Dakna Bagh, 9. März 1893

Am Morgen lief gute Botschaft ein. Tiger hatten nicht weit vom Lager mehrere Stück Vieh gerissen. Alsbald eilten wir auf Reitelephanten nach dem Rendezvous, während die Begleitung auf Jagdelephanten folgte. Die nepalischen Reitelephanten sind wie Pferde gesattelt und bewegen sich äußerst rasch vorwärts, so dass die Benützung derselben, namentlich auf längere Strecken, jener der Jagdelephanten, welche die schwankenden Häudas tragen, weit vorzuziehen ist. Am Jagdplatz angelangt, harrten wir der Bestätigung der Tiger durch die vorausgesandten Schikäris.

Mittlerweile wurden unter Leitung des jungen Schamschir 200 Elephanten zur Jagd rangiert, und boten die gewaltigen Dickhäuter, alle in einer Reihe aufgestellt, einen imposanten Anblick. Neben uralten Tieren mit langen Stoßzähnen, deren Spitzen alljährlich abgesägt werden, standen kleine, kaum zwei Jahre zählende Elephanten. Einer der letzteren hatte die Rolle des Clowns übernommen, da er seine Genossen ununterbrochen neckte und allerlei Unarten zum besten gab. Wie die Folge zeigte, benahm er sich seiner Unvertrautheit halber bei den Jagden höchst ungebärdig, indem er jedes aufspringende Stück Wild mit einem Trompetenstoß begrüßte, gelegentlich auch umkehrte und durchging, bis ihn die Schläge seines Lenkers wieder auf den Pfad der Pflicht brachten. Ein junger, mit heiterer Lebensauffassung begabter Elephant bringt durch die drollige Beweglichkeit seiner ungeschlachten Masse überaus komische Eindrücke hervor, und nur die Bedachtnahme auf die Schwierigkeiten des langen Transportes hielten mich ab, einen dieser heiteren Gesellen für die Heimat zu erwerben.

Nach je 20 Treiber-Elephanten war immer ein Häuda-Elephant eingeteilt, für welche Funktion würdige Greise ausersehen waren, die schon manches Tigergefecht mitgemacht und sich hiebei durch ruhiges Standhalten und Furchtlosigkeit bewährt hatten. Jeder der Treiber-Elephanten trägt außer dem Mahaut noch einen Mann, dessen Aufgabe es ist, das Tier mit einer hölzernen Keule zu bearbeiten. Die Behandlung des Elephanten durch seine Leiter ist sehr unsanft, da das Tier oft wegen der geringfügigsten Unart oder, um es zu rascherer Gangart anzutreiben, so heftig geschlagen wird, dass das Blut herabläuft.

In der Mitte sowie an den Flügeln der langen Elephantenlinie sorgen Kommandanten für die Aufrechthaltung der Ordnung; außerdem patrouilliert der Ober-Schikäri, seine Befehle erteilend, auf einem sehr raschen Elephanten fortwährend hinter der Linie auf und ab.
Nachdem wir eine halbe Stunde gewartet hatten, erschienen die ausgesandten Schikäris mit der Meldung, dass sie einen Tiger in einem dichten Dschungel bestätigt hätten. Flugs kletterten wir in die Häudas, die Elephantenlinie machte linksum und zog im Gänsemarsch eilig in den Wald.

Diese Wälder enthalten meist hohe Sal-Bäume, die vielfach von armdicken Lianen umrankt sind und ein dichtes Blätterdach bilden. Der Boden ist mit kniehohem, sehr dichtem, gelbem Gras bedeckt, das unserem Schilf völlig ähnelt. Manche der Dschungel sind von Lichtungen unterbrochen, auf welchen das Gras besonders üppig wuchert und eine solche Höhe erreicht, dass man in der Hauda stehend, eben noch über die Spitzen desselben hinwegsehen kann. Mit solchem Gras verdeckte Wasserläufe, Erdrisse und Lachen durchziehen das Terrain. Wild aller Art findet daselbst sichere Schlupfwinkel und baut förmliche Tunnels, in denen es sich niedertut oder schleichend auf Äsung und Raub ausgeht. Hier hausen der Tiger und der Panther, von kleineren Raubtieren der Schakal, der Zibethmarder (Viverricula malaccensis), die verschiedenen Mangusten; Rudel von Wildschweinen brechen an den versumpften Stellen; schöngefleckte Axishirsche (Cervus axis), der Schweinshirsch mit seinem rehbockartigen Geweih und der rotbraune Bellende Hirsch oder Muntjak (Cervulus muntjac) finden sich hier, während der mächtige Sumpfhirsch oder Barasinga (Cervus duvauceli) und der Sambarhirsch seltener zu sehen sind; das Stachelschwein errichtet da seinen weitläufigen Bau; vereinzelt kommen der einem Meerschwein nicht unähnliche Erdhase (Lepus hispidus) und der gemeine Indische Hase vor.

Von Vögeln sind am häufigsten Pfauen zu beobachten, die, hier glücklicherweise nicht heilig, geschossen werden dürfen, ferner das Frankolinhuhn, das sehr seltene Sumpf-Frankolinhuhn (Francolinus gularis) und das schöne Bankivahuhn, gemeinhin Dschungelhuhn (Gallus ferrugineus) genannt, von dem unsere Haushühner stammen. Auf den zahlreichen dürren Bäumen sitzen die verschiedensten Gattungen von Adlern, Geiern und Falken, während naseweise Krähen und Kolkraben mit heiserem Geschrei die Plätze umkreisen, an denen ein verendetes oder gerissenes Stück Wild liegt; mitunter begegnen wir dem grauen Nashornvogel (Ocyceros birostris), einem gelben Pirol mit schwarzem Kopfe (Oriolus melanocephalus), einem prachtvollen roten Mennigvogel (Pericrocotus speciosus), sowie mancherlei bunten Spechten; von Tauben zieht besonders die herrliche Bronzetaube (Chalcophaps indica) mit ihrem metallisch grünen und violetten Gefieder unsere Aufmerksamkeit auf sich; scheue Eulen huschen mit geräuschlosem Flügelschlag aus Baumlöchern hervor; von allen Seiten ertönt das Geschrei der Papageien. Affen, die in Nepal sehr häufig sind, dürfen, weil von den Eingeborenen als heilig angesehen, nicht geschossen werden.

Wir mochten etwa anderthalb Kilometer schweigend hintereinander geritten sein, als plötzlich der Ober-Schikäri einen Teil der Elephanten und Schützen nach rechts, den anderen nach links abschwenken und eiligst einen Kreis bilden ließ, so dass die Lichtung, in der wir uns befanden, von einem undurchdringlichen Ringe von Elephanten umschlossen war. In der Mitte der Lichtung stockte zwei Meter hohes, dichtes Röhricht und Gras. Da der Kreis kaum 80 m im Durchmesser hatte, so zweifelten wir, mit dieser Art zu jagen nicht vertraut, daran, dass nach all dem Lärm, welchen das Schließen des Ringes verursacht hatte, ein Tiger auf dem kleinen Platz standgehalten haben könne, ja dass es überhaupt möglich sei, einen Tiger mit so apodiktischer Sicherheit zu bestätigen. Bald sollten wir jedoch eines Besseren belehrt werden.

Als der Kreis geschlossen war, ritten drei Schikäris auf besonders verlässlichen Elephanten in das dichte Gras. Nach einer kleinen Weile machte einer der Elephanten, laut trompetend, mit erhobenem Rüssel und aufgestellten Ohren einen Sprung nach vorwärts, ein sicheres Zeichen, dass er auf einen Tiger gestoßen; gleich darauf sah ich die Spitzen des Grases sich bewegen, aber nur so schwach, als ob eine Schlange oder ein kleines Tier am Boden schliche — kein Zweifel, ein Tiger befand sich im Kreis. Unsere Erwartung war aufs höchste gespannt.

Unausgesetzt ritten die Schikäris im Dschungel umher; jeden Augenblick trompetete einer der Elephanten; die Spitzen des Grases zitterten bald da bald dort, einige Mal in meiner nächsten Nähe — doch konnte ich den Tiger nicht zu Gesicht bekommen.

Fast eine Viertelstunde größter Spannung für alle Schützen war verronnen, bis die Elephanten dem Tiger endlich hart auf der Ferse waren, und er, mit Gebrüll aus dem Dschungel gegen den Residenten zu hervorschießend, den Kreis zu durchbrechen suchte. Durch das Geschrei der Elephantenführer zurückgescheucht, lief der Tiger an ungefähr 20 Elephanten in voller Flucht vorbei und wollte eben in das bergende Grasdickicht zurück, als ich auf ihn feuerte. Der Resident und mein Jäger hatten den Tiger nach dem Schuss stürzen gesehen, doch war ich dessen nicht ganz sicher, da uns nur ein Tiger bestätigt worden war und Generalkonsul Stockinger, der mir gegenüberstand, wenige Augenblicke später mehrere Schüsse in das Dickicht abgab. Nun schossen aber auch Crawford und Prónay; überdies meldete ein Schikäri, dass der Tiger, auf den ich geschossen hatte, verendet am Anschuss liege: es mussten sonach offenbar mehrere Tiger im Kreis sein.

Tatsächlich losten sich bald alle Bande der Ordnung, mehrere Herren wurden hitzig und stürmten, statt auf ihren Ständen zu bleiben, wie angeordnet war und in der Natur der Sache lag, ihre Elephantenführer zur Eile anspornend, in den Kreis hinein, wo sie ein regelloses Schnellfeuer auf alles, was sich da rührte, eröffneten. Ich war gleich meinen beiden Nachbarn anfänglich ruhig stehen geblieben; als wir jedoch sahen, dass die ungestümen Schützen nicht mehr auf ihre Plätze zurückzubringen waren, folgten wir dem bösen Beispiel und gingen ebenfalls vor. Nach den ersten Schritten meines Elephanten in dem hohen Gras springt hart vor mir über einen etwas lichteren Fleck ein Tiger, den ich rouliere. In diesem Augenblicke sehe ich in einem Schilftunnel einen zweiten Tiger vorwärtsschleichen; meinem Mahaut „Rok“ zurufen und schießen war Eins; zu meiner Freude liegt auch dieser Tiger verendet vor mir.

Endlich nahm das Schnellfeuer ein Ende. Jeder der Herren, die gleich anfänglich in den Kreis geritten waren, wollte einen Tiger geschossen haben; ja ein Schütze behauptete sogar, dass von ihm drei Tiger erlegt worden seien. Ich stieg vom Elephanten ab, um zunächst die zwei Tiger zu untersuchen, die ich so rasch hintereinander im Gras geschossen. Leider fanden sich bei beiden Schüsse, die von dem konzentrischen Schnellfeuer herrührten; der eine hatte einen Schuss in der Hinterprante, der andere zwei Schüsse am Schlegel. Das zuerst von mir erlegte Tier, eine kapitale Tigerin, hatte zum Glück nur meinen Schuss, auf den hin die Katze gestürzt war. Auf der Strecke lagen im ganzen außer der alten Tigerin noch drei ziemlich ausgewachsene Tiger, anscheinend Junge vom vorigen Jahr. Von letzteren gebürte einer dem Captain Fairholme, während das Schiedsgericht von den beiden Tigern, welchen ich den Fangschuss gegeben hatte, den einen dem Generalkonsul Stockinger, den andern aber Prónay zusprach, da der Schlegelschuss von einer Expansivkugel herrührte und nur Prónay solche Kugeln führte.

Die Verteilung der Beute war nicht so einfach, da einige der Herren in der Hitze des Gefechtes und der mit einer Tigerjagd verbundenen Aufregung eine ganze Reihe von Schüssen abgegeben hatten. Die Strecke von vier Tigern hätte übrigens noch um einen bereichert werden können, wenigstens behaupteten die Eingeborenen, dass, als der Kreis während der Jagd gelichtet wurde, ein fünfter Tiger, durch das hohe Gras gedeckt, entwischt sei. Jedenfalls war der Beginn der nepalischen Expedition ein herrlicher und erfüllte uns mit Freude, welche auch die Eingeborenen teilten, indem sie uns mit unausgesetzten Selams begrüßten.

Der Resident ordnete die Fortsetzung der Jagd an, worauf bald ein neuer Kreis geschlossen wurde, in welchem die Schikäris einen starken männlichen Tiger, welcher in dieser Gegend schon längere Zeit sein Unwesen trieb, vermuteten. Diese Annahme erwies sich jedoch als irrig; nur einige wunderschöne Dschungelhähne standen erschreckt auf, und über unsere Köpfe strich ein Nashornvogel mit weißem Leib und schwarzgelb gebänderten Flügeln von seltener Größe; er gehörte einer Art an, die ich nicht kannte.

Die Schikäris gaben die Hoffnung nicht auf und gingen mit ihren raschen Elephanten auf Suche, während wir ein Frühstück einnahmen. Neben dem Dschungel, in dem eben gejagt worden war, hatten wir ein schattiges Plätzchen unter einem großen Sal-Baume erwählt und taten uns gütlich, als plötzlich neben uns der Ruf „Bagh, Bagh“ (Tiger) erscholl. Wir sprangen sofort auf und bestiegen so schnell als möglich die Elephanten, welche in unserer Nähe standen. Ich war kaum in meiner Häuda, als mein Mahaut schon nach den sich bewegenden Grasspitzen, hart neben der Stelle, auf der ich gesessen, deutete, mir zuflüsternd, dass dort ein Tiger sei. Dies schien mir unglaublich; denn wir hatten diese Stelle, wenn auch in Abständen von einander, bei Schließung des zweiten Kreises passiert, kaum 20 Schritte von derselben beim Frühstück laut gesprochen und gelacht; ja ich hatte dort überdies auf ein über mir aufgebaumtes Dschungelhuhn geschossen. Und doch war dem so, wie mein Mahaut gesagt.

Die geschickten und findigen Eingeborenen schlossen mit ihren Elephanten sofort einen Kreis um den kleinen Grasbusch, ich drang ein und im selben Augenblick sprang rechts von mir ein Tiger hervor, dem ich einen Schuss nachsandte, worauf der Tiger flüchtig wurde und einige Elephanten des Kreises annahm, die sich trompetend und schnaubend herumdrehten und ein gewaltiges Getöse machten. Nach einigen Sekunden kam der Tiger in der Flucht wieder aus einem Grasbusch auf eine kleine Blöße hervor, auf der ihn Clam mit einem Blattschuss roulierte.

Eine Reihe von Schüssen wurde dann noch auf den verendenden Tiger abgegeben, eine hier übliche Unsitte, die ich nicht billigen kann, weil sie Zweifel darüber hervorruft, wem ein erlegter Tiger zuzusprechen sei, und weil sie wegen der Gewehre großen Kalibers, welche die Engländer führen, den Verderb des schönen Felles nach sich zieht; vor allem aber, weil sie nicht waidmännisch ist. Doch gelten in Indien eben wesentlich andere Anschauungen über waidmännische Regeln als in unserer Heimat. Der Unterschied ist etwa jener, welcher zwischen den Ansichten eines Sportsman und eines waidgerechten Jägers besteht.

Unter den Eingeborenen verlautete, dass der zuletzt erbeutete Tiger, ein stärkeres Männchen, mit jenem nicht identisch sei, auf den ich geschossen hatte, sondern dass letzterer mit durchbohrter Kinnlade, nachdem er die Elephanten angenommen, entkommen sei. Ich teilte diese Ansicht jedoch nicht und glaube vielmehr, den Tiger im hohen Gras gefehlt zu haben.
Glücklich über die erbeuteten fünf Tiger — ein Resultat, das in so kurzer Zeit und unter so bemerkenswerten Umständen wohl nur selten erreicht worden sein dürfte — lenkten wir unsere Schritte gegen das Lager. Während des Marsches versuchten wir einen großen Trieb, ein sogenanntes General-shooting, wobei sämtliche Elephanten in einer Linie die Dschungel durchstreifen und auf jede Gattung von Wild geschossen wird. Ein solches General-shooting ist ungemein spannend, da der Jäger auf das verschiedenartigste Wild gefasst sein muss: bald sind es Wildschweine, bald Schakale, bald eine Zibethkatze. bald Hirsche, bald Plauen oder Frankoline und Dschungelhühner, die vor den Elephanten flüchtig werden oder aufstehen. Der ganzen Linie entlang krachten Schüsse, an deren Laut der Schrot- vom Kugelschuss zu unterscheiden war, so dass man ungefähr folgern konnte, worauf der Nachbar wohl geschossen haben mochte. Unsere Strecke betrug 51 Stück. Ich selbst hatte zwei Schweine, mehrere Axishirsche, Pfauen, Frankoline und eine schwarzbrüstige Bengal-Trappe (Sypheotides bengalensis), welche in der Größe die Mitte zwischen der Zwerg-Trappe und unserer großen Trappe hält, erbeutet.

Den Abend verbrachten wir in dem die Mitte des Lagers einnehmenden, kleinen Speisezelt, in heiterster Stimmung die jagdlichen Ereignisse des Tages besprechend.

Links

  • Ort: Dakna Bagh, Nepal
  • ANNO – am 09.03.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Freund Fritz“ (als Ersatz für „Faust“), während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Merlin“ aufführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
19 × 15 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.