Die festlichen Empfänge in Indien folgen einander; aber sie gleichen sich so wenig, wie die Städte. Jeder Empfang bietet ein neues Bild orientalischer Pracht und Originalität, in welchem charakteristische Eigentümlichkeiten des Staates oder seines Herrschers zutage treten. Auf dem Perron von Dschaipur harrten der Maharadscha Sir Mahdo Singh Bahadur, der vizekönigliche Agent von Radschputana Colonel Bradford, der Resident von Dschaipur Colonel Peacock und die Staatswürdenträger. Nach gegenseitiger Begrüßung und Vorstellung fuhren wir in Galawagen eine halbe Stunde lang durch eines der merkwürdigsten und interessantesten Spaliere.
Der Maharadscha stellt der indo-britischen Regierung keine Truppen, auch befindet sich in Dschaipur keine englische Garnison; hingegen obliegt diesem Staat im Kriegsfall die Beistellung von 400 zweiräderigen Transportwagen mit 1000 gut eingefahrenen Ponies und 666 Mann. Ein Detachement dieses Trains war nun — die Mannschaft in grünfarbiger Adjustierung — zur Bildung des Spaliers ausgerückt und dem Bahnhof zunächst aufgestellt.
Die Fußsoldaten und die Reiter des Maharadschas, welche weiterhin ebenfalls Spalier bildeten, stellten eine höchst drollige und bunte Horde dar. In den Reihen der Infanterie standen neben halbwüchsigen Jungen silberbärtige Greise; die Gewehre, teils an defekten Riemen, teils an Schnüren getragen, gehörten den urältesten, schier unglaublichen Systemen an, ja sogar Feuerstein- und Wallbüchsen waren zu sehen; die Adjustierung, welche jener europäischer Truppen nachgebildet ist, zeichnete sich, obschon größte Parade angesagt war, durch einen Zustand wahrhaft kläglicher Verlumpung aus. Die Offiziere gewährten — wenn möglich — den Anblick noch größerer Verwahrlosung als die Mannschaft; die Kommandos schienen auf die Abteilungen nur wenig Eindruck zu machen. Die Verfassung der Kavallerie war um nichts besser, das Pferdematerial klein, schlecht gewartet und das Sattelzeug von geradezu desolater Beschaffenheit. Das Aussehen der Truppen des Maharadschas verrät auf den ersten Blick, dass jener, wiewohl Radschpute, für seine Armee keinerlei Interesse hegt; dieses gehört vielmehr, wie man sagt, ganz und voll dem Harem.
Einen prachtvollen Eindruck hingegen machten das Gefolge und die Dienerschaft des Maharadschas, welch letztere, in farbenschillernder Kleidung prangend, Stöcke mit Fahnen trug, die Streifen in verschiedenen Farben aufwiesen. Auf meine Frage nach der Bedeutung dieser Farbenstreifen wurde mir der Bescheid zuteil, dass sie Siegeszeichen darstellen; so oft nämlich einer der Radschputenfürsten, welche den Moguln als Feldherren zu dienen pflegten, das Heer zum Siege geführt hatte, erhielt er vom Großmogul das Recht verliehen, zur Erinnerung an die gewonnene Schlacht Embleme und Fahnen mit besonderen, genau bestimmten Farbenstreifen zu schmücken. Dieselben stellen sonach etwas Ähnliches dar, wie gewisse Ehrenstücke der deutschen Heraldik oder die besonderen Auszeichnungen, welche die Fahnen einzelner unserer Regimenter schmücken.
Nach der Dienerschaft kamen etwa 300 Hofmusiker, welche mit den verschiedenartigsten Instrumenten einen Höllenlärm aufführten. Hiebei tat sich namentlich der Chor der berittenen Bläser hervor, deren einige Tuben von über 3 m Länge — wahre Posaunen von Jericho — trugen. Hierauf folgten Hof-Schikäris und Menageriediener, grün uniformiert, mit Gewehren bewaffnet; ferner Hof-Büchsenspanner mit den Gewehren des Maharadschas und den hervorragendsten Stücken der Waffenkammer — kostbaren Büchsen, herrlichen Lanzen, Speeren, Hörnern u. dgl. m. Die Reihe beschloss der Marstall: zahlreiche, glänzend geschirrte, wohlgemästete Pferde, meist schöne, indische Hengste; phantastisch bemalte und geputzte Elephanten mit vergoldeten Häudas und wertvollen Decken; endlich, in stattlicher Zahl, „Hof-Kamele“ und, als Bespannung von Equipagen dienend, „Hof-Ochsen“. Letztere, welche mit grünen oder roten Schabracken bedeckt waren, hatten, der Feierlichkeit entsprechend, die Hörner vergoldet oder mit grünem Tuch umwunden. Mehrere, an verschiedenen Stellen platzierte Musikkapellen ließen unsere Volkshymne in allen möglichen Tonarten und Tempi erklingen.
Unter dem Donner einer aus drei Kanonen bestehenden Batterie zogen wir in die englische Residenz ein, wo wir als Gäste des Maharadschas unsere Wohnung aufschlugen. Vor den Toren des Palais stand eine Ehrenkompanie — aus Räubern bestehend. Diese Elitetruppe von Dschaipur ist tatsächlich aus den Räuberbanden, die früher im Lande gehaust haben, rekrutiert. Der Maharadscha konnte dieser Plage nur dadurch Herr werden, dass er die Räuber zu einer sauber uniformierten Leibwache umgestaltete, welcher Vorgang eine gewisse Analogie mit der hie und da in der Heimat zu beobachtenden Erscheinung zeigt, dass Wildschützen zu Jagdhegern bestellt werden. Die Dschaipurer Räuber fanden an dem mit wenig Mühe und verhältnismäßig gutem Leben verbundenen Dienst Geschmack, hängten ihr früheres Handwerk an den Nagel und stehen nun eifrig Schildwache vor den öffentlichen Gebäuden.
In der Residenz empfing mich Mrs. Peacock, die Gemahlin des Residenten, mit ihren zwei Töchtern und deren Erzieherin. Ich und Wurmbrand waren im Palais selbst untergebracht, während für die anderen Herren in der Nähe ein Zeltlager aufgeschlagen war. Mit Rücksicht auf das begreifliche Bedürfnis nach größerer Bequemlichkeit und Ruhe hätte ich allerdings vorgezogen, gleichfalls im Zeltlager Quartier nehmen zu können, entsprach jedoch dem Wunsch der Mrs. Peacock, welche sich nicht nehmen lassen wollte, für unsere Bewirtung und gesellige Unterhaltung zu sorgen. Voraussichtlich dürften wir infolge dessen auch genötigt sein, wenn wir von der Jagd ermüdet zurückkehren, in die grässlichen Fracks zu schlüpfen, um mit den nach englischer Sitte in großer Toilette erscheinenden Damen zu dinieren und zu konversieren, anstatt in zwangloser Herrengesellschaft über die Erlebnisse des Tages zu plaudern.
Der Maharadscha hatte mich bis zur Residenz geleitet und wollte mir nach Ablauf einer kurzen Pause, die er mit einem Rundgang im Garten ausfüllte, seine offizielle Visite machen, doch erlitt diese eine kleine Verzögerung, da das Laden der Geschütze der trefflichen Drei-Kanonenbatterie, unter deren Donner der Besuch sich vollziehen sollte, nicht rasch genug vonstatten ging. Endlich krachte der erste Schuss; der Maharadscha trat ein und die Zeremonie der Darreichung von Attar und Pan sowie der Bekränzung nahm den üblichen Verlauf.
Hochgewachsen und von kräftiger Statur, stellt der Maharadscha eine stattliche Erscheinung dar, die durch das reiche Kleid und den prächtigen Schmuck — er trug nebst anderen Kostbarkeiten einen herrlichen, mit großen Diamanten förmlich besäeten Säbel — auf das vorteilhafteste zur Geltung gebracht wurde. Die Physiognomie des Fürsten aber zeigte den Ausdruck völliger Passivität; ich vermisste in seinen Blicken jenen Feuergeist, der aus den klugen Augen vornehmer Radschputen zu strahlen pflegt und schenkte willig jenen Glauben, die den Maharadscha als ein gefügiges Werkzeug in den Händen Englands bezeichneten. Von seinem Vorgänger Ram Singh (1835 bis 1880) an Kindes statt angenommen, hat der jetzige Fürst von Dschaipur, ein Seitenspross des uralten Dynastengeschlechtes der Katschwaha-Radschputen, wohl deren Blut, keineswegs aber ihre Tatkraft geerbt.
Haben doch die früheren Katschwaha-Fürsten das Gebiet, in dem ihr Stamm vom Jahre 967 an herrscht, durch Waffentaten zu erobern, zu vergrößern und zu erhalten, die Hauptstädte des Landes aber, Amber und Dschaipur, durch Künste des Friedens zu Metropolen zu gestalten gewusst, deren Bauten an Großartigkeit und Schönheit mit den berühmtesten Werken der indischen Architektur wetteifern. So hat Amber, einst der Sitz der Minas, nach deren Unterwerfung aber fast sieben Jahrhunderte lang (bis 1728) die Hauptstadt jenes Gebietes, das heute Dschaipur heißt, durch die Pracht seiner von Man Singh und Siwai Dschai Singh geschaffenen Marmorbauten selbst den Neid des Großmoguls Schah Dschehan erweckt. Das von Dschai Singh II., „dem Astronomen“ (1699 bis 1742) erbaute Dschaipur mit seiner eleganten Schönheit gilt — dank der Regelmäßigkeit seines Grundplanes und vermöge seiner Luxusbauten, Paläste und Gärten — als einer der schönsten Orte Indiens.
Die Geschichte des Landes weiß von unzähligen Waffentaten seiner ebenso klugen als tapferen Fürsten zu berichten. Von der Übermacht der Großmoguln endlich gebeugt, wussten sich die Fürsten des Reiches Amber-Dschaipur dadurch in ihrer Macht zu behaupten, dass sie als Kronfeldherren der Moguln deren Heere zu Siegen führten, an welche, wie wir bei unserem Einzuge zu erfahren Gelegenheit gehabt hatten, noch heute die Fahnen der Dschaipurer Truppen erinnern sollen.
Späterhin war Dschaipur, dessen Fürsten, der Oberherrschaft der entarteten Moguln müde, die Maharatten als Befreier ins Land gerufen hatten, in jene langwierigen Fehden verflochten, die erst mit der Unterjochung der Maharatten-Staaten durch die Engländer ihr Ende gefunden haben. Doch schon im Jahre 1803 war der Maharadscha von Dschaipur, den Wechsel der politischen Lage erfassend, in Beziehungen zu der anglo-indischen Macht getreten und britische Truppen halfen den Radschputenstaaten das Joch der Maharatten abzuschütteln.
So wenigstens nach dieser Seite zur Unabhängigkeit zurückgekehrt, steht der Staat Dschaipur seither als willkommener Bundesgenosse an der Seite Englands und unterhält seit Ram Singhs Regierung, zumal aber seit der durch britischen Einfluss geförderten Thronbesteigung des jetzigen Maharadschas, die allerfreundlichsten Beziehungen zu der anglo-indischen Krone.
Vorläufig stellt Dschaipur, wie bereits gesagt, zu dem Kontingent der anglo-indischen Armee nur Trainkolonnen. Die einheimischen Streitkräfte — gegen 1000 Mann Artillerie mit 281 Kanonen aller Art, auf 31 Forts verteilt, 16.000 Mann Infanterie und 4500 Mann Kavallerie — sind, wie sich dem prüfenden Auge schon beim Einzug offenbarte, recht mangelhaft bewaffnet, adjustiert und beritten. Immerhin würde im Fall eines Krieges diese Mannschaft zur Verteidigung des Landes brauchbar sein und, bei der zahlreichen Bevölkerung und den ergiebigen Hilfsmitteln des Landes, leicht vermehrt und besser ausgerüstet werden können.
Auf einer Fläche von 39.500 km2 fast zwei Millionen Einwohner zählend, gilt Dschaipur, dessen fast durchwegs ebenes Gebiet gut bewässert und sonach fruchtbar ist, dank seiner zahlreichen, gewerbsfleißigen und handelstätigen Bevölkerung als einer der blühendsten Staaten Radschputanas. Das Jahreseinkommen des Maharadschas wird mit etwa 4,5 Millionen Gulden ö. W. beziffert.
Kaum hatte sich der Mahaiadsha mit stummem Gruß entfernt, so fuhr ich, nachdem ich das abermalige Laden der Geschütze abgewartet hatte, von ihrem Donner geleitet, nach der Stadt zum Palast des Fürsten, um diesem meinen Gegenbesuch abzustatten. Der Weg nach dem Palast war, weil die Residenz in beträchtlicher Entfernung außerhalb der Stadt liegt, ziemlich lange und führte in einer Allee bis an das Stadttor.
Dschaipur liegt am Fuße einer Hügelkette, die zu den Ausläufern des Arawali-Gebirges gehört. Diese Hügelkette schließt die auf dem Boden eines ehemaligen Seebeckens angelegte, gegen Süden zunächst von bewässerten Gärten, weiterhin von sandigem Terrain begrenzte Stadt an drei Seiten ein. Hier steil abfallend und die Stadt durch hoch gelegene Forts beschützend, senkt sich die Hügelkette im Norden allmählich und birgt dort am Rand einer bewaldeten Schlucht die Reste der alten Residenzstadt Amber. Die Situation Dschaipurs in dem nach Süden hin offenen Talkessel hat der Anlage der jetzt nahezu 160.000 Einwohner zählenden Stadt sowie deren Erweiterung vollauf Raum geboten. Der im Westen Dschaipurs dem Tschambalstrome zueilende Fluss, der große Teich Man sagar, künstliche Wasserbehälter und Brunnen versorgen die Stadt und deren grünes Weichbild mit Trink- und Nutzwasser. Der Oberfluss an Wasser, das günstige Klima, die Reinlichkeit der breiten, mit Steinfliesen belegten Straßen, die zahlreichen Gärten, die großen Plätze, die Straßenbeleuchtung — alles dies vereinigt sich, um Dschaipur den Vorzug einer äußerst gesunden Stadt zu sichern.
In Dschaipur, das wie alle Radschputenstädte stark befestigt und von einer hohen Wallmauer umschlossen ist, fallen sofort zwei eigentümliche Erscheinungen auf: nämlich die im rechten Winkel gebauten breiten Straßen, die nach ihrer Anlage weit mehr in eine moderne Stadt als hieher gehören würden, und der gleichartige, rosenfarbige Anstrich der Häuser. Letztere Geschmacksverirrung stammt aus der Zeit des Besuches des Prinzen von Wales, da damals auf Befehl des Maharadschas sämtliche Baulichkeiten einheitlich in jener Farbe getüncht werden mussten, obgleich, wie man sagt, die Fronten zahlreicher Häuser mit interessanten alten Fresken geschmückt waren. So hat denn leider die Vorliebe weiland Maharadscha Räm Singhs für Rosen- oder richtiger Erdbeercremefarbe die ganze Stadt verunziert. Ebenso wenig geschmackvoll ist ein von jedem Punkt der Stadt aus sichtbares „Welcome“, welches seinerzeit dem Prinzen von Wales zu Ehren auf einem Bergabhang in riesigen Dimensionen mittels weißer Steine und weißer Ölfarbe hergestellt und nun mir zu Ehren erneuert worden war.
Am Tag unserer Ankunft spielten übrigens Farben auch in anderer Hinsicht eine Rolle in Dschaipur. Es wurde eben das große, mehrere Tage dauernde Holi-Fest, eine Art Frühlingsfest der Hindus, gefeiert, das mit Maskeraden und Tänzen beginnt, um häufig genug in wahre Orgien auszuarten, wobei erhebliche Mengen Alkohols vertilgt werden. Die Festesfreude gelangt hauptsächlich dadurch zum Ausdruck, dass die Stadtbewohner sich gegenseitig mit einem roten Pulver, Phag oder auch Abir genannt, bewerfen — dem Abfall der Farbe, mit welcher die Priester an diesem Feste das Idol Krischnas schmücken. Dies hat zur Folge, dass sich der größte Teil der Bevölkerung an Gesicht und Kleidung roth bestäubt präsentiert. Wenn auch bei diesem Scherz die rote Farbe sich vorzugsweiser Beliebtheit erfreut, so wird doch auch Dunkelblau, Grün und Gelb nicht verschmäht; ja man sieht zur Zeit des Holi-Festes Knaben, welche in greulicher Weise mit sämtlichen Farben des Regenbogens überhaupt bestrichen sind, in Begleitung von Musikkapellen von Haus zu Haus ziehen. Der Maharadscha pflegt sich am ersten Tage des Festes persönlich in den Straßen an dem Werfen des Pulvers zu beteiligen.
Wie man erzählt, soll der Maharadscha von Indor beim letzten Holi-Fest ein eigentümliches, jedenfalls sehr summarisches Verfahren angewendet haben, um allen seinen Frauen das Vergnügen zu bereiten, gleichzeitig mit rotem Pulver bestäubt zu werden. Er ließ die Frauen in einen Hof führen, das rote Pulver in eine Kanone laden und diese dann gegen die armen Geschöpfe abfeuern, deren etwa zwölf diesen „Scherz“ mit dem Leben büßten.
Der Maharadscha empfing mich, meinen Gegenbesuch erwartend und von seinen Würdenträgern umgeben, in einer offenen Säulenhalle des Palastes. Am Hof von Dschaipur besteht die löbliche Einführung, dass während der Staatsvisiten ganze Scharen von Tänzerinnen ihre Künste vor den Thronsesseln produzieren, ein Schauspiel, welches natürlich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zieht und so ermöglicht, den Austausch höflicher Phrasen auf das Unumgängliche einzuschränken.
Noch während der Aufführung langte die Meldung ein, dass unweit von der Stadt ein Tiger bestätigt sei und wir daher baldigst auf dem Jagdplatz eintreffen möchten. Rasch empfahlen wir uns beim Maharadscha, eilten in die Residenz, Gewehre und Jäger zu holen, und fuhren dann in südöstlicher Richtung etwa 7 km hinter die Stadt, zu einer Stelle, wo bereits Pferde auf uns warteten. Auf dem Wege dahin kamen wir an zahlreichen Ruinen von Tempeln und Palästen vorbei, deren eine, jene eines alten, mitten aus einem Teich aufragenden Palastes, besonders erwähnenswert ist.
Hoch zu Ross einer gut erhaltenen Straße folgend, durchquerten wir nun pittoreskes Hügelland. In dem ersten Tal, das wir nach Übersetzung des Kammes der Hügelkette durchzogen, liegt, von hohen Bäumen anmutig eingefasst, ein Teich, der, durch einen großen Querdamm abgeschlossen, das Wasser des von den Hügeln herabströmenden Baches aufspeichert. Oberhalb des Teiches, auf dem Abhang der waldigen Hügel erhebt sich der jetzt verlassene, von Man Singh im Jahre 1600 begonnene Palast, der zur Zeit, als Amber noch die Hauptstadt des Reiches war, von den Maharädschas bewohnt wurde. Die knapp bemessene Zeit gestattete leider nicht, das Innere dieses berühmten Bauwerkes, seine Höfe, Hallen und Pavillons zu besichtigen. Von außen her konnten wir nur die großartigen Dimensionen des langgestreckten, in mehreren Stockwerken aufsteigenden Fürstenschlosses, welches an die Bauwerke Dschodpurs und Gwaliors erinnert, konstatieren.
Die Stadt Amber, am Westende des Teiches gelegen, ist heute zum größten Teil zerstört und öde, bloß einige Priesterfamilien hausen im Bannkreis der zahlreichen Tempel- und Palastruinen, die, zwischen belaubten Bäumen malerisch gruppiert, ihre Spitzdome, Säulen, Türmchen und Terrassen als Wahrzeichen einstiger Größe und Schönheit erheben. Beinahe völlig erhalten sind die alten Stadttore, sowie die Befestigungen, welche im Zickzack laufende, mit strategischem Geschick ausgewählte Punkte der im Rücken der Stadt liegenden Hügelkette krönen. Diese mit zahlreichen kleinen Warten und mit Auslugtürmen bewehrten Festen, welche krenelierte, mit Warttürmen durchsetzte Flankenwälle und Mauertreppen zu Tal aussenden, blicken gleichsam in stolzer Trauer hinab auf die Reste des einst so herrlichen Amber, welches jetzt tot und verlassen daliegt, ein den Beschauer ernst stimmendes Wahrzeichen des Wandels im Schicksal großer Städte.
Der Weg wurde immer schlechter und steiniger, so dass wir nur mehr im Schritt vorwärts kamen, bis wir endlich in der Nähe des Jagdplatzes angelangt waren, wo wir Elephanten bestiegen. Die Örtlichkeit, in welcher der Trieb stattfinden sollte, —ein dschungelartig bewachsener Bergabhang, der in eine Art Talkessel übergieng — versprach zwar viel; weniger aber entzückten mich die künstlichen Vorbereitungen, die getroffen waren und sich so gar nicht mit der Jagd auf Tiger zusammenreimen ließen. Da gab’s zwei aus hohen Pfosten konstruierte, mit einladenden Bänken versehene Hochstände, zu welchen ein durch das Dickicht geschlagener, bequemer, mit feinem Sande bestreuter Fußweg führte. Wenn man erwägt, wie lange die Eingeborenen infolge ihrer Saumseligkeit wohl gebraucht haben dürften, um derartige Anlagen auszuführen, und welcher Lärm bei dieser Gelegenheit im Tal wiederhallt haben dürfte, so kann es wohl nicht zweifelhaft sein, dass hiedurch der etwa hier hausende Tiger in seiner Ruhe arg gestört wurde, und dass er Zeit hatte, diese Kunstbauten hinlänglich genau kennen zu lernen, um ihnen nie in die Nähe zu kommen.
Das Terrain war gut eingeschlossen; einerseits war es durch eine alte Befestigungsmauer, andererseits durch eine Felswand begrenzt und im Tal durch die Elephanten, die in einer langen Reihe aufgestellt waren, abgesperrt. Das Ergebnis des Triebes gestaltete sich meiner Befürchtung gemäß. Eine große Schar Treiber war aufgeboten worden; darunter wirkten auch einige hundert Soldaten mit, welche das Dschungel mit ergriffenem Säbel durchsuchten. Allenthalben gab es viel Geschrei, kleine Raketen wurden abgebrannt, Musikkapellen schlugen ein — aber der Tiger ließ sich bei den Ständen, deren einen ich einnahm, während alle anderen Herren auf dem zweiten postiert waren, nicht blicken. Einen Augenblick allerdings hatte in der Treiberlinie große Aufregung geherrscht; denn es hieß, ein Tiger sei nach rückwärts ausgebrochen, worauf die Treiber sofort zurück und dann wieder vorwärts beordert wurden, was sie mit noch größerer Vorsicht und Langsamkeit als zuvor, aber auch mit dem gleichen negativen Ergebnis wie das erste Mal ausführten. Als der Trieb beendet war, erlegte ich einen knapp vor den Treibern flüchtenden Sambarhirsch.
Im wundervollsten Mondschein ritten wir nach Hause. Träumerisch lag der stille See unter dem Bergpalast und den Ruinen der Stadt vor uns — ein Anblick, der teilweise für die misslungene Jagd entschädigte.
Links
- Ort: Jaipur, Indien
- ANNO – am 03.03.1893 in Östereichs Presse. Der Kaiser und die Kaiserin besuchten Schloss Chillon am Genfersee. Die Kaiserin machte wie gewohnt viele Einkäufe.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Deborah“, während das k.u.k. Hof-Operntheater wieder Gounods Oper „Margarethe (Faust)“ aufführt.