Chicago, 3. Oktober 1893

Eine ganze Reihe von Schienensträngen, teils mit unserer Fahrtrichtung parallel laufend, teils divergierend über und unter derselben führend, zeigte früh morgens an, dass wir uns Chicago näherten; dieses kolossale Verkehrsnetz gewinnt fortwährend an Ausdehnung, breite, mit Schienen belegte Straßen bilden sich, auf welchen die Züge mit großer Schnelligkeit aneinander vorbeisausen, ohne Unterschied, ob sie die belebte Stadt, das besiedelte Land oder die Prairie durchfahren. Es ist erstaunlich, dass bei dem gänzlichen Mangel an Bahnwächtern, Schranken und sonstigen Sicherheitsvorkehrungen sowie bei dem geringen Beamtenstand, dessen Vertreter man selten zu Gesicht bekommt, sich nicht mehr Eisenbahnunfälle ereignen.

Bei uns wäre es unmöglich, täglich zahllose Eisenbahnzüge in voller Fahrt die Straßen volkreicher Städte durcheilen zu lassen und sich hiebei auf das Zeichen der Lokomotivglocke als einziges Warnungssignal zu beschränken. Wird einerseits bei uns zu Hause in Bezug auf die Sicherheit der Person und auf die Verhütung von Unfällen manchmal etwas zu weit gegangen und das reisende Publikum allzusehr bevormundet, so ist andererseits das hier beliebte System denn doch zu amerikanisch um der Nachahmung würdig zu sein.

Schmutzige Vorstädte, dampfende Fabriksschlote und undurchdringliche Rauchwolken, welche über der Stadt schwebten, waren die ersten Eindrücke, die wir bei unserer Ankunft in Chicago empfingen. Da ich die kurze Zeit meines Aufenthaltes ausschließlich und ungestört der Besichtigung der Ausstellung widmen wollte, hielt ich es für geboten, den Zug zu verlassen, ohne erkannt zu werden, und eilte, als ich in der Einfahrtshalle ein ganzes Heer von Reportern mit dem nötigen Schreibmaterial in den Händen unter der Führung eines höheren Eisenbahnbeamten auf meinen Pullman Car zuschreiten sah, durch einige Waggons hindurch und gelangte auf diese Weise unbemerkt zu einem Wagen, den ich sogleich zu der nach der Ausstellung führenden Bahn fahren hieß.

Chicago war die erste Stadt des nordamerikanischen Ostens, die ich sah; obgleich dieselbe weit großartiger und mächtiger in ihren Dimensionen ist, als die bisher von uns berührten amerikanischen Gemeinwesen, konnte ich ihr doch gar keinen Gefallen abgewinnen. Während die Vorstädte und die entfernteren Stadtviertel durchaus den wiederholt geschilderten Städten des Westens gleichen, treten im Innern Chicagos an die Stelle der Holzbauten wahre Ungetüme von Häusern, die aber bloß auf die praktische Ausnützung berechnet und ebenfalls ohne jeglichen Aufwand an Schönheitssinn erbaut sind. Ein Haus gleicht dem anderen auf das genaueste und nur die Anzahl der Stockwerke ist verschieden; wir sahen Bauwerke, die 15, ja 18 Stockwerke zählten, doch jedes Schmuckes, selbst des kleinsten verschönernden Details entbehrten. Diese riesigen Zinstürme, welche aus einem großen Eisengerippe mit Hohlziegelfüllung bestehen, sind manchmal im Verhältnis zu ihrer Höhe äußerst schmal, was natürlich eine harmonische Wirkung von vorneherein ausschließt; infolge des Rauches, welcher den Fabriksschloten entqualmt, haben die Häuserfronten, die Dächer und die Straßen ein düsteres, unfreundliches Äußere erhalten, welches durch den dunklen, roten oder braunen Anstrich der Gebäude noch verstärkt wird.

Bei dem großen Auditorium Hotel, das die Ecke der Michigan-Avenue und der Congress-Straße bildet, bestiegen wir die längs des Michigan-Sees zur Ausstellung führende Eisenbahn; eine doppelte, mit Steinblöcken ausgefüllte Pallisadenwand hat die Wellen des oft stürmisch bewegten Sees vom Ufer abzuhalten, doch werden gleichwohl die Schienen der eigens für Zweck der Ausstellung erbauten Bahn häufig fußhoch überschwemmt.

Eine große Menschenmenge wallt schon in den Morgenstunden der Exhibition zu und wird mit Dampfbooten, mit Eisenbahnzügen oder endlich mittels Coaches dahin befördert; letztere erfreuen sich besonderer Vorliebe seitens der Söhne Albions, welche dann unter Peitschengeknall und Trompetengeschmetter in den World’s Fair einfahren. Die Bahn lässt alle fünf Minuten einen Zug abgehen; die 20 Minuten währende Fahrt endet auf einem langen hölzernen Viadukt, der einen guten Ausblick auf die Ausstellung mit ihrem Meer von Hallen und Gallerien, Kuppeln und Türmen bietet.

Wenn ich vorerst den Gesamteindruck wiedergeben will, den mir die Ausstellung während meines eintägigen Besuches gemacht hat, so kann ich nicht leugnen, dass derselbe, sowohl was die Ausdehnung und Anlage, als auch den architektonischen Ausbau der Hauptobjekte anbelangt, ein durchaus großartiger war; man wollte alle bisherigen Ausstellungen übertrumpfen, was auch in den erwähnten Gesichtspunkten gelungen ist.

Der Ausstellungsplatz, 278 ha umfassend, wird an drei Seiten von den Häusern der Stadt, an der vierten Seite vom Michigan-See begrenzt. Die Hauptgebäude imponieren durch ihre fabelhafte Größe, desgleichen die Wasserbauten, die Avenuen und die Verkehrsanlagen in der Ausstellung selbst, obschon das ganze Terrain vor kurzem noch eine öde Wüste war. Wie alles, so hat auch diese Ausstellung ihre Schattenseiten; die exponierten Gegenstände entsprechen nicht immer den Erwartungen, der Besucher sieht viel Unnötiges, manches Alte, dem er schon oft begegnet ist, und Dinge von höchst zweifelhaftem Wert. Mitunter erkennt man das Bestreben, unförmlich große Hallen um jeden Preis ausnützen zu wollen; so fand ich beispielsweise einen bedeutenden Raum mit schlecht ausgestopften Tieren und Präparaten erfüllt — ein hieher übertragenes naturhistorisches Museum, dessen Existenzberechtigung an dieser Stelle zumindest fraglich ist. Von der Absicht geleitet, alles in einer Großartigkeit vorzuführen, welche der erstaunten Welt als nur in Amerika möglich gezeigt werden sollte, ist man mitunter dem Schwindel verfallen, der unter der glänzenden äußeren Hülle hervorlugt. Auch kann nicht unerwähnt bleiben, dass das Publikum in der Ausstellung durch sein rücksichtsloses Vorgehen, sein Drängen und Stoßen den Aufenthalt nicht immer eben angenehm machte.

Da mich die schon früher angedeuteten Umstände zwangen, dem Besuch der Ausstellung nur einen Tag zu widmen, trachtete ich soviel als möglich zu sehen, vor allem aber die hervorragendsten Gebäude, dann die mich interessierenden forst- und landwirtschaftlichen, ethnographischen und naturgeschichtlichen Abteilungen. Wenngleich ein Tag im Vergleich zum Umfang der Ausstellung unzureichend sein musste, konnten wir doch einen allgemeinen Überblick gewinnen und, den erforderlichen Eifer an den Tag legend, das Wichtigste auch eingehender besichtigen. Jegliche Führung hatte ich abgelehnt, um nicht vom Willen des Führers abhängig zu sein und auf dessen Wunsch vor einer Seifen- oder Parfüm-Exposition in Bewunderung verharren zu müssen, und eilte mit Zuhilfenahme eines Planes jenen Objekten zu, die ich als sehenswert erachtete.

In dem Kinderpavillon, einer Ausgeburt amerikanischen Sensationsbedürfnisses, welcher dem Endpunkt der Bahn zunächst gelegen ist, waren Kinder in allen Entwicklungsstadien vom neugeborenen Säugling an bis zu Sprösslingen im zehnten oder zwölften Jahre ausgestellt und wurde die Behandlung sowie die Pflege des amerikanischen Kindes ad oculos demonstriert; dass dies bei den reihenweise in Wiegen liegenden Säuglingen nicht immer ästhetisch wirkte, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Unwillkürlich gedachte ich meines Besuches in Moskau, wo ich im Staats-Findelhaus zur allgemeinen Heiterkeit die Front von 3000 Säuglingen und den dazu gehörigen Ammen abschreiten musste. Selbstverständlich betrachtete ich auch die in Chicago exponierte Schar mit den Augen eines Junggesellen, der bekanntlich angesichts von Kindern durch andere Gefühle beschlichen wird, als eine junge Mutter. Zum Glück hat die Ausstellungskommission dafür gesorgt, dass die lebenden Objekte in ihren Räumen nur durch große Fenster gesehen werden können und somit verschiedene intime Vorgänge der Kindererziehung in der Regel dem Beschauer entrückt bleiben können; doch hat man dessenungeachtet Gelegenheit genug, auch diese Details eingehend zu studieren.

Anregender erschien mir die Garten- und Obstausstellung; der horticole Teil ist zwar, mit Ausnahme der interessanten mexikanischen Kakteen, welche in allen Varietäten und Formen zu sehen waren, ziemlich unbedeutend, hingegen das exponierte Obst, sowohl was Qualität als Quantität betrifft, höchst bemerkenswert. Auf dem Gebiet der Obstkultur wird neuerer Zeit in Amerika Hervorragendes geleistet, wobei Kalifornien, das ein ganz vorzügliches Obst liefert, den
Reigen führt; leider war die Pfirsich- und Birnenzeit dieses Landes schon vorbei, hingegen in dieser netten und reinlichen Abteilung eine Serie der herrlichsten Apfel- und Traubengattungen zu sehen.

Wooded Island stellt einen von zahlreichen, mit Kieswegen durchzogenen Garten dar, dessen Anlage jedoch durch Übertreibung der Gartenkunst als Künstelei erscheint und den Eindruck der Geschmacklosigkeit hervorruft; die umgebende Lagune wird mit Petroleummotorbooten und zahlreichen anderen Fahrzeugen, darunter einigen Venetianer Gondeln, befahren.

Zwischen den langgestreckten Gebäuden der Bergbau- und der elektrischen Ausstellung hervorkommend, betritt man den Hauptplatz der Ausstellung, der einen fesselnden, imponierenden Eindruck macht; in der Mitte des Platzes befindet sich das große, mit Fontänen und Statuen geschmückte Bassin, auf dem sich zahlreiche Boote tummeln, ringsum erheben sich die mächtigsten Bauten des Ausstellungsgebietes, welche in dem architektonischen Aufbau und dem äußeren Schmuck wirkungsvoll übereinstimmen. Es ist beklagenswert, dass diese prachtvollen Gebäude nur für die allerkürzeste Zeit berechnet sind und kaum die wenigen Monate der Ausstellung überdauern werden; denn schon jetzt zeigen sich Schäden an denselben. Jedes dieser Bauwerke besteht aus einem kolossalen Eisengerüst mit Holzfüllungen, die mit einer sehr effektvoll wirkenden, stuckartigen weißen Masse, Staff genannt, überkleidet sind. Dieses Material, Michigangips mit einem Zusatz von Kalk und Jutefasern, wurde überdies zu allen dekorativen Bildhauerarbeiten, welche die Fassaden verschönern, und selbst zu der 22 m hohen Kolossalfigur der Freiheit verwendet.

Der bemerkenswerteste Bau ist der kuppelgekrönte Administrationspalast, vor dem die Statue des Columbus errichtet ist, während rechts davon die Maschinen- und die Agrikulturhalle, links die Elektrizitäts- und die Industriehalle liegen; das Casino und die Musikhalle bilden den Abschluss des Platzes gegen die Seeseite.

Das Bassin entsendet zwei durch mächtige Brücken überspannte Arme, deren nördlicher mit der Lagune verbunden ist, und bietet mit diesen Abzweigungen dem Auge einen angenehmen Ruhepunkt. Die erwähnte Freiheitsstatue, deren Sockel im Bassin fußt, passt in ihrer reichen Vergoldung und den schlecht proportionierten Formen nicht nur nicht in den imposanten Rahmen, sondern wirkt sogar störend, was jedermann, der Sinn für künstlerische Schönheit hat, selbst der enragierteste Republikaner, welchem die phrygische Mütze ein heiliges Symbol ist, zugestehen dürfte. Geschmackvoller präsentiert sich die Mc. Mounies-Fontäne, ein Kolossalbrunnen in Form eines Triumphfahrzeuges, auf dem die Columbia thront und allegorische Figuren das Ruder führen; zu beiden Seiten sind Fontaines lumineuses und auf der Einfassung des Bassins Säulen mit Darstellungen von Tieren in übernatürlichen Dimensionen angeordnet.

Den schönsten Ausblick auf diese großartigen, binnen kurzer Zeit aufgeführten Werke genießt man von den über die Seitenkanäle führenden Brücken; trotz des niederströmenden Regens und der gehegten Vorurteile konnte ich dem sich darbietenden Bild meine Bewunderung nicht versagen, die nur durch das Bedauern darüber getrübt wurde, dass all diese Herrlichkeit bloß kurzen Bestand haben und nicht auch künftigen Zeiten erhalten werden soll.

Die Agrikulturhalle als gedeckten Durchgang benützend, schritt ich der anthropologischen Ausstellung zu, bekam aber auf dem Wege dahin noch manches zu sehen; so zunächst die Vorführungshalle der weithin sich dehnenden Vieh- und Pferdeausstellung, welche Exposition übrigens, wie ich vernommen hatte, nichts Hervorragendes bietet. Zahllose Windmotoren bei Seite lassend, machte ich bei einem Modell der Behausungen der ehemaligen Höhlenbewohner Amerikas halt; ein Felsen ist hier mit allen Rissen und Zerklüftungen naturgetreu wiedergegeben und in dessen Innerem eine in verkleinertem Maßstab gehaltene Ansiedlung jener merkwürdigen Menschen dargestellt, die sich in Grotten Wohnstätten, welche unseren Burgen ähnlich sind, erbaut hatten. Die Höhlenfunde werden in einem angrenzenden Museum gezeigt; darunter befinden sich Leichen und Leichenreste in gut mumifiziertem Zustand, Geräte des Hausgebrauches, insbesondere hübsche Tongefäße und Feuersteinwaffen aus jener prähistorischen Periode.

In der anthropologischen Abteilung interessierten mich namentlich zwei Gruppen: die Indianer-Ausstellung und jene der Ausgrabungen, welche aus allen Teilen Amerikas herrühren; das Fesselndste in der zweiten Gruppe waren die aus Mexiko und Südamerika stammenden Funde, Belege für die hochentwickelte Kultur und Kunstfertigkeit der Azteken.

Unter den exponierten Objekten Australiens und der SüdseeInseln fand ich manch wohlbekannte Gegenstände wieder; so ein großes Bild eines der Papuadörfer bei Port Moresby, welches mich lebhaft an den dort mit den Eingeborenen eifrigst betriebenen Tauschhandel erinnerte. Einen Beweis dafür, dass die Gruppierung der Ausstellungsobjekte nicht immer systematisch korrekt ist, durfte ich unter anderem wohl darin erblicken, dass sich in der anthropologischen Abteilung neben Menschenschädeln, Pfeilspitzen und anderen aus der Steinzeit herrührenden Gegenständen ein Gesundheitsmieder und Spielkarten aus aller Herren Ländern vorfinden. Im ersten Stockwerk des Gebäudes waren größtenteils naturhistorische Gegenstände untergebracht, darunter das lebensgroße Modell eines bei Stuttgart gefundenen Mammuts. Merkwürdigerweise machen sich in diesem Raum auch einige Geweih- und Fellhändler breit.

An die anthropologische schließt sich die Forstausstellung, die meine Aufmerksamkeit durch die mannigfaltigen Hölzer anzog, welche aus den verschiedenen Staaten Amerikas stammen und anschaulich in rohem, geschnittenem und poliertem Zustand zusammengestellt sind; mancher Urwaldriese hat sein Leben lassen müssen, um hier seinen mächtigen Querschnitt zu zeigen, und neben gigantischen Stämmen von Fichten und Thujen liegen auch Mahagoniklötze, die zumeist aus Mexiko eingesandt wurden. Die Forstausstellung ist allerdings nach unseren Begriffen keine solche, und ich möchte dem Katalog, ungeachtet der kühnen Behauptung, dass noch nie eine forstliche Exposition eine ähnliche Vollkommenheit aufzuweisen hatte, widersprechen; denn es fehlt ihr jeder Beleg dafür, dass hierzulande auf den Ersatz der geplünderten Waldungen durch Aufforstung Bedacht genommen wird. Ungeheuere Bäume und ebensolche Querschnitte allein sind kein Zeugnis für eine rationelle Forstkultur, und in manchen Gebieten wäre es, obgleich Nordamerika gewiss noch immense Holzschätze besitzt, doch schon sehr notwendig, für die Regeneration des schonungslos ausgebeuteten und verwüsteten Waldes zu sorgen. Ganz schüchtern treten hier auch einige Industriezweige, welche das herrliche Holzmaterial verarbeiten, mit ihren Erzeugnissen hervor.

Auf einem freien Raum vor diesen Pavillons sind Modelle größerer Aztekenbauten und hohe, geschnitzte Götzenfiguren der Vancouver-Indianer ausgestellt. Aufschriften, welche die schrecklichen Taten besonders gefürchteter Indianerhäuptlinge schildern, lockten uns in mehrere Zelte, in denen wir diese romanhaften Gestalten oder wenigstens Erinnerungen an dieselben zu sehen hofften; doch dienten die Aufschriften nur der Reklame für die in der Zivilisation schon sehr fortgeschrittenen Indianer, welche in den Wigwams verschiedene Gegenstände zum Kauf boten.

Die Beschickung der Exhibition muss einem Aussteller enorme Kosten verursacht haben, und das ist Krupp, welcher in einem Pavillon Monstergeschütze, riesige Schiffsschrauben, mächtige Panzerplatten. Stahlguss- und Schmiedestücke sowie Eisenbahnmaterial vereinigt hat: schon der Transport der Objekte von Essen nach Chicago soll gewaltige Summen verschlungen haben, und nun weigerten sich, wie man mir erzählte, die Eisenbahn- und Schiffsgesellschaften, den Rücktransport zu angemessenen Preisen zu übernehmen, so dass Krupp seine ganze Ausstellung der Stadt Chicago als Geschenk überließ. Was die friedfertigen, Schweine züchtenden Bürger namentlich mit den schreckbaren Kriegsutensilien machen werden, ist allerdings nicht leicht vorauszusehen.

Die Erinnerung an Columbus wird in der ganzen Ausstellung sorgsam gepflegt, wie auch eine getreue Nachbildung des Klosters Santa Maria de la Rabida bezeugt, in dem Columbus auf der Fußreise von Palos nach Madrid gerastet und jenen Plan gefasst hat, welcher die Einwilligung des Königspaares errang. Das Kloster ist damals Eigentum des Franziskanerordens gewesen und stand unter dem Guardian Juan Perez, dem Beichtvater der Königin Isabella, der vermöge seines Einflusses Columbus wichtige Dienste erweisen konnte. Die Mönche der Rabida weihten die Flotille des kühnen Seefahrers vor der Ausfahrt und segneten das Schiff abermals, auf welchem der große Mann nach Entdeckung Amerikas im Hafen von Palos eintraf. In den engen Räumen des nachgebildeten Klosters waren zahlreiche Bilder und Reliquien zur Erinnerung an Columbus ausgestellt, doch herrschte hier ein solches Gedränge, dass wir, von dem Menschenstrom fortgeschoben, nur wenig sehen konnten.

Auf dem glatten Spiegel eines Bassins schaukelten das im Arsenal de la Carracca in Spanien erbaute und nach Chicago überführte Modell der „Santa Maria“, des Flaggenschiffes Columbus‘, sowie die Modelle der beiden Gefährtinnen, der „Nina“ und „Pinta“; dieselben sind getreulich nachgebildet und präsentieren sich als echt spanische Schiffe ihrer Zeit mit dem turmartigen Hecke sowie dem hohen Bug, wie man sie auf Abbildungen der Armada zu sehen gewohnt ist.

Der Mut des großen Colon, der mit so kleinen Schiffen die gewagte Fahrt über das unbekannte Meer ins Ungewisse unternommen hat, ist nicht weniger bewundernswert, als die Tatsache staunenerregend, dass die Fahrzeuge die lange und stürmische Ozeanreise zu bestehen vermochten.

Welch einen Gegensatz bietet der „Illinois“, das im Michigan-See verankerte Modell eines Kriegsschiffes der Vereinigten Staaten! Dieses ist in natürlicher Größe hergestellt, vollkommen ausgerüstet und bemannt, sowie mit allen Offensiv- und Defensivwaffen ausgestattet; auch eine Marine-Ausstellung der Regierung befindet sich an Bord. Ein meinem Soldatengefühl widerstreitendes weil unwürdiges Spiel wird hier insoferne getrieben, als sich jeden Nachmittag die eingeschifften Offiziere und Mannschaften im Exerzieren mit Geschützen, im Manövrieren mit Torpedos und Booten vor einer gaffenden und den Zutritt bezahlenden Menge produzieren; dies verträgt sich mit dem Ernst und dem Decorum des Soldatenstandes nicht, sondern drückt diesen auf das Niveau der Seiltänzer und Jahrmarktskünstler herab.

Hierzulande erfreut sich der Soldat eben nicht der ausnahmsweisen Stellung und des Ansehens, die ihm, Gott sei Dank, in Europa noch gesichert sind, und so darf man sich weder über jene öffentliche Schaustellung der Marine, noch darüber wundern, dass auf dem Bundesparadefeld auch eine größere Abteilung der Landtruppen der Vereinigten Staaten täglich Übungen für Zuseher vornimmt.

Um von der Besichtigung der zahlreichen Hallen etwas auszuruhen, bestieg ich die elektrische Bahn, welche den Ausstellungsplatz auf einem hölzernen Gerüst durcheilt und an ihren Endpunkten Schleifen bildet; obgleich ich bei dieser Fahrt hauptsächlich nur die Dächer der verschiedenen Bauwerke zu Gesichte bekam, bot dieselbe doch Gelegenheit, den Ausstellungsplatz in seiner ganzen, wahrhaft riesigen Ausdehnung zu überblicken.

Bei der Fischerei-Ausstellung — diese ist in einem großen Gebäude spanisch-romanischen Stiles mit reich ausgebildeter Kuppel untergebracht — verließen wir die Bahn und konnten uns bald überzeugen, dass der Inhalt des schönen Baues dessen Außenseite keineswegs entspricht; nur das Aquarium macht eine Ausnahme, ebenso die lehrreiche Kollektion Schwedens mit ihren Booten und Fischereigerätschaften. In den großen Becken des Aquariums tummeln sich die verschiedensten Süß- und Seewasserfische, vom Karpfen bis zur Lachsforelle, Welse, Haie, fratzenhafte Teufelsfische, Hummer, Langusten u. dgl. m.

Mittlerweile hatte sich bei uns gewaltiger Appetit zu regen begonnen, doch mussten wir lange suchen, bevor wir ein Lokal fanden, dessen in großen Lettern prangende Aufschrift „Restaurant français“ leider mit dem Gebotenen nicht harmonierte; immerhin hatte dies den Vorteil, dass wir durch die kulinarischen Genüsse keineswegs gefesselt wurden und unsere karg bemessene Zeit wieder der Ausstellung widmen konnten.

Die Industriehalle, welche 123.400 m2 bedeckt, stellt das größte Einzelgebäude der Welt dar; das eiserne Dach der Halle hat eine Höhe von 62 m, und wird von 27 Hauptbogen mit einer Spannweite von 116 m getragen; an Baumaterial wurden 7.700 t Holz, 5.450 t Stahl und 900 t Eisen verwendet, die Kosten des Gebäudes beliefen sich auf 1,700.000 Dollars. Ich beschränkte mich darauf, die österreichische Abteilung zu besichtigen, welche manches Beachtenswerte, namentlich aber Glas, Porzellan, Ledergalanteriewaren von Förster und anderen sowie kunstgewerbliche Gegenstände enthielt; allerdings dürfte vielen unserer Industriellen die Reise zu weit und die Chance des Gelingens zu unsicher gewesen sein, was ich, ohne es ihnen verübeln zu können, bedauere.

Das regnerische Wetter heiterte sich gegen Abend auf und die Sonne schien freundlich, so dass sich in den Avenuen und Gartenanlagen ein reges Treiben entwickelte.

Mein nächstes Ziel war die Galerie der schönen Künste, ein großer Mitteltrakt, welcher durch verbindende Säulenhallen mit zwei Annexen zu einem stattlichen Bau vereinigt und mit reichem dekorativen Schmuck ausgestattet ist; vor der Mitte des Bauwerkes erhebt sich eine Kolossalstatue des Augustus. Die Kunst aller europäischen Staaten ist hier reichlich vertreten, und namentlich die Künstlerschaft Österreichs hat hervorragende Werke eingesandt, in denen ich meist gute alte Bekannte begrüßte — so Makarts „Fünf Sinne“, Porträts von Angeli, Broziks „Fenstersturz“, die bekannte, packende Szene aus der österreichischen Nordpolexpedition von Payer, die schönen Pausinger’schen Hirsche u. a. m.; in einem der Säle steht die wohlgetroffene Büste Seiner Majestät. Österreich kann auf diesen Teil seiner Ausstellung stolz sein; die Kunst vieler anderer Länder vermag sich mit den Werken unserer Heimat nicht zu messen.

Den Rest des Abends bis zur Abfahrt des Zuges widmete ich der Midway Plaisance, der Hauptattraktion für jeden Besucher, der sich, ermüdet und überwältigt von der Großartigkeit der Ausstellung, nach Erholung und Unterhaltung sehnt. Natürlich herrschen auch hier Riesendimensionen; denn dieses Vergnügungsetablissement größten Stiles bildet einen 2 km langen Boulevard, an dessen beiden Seiten eine unabsehbare Menge von Schaubuden, Theatern, Vaudevilles und Restaurants, Wohnstätten wilder Völker, Panoramas u. dgl. m. liegen. Ich möchte die Midway Plaisance mit einem vergrößerten und verlängerten Wurstelprater vergleichen, in dem die Gemütlichkeit und natürliche Heiterkeit durch die Masse und Originalität des Gebotenen ersetzt wird.

Der erste Pavillon ist dem schönen Geschlecht gewidmet und führt den Titel „Die 40 schönsten Damen aller Nationen“; der Zulauf zu diesem vielverheißenden Gebäude ist ein sehr bedeutender, und so nahmen auch wir Tickets, um die lebende Schönheitsgalerie zu besuchen. In kleinen, auf einer Tribüne angeordneten käfigartigen Boxes saßen, lagen oder standen in Nationalkostüm gekleidete Vertreterinnen der verschiedenen Länder, deren Namen unterhalb der Abteilungen in großen Lettern prangen. Hier waren die Schwedin neben der glutäugigen Andalusierin, die Türkin neben der Chinesin, die Deutsche neben der Japanerin u. s. w. zu sehen. Ich konnte mich im ersten Augenblicke nicht enthalten, hellaut aufzulachen, da mir die Anordnung der Käfige den Eindruck einer — sit venia verbo — Menagerie machte, und meine Heiterkeit pflanzte sich, als gar einige Damen in dieselbe einstimmten, auf alle Anwesenden fort. Einzelne der „40 schönsten Damen der Welt“, welche die Sache ernster auffassten und von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe durchdrungen sein wollten, schossen zwar vernichtende Blicke auf den Spötter, die Mehrzahl lächelte aber hold und schien erfreut zu sein, dass die Langeweile des täglich zwölfstündigen, ruhigen Sitzens und Angestarrtwerdens einigermaßen unterbrochen wurde.

Wenn ich auch nicht alle Damen, namentlich nicht die „Austria“ und die „Croatia“, zu den schönsten der Welt zählen möchte, so zeigten einige doch auffallend hübsche Gesichter, deren Besitzerinnen wohl ein besseres Los verdient hätten. Die Griechin, die im Gewand der schönen Helena und im Vollbewusstsein ihres griechischen Profils auf einem antiken Podium saß, wurde als eine ehemalige Blumenverkäuferin der Freudenau erkannt; ihre Antworten auf unsere Fragen waren echt wienerisch und atmeten den Wunsch des Mädchens nach baldiger Rückkehr in die Heimat. Eine andere Dame war ebenfalls eine Wienerin, welche im Vorjahr in der Musik- und Theaterausstellung als Champagnerhebe fungiert hatte; die Türkin, die mit mehreren Genossinnen in einem improvisierten Harem auf schwellenden Kissen lag, während ihr reiches Kostüm und das blitzende Diadem die Illusion vervollständigen sollten, schien in England das Licht der Welt erblickt zu haben. Die sichtliche Freude, welche den Wienerinnen die Anwesenheit ihres Landsmannes bereitete, rührte mich sehr, doch musste ich bald das Weite suchen, um einer drohenden, spontanen Ovation zu entgehen.

In Hagenbecks Menagerie, die in Zirkusform erbaut ist, finden täglich Vorstellungen statt, die ganz Vorzügliches auf dem Gebiete der Tierdressur bieten und daher zahlreiche Zuschauer anlocken, ohne dass die sonst so beliebte amerikanische Art der Reklame geübt zu werden brauchte. Vier ausgewachsene Löwen folgten wie Hunde ihrem Bändiger, der sie zum Schluss, vom Publikum lebhaft akklamiert. vor einen Wagen spannte und mit diesem die Arena umfuhr; auch ein ganz trefflich auf dem Bicycle fahrender Löwe war zu sehen. Bemerkenswert ist das friedliche Zusammenleben verschiedener Tiere in einem Käfig, die sich in Freiheit verfolgen und bekämpfen würden; so hausten ein Eisbär mit Tigern und Affen, Löwen mit fetten Schweinchen, Panther mit Hunden u. dgl. m. nachbarlich nebeneinander.

Wir schritten von Bude zu Bude, deren manche wir ziemlich enttäuscht verließen, weil das Gebotene den marktschreierischen Anpreisungen nicht entsprach; die fremdländischen Völker, welche ich, wie beispielsweise die Papuas, in ihrer Heimat aus eigener Anschauung kennen gelernt hatte, unterließ ich zu besuchen; in freundlicher Erinnerung an den Aufenthalt auf Java, besah ich jedoch Freund Kerkhovens javanisches Dorf, welches aber zu meinem Bedauern wenig Anziehungskraft auszuüben schien.

Die Produktionen der Theater begannen sämtlich so spät, dass ich keiner derselben beiwohnen konnte. Leider vermochte ich wegen gewisser in der österreichischen Abteilung herrschenden Verhältnisse nach Ansicht des Gesandten auch das vielgerühmte Alt-Wien nicht zu besuchen und musste mir an einem Paar der berühmten Wiener Würstel sowie an einigen Semmeln genügen lassen, die mir ein Freund brachte. Zur Genugtuung gereicht, dass in Alt-Wien sehr gute Geschäfte gemacht werden sollen und sich hier, dank den trefflichen Produktionen Ziehrers sowie der guten Wiener Küche, die elegante Welt Chicagos Rendezvous gibt.

Zur Übertrumpfung des Eiffelturmes ist ein Riesenhaspel in Gestalt eines kolossalen, eisernen Rades erbaut, woran Waggons von der Größe der Pullmann Cars hängen, die in einem vertikalen Kreis auf- und niedersteigen, sobald das Rad durch eine Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird. Bei elektrischer Beleuchtung macht das eiserne Ungetüm, von dessen Scheitelpunkt man die ganze Ausstellung überblickt, den Eindruck eines gigantischen Gespenstes. Nachdem eine Rutschbahn noch Reminiscenzen an den Wurstelprater wachgerufen hatte, ließen wir uns zu den Lappländern locken, die in ihren Erdhütten eine ziemlich schmutzbehaftete Existenz führten und eben beim Nachtessen vereinigt waren, über den verspäteten Besuch aber gleichwohl sehr erfreut schienen.

Hatte mir der Hauptplatz vor dem Administrationsgebäude schon bei Tag einen großartigen Eindruck gemacht, so war dies in noch viel höherem Grad bei Nacht der Fall, da man es meisterlich verstanden hat, den Totaleffekt durch glänzende und richtig disponierte Beleuchtung zu steigern. Tausende und Abertausende elektrischer Lichter, welche den architektonischen Linien folgen und sich im Bassin wiederspiegeln, sind auf den Bauwerken angebracht; von den Firsten einzelner Gebäude werfen mächtige Projectoren ihre blendenden Strahlen in die Tiefe, die rauschenden Kaskaden und springenden Fontänen leuchten — alles glüht, glänzt, gleißt und glitzert wie die Dekoration zu einem Zauberballett. Ich hätte dem nüchternen Sinne der Amerikaner die Fähigkeit zur Inszenierung einer so vollendeten und wahrhaft schönen Lichtwirkung nicht zugetraut.

Bei der Rückkehr in unsere rollende Wohnung erhielt ich endlich eine langerwartete Postsendung, die in Jokohama verspätet eingelangt und mir dann durch ganz Nordamerika nachgereist war.

Links

  • Ort: Chicago, Illinois, USA
  • ANNO – am 03.10.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt das Stück „Ein Schritt vom Wege“, während das k.u.k. Hof-Operntheater „Wiener Walzer“ und anderes aufführt.

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