Um 4 Uhr morgens wurden die Anker gelichtet, und nun steuerten wir, gefolgt von einem kleinen Dampfer, der ebenfalls die finstere Nacht über gewartet hatte und jetzt in unserem Kielwasser einherfuhr, durch die Api-Passage, die Insel Merunduny auf 2,5 Seemeilen passierend.
Die Nordwestküste Borneos lag in unserer unmittelbaren Nähe und bot ein eigentümliches, von jenem der bisher gesehenen Inseln völlig verschiedenes Bild; denn längs der ganzen Küste und, soweit man sehen konnte, auch im Land selbst erheben sich aus tiefliegenden Ebenen unvermittelt Hügel und Bergketten, deren ein Teil von ansehnlicher Höhe und dabei zumeist von grotesker Gestalt ist. So hatten einzelne Berge die Form — um mich bei aller Rücksicht für die geologische Wissenschaft der kulinarischen Terminologie zu bedienen — eines „Gugelhupfs“, andere jene eines Zuckerhutes. Ein weiterer Teil der Höhenzüge erscheint, wie manche Bergketten der Alpen, als unregelmäßiges, mit steilen Lehnen und Wänden versehenes Bergland, dessen Teile keineswegs wie die Glieder einer regelrechten Kette aneinandergereiht oder auch nur durch gemeinsame Linienzüge verbunden sind, sondern so vereinzelt dastehen, als wären sie über die Fläche ausgestreut worden. Eine Luftspiegelung ließ an Stelle der niedrigen Küstenstriche überall Wasser erscheinen, so dass die Bergkolosse gleichsam aus dein Wasser hervortraten und wir ein wahres Wirrsal hochragender Inseln zu sehen vermeinten — ein ebenso malerisches als originelles Trugbild. Unter den Höhen, welche wir von der Fata Morgana umgaukelt sahen, ragten die Caps Datu und Sipang ganz besonders hervor.
Beide Caps liegen bereits im Gebiet des als souverän anerkannten, seit 1888 unter britischem Protektorat stehenden Sultanates Sarawak, welches 106.200 km2 mit 320.000 Einwohnern umfasst, wovon ungefähr die Hälfte Dajaks sind, während die übrigen zumeist anderen malayischen Stämmen angehören. Einen wichtigen Bruchteil der Bevölkerung bilden Chinesen, welche auch hier wieder den namhaften Handel und die Urproduktion beherrschen.
Das Reich von Sarawak ist zum großen Teil Alluvialland der zahlreichen, von der südlichen Grenze des Gebietes zur Küste strömenden Flüsse, worunter insbesondere der Rejang mit seinem reichverzweigten Delta, der breite Batang lupar und der Sarawak anzuführen sind, an dessen Westufer die Hauptstadt Sarawak oder Kutsching, wie sie auch genannt wird, liegt. An den Küstenstrich schließt sich mit Hügeln bedecktes Terrain, weiterhin gegen Süden erheben sich hochragende Gebirgszüge.
Sarawak wird seit 1868 von dem Sultan Charles Johnson Brooke, dem Neffen und Nachfolger des Radschas Sir James Brooke beherrscht; letzterer — ursprünglich im Dienst der Britisch-Ostindischen Kompanie — hatte als Erbe eines bedeutenden väterlichen Vermögens auf eigene Faust ein Schiff, die Yacht „Royalist“, ausgerüstet und war, seiner Abenteurer- und Unternehmungslust folgend, nach Borneo gesegelt, wo sich ihm ein günstiges Feld der Tätigkeit darbot. Der Sultan von Brunei hatte eben einen Aufstand, dort, wo sich jetzt das Reich Sarawak befindet, zu unterdrücken, ohne diese Aufgabe mit den eigenen Machtmitteln allein lösen zu können. James Brooke stellte nun sich selbst und seine Schiffsbemannung in den Dienst des Sultans, worauf der Aufstand bald gebrochen wurde. Doch war Brooke als praktisch denkender Engländer nicht geneigt gewesen, seine Hilfe unentgeltlich zu leihen; er verlangte und erhielt auch zum Lohn das Gebiet von Sarawak eingeräumt.
Nach geschickten politischen Intriguen und Winkelzügen wurde Brooke den 24. September 1841 feierlich zum Radscha von Sarawak oder Sindschawan ausgerufen und wusste durch Energie und kluges Handeln seine Herrschaft bald so zu befestigen, dass er ein verhältnismäßig mächtiger, ganz selbständiger Fürst wurde.
Seine vornehmste Sorge widmete er der Unterdrückung der Seeräuberei, die in den Gewässern um Borneo ungemein überhand genommen hatte, da die vielen Buchten und Flüsse des Landes den Hyänen des Meeres willkommene Schlupfwinkel darboten. Er organisierte eine kleine Armee nach englischem Muster, errichtete Schulen und öffentliche Gebäude, versuchte, so viel wie möglich, die äußerst wilden Dajaks, die Ureinwohner des Landes, welche der Sitte der Kopfjagd huldigten, zu zähmen, zu zivilisieren, und begünstigte, vom Streben geleitet, den Handel und die Bodenkultur Sarawaks zu fördern, vom Jahre 1850 ab die Einwanderung von Chinesen. Allerdings musste er später zu wiederholten Malen energisch gegen dieselben einschreiten, — im Jahre 1867 gab es hier sogar einen allgemeinen Aufstand wider die gelben Menschen — aber trotzdem blieb ihre Tätigkeit, ihr Handelsfleiß für Sarawak nach wie vor unentbehrlich.
Das Aufblühen des Sultanats veranlasste England, auch dieses bisher unumschränkte Staatswesen, obschon es einem Briten seine Entstehung verdankte und unter James Brooke, wie seit 1868 auch unter Charles Johnson Brooke, zu Großbritannien freundliche Beziehungen unterhalten hatte, in das Gebiet seiner Machtsphäre einzubeziehen. Vermöge dieser Aktion ist Sarawak im Jahre 1888 in friedlicher Weise dem englischen Protektorat unterstellt worden, wobei gleichzeitig vertragsmäßig fixiert wurde, dass das Reich des Brooke’schen Regentenhauses, im Falle des Aussterbens desselben als Kronkolonie an England überzugehen habe. Der präsumtive Erbe des jetzt regierenden Sultans ist dessen dermalen neunzehnjähriger Sohn Charles Vyner Brooke.
Kutsching, die Residenz des Sultans, bildete zwar unser eigentliches Reiseziel, wir gingen aber, da diese Stadt ungefähr 25 Seemeilen stromaufwärts von der Mündung des Sarawak-Flusses gelegen ist, der Kommandant dessen Fahrwasser als zu seicht für die „Elisabeth“ bezeichnete und kein Pilot zur Stelle war, um 2 Uhr nachmittags an der Niederung des Sarawaks unter dem Leuchtturm von Cap Po vor Anker. Der Punkt war malerisch gelegen, aber nichts regte sich, kein Pilot, kein Boot, kein Signal war zu sehen.
Wie nun erfahren, ob die Fahrt stromaufwärts, wenigstens bis zu der Kohlenstation, in der wir Heizmaterial einnehmen wollten, um nach Bangkok zu gelangen, möglich sei? Unsere Schiffe „Saida“ und „Nautilus“ waren seinerzeit allerdings den Fluss bis zu dem 15 Seemeilen stromaufwärts an dem Zusammenfluss des Sarawaks und des Quops gelegenen Ankerplatze Pindany hinaufgefahren, die viel tiefer tauchende „Elisabeth“ aber konnte dies lediglich an der Hand der Karte unmöglich wagen, weshalb denn beschlossen wurde, einen Kadetten zu dem Leuchtturm zu schicken, um allenfalls dort Erkundigungen einzuziehen, und den nächsten Morgen nur mit der Dampfbarkasse nach Kutsching zu fahren.
Wiewohl es schon ziemlich spät am Nachmittage war, ließ ich mich doch noch in einem Boot an das nahegelegene Ufer rudern, um die Vegetation näher zu besehen und allenfalls Vögel zu erlegen; denn sobald wir wo immer Land erblickten, überfiel mich stets aufs neue mein Sammel- und Forschungseifer, und in solchen Fällen hielt es mich nicht mehr an Bord.
Das Stückchen Borneo, das wir vor Augen hatten, war wirklich überaus anmutig, ja einer der Herren vom Stab verglich die Umrahmung der Bucht, die aufstrebenden Hügel und Berge, die Felsen, die wir sahen, mit der Umgebung des Gmundener Sees. Allein ich fand, obgleich stets geneigt, allerorten beim ersten Anblick das Schöne hervorzusuchen und anzuerkennen, den Vergleich der Landschaft, die wir hier überschauten, mit der vielgepriesenen Perle des oberösterreichischen Gebirges denn doch etwas kühn.
Der Leuchtturm liegt auf einem 150 m hohen Hügel, der steil in das Meer abfällt und von mächtigen, äußerst phantastisch geformten Felsen umgeben ist. Das Jahrtausende lang fortgesetzte Andringen der starken Flut und der Anprall der Brandung haben den Fuß der Felsen unterwaschen und eine zahlreiche Reihe von Höhlen und Grotten gebildet, an deren Wänden, hoch über dem Wasserspiegel, Mauerschwalben ihre Nester kunstreich befestigt hatten, während unter dem Niveau des Wassers Austern und andere Muscheln festsaßen. Auch weiterhin ziehen sich solche von den Flutwellen angenagte oder ausgehöhlte Felsen die Küste entlang, und hie und da springen kleine Buchten sowie Einschnitte landeinwärts, überall aber drängen sich in malerischer Weise Palmen, Farnbüschel sowie Nadelholz, das mich allerwärts anheimelt, zwischen den Felsblöcken und Steinen hervor. Wo die Felsen zurücktreten, machen sich Mangroven breit, deren hundertfach verzweigte, in das versumpfte Wasser tauchende Luftwurzeln abscheuliche, fast undurchdringliche, Myriaden von Mücken bergende Dickichte bilden.
Da mir d!er mangelhafte Zustand meiner Fußbekleidung — die Goiserner Nagelschuhe, welche ich mir hatte nachsenden lassen, reisten bereits seit fünf Monaten hinter mir drein und befanden sich zur Zeit in Sydney — das Erklettern der Felsen verwehrte, versuchte ich durch ein solches Mangrovedickicht zu dringen; doch zwangen mich die verpestete, von Miasmen geschwängerte Luft und das faulige Wasser, das Dickicht nach wenigen Schritten wieder zu verlassen. Mit Ausnahme der Moskitos, dieser kleinen, aber zumal heute äußerst lästigen Blutsauger, war hier die Fauna spärlich vertreten, und nur einige schön gefärbte Nectarinen huschten durch die Zweige, während allerlei Taschen- und Einsiedlerkrebse sich im Schlamm umhertummelten.
Außerstande hier das Land zu erreichen, umfuhr ich Po Point in südlicher Richtung und akquirierte bei dieser Gelegenheit von zwei Dajaks, welche in einem kleinen Boote herbeigerudert kamen, einige Fische, worauf ich an Bord zurückkehrte.
Der Kadet, den wir zu dem Leuchtturm gesandt, kam erst spät nach Sonnenuntergang an Bord zurück, da er geraume Zeit hindurch nach einem Aufstieg zum Leuchtturm hatte suchen müssen und hiebei irre gegangen war. Die Nachrichten, welche der Kadet brachte, waren nicht eben erfreulicher Art: er hatte versucht, sich mit Hilfe eines Wörterbuches mit den Leuchtturmwächtern, zwei eingeborenen Malayen, zu verständigen, aber nur so viel konstatiert, dass es hier keine Flusspiloten gebe und dass von Po Point aus mit Kutsching weder eine telegraphische, noch auch eine optische Verbindung bestehe — so mussten wir denn am nächsten Morgen stromaufwärts unbedingt selbst auf die Suche gehen.
Links
- Ort: Cape Po, Sarawak, Borneo
- ANNO – am 09.07.1893 in Österreichs Presse.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Der Störenfried“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.