Gwalior, 30. Jänner 1893

Zwei englische Offiziere, Captain Edwards und Lieutenant Coldgrave — von dem Central Indian Horse, einem bekannt guten Regiment, und gegenwärtig den inländischen, vom Maharadscha aufgestellten Regimentern als Instruktoren für Offiziere und Mannschaft, sowie bei Manövern als Berater und Führer zugeteilt — hatten mich und die Herren meiner Suite zu einem Pigsticking, einem Lanzenstechen zu Pferde auf Wildschweine, in der Ebene von Gwalior eingeladen. Sehr gespannt, diesen mir noch neuen Sport, von dem ich bereits viel gehört hatte, kennen zu lernen, nahm ich die Aufforderung zur Teilnahme an demselben mit Vergnügen an. Ich muss gestehen, dass dieses jagdliche Unternehmen hinter meinen Erwartungen nicht zurückblieb; Pigsticking ist ein ebenso unterhaltender als aufregender Sport, der bedeutende Geschicklichkeit und Ausdauer im Reiten erfordert.

Von Gwalior fuhren wir 14 km ins Land bis zu einem kleinen Jagdhaus des Maharadschas, wo die Pferde — Dienstpferde, die das Central Indian Horse gestellt hatte — und berittene Schikäris harrten. Einer Halsaffektion wegen, an der ich schon seit dem Aufenthalt in Kalawewa litt, sollte ich mich zu meinem großen Leidwesen nicht an der Jagd beteiligen, sondern musste mich auf Befehl des Arztes begnügen, im zweiten Treffen mit Wurmbrand nachzureiten.
Das Jagdterrain war eine ausgedehnte Ebene, mit meterhohem vertrockneten Alanggrase (Imperata cylindrica) bewachsen, von dem nur einzelne kleine Flächen frei waren, so dass das Galoppieren in diesem Gras nicht eben angenehm war, indem weder Ross noch Reiter sehen, wohin der Fuß tritt, und sich überdies in den Savannen unzählige kleine Erdrisse, sowie insbesondere tiefe, löcherförmige Baue von Stachelschweinen befinden.

Nach kurzer Suche wurde ein Rudel Schweine aufgestoßen, das laute »Tallyhoo« der Reiter ertönte und alsbald jagten dieselben mit eingelegten Lanzen full pace nach. Ich ritt einen sehr unternehmungslustigen Gaul, welcher es nicht verstehen wollte, dass ich der Anordnung des Arztes gemäß zurückblieb, und mich vollauf beschäftigte, weshalb ich erst bemerkte, dass Wurmbrand gestürzt war, als sein reiterloses Pferd an mir vorbeikam. Er war bei einem Stachelschweinbau rouliert, hatte sich aber zum Glück nicht verletzt. Ich folgte den Reitern langsam, die zuerst in gerader Richtung fortsprengten, dann aber, als sie den Schweinen näher gekommen waren und einen Keiler abgetrennt hatten, demselben mit Geschick nachsetzten, bisher endlich, von vielen Lanzenstichen durchbohrt, zu unseren Füßen lag. Die Engländer jagen nur Keiler oder überlaufene Keiler und finden mit erstaunlicher Sicherheit in dem hohen Gras aus einem Rudel sofort das geeignete Stück heraus.

Bald war in dieser so wildreichen Gegend ein zweiter Keiler gefunden, und die Jagd nahm ihren neuerlichen Anfang. Der Run war jedoch rasch beendigt, da einer der Herren gleich bei Beginn desselben den Keiler mit geschicktem Lanzenstoß getroffen hatte. Bei diesem Galopp stürzte Captain Edward ziemlich böse auf den Kopf, ritt zwar die nächsten zwei Runs noch mit, musste dann aber gleich nach Hause zurückkehren und konnte abends nicht zum Diner erscheinen.

Nun war es an der Zeit, den angestrengten Pferden Ruhe zu gönnen, doch dauerte dieselbe nicht lange, da ich plötzlich in einiger Entfernung ein Rudel Schwarzwild erblickte und die Herren hierauf aufmerksam machte. Sofort war alles im Sattel. Jetzt aber ließ sich meine Jagd- und Reitpassion nicht länger eindämmen; die Belehrungen und strengen Verbote des Leibmedicus waren vergessen, und ich ritt der eben gegen mich sich wendenden Jagd im Galopp entgegen, einem Keiler den Weg abschneidend. Der Keiler stellte sich; rasch benützte ich dies, um ihn mit der Lanze abzufangen. Mit großer Genugtuung betrachtete ich meine erste Trophäe im Pigsticking.

Die Müdigkeit unserer Pferde, die bedeutende Hitze und die für Nachmittag noch in Aussicht stehende Schießjagd bewogen unsere Master, den Heimweg anzutreten. Wir waren kaum einige hundert Schritte geritten, als mehrere Stücke Schwarzwild abermals hoch wurden. Natürlich konnten wir der Verlockung nicht widerstehen, ihnen zu folgen, wobei sich die Gesellschaft, da zwei Keiler in dem Rudel waren, unwillkürlich trennte; Crawford und Coldgrave folgten dem einen Stück, die Herren meiner Suite, Fairholme und ich dem anderen. Der Run dauerte, weil die Pferde schon erschöpft waren, lange. Zum Schluss entspann sich ein hitziges Gefecht; ein wirres Durcheinander entstand; der Keiler stellte sich, nahm die Pferde an und schlug sogar den Schimmel Prónays am Hinterfuße ziemlich stark. Schließlich kam es zu einem recht heiteren Match zwischen mir und Wurmbrand; denn wir waren die nächsten zu dem Schwein, hatten aber keine Sporen, so dass wir die Gäule nicht näher an den Gegner brachten und einen Luftstoß nach dem anderen ausführten, bis es uns nach langem Kampf endlich gelang, den Keiler zu strecken. Man sollte nicht glauben, wie schwer es für den Anfänger ist, das erste Mal die Lanze gegen ein flüchtiges Schwein wirksam zu handhaben, und wie oft er fehl sticht, bevor der Keiler getroffen ist. Die andere Partie, jene Crawfords, hatte ebenfalls ihr Schwein glücklich erlegt, und so ritten wir nun mit fünf erbeuteten Stücken in das Jagdhaus zurück, wo ein Frühstück unser wartete.

Da ich einige Geier in der Luft kreisen sah, ließ ich eines der Schweine als Luder neben die Villa legen, und in der Tat dauerte es nicht zehn Minuten, so kamen Schmutzgeier und zum Schluss große Bengalische Geier (Gyps bengalensis) herbei. Mehrere Exemplare wurden mir zur Beute, leider fehlte ich aber mit einem nicht erprobten Gewehre einen Adler, der sehr an unseren Kaiseradler erinnerte.

Nachmittags wollten wir auf Black-bucks und Sumpfwild in der Umgebung jagen und trennten uns daher in mehrere Partien. Ich versuchte mit Fairholme mein Glück zuerst auf Black-bucks, die wir mit Bauernwagen anfuhren. Die Tiere waren aber durch die mit dem Pigsticking verbundene Beunruhigung so scheu gemacht worden, dass trotz aller Vorsicht ein Ankommen unmöglich war. Wir ritten daher zu den in der Nähe gelegenen Teichen, um dort Wasserwild zu suchen. Die Ebene, in der wir jagten, ist von zahlreichen untereinander durch Kanäle verbundenen, Irrigationszwecken dienenden Teichen durchsetzt, welche dem verschiedenartigsten Wasserwild als Aufenthaltsort zu dienen pflegen. Auf dem ersten Teiche saß ein Schwarm von mindestens vier- bis fünfhundert verschiedener Enten, deren ich drei erlegte. Durch die Schüsse wurde allerlei Geflügel aufgescheucht, darunter drei besonders auffallende, prachtvolle Antigone-Kraniche (Grus antigone).

Unweit dieses Teiches dehnte sich ein zweiter, größerer aus, der von weitem schon, mit dem Fernglas betrachtet, als sehr wildreich erschien, und durch dessen hohes Schilf ich behutsam anpürschte. Auf der Wasserfläche schwamm eine Kette der schönen braunen Rostenten und dazwischen tummelten sich Enten verschiedener anderer Gattungen, von der kleinen Krickente bis zur großen Kolbenente; in dem Schilfe sah ich die schlanken Hälse und die karminroten Köpfe zweier Antigone-Kraniche; in der Luft strichen unausgesetzt Enten, Bekassinen, Strandläufer, Kampfhähne und Storchschnepfen vorbei. Ungeachtet aller von mir angewandten Vorsicht hatte mich das Wild bald wahrgenommen, so dass nur noch ein Kugelschuss auf die Kraniche zu versuchen war, der aber leider fehl ging.

Am Rand des Teiches fortschreitend, erbeutete ich noch eine Anzahl Enten und zwei gemeine Blässhühner, mehrere Storchschnepfen und eine Rohrweihe. Mein ganzes Sinnen und Trachten jedoch war auf die herrlichen Antigone-Kraniche gerichtet, die ich endlich in weiter Ferne in ein Weizenfeld einfallen sah. Zum Glück lief in der Nähe des Weizenfeldes ein tief eingeschnittener Bach in starken Windungen vorbei; auf diesen baute ich meinen Operationsplan. Ich ließ mich an den steilen Ufern hinab, durchwatete den Bach und pürschte so nahe heran, dass ich mit Coup double beide Kraniche schießen konnte. Der eine lag verendet, der andere war schwer krank. Der Jäger soll jedoch nie habsüchtig sein, welch weise Lehre sich jetzt an mir bewahrheitete; denn kaum hatte ich auf die beiden Kraniche geschossen, so streicht über meinen Kopf ein großer Silberreiher, auf den ich, statt den kranken Kranich auszumachen, schieße; in diesem Augenblicke kommt der kranke Vogel auf die Ständer, schlägt mit den Flügeln und zieht auf Nimmerwiedersehen ab, während ich mit ausgeschossenem Gewehr nachblicke. So musste ich mich mit einem einzigen Exemplare dieses Riesenvogels begnügen, der mit gestrecktem Hals die Höhe eines erwachsenen Mannes erreicht.

Ein erneuertes Anfahren an die Black-bucks war von ebenso wenig Erfolg gekrönt als das erste, und so beschied ich mich mit verschiedenen Enten, darunter Löffelenten (Anas clypeata), sowie mit einigen Kampfhähnen, und kehrte ins Bungalow zurück, wo ich die anderen Herren traf, die ebenfalls reiche Beute gemacht hatten.

Herrlicher Mondschein gab uns das Geleite nach Gwalior. Hier verabschiedeten wir uns nach dem Diner von den Jagdgefährten und bestiegen den Zug, der uns nach Calcutta bringen sollte.

Links

  • Ort: Gwalior, Indien
  • ANNO – am 30.01.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt Ludwig Fuldas Schauspiel „Das verlorene Paradies“, während das k.u.k Hof-Operntheater die Oper „Hamlet“ mit Musik von Ambroise Thomas aufführt.

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