Garut, 14. April 1893

In Java, dem typischen Vulkanland reisend, konnte ich dem Reiz, einen noch tätigen Vulkan zu besteigen, umso weniger widerstehen, als der bekannte Papandajan, einer der Gipfel des südöstlichen Hochgebirges der Preanger Landschaften, von Garut aus leicht zu erreichen ist. So brachen wir denn mit dem Frühesten auf und gelangten in etwa dreistündiger Fahrt zu dem Fuße des Papandajan. Der Weg dahin ist ein schwieriger; er ist ungemein steil, führt unausgesetzt bergauf, bergab, worin er allen Straßen Javas gleicht. Diese sind zwar an und für sich sehr gut, haben einen festen Unterbau, gute Einrichtungen für die Ableitung des Wassers, feste Brücken und ähnliches; die Art ihrer Führung ist jedoch eine recht primitive, weil meist die linea recta über Berg und Tal gewählt wird und Serpentinen sowie ähnliche technische Anlagen zur Überwindung von Höhen den Erbauern der Straßen Javas unbekannte oder von ihnen wenigstens nicht angewandte Hilfsmittel sind.

Unserem Wagen waren vier javanische Ponies vorgespannt, die ein rasendes Tempo gingen. Sie wurden von dem Kutscher und außerdem noch von zwei mit langen Peitschen bewehrten Burschen angetrieben, welche auf der Hinterachse des Wagens standen und von Zeit zu Zeit absprangen, um vorzulaufen und die Pferde aufs neue anzufeuern. Alle Steigungen wurden in voller Karriere genommen; die drei Leute hieben vereint auf den Viererzug ein, und im Nu war die Höhe erreicht; mussten jedoch Steigungen genommen werden, die gar zu bedeutend waren oder zu lange währten, so spannte man vor den Wagen noch zwei starke Büffel, so dass wir mit einem Sechserzug fuhren. Da Wagenbremse oder Radschuh hier unbekannte Dinge sind, wissen sich die Javanen bei Fahrten im Bergland auf ganz primitive Art zu behelfen, um an steil bergabführenden Stellen des Weges das allzu rasche Abrollen des Wagens zu verhindern. In solchen Fällen werden an dem Wagen Stricke befestigt, an welche sich etwa zwanzig Kulis hängen, deren Aufgabe es nun ist, durch ihr Körpergewicht das Rollen des bergab eilenden Gefährtes zu verlangsamen.

Auf der ganzen Tour zum Papandajan befanden wir uns unter dem Schutz von Eskorten, in denen Wedanas oder Demangs (Districts-Chefs) und Djaros (Dessa-Häuptlinge, Ortsvorstände) nebst einer Anzahl von Dorfältesten und anderen angesehenen Einwohnern mitritten. Diese Eskorten boten, wenn möglich, noch komischere Bilder als die Reiterscharen von Bandung und Garut. Das rasche Tempo unserer Fahrt schien den Herren unbedingt ungewohnt und jedenfalls zu scharf zu sein; denn alle Augenblicke trennte sich irgend ein Würdenträger von seinem Gaul oder wurde von diesem beim Passieren von Ortschaften nolens volens in den nächstbesten Stall getragen.

Wir passierten zahlreiche Kampongs oder Dessas, wie die Dörfer der Eingeborenen heißen, welch letztere die Behausungen verlassen und an der Straße Aufstellung genommen hatten, um uns zu begrüßen. Die gesitteten, sesshaften Javanen zeichnen sich durch Sanftmut, Ruhe und Ordnungsliebe aus; ihre Hauptbeschäftigung bildet der Ackerbau, dem sie mit mehr Fleiß obliegen, als die Bewohner Vorderindiens. Der zahlreichste Stamm der malayischen Rasse, sind die Javanen im allgemeinen schlank und wohlgebaut, von kleiner Statur, mit hellbrauner, bronzeartiger Hautfarbe; der Bartwuchs ist sehr spärlich; das lange Haupthaar wird in einem verschlungenen, das Hinterhaupt bedeckenden Knoten getragen. Die Weiber, bedeutend kleiner als die Männer, erfreuen sich ebenfalls wohlproportionierten Körperwuchses.

Die Kleidung ist eine sehr einfache: die Männer tragen zumeist eine bis zur Hüfte hinabreichende Jacke (Badju) aus Kattun und eine Art Frauenrock, Bebed genannt, auf dem Kopf ein turbanartig geknüpftes Tuch, dessen Enden bei den Westjavanen vom Haupt abstehend getragen werden; die Frauen tragen den Sarong (Kain), der um die Taille festgeschlungen wird, dann ein Brusttuch, welches, etwa in der Art des schottischen Plaids geknüpft, den Oberleib bedeckt, und darüber eine Jacke (Kabaya) aus Kattun. Die Kulis sind oft nur mit einem Lendentuch bekleidet, während die Kinder zumeist völlig unbekleidet umhergehen.

Von Schmucksachen sieht man im Volk nur wenig; dagegen prangt im Gürtel jedes Mannes die Lieblingswaffe, der Kriss oder Duwong, ein dolchartiges, scharf geschliffenes Messer, dessen Scheide je nach den Vermögensverhältnissen des Besitzers mehr oder weniger reich geschmückt ist.

Der arme Javane lebt meist nur mit einer einzigen Frau beisammen; der Reiche jedoch richtet seinen Hausstand, den Satzungen des Islams gemäß, polygamisch ein. In allen Fällen nehmen die Frauen, auf deren Schultern die Hauptlast der Arbeit ruht, eine vollkommen untergeordnete Stellung ein. Eigentümlich ist die Art, in welcher die javanische Mutter ihren Säugling trägt; dieser sitzt, in ein Tuch eingeschlagen, oberhalb der Hüfte seiner Trägerin.

Der Gesamteindruck, den ich von den Javanen empfing, war ein recht günstiger. Zu diesem Urteil veranlassten mich insbesondere zwei Momente: die wohltuende Reinlichkeit der Behausungen der Javanen, sowie deren respektvolle und zugleich freundliche Art, den Fremden zu begegnen.

Am Fuß des Vulkans harrten unser nächst dem Haus eines Regierungsbeamten Reitponies, welche uns nach einer kurzen Rast den steilen Pfad emportragen sollten.

Auf dem freien Platz vor dem Regierungshaus waren mehrere Gamelangs postiert, die durch ihr Zusammenspiel einen betäubenden Lärm verursachten. Hier konnte ich die verschiedenen Instrumente, deren sich die javanischen Musiker bedienen, genau besichtigen: vor allem den
mit zwei Metallsaiten bezogenen Rebab, eine Art schmaler Violine mit gekrümmtem Streichstock; dann den Gendeer, einen Komplex aufrecht stehender Bambusrohre, die mit kleinen Hämmerchen geschlagen werden und entsprechend ihrer verschiedenen Größe auch in verschiedenen Tönen erklingen; ferners den Gambang kaju, ein Instrument, welches, unserem Xylophon ähnlich, aus einer Kiste besteht, auf welcher Holz- oder Metallplatten liegen, die mit hölzernen Klöppeln geschlagen werden: die verschiedenartigen Bonongs, Metallbecken, die zwischen Bambuslatten hängen, sowie große Gongs, Pauken und trommelartige Instrumente, welche den Gamelang kompletieren.

Endlich war alles besehen; wir saßen auf und nun ging es, anfangs im Trab, dem Gipfel des Papandajan zu. Der Weg zog sich durch Gärten, Kaffee- und Cinchona-Plantagen; dann kamen wir auf freie, mit Alang bewachsene Stellen und endlich in noch jungfräulichen Urwald, der uns fast bis zu dem Krater hin begleitete. Der Ritt inmitten des tropischen, üppig schönen Waldes, den unzählige klare Bäche und Quellen durchrauschten, war herrlich. Der Pfad stieg allmählich immer schärfer an und war im Dunkel des Waldes so glatt, dass unsere kleinen Pferde nur mit der größten Anstrengung weiterklettern konnten.

Auf 1 km vom Krater ändert sich der Charakter der Landschaft, die großen Bäume, die Baumfarne und Palmen treten zurück und machen strauchartigem Myrtengebüsch Platz. Längs des Weges findet man bereits Lava und Schwefelstücke; die aus dem Boden brechenden Quellen sind heiß und stark eisen- oder schwefelhaltig; die Atmosphäre lässt bereits die Nähe des Kraters ahnen. Bei einer Biegung des Pfades hört wie mit einem Schlage alle Vegetation auf; wir befinden uns in einem Steinmeere; weißes, von Schwefeladern durchzogenes Gestein umgibt uns. Große, nackte Felsblöcke liegen wild durcheinander; nackt schimmert auch das Gestein der beiden diese Wüste begrenzenden Bergwände; kein Vogel, kein Schmetterling, kein Insekt; alles ist tot und einförmig. In einiger Entfernung sieht man bereits die nebelartigen Dämpfe des Kraters emporsteigen, wir sind an der Stelle, wo die letzte Eruption für ewige Zeiten ein kahles Trümmerfeld geschaffen und so unauslöschliche Spuren hinterlassen hat.
Einst ragte der Vulkan Papandajan bis zu der Höhe von nahezu 3000 m auf; doch erfolgte vor etwa 50 Jahren ein außergewöhnlich heftiger Ausbruch, infolge dessen der Berg eine gewaltige Steinmasse Verderben bringend in die Täler sandte, so dass der eigentliche Krater jetzt nur mehr 2634 m über dem Meer liegt.

Noch gab es ein sehr steiles Stück zu überwinden; unsere Pferde kletterten wie Ziegen über das Gestein, dann standen wir am Rand des Kraters. Der Papandajan ist einer der wenigen Vulkane, deren Krater bestiegen werden kann, und gestattet sonach aus nächster Nähe einen Einblick in das Walten unterirdischer Kräfte.

Der Krater hat die Form eines Kegels, der über und über mit verbranntem, bimssteinartigem Gestein, sowie mit gelbleuchtenden Schwefelkrystallen und Schwefelstücken absonderlichster Form bedeckt ist. Diese Schwefelprodukte entstehen aus dem Niederschlage der allmählich sich abkühlenden Dämpfe, welche übelriechend und die Atmosphäre mit Stickluft füllend, unter zischendem Brausen aus zahlreichen kleinen Öffnungen dringen. Auch kochendes Wasser stößt der Vulkan aus und vielen Löchern und Rissen entquellen heiße Sprudel. Wir stachen mittels Stangen, die wir mitführten, in diese Öffnungen, und warfen in dieselben Steine, die alsbald in heißem Zustand wieder ausgeworfen wurden; auch versuchten wir an mehreren Stellen den Boden aufzugraben; kaum waren wir einige Zentimeter tief eingedrungen, so spritzte schon kochendes Wasser hervor oder flogen, von Schwefelgasen getrieben, unter pfeifendem Gesurre Steinstücke empor. Der Kegel des Kraters ist durchwegs hohl; überall tönt und hallt es; an manchen Stellen ist es sogar gefährlich zu gehen, da die brüchige Rinde sich nur allzuleicht spaltet und einstürzt. Erst vor kurzem war ein Malaye in einer solchen Spalte versunken und auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Das Brausen, Zischen und Sausen, die stechenden und brennenden Dämpfe betäubten uns fast, so dass wir erst viele Hundert Schritte vom Krater entfernt wieder frisch aufatmeten; leider machten wir zugleich die unangenehme Bemerkung, dass alle aus Gold bestehenden Gegenstände, die wir bei uns trugen, schwarz geworden waren.
Noch im Bereich des Kraters hatte die Regierung aus Anlass meines bevorstehenden Besuches eine große Bambushütte erbauen lassen, in der uns ein opulentes Frühstück serviert wurde; doch muss ich gestehen, dass mir andere Gastmahle schon besser gemundet haben, da in dieser Atmosphäre alle Gerichte mit Ingredienzien der Hexenküche versetzt zu sein schienen. Auch Musik gab es hier oben; unablässig ertönten, während wir auf dem Gipfel des Vulkans weilten, die monotonen Klänge der einheimischen Bambusinstrumente.

Nachdem ich noch einige Gesteinsproben aufgelesen, verließ ich nach allzu kurzem Aufenthalt den Gipfel des merkwürdigen Vulkans, der uns grollend einen letzten Gruß nachsandte.

An der Stelle, wo die Wagen bereit standen, veranstalteten die Eingeborenen einen Widderkampf, welcher von den Tieren mit größter Erbitterung geführt wurde. Dieses Schauspiel unterschied sich von ähnlichen, die wir in Indien gesehen hatten, dadurch, dass die Leute hier die Widder auskämpfen ließen, bis der eine der beiden Streiter den Kampf aufgab und als geschlagen den Platz räumte.

Der Regent, der von meiner Sammelpassion gehört hatte, war so freundlich, nach unserer Rückkehr auf dem Platze vor seinem Palais in Garut eine förmliche ethnographische Ausstellung zu arrangieren. aus welcher ich die für meine Zwecke passenden Gegenstände wählen konnte. Da gab es allerlei Gerätschaften, deren sich die Eingeborenen bei Bebauung des Bodens sowie in ihren Wohnungen bedienen; fernere Werkzeuge für Handwerker, als Schmiede, Töpfer u. dgl.: einzelne Musikinstrumente und vollständige Gamelangs; Waffen, zumeist Pfeile. Bogen und Krisse.

Abends genossen wir abermals die Aufführung eines Wajangs und zwar diesmal eines Wajangs Kulit, bei dem aus Leder geschnittene und bunt bemalte Marionetten als Schattenfiguren hinter einer weißen Papierwand bewegt wurden. Wie bei anderen Wajangs erklang Musik und ertönte aus dem Hintergrund eine näselnde, die Handlung erläuternde Stimme, welche eher eine einschläfernde Wirkung hervorbringt.

Am Schluss der Vorstellung erfreute uns das holde Paar, der Regent mit seinem Hoffräulein, abermals durch einen Tanz. Dieser wurde, offenbar im Hinblick auf die Erfolge der Tänzer am verflossenen Abend, noch weit feuriger exekutiert und endete mit einer gesteigerten Nuance, indem diesmal nicht bloß ein Ganymed erschien, sondern eine ganze Trias von Wedanas Champagner kredenzte.

Links

  • Ort: Garut, Indonesien
  • ANNO – am 14.04.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Das Heiratsnest“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Gringoire“ aufführt.

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