In See nach Sydney, 10. Mai 1893

Bei Morgengrauen wurde der Anker gelichtet und die Fahrt fortgesetzt, und zwar durch die Weymouth Bay, bis wir das Cap Weymouth und die Insel Restoration in Sicht bekamen.

Diese war vor wenigen Wochen der Schauplatz eines blutigen Dramas. Ein unternehmender Fischer hatte sich mit 30 Genossen hier angesiedelt und betrieb sein Geschäft zwischen den umliegenden Riffen. Plötzlich wurde bei Nacht die gesamte Kolonie von wilden Eingeborenen überfallen und bis auf den letzten Mann niedergemacht. Diesen Überfällen sind viele der abseits hausenden australischen Ansiedler, namentlich hier in Queensland, ausgesetzt, doch üben die Wilden nur Repressalien für die schonungslose und oft grausame Art, mit der sie von ihrem Stammland verdrängt, ja einfach ausgerottet werden. So sollen, wie behauptet wird, zu Beginn der Kolonisierung Australiens durch Engländer Eingeborene durch Brot aus dem Weg geschafft worden sein, welches, mit Arsenik versetzt, den Unglücklichen als tödliche Lockspeise in die Nähe ihrer Behausungen gelegt wurde. Auch andere Greuel und allerlei Grausamkeiten, ja wahre Menschenjagden sollen von manchen Europäern im Namen der „Kultur“, der „Zivilisation“ gegen die beklagenswerten Ureinwohner Australiens, die ja doch nur ihr Leben und ihren Besitz verteidigten, verübt worden sein. Jedenfalls ist die eingeborene Bevölkerung, wenn sie uns auch weniger romanhaft und heroisch vor Augen steht, als die Rothäute Nordamerikas, gleich diesen seitens der weißen Eroberer unzweifelhaft mit barbarischer Härte behandelt und verdrängt worden. Die Errichtung neuer „Stationen“ und „Runs“ auf Territorien, welche bis dahin von Eingeborenen besiedelt waren, Vernichtungskriege zwischen den verschiedenen, aus ihren Jagdgründen verdrängten Stämmen, Dämon Alkohol, Krankheiten und anderes mehr haben die Zahl der Eingeborenen in West- und in Süd-Australien sowie in Queensland auf etwa 200.000 Individuen herabgebracht.

Das nächste Cap, an dem wir vorbeisteuerten, war Cap Direction, dessen Gestalt seinem Namen entspricht, da es weit vorspringend in die See ragt und aus bedeutender Entfernung ein gutes Direktionsobjekt bietet.

Zu beiden Seiten unseres Fahrwassers tauchten wieder zahlreiche Inseln und niedrige Riffe auf; so unmittelbar nach dem Cap Direction die Rocky und Chapman-Inseln, die Inseln Night, Binstead, Lowrie, Ellis und Morris mit dem verankerten Leuchtschiff: weiterhin die Gruppe der Claremont-Inseln, unter denen Fife, Hay, Willkie, Hannah, Burkitt die auffallendsten sind.
Der Tag war prächtig, die See glatt und von so lichtgrüner Farbe wie manche unserer europäischen Binnenseen und die Luft von seltener Klarheit und Reinheit, so dass wir namentlich die Konturen und die Vegetation des Festlandes genau unterscheiden konnten.

Auf einige Meilen von der Insel Burkitt wurde Kurs gewechselt und die Princess Charlotte Bay durchquert, wobei das Festland zurücktrat, um dann für einige Zeit ganz unseren Blicken zu entschwinden und erst, als wir uns der mächtigen Gruppe der Flinders-Inseln näherten, bei Cap Bathurst wieder zum Vorschein zu kommen. Die Flinders-Inseln, nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Inseln im Nordosten von Tasmanien, sind hohe, bergige Eilande, die sich durch die eigentümliche Formation ihrer Felsen und kahlen Hänge kennzeichnen; manche Kuppen sind mit niedrigem Gebüsche bewachsen. Einige dieser Inseln, insbesondere aber die Insel Stanley, erinnerten mich an einzelne wohlbekannte Punkte unserer dalmatinischen Küste.
Die untergehende Sonne umflutete die bizarren Uferfelsen der Stanley-Insel mit leuchtendem Gold, während die höheren Punkte des Eilandes bereits im Violett der abendlichen Färbung erschienen. Bei vollkommener Dunkelheit fuhren wir knapp an einem Leuchtschiffe vorbei, welches die Durchfahrt zwischen den Pipon-Inseln und Cap Melville markiert.

Das Leben der Wächter eines solchen Leuchtschiffes mag, zumal in diesen Wässern, ein gar einsames und trauriges sein. Von der Welt gänzlich abgeschnitten, ohne jeden Verkehr mit anderen lebenden Wesen, sitzen da zwei Männer Jahr für Jahr auf ihrem Leuchtboot. verankert an einem kleinen Riffe, dessen Ausdehnung wenige Schritte beträgt. Die Welt dieser Menschen ist das Leuchtboot und ihre einzige Beschäftigung, am Abend die Laterne anzuzünden. Alle vier bis acht Wochen kommt ein kleiner Regierungsdampfer, versieht die Wächter mit Wasser und Proviant und hält sich nur so lange auf, als unumgänglich nötig ist, da er ja alle Leuchtschiffe der Reihe nach abfahren muss. Nur selten bietet sich den Einsamen Zerstreuung durch den Anblick vorbeifahrender Schiffe, da diese Passage der vielen Korallenriffe wegen gefürchtet ist und sich wenige Schiffsführer an diese heranwagen, wie denn auch wir bisher nur einem einzigen kleinen Dampfer begegnet waren, und selbst dieser war vielleicht bloß das reguläre
Proviantschiff. Wahrlich, die Männer vom Leuchtschiff haben kein beneidenswertes Schicksal, bei solchem Anachoretenleben müssen Geist und Seele dieser Verbannten in einen Zustand vollkommener Lethargie verfallen.

Wie untertags war auch bei Nacht die Luft von besonderer Reinheit. In ungetrübter Klarheit leuchteten die Sterne auf uns herab. Das Kreuz und der Stier sind die einzigen auffallenden Sternbilder des südlichen Himmels. Ein alter Bekannter aus dem Norden gibt uns noch immer das Geleit — der Große Bär, welcher knapp am Horizont erscheint. Eine Eigentümlichkeit der südlichen Milchstraße sind die zahlreichen Sternenlosen und daher dunkel erscheinenden Flecken, welche deren weiße Linie unterbrechen. Bei der Reinheit der Luft konnte man heute mit freiem Auge die Sterne unmittelbar über der Kimm aus dem Meer aufsteigen sehen.

Nach wiederholten Kursänderungen erreichten wir die HowickInseln, die sich als schwarze Linien am Horizont projizierten. Gegen 1 Uhr nachts riet unser Lotse, vor der großen Insel Lizard vor Anker zu gehen, da die Passage zwischen dieser und den Riffen der Eagle-Insel in der Nacht zu schwierig sein würde. Der Kommandant entsprach diesem Rat und ließ das Schiff verankern. Der Lotse erwies sich als sehr geschickt und zuverlässig und trotz seiner 67 Jahre stand er Tag und Nacht auf der Brücke, seine Befehle gebend. Vormals war er Kapitän auf großen Handelsdampfern der australischen Marine gewesen und hatte zumeist die Linien nach China und Japan befahren. Nunmehr schien er das Lotsengeschäft einträglicher zu finden; um die „Elisabeth“ ja nicht zu verfehlen, hatte er, von Sydney kommend, in Thursday bereits volle sieben Wochen unsere Ankunft erwartet. Seinen Reden nach hatte ihn der lange Aufenthalt in Thursday nicht gerade entzückt.

Links

  • Ort: nächst Howick Island
  • ANNO – am  10.05.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Die kluge Käthe”, während da k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet “Die goldene Märchenwelt” aufführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
19 + 7 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.