In See nach Steamer Point, 23. December 1892

In offener See. Rings um die Planken des Schiffes die Salzflut und über ihr das Himmelsgewölbe: das ist alles, was sich den Blicken des Seefahrers bietet. Und doch ist es ein Gemälde einfacher Größe, kein eintöniges Bild, welches Luft und Wasser uns hier vor Augen führen. Wem Gefühl für die Schönheit der Natur verliehen ist, der schöpft aus jedem der durch die Elemente gestalteten, wechselvollen Bilder nur genussreiche Eindrücke. Bald fesseln uns die Farbentöne und Formen, bald die Bewegung, dann wieder die majestätische Ruhe des Meeres und stets aufs Neue regt dies erhabene Stück der göttlichen Schöpfung unser Denken und Empfinden an: jetzt durch den Gischt des Kessels, in dem das gewichtige Eisenschiff einem Federballe gleich auf- und niedersteigt; dann durch die leicht gekräuselten Schaumkämme der Wellen am Buge — mag ein Nebelschleier den Horizont verhüllen, die glühende Sonne Luft und Meer in rosiges oder purpurnes Licht tauchen oder sanfter Mondschein die nimmermüden Wellen mit Silberglanz übergießen. Stunde auf Stunde vermag ich auf der Kommandobrücke zu stehen, das Auge bald auf das Wellengetriebe, bald zum Firmament lenkend. Wem das Himmelsgewölbe mehr ist als ein leerer Luftraum, wer die See liebt und begreift, der erfreut sich an der Kraft und dem Zauber des Lichtes, an der schimmernden Glätte, wie an dem Tosen des Meeres, Ist die Sonne versunken, so blicken wir auf zu den Sternbildern und erinnern uns, dass auch die Lieben in der fernen Heimat jetzt wohl emporsehen zu denselben Gestirnen, und dass sie fühlen, was uns bewegt ….

Wie grüßende Boten unseres Elementes, der Erde, betrachtete ich die lebenden Wesen, die sich mir von dem Schiff aus zeigten: einen unser Fahrzeug umgaukelnden Delphin, der mit keckem Sprung spielend aus dem Wasser schnellt; eine pfeilschnell daherstreichende Möwe; einen kleinen Vogel, der sich zwitschernd auf die Raaen setzt, um auszuruhen, bevor er die weite Reise über das schier endlose Wasser fortsetzt. Allerliebst war eine Bachstelze, die uns ein Stück Weges begleitete und ohne Scheu lustig ihr Liedchen auf dem Geländer der Kommandobrücke sang und dann in der Batterie Brosamen aufpickte, die vom Tisch der Matrosen zu Boden gefallen waren.

Die braven Seeleute genossen eben der kurzen Mittagsrast, die ihnen herzlich zu gönnen ist. Vom Morgen bis zum Abend sind sie in ununterbrochener Tätigkeit; kein Augenblick des Müßigganges, der Langweile. Nach dem Auspurren beginnt die Toilette des ganzen Fahrzeuges, und Ströme von Wasser ergießen sich über das schöne Schiff, auf dass sein Tagewerk unaufhaltsamen Laufes schmuck und blank verrichte. Exerzitien aller Art in der Batterie und auf Deck, hin und wieder Feueralarm oder als Probe zu ernstem Waffengange ein Gefechtsalarm schließen sich an und setzen sich nach dem frugalen Mahle fort, und brechen von Stunden geistiger Sammlung der Mannschaft in den Schiffsschulen. Abends, nach des Tages Mühen versammeln steh die Matrosen auf dem Verdeck, schmauchen ihre Zigarette und singen ihre volkstümlichen Weisen, wobei die Slawen aus Dalmatien und anderen südlichen Ländern mit ihren meist schwermütigen, den alten Heldensagen von Marko Kraljevic, Peter Klepec und anderen entsprossenen Liedern den Chor anführen. Endlich ertönt das Signal zum Abpurren; die Hängematten werden bezogen: Stille tritt ein; nur das Stampfen der Maschine ist zu hören und jede halbe Stunde der Ruf der Ausluger „Alles wohl“, „Laternen klar“.

Den ganzen Tag brachte ich auf Deck zu. Die Temperatur ist bereits eine vollkommen südliche. Vor meiner Kabine zeigt das Thermometer in der Sonne 40°, die See hat 22° Celsius. Der Wind hat gewechselt und zieht heiß, trocken von Süden. Hin und wieder sieht man in nebelhafter Ferne einen hohen Berg am Horizont erscheinen, sonst nur einzelne vorbeiziehende Dampfer. Morgens passierten wir den Leuchtturm von Daedalus, der, auf einem unter dem Niveau des Wassers befindlichen Korallenriff sich erhebend, mitten aus der See emporragt — nicht das kleinste Stück Land ringsumher. Drei Malteser führen hier als Leuchtturmwächter ein einsames, mönchisches Leben, welchem der Reihe nach einer um den anderen alle sechs Monate mit kurzem Urlaub ans Land entflieht.

Links

  • Ort: Daedalus Riff, Rotes Meer
  • ANNO – am 23.12.1892 in Österreichs Presse. Die Neue Arbeiter Zeitung erinnert ihre Genossen daran, dass mit Beginn des neuen Quartals auch die neue Abonnementsperiode anfängt und damit die Beitragszahlung fällig wird. Das Abonnement ist im voraus zu bezahlen. Inhaltlich warnt die Arbeiter Zeitung vor der Cholera aus Hamburg. Die österreichischen Gegenmassnahmen sind unzureichend, da diverse Kommissionen säumig sind. Weiters wird gemeldet, dass der Konsum an Pferdefleisch gegenüber dem Vorjahr zugenommen hat. Da nur kranke und alte Tiere geschlachtet werden, wird diese Entwicklung nicht als positiv für die Arbeiterklasse gesehen.

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