Colombo — Kandy, 6. Jänner 1893

Es geht eine alte Sage, dass Ceylon einst der Sitz des Paradieses gewesen sei, dass Adam und Eva vor dem Sündenfall hier geweilt hätten. Wenn dem so war, so haben unsere Voreltern sich eines wahrhaft himmlischen Aufenthaltes erfreut. Wer Ceylon gesehen, begreift die ganze Größe des Verschuldens in dem freventlichen Spiele mit dem Apfel. Diese Insel, geschmückt mit den unvergleichlichen Reizen und Wundern der tropischen Natur, unerschöpflich an entzückenden Bildern, gesegnet durch unversiegbar zeugende Kraft, dem ganzen Menschengeschlechte um eines Apfels willen verloren zu wissen! Der Reichtum an Vegetation spottet jeder Beschreibung, kein Fleckchen ähnelt dem andern. Bei jedem Gang, jeder Fahrt, ich möchte sagen, jeder Biegung des Weges wechselt das Bild. Bald sind es Palmenwälder, bald riesenhafte Gummi- und Brotbäume mit ihren mächtigen Kronen, bald niedriges, undurchdringliches Gebüsch, mit Lianen und Orchideen überwuchert, bald cactusähnliche Euphorbien mit magnolienartigen, kerzengeraden Ästen, die unsere Blicke fesseln. Dazwischen Blumen in den buntesten Farben, wie die purpurrote Gloriosa superba und eine himmelblaue Ranunculacee. Schillernde Schmetterlinge flattern von Blüte zu Blüte, gestreifte Eichkätzchen (Sciurus palmarum) huschen längs der Stämme auf und ab, die farbenprächtigsten Vögel, Papageien, Bül-büls, Eisvögel, Reiher und Bienenfresser, durchschwirren die Luft.

Für heute war die Fahrt nach dem 119 km von Colombo gelegenen, 20.252 Einwohner zählenden Kandy, der alten Hauptstadt der Könige von Ceylon, dem Lieblingsaufenthalt des gegenwärtigen Gouverneurs, projektiert. Um 9 Uhr begab ich mich ans Land und durch ein Spalier von Truppen zum Bahnhof der Fort Station, wo abermals eine Ehrenkompanie aufgestellt war. Allerliebst sah eine zahme Indische Antilope — Black-buck der Engländer — mit vergoldeten Hörnern aus, welche die Musikkapelle mit sich führte.

Der Gouverneur mit seiner Suite und wir bestiegen die für das Klima sehr praktisch und luftig eingerichteten Waggons der Kandy-Bahn, welche von den Engländern vor Jahren mit großen Kosten gebaut und in Betrieb gesetzt worden ist. Singhalesen dienen als Weichenwächter, während die Conducteure und Beamten Europäer sind. Trotz der großen Kosten des Unternehmens rentiert sich dasselbe nun infolge des bedeutenden Tee-Exportes und der Vorliebe der Eingeborenen für Eisenbahnfahrten sehr gut.

Die Bahn führt zunächst durch dichte Bananen- und Palmenwälder, welche mit ausgedehnten Reisplantagen abwechseln. Die Reisernte, die jährlich zweimal erfolgt, war kurz vor unserer Ankunft beendet, und so standen die stark bewässerten und terrassierten Felder im frischesten jungen Grün. Überall staken Büffel, umgeben von den aus der Ferne schneeweiß erscheinenden Kuhreihern, bis zum Kopf in den Tümpeln. Bei der Station Rambukkana tritt die Bahn in das Gebirge, ändert sich das Panorama; immer steiler und steiler schlängelt sich der Schienenstrang empor, Tunnels und überhängende Felsgallerien folgen, überall gibt es Quellen, Bäche, Flüsse, die in raschestem Lauf der Ebene zueilen und die Szenerie mächtig beleben. Das Auge weidet sich an den spitzen, blauen Bergen und den mit Urwald bedeckten, tief eingeschnittenen Tälern — es ist, möchte ich sagen, eine Semmering-Bahn ins Tropische übersetzt. Ein hoher, schwarzer Felskegel, der steil neben der Bahn emporragt, hat seinerzeit unter den Königen von Ceylon aus dem Geschlecht der Mahawanis als tarpejischer Felsen eine traurige Berühmtheit erlangt, da diese Alleinherrscher von hier aus die ihnen unbequemen Gefangenen in die Tiefe stürzen ließen. In der Nähe der Station Kadugannawa erhebt sich das Denkmal des Captain Dawson, welches zur Erinnerung an die durch ihn erfolgte erste Anlage der Bahn errichtet worden ist.

Vor Kandy werden die Reisfelder durch Tee- und Cacaoplantagen verdrängt, die mit ihren tiefgrünen Blättern einen freundlichen Eindruck machen.

Auf dem Bahnhofe von Kandy harrte unser ein festlicher Empfang. Eine Ehrenkompanie freiwilliger Natives präsentierte, während eine neu errichtete reitende Garde, aus eingeborenen Junkern zusammengestellt, auf trefflichen Ponies vor unserer Staatskarosse und hinter derselben einherritt. Ganz Kandy war auf den Beinen; Tausende von Singhalesen und viele Europäer bildeten Spalier oder hatten die zahlreichen Veranden besetzt, um uns mit freundlichem Gruß und Huf zu bewillkommen.

Kandy ist überaus malerisch in einem grünen lachenden Hain gelegen und zeichnet sich durch die Sauberkeit seiner Häuser, sowie durch sein mildes Klima aus.

In der Nähe der Ruinen des alten Königspalastes, gigantischer, fest fundierter Mauern mit origineller Crenelierung, war aus Bambusrohr und Palmenblättern ein turmartiger Triumphbogen errichtet. Jenseits desselben befanden wir uns in dem feenhaften Garten des Government House oder Pavillon. Bambus- und Gummibäume von nie geahnter Größe, überragt von blühenden Lianen, bilden eine Allee, die bis zu dem Government House führte. Dieses, im „tropischen Stil“ angelegt, bietet durch seine breiten Treppen und großen luftigen Hallen einen überaus angenehmen Aufenthalt.

Vorerst machte ich Lady Havelock meine Aufwartung und ließ mir sodann durch den Gouverneur eine zahlreiche Deputation der einheimischen Edlen, des alten Geburtsadels von Ceylon vorstellen, wobei folgende Etikette beobachtet wurde. Ich postierte mich mitten im großen Saale, während die Mitglieder der Deputation einzeln defilierten, sich tief vor mir verneigend; der Vize-Gouverneur nannte die Namen, die sich durch besondere Länge auszeichneten.

Die Kostüme dieser würdigen, langbebärteten Männer sind höchst originell: auf dem Kopf tragen sie einen vier- oder sechseckigen, flachen, roten Hut, auf dem eine edelsteinbesetzte Agraffe zittert; der Oberleib ist mit einem golddurchwirkten Jäckchen bekleidet; auf der Brust hängen an goldenen Ketten verschiedene Amulette und Ehrenzeichen, oft reich mit Brillanten besetzt. Unter diesen Schmucksachen fiel mir insbesondere ein durchaus ganz mit Rubinen und Smaragden gezierter, fliegender Adler auf, der von einem Minister des letzten Königs stammen soll. In einem breiten Gürtel stecken Messer mit reich ciselierten Klingen. Das Merkwürdigste bei der Kleidung aber ist die Art und Weise, die unteren Extremitäten zu bedecken. Zunächst sind dieselben mit engen, weißen, bei den Knöcheln endigenden Hosen bekleidet, über welche beiläufig 54 m Musselin gewickelt werden — eine Arbeit, zu der ungefähr zwei Stunden notwendig sind. Dieses gewiss seltsame Kostüm verleiht seinen Trägern das höchst komische Aussehen wandelnder Birnen.

Nach Beendigung dieser Defilier-Cour wurde der Ruhe gepflogen. Als sich bereits die Kühle des Abends angenehm fühlbar machte, statteten wir dem Zahne Buddhas, dem größten Heiligtum der Buddhisten, unseren Besuch ab. Mit ohrenzerreißendem Tamtam-Lärm und mit Trommelmusik wurden wir von den Tempelwächtern und Oberpriestern am Fuße des Tempels empfangen und über verschiedene kleine Treppen in das Innere geleitet. In der Vorhalle bildeten unzählige Priester, sämtlich mit dem gelben Sarong bekleidet und kahl geschoren, verschmitzt lächelnd und sich verneigend, ein schier endloses Spalier. Noch ein mit Bildnissen aus dem Leben Buddhas geschmückter Raum war zu durchschreiten, dann befand ich mich im Sanctuarium, einem viereckigen, dunklen, nur von wenig Lampen beleuchteten Raume, in welchem mir der modrige Geruch der zahlreich gestreuten Blumen entgegenströmte. Der Oberpriester murmelte einige Gebete und zeigte mir dann den Zahn, der in einer großen, goldenen Rose befestigt liegt. Der Gott Buddha muss ein Riesengebiss besessen haben, denn der Zahn misst 5 cm Länge und 25 cm Breite, hat dunkle, kastanienbraune Farbe und soll, wie man mir sagte, ein Stück Elfenbein sein, welches die schlauen Priester wieder einzuschmuggeln verstanden hatten, nachdem der ursprüngliche Zahn Buddhas durch die Portugiesen verbrannt worden war. Viele Pilger und Processionen wallfahrten alljährlich zu diesem Heiligtume. Über den Zahn werden sechs oder sieben turmähnliche Hüllen aus massivem Gold, reich mit Edelsteinen besetzt, wahre Kunstwerke, gestülpt. Das Ganze wird in einem vergitterten Kasten aufbewahrt, in dem sich noch ein besonderer Wertgegenstand befindet, nämlich eine Buddha-Figur, 12 cm hoch, aus einem einzigen, ganz reinen Smaragd geschnitzt.

Wir besahen hier noch ein zweites Reliquiarium mit vielen, besonders krystallenen Buddhas, sowie die Bibliothek des Tempels, in der alte singhalesische, auf Palmblättern eingeritzte Schriften aufbewahrt sind, und fuhren hierauf nach dem etwa 6 km entfernten, herrlichen botanischen Garten von Peradenia, der durch die Mannigfaltigkeit seiner Pflanzen und Baumarten und durch die geschmackvolle Zusammenstellung der Gruppen die kühnsten Erwartungen übertrifft. Das tropische Klima, durch die Kunst des Gärtners unterstützt, ist eben im Stande, geradezu feenhafte Wirkungen hervorzubringen. Peradenia soll der schönste botanische Garten der Welt sein; dass er unerreicht ist, glaube ich bestimmt. Über Aufforderung des Obergärtners musste ich zur Erinnerung an meinen Besuch einen Baum pflanzen, wie es dereinst auch der Prinz von Wales und der Cesarewitsch gethan haben. Der von ersterem gesetzte Baum hat bereits eine beträchtliche Höhe erlangt. Die Orchideen-Sammlung des Parkes ist in einem Hause untergebracht, in welchem, um die zarten Pflanzen vor dem Einflusse der starken Sonnenstrahlen zu schützen, die Glasscheiben durch Strohmatten ersetzt sind.

Lady Havelock, der wir mit ihrer Tochter in diesem Teil des Gartens begegneten, lud uns ein, in einem kleinen Gartenpavillon Tee zu nehmen.

Um 8 Uhr war im Government House zu Kandy großes Parade-Diner, dem zahlreiche Würdenträger und mehrere Damen zugezogen waren. Riesige Inder mit langen Spießen bildeten im Stiegenhaus Spalier; die Tafel war in schwarzen und gelben Farben und mit Blumen reizend geschmückt. Bei dem trefflichen Mahle, in dessen Verlaufe die Musikkapelle des 6. Regimentes heitere Weisen erklingen ließ, saß ich zwischen Lady Havelock und der Frau unseres Consulargerenten Schnell, einer in Calcutta geborenen Deutschen. Zum Schluss des Diners brachte der Gouverneur das Wohl der Königin, jenes unseres Kaisers und das meine aus, wozu die Volkshymne erklang.

Nachdem die Tafel aufgehoben war, begann auf dem großen Platze vor dem Buddha-Tempel ein religiöser Umzug, die Perahera-Procession, welche nur einmal im Jahre abgehalten wird, und zu der alle Edlen des Reiches aus den fernsten Gauen mit ihrem Gefolge und ihren Elefanten herbeiströmen, um den größtmöglichen Pomp zu entwickeln. Der glänzende Zug der Würdenträger, Edlen und Mannen, die majestätischen Elefanten, die in buntem Wechsel spielenden Farben, das Glitzern und Gleißen von Gold und Edelgestein, das Treiben der Menschenmenge, die Vorführung fanatischer Tänze, die magische Szenerie — das alles übergossen von grellem Fackelscheine, dünkte ein lebendig gewordenes Märchen aus Tausend und Einer Nacht. Der Zug bewegte sich unter betäubendem Tamtam-Getöse und Trommellärm an dem Buddha-Tempel vorbei, auf dessen Estrade wir mit sämtlichen Gästen des Gouverneurs und den Mitgliedern der englischen Kolonie Platz genommen hatten.

An der Spitze des Zuges schritt ein schön geschmückter, riesig großer Elephant, der auf einer reichen Seidendecke die Abbildung der goldenen Hülle von Buddhas Zahn trug. Den Riesen geleiteten zwei kleinere Elefanten; dann kamen etwa hundert Singhalesen mit Fahnen und Fackeln; ihnen folgten, umgeben von Tänzern, die sich in grotesken Sprüngen fortbewegten, die Edlen des Reiches in ihrer von Diamanten glitzernden Tracht. In dem wenigstens 800 bis 1000 m langen Zug figurierten vierzig mit dem verschiedenartigsten Schmucke gezierte Elefanten. Alle Häuser bis zu den Dächern und der ganze große Platz waren von massenhaft versammeltem Landvolk besetzt, das in seinen roten und weißen Sarongs und der unruhig wechselnden Beleuchtung eine fesselnde, fremdartige Staffage bildete. Zweimal defilierte der Zug an uns vorbei. Dann kehrten wir, um ein interessantes Erlebnis reicher, in den Pavillon des Gouverneurs zurück.

Huts in Colombo, Ceylon

Hütten in Colombo, Ceylon

Links

  • Ort: Kandy, Ceylon
  • ANNO – am 06.01.1893 in Österreichs Presse. Frankreichs Panamaskandal ist immer gut, um ein paar Seiten zu füllen, ebenso wie der andauernde Schneesturm in Wien.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Krisen“, ein Charaktergemälde von Eduard von Bauernfeld; das k.u.k. Hof-Operntheater führt eine französische Oper auf: „Der Prophet“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
27 × 6 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.