Colorado Springs, 30. Sept. 1893

Auf der Strecke der Denver and Rio Grande Railroad rollten wir, nachdem wir uns bei Provo City ostwärts gewendet hatten, unserem nächsten Ziel, Colorado Springs, zu. Landschaftlich ist diese Route als höchst interessant zu bezeichnen, weil der Schienenstrang eine ganze Reihe der großartigsten Canons durchzieht. Enge Felsentäler und Schluchten gibt es ja auch in Europa, doch weder in solcher Zahl und Ausdehnung, noch durch die grotesken Formationen ausgezeichnet, denen wir hier begegnen. Leider verdarb uns schlechtes Wetter zumeist den Genuss der Szenerie; denn es schneite, als wilden Canon des Grand Rivers durchfuhren, in dichten Flocken und Nebelmassen bedeckten die Bergspitzen sowie die höheren, mitunter bis zu 750 m beinahe senkrecht aufragenden Wände.

An vielen Stellen ist die felsumstarrte Schlucht so enge, dass die Bahn und der Fluss gerade knapp nebeneinander Raum haben und das Tageslicht nur zwischen kolossalen, schroffen Wänden einfallen kann; dennoch haben in den Felsspalten verkrüppelte Kiefern Wurzeln geschlagen, und wo ein Fleckchen Erde zwischen den Steinen übriggeblieben ist, lugen intensiv rot und gelb gefärbte Büsche hervor. Die Sandsteinfelsen nehmen die abenteuerlichsten Gestaltungen an, verwitterte und zerbröckelte Partien wechseln mit tiefen, langen Rissen und Höhlungen ab, und man wähnt jeden Augenblick, überhängende Mauern oder Blöcke in die Tiefe stürzen zu sehen, in welcher der schäumende Fluss sein Bett immer mehr und mehr eingräbt; durch die Gewalt der Eisbildung abgesprengte Felsblöcke türmen sich stellenweise zu mächtigen Massen, das prachtvolle Bild ergänzend, das diese wildromantische und düstere Gegend bietet.

Der Canon des Grand Rivers erstreckt sich auf 27 km Länge, bis das Tal, in dem viel frisch gefallener Schnee lag, sich erweitert, jedoch ohne den öden und steinigen Charakter zu verlieren; so oft der Nebel durch den herrschenden Wind zerrissen wurde, konnten wir auch die den Canon begrenzenden hohen Berge sehen.

Bald traten wir in den Eagle River Canon ein, der seinem Vorgänger wohl ähnlich, doch noch bedeutend enger ist, so dass man selbst vom Boden des Waggons aus nicht an den Wänden emporblicken kann; auch mussten hier, obschon die Bahntrace sonst immer hart am Flussufer zieht, einige kleinere Tunnels gebohrt werden. Förmlich an die Wände geklebt scheinen die kleinen Hütten der Bergarbeiter und die Grubeneingänge der Bergwerke, welche den Erzreichtum erschließen und die vorwiegende Erwerbsquelle der sehr dünn gesäeten Bevölkerung bilden.

Als wir nach Passierung des Eagle Canons eine Art Hochebene erreichten, umfing uns aus dichtem Schneegewölke brechender lichter Sonnenschein, der mehrere grünende Felder, hier ein ungewohnter Anblick, bestrahlte; weidende Rinder und Pferde brachten Leben in die Landschaft.

Zwei Städte, Leadville und Salida, zeigen den schon wiederholt beobachteten Typus städtischer Ansiedlungen, obgleich das Gebiet, wie ganz Colorado, lange Zeit mexikanisch gewesen ist, bevor dieses von den Vereinigten Staaten annektiert wurde; an die vergangene Epoche erinnern zahlreiche Namen von Bergen, so die schneebedeckte Sangre de Cristo Range, und von Orten, wie Pueblo, welches wir später passierten.

Unmittelbar nach Salida beobachteten wir mächtige, rundliche, mitunter reihenweise übereinander gelagerte Felsblöcke, deren einzelne an Größe ein kleines Haus weit übertrafen. Die Vegetation war hier eine überaus dürftige und nur durch eine dachförmige Zwergfichte und gelbblühende Kakteen vertreten.

Was Großartigkeit anbelangt, kann sich der letzte der Canons, der des Arkansas, mit dem Great Canon im Yellowstone-Park messen, doch fehlen jenem die herrlichen Lichteffekte und Farben, die mich an diesem entzückten; hingegen ist im Canon des Arkansas die Zerrissenheit des roten Sandsteines sowie die Höhe der Granitfelsen geradezu verblüffend und steigen an der engsten Stelle dieses 13 km langen Passes, der Royal Gorge, die Felsen bis zu 800 m an.

Überwältigt von dem Anblick, stand ich, dem Beispiel der meisten Mitreisenden folgend, auf der Plattform des Waggons, während der dahinsausende Train sich aus dem Bereich der dräuenden, gigantischen Massen zu flüchten schien. Derartige schaurige Gegenden tauchen wohl vor unserem Geiste auf, wenn wir von Angriffen der Indianer auf Eisenbahnzüge, von Kämpfen zwischen jenen und den Reisenden und von der sonstigen Romantik des fernen Westens mit all ihren gruseligen Beigaben erzählen hören.

Plötzlich, und ohne dass die begleitenden Wände Ausläufer aussenden, hört der Engpass auf, einem breiten prairieartigen Tal weichend, in dem schüchterne Versuch auf dem Gebiet des Acker- und des Obstbaues bemerkbar waren.

Von Pueblo wendet sich die Bahn nordwärts, Colorado Springs zu, einem seines gesunden Klima halber beliebten Kurorte, woselbst wir unser Nachtquartier aufschlugen, um morgen nach Manitou zu fahren und von hier aus den 4331 m hohen Pike’s Peak zu besteigen.

Links

  • Ort: Colorado Springs, Colorado, USA
  • ANNO – am  30.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt das Stück „Der Veilchentreffer“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Die Afrikanerin“ aufführt.

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