen Regierung stehenden Kontingente indischer Fürsten.

Neben dem Galawagen ritt rechts der Bruder des Maharadschas, der Maharadsch Adhiradsch Colonel Sir Pratap Singh, der allmächtige Reformator von Dschodpur, der eine Reihe von Würden in seiner Person vereint. Er steht als erster Minister (Awal Musahib) an der Spitze der Verwaltung und kommandiert nebstbei sämtliche Truppen seines Bruders, dessen Ratgeber er in allen Angelegenheiten ist. Ein energisches, ausdrucksvolles Gesicht bekundet die Fähigkeit dieses Reichskanzlers und Generalissimus von Dschodpur zu allen seinen Ämtern. Er ritt ein schönes englisches Vollblutpferd, das er bei Gelegenheit des Jubiläums der Königin in England gekauft hatte. Zur Linken des Wagens ritt Hardschi Singh, ein Adjutant des Mahäradschas, ein selten schön gewachsener junger Mann, der sich in allen Sports ganz besonders hervorthut und namentlich beim Polospiel und Pigsticking, als echter Radschpute Schneidigkeit und Ausdauer betätigend, in seinen Leistungen unerreicht sein soll. Zum Reiter geboren, macht er im Sattel eine brillante Figur, hat einen beneidenswerten Sitz und scheint mit seinem Pferde verwachsen.
In einer Art Gartenanlage, Paota Bäg, unweit von Rai-ka Bäg, dem im Osten der Stadt gelegenen Sitze des Maharadschas, war für uns mit indischer Pracht und Raumverschwendung ein Zeltlager errichtet worden, das, ebenso wie die bisher bewohnten, eine kleine Stadt für sich bildete. In meiner mit wertvollen Teppichen ganz ausgelegten Behausung fand ich eine Anzahl Genfer Spieluhren und Werkes, die ein Gegenstand besonderer Vorliebe des Maharadschas zu sein scheinen. Vor dem Zeltlager dehnte sich eine parkähnliche mit Springbrunnen, Marmorstatuen und schattigen Bäumen gezierte Avenue aus; überall standen Wagen, Reitpferde, ja sogar Bicycles zu unserer Verfügung; ganze Züge von Kamelen schleppten ununterbrochen in großen Schläuchen Wasser herbei, um das Löschen des lästigen Staubes zu ermöglichen.

Eine halbe Stunde nach meiner Ankunft erschien der Maharadscha in glanzvollem Aufzug, umgeben von Würdenträgern und Leibwachen, um mir seine offizielle Visite zu machen, die in landesüblicher Weise verlief. Er und ich auf zwei Thronsesseln; rechts von uns die europäische, links die indische Suite; einige verdolmetschte Phrasen als Bindemittel. In einer Kunstpause stand der englische Resident auf und stellte mir die indischen Hofchargen vor, worauf ich dem Maharadscha Attar und Pan überreichte, ihn mit Blumen bekränzen und ihm einen Tropfen des so bösen Sandel- und Rosenöles in das Sacktuch geben musste. Offizielle Besuche sind in der Regel die einzige Gelegenheit, bei welcher sich die Inder des letztgenannten Kulturgegenstandes bedienen, da ihnen sonst einfachere Mittel genügen.

Der Visite musste selbstverständlich sofort der Gegenbesuch folgen, weshalb ich, nachdem zwei eingeborene Herren mich abgeholt hatten, unter dem unausgesetzt salutierenden Donner der Batterien an dem Justizpalast, einem großen, vor kurzem erst vollendeten Gebäude in indischem Stile, vorbei in die Residenz des Maharadschas fuhr.

Dieser Palast stellt sich als ein eigentümlicher, runder Bau mit ebenfalls runden, vorgebauten Türmen dar, welcher einem großen Glashaus oder einem Ausstellungspavillon ähnelt. Der grellweiße Anstrich blendet durch Reflektierung des Sonnenlichtes das Auge. Im Souterrain liegen offene Galerien für Pferde. Auf einer sehr steilen, steinernen, stufenlosen Rampe, welche direkt in das erste Stockwerk führt, empfing mich Freund Dschaswant Singh, während seine Truppen im Hofe präsentierten und eine Regimentskapelle unsere Hymne als Schnellpolka spielte. Der erste Stock des Palais besteht bloß aus einem runden Empfangszimmer mit kleinen Nebenzimmern, die mit wenig geschmackvollen europäischen Bildern und Nippsachen angefüllt sind. Die Gegenvisite unterschied sich vom Besuch des Maharadschas nur dadurch, dass jetzt ich der leidende Teil war, indem ich mit Sandelöl bedacht wurde und Betel kaute, den ich zum ersten Mal, auf die Gefahr hin, rote Zähne zu bekommen, versuchte. Ich fand ihn ungemein scharf und herb schmeckend, sowie Durst erzeugend.

Unter allen Bewohnern Indiens, die ich bisher gesehen, gefielen mir am besten die Radschputen, von welchen freilich nur relativ wenige eine reinblütige Abstammung aufzuweisen vermögen, wogegen jeder andere Hindu, der zu Reichtum und Ansehen gelangt, bemüht ist, seinen Glanz durch einen apokryphen Radschputen-Stammbaum zu erhöhen. Die Männer sind groß, kräftig, schlank, mit schwarzen Schnurr- und Vollbärten, die sie in ganz origineller Weise nach aufwärts bürsten, ja sogar um die Ohren winden. Sie haben in vorteilhafter Abweichung von den übrigen, zumeist schlappen und lässigen Hindus ein martialisches, echt soldatisches Aussehen, das auf den ersten Blick auffällt und wohl von ihrer jahrhundertelangen kriegerischen Beschäftigung herrührt. Stets haben die verschiedenen Fürsten und Stämme, ja sogar benachbarte Dörfer untereinander in wilder Fehde gelebt; stets gab es Krieg, Raubzüge und blutige Unternehmungen. Noch heutzutage, wo kaum noch zehntausend echte Radschputen in der englischen Sipoi-Armee dienen. trägt jeder männliche Radschpute sein scharf geschliffenes Schwert: ja sogar die Kutscher auf dem Bock sind mit Schwertern umgürtet. Auch der Charakter des Landes zeugt von den Kämpfen früherer Zeiten, indem jede Stadt, jeder kleine Ort, jeder Palast auf das sinnreichste mit Mauern, Wällen und Bastionen befestigt ist. Auf zahlreichen Bergen sieht man noch Ringmauern und Auslugtürme sowie die kleinen Burgen, welche von den einzelnen Fürsten gegen die Einfälle ihrer unruhigen Nachbarn errichtet worden sind.

Mit den kriegerischen Eigenschaften der Radschputen steht offenbar im Zusammenhange, dass diese vorzügliche Reiter sind. Nirgends sah ich so gewandte Naturreiter, so gute und besonders gut gehaltene Pferde, als in Dschodpur. In den jetzigen friedlichen Zeiten widmen sich die Radschputen dem Reitsporte und zeichnen sich namentlich im Pigsticking, sowie im Polo aus, worin sie durch ihre Geschicklichkeii zu Pferde alle Engländer schlagen. Tonangebend sind in Sachen des Reitsportes Sir Pratap Singh und Hardschi Singh, sowie Major Beatson, ein liebenswürdiger und tüchtiger Offizier, der sich den einheimischen Sitten und Passionen assimiliert hat, mit den Eingeborenen reitet, jagt und unter ihnen besonderes Ansehen und Vertrauen genießt. Er wurde vor drei Jahren nach Dschodpur gesandt, um die Imperial Service Troops dieses Staates zu organisieren. Major Beatson erzählte mir, dass es ihm wahre Freude gemacht habe, mit den Dschodpurern zu arbeiten; sie hätten ihm viel guten Willen entgegengebracht und so sei es ein Leichtes gewesen, eine vorzügliche Truppe zusammenzustellen.

Der Rest des Tages gehörte der Besichtigung der Stadt und ihrer Sehenswürdigkeiten. Erstere, etwa 60.000 Einwohner zählend, am Südfuß der Hügelkette gelegen, die sich hier aus der Ebene erhebt, ist von langen, durch sieben Tore unterbrochenen Mauern umgeben. Zunächst lenkte ich meine Schritte in den Bazar, jenen Ort der indischen Städte, der das Volksleben in seiner Ursprünglichkeit zeigt und dem ethnographischen Sammler reiche Ernte bietet.

Dschodpur ist bemerkenswert als Sitz reich entwickelter kommerzieller Tätigkeit, welcher ein ansehnlicher Teil der Einwohnerschaft obliegt, wie denn überhaupt ein beträchtlicher Bruchteil der Bevölkerung Indiens im Betriebe verschiedener Handelszweige seinen Erwerb sucht.

Dem Handel in allen seinen Formen, vom Tausche der Feldprodukte gegen kurze Waren angefangen bis hinauf zur Spekulation in Weltartikeln und Eisenbahnaktien, Hypotheken und Wechselbriefen, ist die Tätigkeit von etwa zehn Millionen Indern, welche verschiedenen Rassen, Kasten und Konfessionen angehören, gewidmet. Die Kaufleute, welche Warenhandel en gros und Geldgeschäfte betreiben, seit alter Zeit Mahädschan, »große Leute«, genannt, sind, ebenso wie die Krämer, Händler, Marktfahrer, Hausierer, nach dem Prinzip, jeden Erwerbszweig in Kasten zusammenzuschließen, in Gilden und Zünften vereinigt. Der Einfluss dieser auf dem Gebiete des Verkehrs ist so maßgebend, dass ihnen in den Hauptemporien Indiens selbst europäische Firmen beizutreten pflegen.

Im Rang auf die Brahmanen und die Radschputen, die Adeligen, folgend, spielen die Banquiers (Parikh), ferner die Großhändler (Rakam betschnewälä) und Wechsler (Sarräf) in den Städten eine ebenso wichtige Rolle, wie die Kleinhändler (Chürdafarösch), die Aufkäufer, die Dorfkrämer und Darleiher auf dem flachen Lande. Die Könige des indischen Handels sind die Parsi-Kaufherren, deren Wechsel wie im anglo-indischen Reiche, so auch auf dem Londoner Platze und in den chinesischen Häfen Respekt einflößen. Für den Reichtum und die Munificenz dieser Parsis sprechen zahlreiche öffentliche Bauten und Stiftungen. Die zahlreichste aller Handelskasten ist jene der Baniyas, die vornehmlich Export treibt. Die originellsten Figuren weisen die Bandscharis auf, eine Art von Frachtführern, die, wohlbewaffnet und tapfer, mit Ochsenkarawanen durch das Land streifen.

Durch die Wüste Tharr, an deren Rand die blühendsten Radschputenstädte liegen, ziehen von Afghanistan, Herat, Kabul, Ghasna, Kandahar und von dem belutschistanischen Kelat her Handelskarawanen den lockenden, reichen Stromländern Hindustans zu, die Waren, die Tragthiere, die Weiber eifrig bewachend; in den Sandhügeln nach Brunnen, Strauchwerk und Steppengras ausspähend; rastend, wo die Bauern der spärlichen Dörfer süßes Wasser zur Benetzung der Gärten, zum Trank der Menschen und der Herden erbohrt haben. Hyänen und Steppenwölfe durchstreifen die Steppen des Tharr; gefährlicher aber als diese Raubtiere erscheinen den Karawanen und den Herden auf der Weide die radschputischen Raubritter, die hier, in kleinen, steinernen Burgen hausend, mit ihren Mannen den Marktfahrern und Hirten auflauern, um sie zu plündern.

Welche Entwicklung der Handelsgeist in Marwar seit altersher genommen, zeigt der auf Marwar (Dschodpur) zurückleitende Gesamtname der Händler aus dem Nordwesten Indiens: Marwari. Heute jedoch hat Marwar seine Bedeutung als Brennpunkt der Handelstätigkeit Nordwestindiens längst eingebüßt. Dagegen genießt das benachbarte Adschmir mit seinen meist der Dschaina-Sekte angehörenden Kaufleuten und seinen berühmten Bazarpalästen den Ruf, der Hauptgeldmarkt von Radschputana zu sein.

Gleichwohl herrscht im Dschodpurer Bazar auch jetzt noch lebhaftes Treiben der Käufer und Verkäufer, welch letztere nach Kategorien in den einzelnen Teilen des Bazars oder, richtiger gesagt, in eigenen Bazars vereinigt sind. Wir durchschritten den außerhalb des Stadttores gelegenen Bazar der Schuster und Gerber, welche, der niedersten Kaste angehörend, für unrein gelten, da sie die Häute geheiligter Tiere verarbeiten; ferner den Bazar für Metallwaren, jenen der Geldwechsler, der Händler mit Lebensmitteln u. s. w.

Im Innern der Stadt hatte ich vielfach Gelegenheit, an den Fronten der steinernen Häuser die reiche Ornamentik, sowie die schönen, mit Metall verzierten Tore zu bewundern. Fast jedes Haus erscheint als ein Kunstwerk. Verschiedene größere Paläste reicher Radschputen fallen durch ihre beinahe überreiche Ausschmückung und die in bedeutenden Dimensionen gehaltenen, aus Stein gemeißelten Elephanten mit Mahaut und Häuda auf, die rechts und links vom Eingangstore angebracht sind. Viele Tage könnte man verwenden, um all die originellen und interessanten Formen der Häuser zu betrachten und dem Gedächtnisse einzuprägen.
Meine Wanderung führte mich im Geleite einer johlenden und schreienden Menge auch in eine Seitengasse, in der uns ein Eingeborener herbeiwinkte, um uns einen merkwürdigen, alten Brunnen zu zeigen, welcher in drei übereinander liegenden, aus Säulen geformten Etagen abgebaut ist, und zu dessen Wasserspiegel beiläufig fünfzig Stufen führen. Das Wasser schien schlecht und faul zu sein, was jedoch eine Anzahl Hindu-Weiber nicht verhinderte, in sehr luftigem Kostüm im Brunnen zu baden und Wäsche zu waschen. In dieser Beschäftigung durch unsere Ankunft aufgeschreckt, mussten diese Najaden von Dschodpur zu dem Schaden, in ihrer Behaglichkeit und Arbeit gestört worden zu sein, obendrein das spöttische Gelächter der Menge, die uns an den Brunnen begleitet hatte, mit in den Kauf nehmen.

Ein Merkmal Dschodpurs ist die geringe Anzahl religiöser Bauwerke. Außer einigen größeren Tempeln, unter welchen der die Hochschule Telaiti-ka-mahal enthaltende Erwähnung verdient, sieht man nur hin und wieder kleine, dem Elephantengott geweihte Hauskapellen. Der Grund dieser Erscheinung liegt in dem Charakter der Radschputen, die, obgleich gläubigen Sinnes, dem überwuchernden Einflusse der Brahmanen Widerstand leisten und infolge dessen nicht allzuviel Wert auf die Errichtung und Erhaltung von Tempeln legen.

Hierin werden die Dschodpurer von dem jetzigen Minister Maharadsch Sir Pratap Singh unterstützt, welcher das schwindelhafte Treiben der Brahmanen, die es auf Ausbeutung der Gläubigen abgesehen haben, einzuschränken bestrebt ist.

Sir Pratap Singh, ein weitgereister Mann, der auch unsere Kaiserstadt kennt und wiederholt in freudiger Erinnerung zu schildern wusste, zeichnet sich überhaupt durch Menschenkenntnis, klaren Blick und praktischen Sinn aus. Ihm allein ist es zu verdanken, dass der Prunk bei Hochzeitsfesten, die vormals oft tagelang andauerten und durch ihre immer kostspielige, ja oft geradezu ruinöse Ausgestaltung selbst wohlhabende Familien an den Bettelstab brachten, kurzweg durch staatliche Verbote abgestellt worden ist, und dass die Eheschließungen in Dschodpur auf die einfachsten Formen reduziert erscheinen. Bei der Durchführung dieser Reform ist Sir Pratap Singh selbst mit gutem Beispiel vorangegangen, indem er anlässlich der Vermählung seiner Tochter die Abhaltung jedweder Festlichkeit verbot, am Hochzeitstag ohne weitere Zeremonien die Brautleute niederknien ließ, ihnen selbst seinen Segen erteilte und sie für Mann und Frau erklärte. Dieses gewiss einfach zu nennende Verfahren hat als drastisches Exempel für die Bevölkerung im Vereine mit der Erlassung des genannten Verbotes zur Folge gehabt, dass die verschwenderischen, überdies oft rohen, traditionellen Hochzeitsfeste in Dschodpur ihr Ende gefunden haben.

Durch verschiedene Gässchen, in denen fast überall neugierige Gesichter aus den Häusern auf uns lugten, kamen wir an dem Fuß des Berges, auf dem, stolz die Stadt überragend, das Fort mit seinen Türmen, Mauern und Palästen liegt. Majestätisch erhebt es sich, eine schier unbezwingliche Burg, mit 100 m hohen Mauern und starken Türmen, auf einem Felskegel, dessen Nordseite eine senkrecht zur Ebene abfallende Klippenwand bildet. Ein steiler, gepflasterter, von Toren beschirmter Weg führt hart an den Abstürzen der Felswände in vielfachen Krümmungen im Zickzack zum Fort hinan. Jedes der Tore dieses Aufstieges bietet Unterkunftsräume für die Wachposten und ist mit altertümlichen Feuerwaffen armiert; einige der Außentore sind wie in Gwalior mit Eisenspitzen beschlagen, welche auch hier den Zweck haben, im Falle einer Belagerung des Forts den Ansturm von Elephanten abzuwehren.

Wie mein Begleiter, Major Beatson, ein gründlicher Kenner der Geschichte Dschodpurs, erzählte, hatten in einem der früheren, so häufigen Kriege die Angreifer des Forts dieser Eisenspitzen wegen es vergeblich versucht, eines jener Wegtore einzurennen. Endlich habe eine Anzahl tollkühner Radschputen, um dieses Hindernis zu überwinden, ihren Rossen die Augen verbunden, und das Tor, mit voller Wucht wider die unteren, von Eisenzähnen freien Planken desselben anreitend, eingerannt, mochte auch Ross und Reiter zerschmettert in die Bresche stürzen.

An den Wandmauern des obersten der Tore, durch das man direkt in das Innere des Forts gelangt, sind die Abdrücke von schmalen Frauenhänden sichtbar. Diese mit Gold- und Silberfarbe überzogenen Handzeichen gemahnen an ein trübes Kapitel der Sittengeschichte Indiens, an die Sati oder Witwenverbrennung, welch ungeheuerlicher Gebrauch auf den freiwilligen Feuertod Satis, der Enkelin Brahmas, zurückgeführt wird und den orthodoxen Hindus noch heute so heilig ist, dass ungeachtet aller Bemühungen der englischen Behörden, welche die Beförderer der Sati als Mörder bestrafen, vor nicht allzu langer Zeit noch Fälle von Witwenverbrennungen vorgekommen sind. Hier in der Burg von Dschodpur nun legte jede Witwe eines Maharadschas, ehe sie den Scheiterhaufen bestieg, eine ihrer vorher roth gefärbten Hände an die weißgetünchte Wand. Diese einzigen Spuren des irdischen Daseins der durch das Feuer vernichteten weiblichen Wesen wurden als Merkmale ehelicher Treue bewahrt und zum Zeichen der größten Verehrung mit Gold und Silber verziert. Welche entsetzliche Todesangst musste diese unseligen Opfer fanatischer Verblendung auf ihrem letzten Gange erfüllen; welche Qualen mögen die jugendfrohen Herzen der armen Frauen durchtobt haben, .angesichts des lodernden, von einer tosenden Menge umgebenen Scheiterhaufens, dessen Flammenglut sie so grausam ergreifen und in ein Häuflein toter Asche verwandeln sollte! ….
Nächst dem Toreingang war eine Wache, aus Artilleristen bestehend, aufgestellt. Von hier ging es zwischen hohen Mauerwänden fort, zunächst zu dem Palaste, welchen seit den Zeiten Rao Dschodhas, des Gründers des Forts (1459), bis auf Takat Singh (gestorben 1873) herab die Maharadschas bewohnt haben. Die Außenseite dieses aus Sandstein erbauten Gebäudes ist mit reicher Ornamentik geschmückt, deren zarte Muster mich lebhaft an den Mauerschmuck der Bauten in Agra erinnerten. Das Innere des Palastes birgt reiche Schätze, kostbare Waffen, Juwelen und Geschmeide.

Wiewohl die Waffensammlung in einem düsteren Raume aufgestellt ist, vermochten wir dennoch einen allgemeinen Überblick über die ebenso reichhaltige als interessante Kollektion zu gewinnen. Nächst der Eingangspforte fallen dem Beschauer dieser bewundernswerten Rüstkammer seltsam geformte Lanzen und schöne, aus Elfenbein oder Muschelschalen geschnitzte Pulverhörner auf; weiterhin enthalten mehrere Schränke Prachtexemplare der so charakteristischen Radschputenschwerter, vorzügliche Damaszener Klingen, die reich mit Gold eingelegt sind, sowie Messer und Dolche mit schönen Steingriffen. Eine komplette vergoldete Rüstung erinnert in Bau und Zeichnung an altpersische Stücke dieser Art.

Das Wertvollste in der Waffenhalle sind die Gewehre, welche uns die Entwicklung des Schießwesens in den Radschputana-Staaten von den ältesten Zeiten an bis zum heutigen Tage veranschaulichen. Luntengewehre primitivster Form mit schmalen, kurzen Schäften stellen die ersten Feuergewehre dar; daran reihen sich Flinten mit Feuersteinschlössern und eigentümlichen, halbmondförmig gebogenen Schäften, deren Form mir ganz neu war. Die von den Maharadschas zu Jagdzwecken verwendeten Gewehre sind über und über, insbesondere an den Läufen und Schlössern, mit den reichsten Goldzieraten bedeckt; vom kleinsten Carabiner an bis zu langen Entenflinten sind alle Größen, alle Arten indischer Feuergewehre vertreten. Unter den neueren Jagdgewehren finden sich hier auch manche europäischen Ursprunges, die, obgleich mit wahrhaft orientalischer Verschwendung ausgestattet, bei Londoner oder Suhler Büchsenmachern erzeugt worden sind. Endlich gibt es hier noch Schilde, Speere, Lanzen und eigentümlich gestaltete Totschläger.

Bewundernswert ist der Inhalt der unter sicherer Obhut befindlichen Schatzkammer. Die Fülle der hier angehäuften Kostbarkeiten findet ihre Erklärung darin, dass die Mahärädschas von Dschodpur, wiewohl ein nur kleines Reich beherrschend, unter den Großmoguln Akbar, Dschehangir, Aurengzeb Kriegsfahrten durch halb Indien unternommen haben und vorübergehend Vizekönige von Dekhan, Mahva und Gudscherat gewesen sind. Als mächtigen Feldherren, Statthaltern und Günstlingen sind den Maharadschas theils als Kriegsbeute, theils als Ehrengeschenke Schätze zugefallen, die jedem Kaiserpalaste zur Zierde gereichen würden. Der Wert der Edelsteine, Juwelen und Perlen im Schatzhaus von Dschodpur dürfte viele Millionen betragen, doch ist genaues darüber nicht bekannt, da der abergläubische Sinn der Radschputen eine deren Ansicht nach Unglück bringende Abschätzung verwehrt. Ein einziges Collier aus Smaragden und Perlen mit Diamanttropfen in der Größe von Taubeneiern, welches der Sohn des Maharadschas bei meinem Empfange getragen hatte, mag 400.000 bis 500.000 Gulden wert sein. Solcher Colliers liegt aber in den Vitrinen der Schatzkammer wohl ein ganzes Dutzend. Daneben funkelt eine Reihe von Diademen, deren eines, mit den prachtvollsten Diamanten und Rubinen verziert, ganz besonders auffällt. Weiterhin sind sechs Vitrinen angefüllt mit den schonsten, kostbarsten Agraffen, Bracelets, Brechen. Ringen und Geschmeiden anderer Art. Durch Glanz, Feuer, Farbe, reines Wasser, kurz alle Vorzüge ausgezeichnet, gewinnen die hier bewahrten Edelsteine noch an Wert und Schönheit durch die geschmackvolle Fassung. Schilde, Tafelgeschirr und Aufsätze aus purem Gold, Prachtstücke der Emailindustrie Dschaipurs, Prunkgeschirre aus getriebenem Silber für Pferde und Elephanten, silberne und goldene Zeltstangen vervollständigen den blendenden Inhalt des Schatzhauses, dieses Wahrzeichens der Pracht und Herrlichkeit des Dschodpurer Fürstenhofes.
Die übrigen Räume des Burgpalastes, deren architektonische und ornamentale Ausgestaltung vornehmlich den Maharadschas Takat. Adschit und Abhey zu verdanken ist, boten unseren, nun schon recht anspruchsvoll gewordenen Blicken wenig Bemerkenswertes. Nur ein durchaus mit Gold und Facettenspiegelchen decoriertes Gemach, dessen Wandschmuck drastische Scenen aus der indischen Göttersage und aus dem Leben der Maharadschas bilden, verdient hier Erwähnung. Einen wahren Genuss bot mir die Rundsicht von dem flachen Dache des Palastes über Dschodpur und das umliegende Land. Gegen Süden und Osten erblickt man scharfgegliederte, kahle, mit Mauern und Burgen gekrönte Hügelketten; gegen Norden und Westen aber breitet sich die Ebene des Tharrgebietes aus, in deren gelbschimmerndem Bereiche von blauem Duft überhauchte Felskegel gleich großen .Maulwurfshügeln hervorleuchten. Uns zu Füßen, rings um den jäh abfallenden Schlossberg, liegt die Stadt Dschodpur.

Das Bild, welches sich hier dem Blick darbietet, ist fesselnd und eigenartig. Vermissen wir auch die grandiosen Linien, die kühnen Profile, den Farbenschmelz der Hochgebirgspanoramen, so wirkt, was wir sehen, dennoch mächtig auf uns ein durch den Reiz der unermesslichen Fläche und ihrer stimmungsvollen Färbung. Gelb in Gelb gemalt, durchsetzt von leuchtenden Punkten, zieht sich melancholisch die Ebene hin, soweit nur das menschliche Auge reicht.

Wir überblicken Dschodpurs Straßen und Häuser und den steinernen, mit Bastionen besetzten Mauergürtel, welcher die Stadt umschließt. Als Hauptbollwerk aber thront inmitten Dschodpurs gleich einem Adlerhorst das Fort auf dem Burgberg, welchem gegenüber, noch innerhalb der Außenmauer der Stadt, im Norden des Forts eine hohe Felskuppe aufragt, die in den Fortifikationsrayon einbezogen wurde, da von ihr aus einst das Fort beschossen und beschädigt worden ist. Dessen eingedenk und der Besorgnis voll, es könnte eines Tages von jener Felskuppe her das Fort neuerdings, zumal mit modernen, weittragenden Geschützen bedroht werden, hat der jetzt regierende Maharadscha vor kurzem den Befehl ertheilt, diese Kuppe abzutragen, und war zur Zeit unserer Anwesenheit in Dschodpur an die Durchführung dieser gigantischen Aufgabe bereits Hand angelegt worden. Um das Fort jedoch völlig zu sichern, wird an dessen Nordseite eine Batterie errichtet, von welcher aus der Rayon vollständig bestrichen werden kann.

Zwischen der Kuppe und dem Burgberg liegt ein kleines, einsames Tal, in dem eine große Zahl schmuckloser Grabdenkmale sichtbar ist — es sind dies die Ruhestätten tapferer Krieger, die bei einer der Belagerungen des Forts den Tod gefunden haben und, ob Freund, ob Feind, hier beigesetzt wurden. Der Streit, welcher diesen Mannen das Leben gekostet, war ein »Wasserkrieg«, entbrannt um den Besitz des Teiches, der, in jenem Thale gelegen, bei der Spärlichkeit der Wasseradern im Gebiete von Dschodpur wert genug erschien, Blut zu vergießen, um Wasser zu gewinnen.

Militärische Reminiszenzen weckt auch die Hauptbatterie des Forts, auf einem schmalen Felsrücken gelegen, der seiner Form wegen der »Pfauenschweif« (Mordhadsch) genannt wird; denn hier, auf der Plattform der Hauptbatterie liegen unter freiem Himmel allerlei wunderliche Geschütze aus Ahmedabad, Ghasipur und anderwärts herstammend. Jedes der Geschütze hat ein anderes Kaliber, ein Umstand, der ihre Bedienung recht erschweren muss. Gemeinsam ist ihnen nur der »schöne« pechschwarze Anstrich. Auch eine Art Mitrailleuse oder Höllenmaschine, die jedoch einer friedlichen Säemaschine sehr ähnlich sah, wurde uns hier produciert, doch versicherte mir der einheimische Artillerist selbst, lächelnd, dass das Abfeuern dieses Geschützes mit Schwierigkeiten verbunden sei und weniger dem Feinde als vielmehr der Bedienungsmannschaft verderblich werden könne. Trotz alledem soll der Maharadscha nicht wenig stolz auf seine Batterie sein.

Wir vermochten von dieser Stelle aus, da die Luft ganz rein war. trotz der bedeutenden Höhe, in der wir uns befanden, das Getriebe und Gewimmel in der tief unter uns liegenden Stadt genau zu beobachten, ja selbst das allen indischen Städten eigenthümliche Geschrei und Lärmen der Bewohner Dschodpurs deutlich wahrzunehmen.

Gar stattlich sind die runden bastionartigen Vorbaue des Palastes die unterhalb seiner Fenster bis ins Tal abfallen. An einem dieser Rundpfeiler wurde mir die Stelle gezeigt, an welcher der Mahäradscha in seiner Jugend, als er noch der gestrengen Hand seiner Erzieher anvertraut war, sich nächtlicher Weile an einem Seil ins Tal hinabließ. um heimlich in die Stadt zu dringen. Zur Rückkehr in das Fort, den Palast seiner Väter, bediente sich der Prinz desselben Communicationsmittels. Angesichts der etwa 150 m betragenden Niveaudifferenz zwischen Fort und Tal, welche der junge Herr lediglich mit Hilfe des Seiles zu überwinden wusste, zollten wir der Unerschrockenheit des Kletterers alles Lob. Die Fäden, die ihn so mächtig zur Stadt gezogen, dass er ein derartiges Wagestück nicht scheute, sind wohl nicht minder stark gewesen, als das Seil, das ihn über den Abgrund hinab- und wieder emporgetragen hat.

Auf einem weniger seltsamen, dem Serpentinenwege, den wir zum Aufstiege ins Fort benützt hatten, zur Stadt niedersteigend, durchquerten wir Dschodpur und begaben uns auf den großen, vor der Stadtmauer gelegenen Wiesenplan, wo uns zu Ehren ein Polospiel stattfand. Ich war von der Geschicklichkeit, welche die einheimischen Spieler und einige in Dschodpur ansässige Engländer hiebei entwickelten, ganz entzückt. Vor allen zeichneten sich durch vorzügliche Reitkunst Hardschi Singh, der Minister Sir Pratap Singh, welcher, obwohl über fünfzig Jahre alt, sein Ross tummelte, als wäre er ein Jüngling, und Major Beatson aus.

Trotz der so scharfen Wendungen und Paraden in schnellster Gangart behandelten diese Spieler ihre Pferde nicht roh; die Führung erfolgte im Gegenteile immer mit erstaunlicher Weichheit und Geschicklichkeit. Über anderthalb Stunden wohnten wir dem fesselnden Kampfspiele bei.

Dann hieß es ins Camp zurückeilen, da sich der Maharädscha bei mir zum Gala-Diner angesagt hatte; doch speiste er, als frommer Hindu, nicht mit uns, sondern erschien erst am Schlusse der Tafel, worauf die wechselseitigen Toaste erfolgten. Hiebei wurde der Trinkspruch des Maharädschas nicht von diesem selbst, da er des Englischen nicht mächtig ist, ausgebracht, sondern an seinerstatt vom Minister Sir Pratap Singh gesprochen. Ein Dolmetsch vermittelte auch die anregende Conversation, die ich mit dem Maharädscha unterhielt, welcher sich trotz seines mürrischen Aussehens als ein freundlicher und launiger Herr erwies.

Nach dem Diner überraschte uns ein großes Nätsch-Fest, wofür ein beinahe 60 m im Durchmesser betragendes Riesenzelt gespannt worden war, in welchem die Tänzerinnen bei Fackelbeleuchtung und eintöniger Musik ihre wenig berückende Kunst zum besten gaben. Auch der übliche näselnde Gesang fehlte nicht. Der Mahärädscha erhält eine ganze Legion von Tänzerinnen, deren Schönheit aber sehr problematisch ist. Dem Alter nach sind in dem Hof-Balletcorps von Dschodpur alle Stufen vom Kinde bis zur Matrone vertreten. In einem Punkte unterscheiden sich diese Damen von den anderen Vertreterinnen der Tanzkunst in Indien, und zwar durch eine geradezu erschreckende Menge von übereinander getragenen Röcken, die ihnen das Aussehen wandelnder Glocken geben und beim Tanzen in schwingende Bewegung gerathen. Sehr komisch wirkte der Eifer eines alten Oberregisseurs oder Tanzmeisters, der jene Damen, welche sich wegen Ermüdung zurückziehen wollten, immer wieder höchst eigenhändig in den Reigen zurückstieß.

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  • Ort:  Jodhpur, Indien
  • ANNO – am 28.02.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Kriemhilde“, während das k.u.k. Hof-Operntheater „Bastien und Bastienne“ und „Freund Fritz“ aufführt.

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