Cap Po — Kutsching, 10. Juli 1893

Sobald der heute keineswegs freundliche Morgen angebrochen war, lag die Barkasse mit dem Galaboot im Schlepp klar, so dass wir in Begleitung des Kommandanten, welchen ich eingeladen hatte, die Partie mitzumachen, mit dem Frühesten abstoßen konnten, den Sarawak hinaufzufahren.

Die südlich von Po Point gelegene Bucht erwies sich als sehr seicht, weshalb ein ziemlicher Umweg gemacht werden musste, bevor wir zwischen Muwaratahas und Brook’s Point die Mündung des Sarawak-Flusses erreichten. In der Bucht waren überall Vorrichtungen für den Fischfang, die uns schon von Amboina her bekannten, aus Rohr oder Bambus hergestellten, von Auslugsitzen für die Fischer überhöhten Labyrinth, sichtbar.

Die Fahrt selbst bot wenig Interesse; denn der Fluss zieht sich in starken Krümmungen durch flaches, eintöniges Land zwischen grünenden Baumwänden hin, welche weder schöne Palmen, noch andere hochragende Stämme aufwiesen. Die einzige Abwechslung boten dem forschenden Auge einzelne, kleine Eingeborenen-Dörfer, deren Hütten knapp am Ufer auf Piloten errichtet waren. Davor tummelten sich im Schlamm oder im Sand zahlreiche Kinder umher, welche die vorüberziehende Barkasse neugierig betrachteten.

Wir trafen eine beträchtliche Anzahl von Praus, welche sämtlich das Einsetzen des Flutstromes abwarteten, um die Fahrt gegen Kutsching fortzusetzen; der Unterschied zwischen Flut und Ebbe und die dadurch bedingten Strömungen flussauf- und flussabwärts sind hier ungemein stark und bilden eine wesentliche Erleichterung für die Flusschiffahrt, so dass mit dem Einsetzen der Strömungen stets ganze Flotillen von Praus in kurzen Abständen von einander dahinsegeln. Können nun diese Boote die Fahrt von der Mündung bis zur Stadt nicht in einem Tage zurücklegen, so gehen sie vor Anker, um die nächste Strömung abzuwarten.

Je mehr wir uns Kutsching näherten, desto enger wurde der mäandrisch gewundene Fluss, desto mehr Boote ruderten oder segelten an uns vorbei; manche derselben waren von Chinesen dicht besetzt. Sobald wir bei Tanah Putik die letzte Krümmung des Flusses überwunden hatten, lag Kutsching vor uns, das sich als eine lange Reihe von Ziegelöfen, Brettsägen, Hütten und Häusern präsentierte, welche von einem in grellem Weiß leuchtenden, einen kleinen Hügel dominierenden, mit einem Signalturm gekrönten Fort überragt wird.

Stromaufwärts dringend, kommt man zu der eigentlichen Stadt, einem merkwürdigen Gemisch europäischer und einheimischer Bauwerke. Die Kontraste der modernen und der malayischen Architektur platzen hier nicht jäh aufeinander, sondern scheinen, von der Ferne betrachtet, zu einem Bilde verschmolzen, das ganz anmutig wirkt. Hier wird ein zweites Fort, oder besser gesagt, eine befestigte Kaserne sichtbar, deren mit Kalk getünchte Mauern schneeweiß glänzen, während die Glacis und die Außenwerke ringsum von parkartigen Baumanlagen und üppig grünen Rasenflächen umgeben sind.

Auf dem linken Ufer thront die Residenz des Sultans, ein Gebäude im Villenstil; auf dem rechten Ufer erheben sich die öffentlichen Bauten, der Gerichtshof mit dem Postamt, die Markthalle, eine kleine Kaserne, das Gefangenenhaus, das Ufergelände selbst aber wird von chinesischen Wohnhäusern und den Hütten der Eingeborenen eingesäumt. Der Schmutz rings um diese Behausungen, die zahlreichen Fische, die hier in der Sonne trocknen oder verwesen, und allerlei unappetitliche Speisereste und Vorräte lassen penetrante, recht üble Düfte ausströmen. Zahlreiche, fast sämtlich mit der Flagge von Sarawak gezierte Fahrzeuge liegen dem Ufer entlang vertäut, darunter auch eine recht hübsche Dampf-Yacht, die dem Radscha gehört.
Die erste Frage, die wir nach der Landung an die uns umdrängende Schar Neugieriger in englischer Sprache richteten, war die, wo sich das Clubhaus befinde, welches die „Saida“ bei ihrem Besuch in Kutsching vorgefunden und zu rühmen gewusst hatte. Unsere Fragen waren geradezu stürmisch, da wir vor allem einen Imbiss einnehmen und ein wenig Toilette machen wollten, bevor wir an weitere Punkte des Tagesprogramms zu schreiten gedachten; doch erhielt ich zu meinem größten Leidwesen den Bescheid, dass jenes Clubhaus vor kurzem. verkauft und demoliert, durch ein anderes aber noch nicht ersetzt worden sei. So blieb denn nichts anderes übrig, als über den Fischmarkt, bei dem wir gelandet, durch die Stadt zu schlendern, um dort Rat zu suchen. Zum Glück stießen wir binnen kurzem auf einen blonden Sohn Albions, der sofort bereit war, uns zu orientieren und uns direkt zu einem großen, mit einer offenen Säulenhalle geschmückten Gebäude führte, in welchem der Gerichtshof, das Post Office und andere Ämter untergebracht waren. In der Halle stand eine Anzahl alter Geschützmodelle, zumeist chinesischer Provenienz, auf Holzsockeln friedlich nebeneinander aufgestapelt; hier überantwortete uns der Brite dem in Tropenuniform gekleideten Generalpostmeister von Sarawak, welcher nach Nennung meines Namens hinwegeilte, um den Radscha von meiner Ankunft zu verständigen.

Seine Hoheit Sultan Charles Johnson Brooke hielt, wie uns ein Blick durch die Säulen der halboffenen Halle belehrte, just selbst Gericht; denn da saßen neben dem Radscha gähnend die Richter in ihren mit Leder gepolsterten Stühlen, standen Kläger, Geklagte, Zeugen, und hatten wir so Gelegenheit, Einblick in eine Sitzung des den Titel „The Datus Court“ führenden Gerichtshofes zu tun. Dieser Oberste Gerichtshof des Reiches, in welchem der Radscha den Vorsitz führt und nur eingeborene Würdenträger Sitz und Stimme haben, bildet die höchste Instanz in allen bürgerlichen Rechtsstreiten der Eingeborenen. Die Untersuchung und Entscheidung solcher Rechtssachen erfolgt nach dem in Sarawak geltenden Gewohnheitsrecht.

Der Radscha unterbrach die Gerichtsverhandlung und erschien vor mir, einen langen Stock, als äußeres Zeichen seiner Würde, in der Hand und umgeben von einigen Großen seines Reiches. Durch mein plötzliches, wiewohl, da mein Besuch in Kutsching vor längerer Zeit angesagt worden war, nicht unvermutetes Erscheinen einigermaßen in Erstaunen versetzt, begann der Radscha nach einer Pause zu erörtern, in welcher Weise er mir dienlich sein könne. Sein Vorschlag, mir eine aus Leuten seiner Truppen gebildete Leibwache zur Verfügung zu stellen, entsprach keineswegs meinen Wünschen; denn diese waren einfach darauf gerichtet, meinen Hunger durch konsistentere Lebensmittel zu stillen als jene, welche der Markt von Kutsching bot, sodann die Stadt zu besichtigen und am kommenden Morgen einen Ausflug in das Innere des Landes zu unternehmen, um echte Dajaks und deren Dörfer in Augenschein zu nehmen und hiebei vielleicht persönliche Bekanntschaft mit einem sich noch seiner Freiheit erfreuenden Orang-Utan, diesem riesigen Menschenaffen, zu machen.

Wir legten dem Radscha dieses Programm dar, die Aussichten aber, dasselbe zu realisieren, ließen sich allerdings übel genug an. Mir seine Residenz zu zeigen, war der Radscha mit Vergnügen bereit; die Tour ins Innere aber, fuhr er fort, in so kurzer Zeit auszuführen, sei ein Ding der Unmöglichkeit, da ein solcher Ausflug mindestens zwei Wochen in Anspruch nehmen würde. So viel Zeit aufzuwenden war mir jedoch im Hinblick auf die fixierte Reiseroute sowie auf die herannahende Periode der Taifune in den chinesischen Gewässern leider unmöglich.

Was nun die Dajaks betraf, so musste ich hören, dass die Dajaks des Territoriums von Sarawak schon mildere Sitten angenommen und gleich ihren Dörfern alle Originalität eingebüßt hätten. Eine Folge der auch in die Urwälder Borneos allmählich eindringenden Zivilisation bildet eben das Verschwinden der als Seeräuber und Kopfjäger einst so berüchtigten Nordwest-Dajaks und ihrer vormals so originellen, mit Kriegstrophäen geschmückten Behausungen. So bereitet. was wir vom Standpunkt des Kulturfortschrittes begrüßen, dem Ethnologen eine Enttäuschung! Auch die Jagd auf Orang-Utans fiel ins Wasser, da diese, wie der Radscha erklärte, aus der Umgebung von Kutsching völlig verdrängt erscheinen.

Angesichts dieser wenig erfreulichen Mitteilungen beschloss ich, nach Besichtigung der Stadt an Bord zurückzukehren und dadurch unser Eintreffen in Bangkok zu beschleunigen.

Der Sultan wollte mir in seiner Haupt- und Residenzstadt persönlich den Cicerone machen und begann uns deren Sehenswürdigkeiten zu zeigen, wobei er eigentümlicherweise mit den Gefängnissen den Anfang machte, welche sein besonderes landesherrliches Interesse in Anspruch zu nehmen scheinen; sie sind in einer Festung en miniature untergebracht und unleugbar gut gehalten.

Ein hochgewachsener, sehr magerer Mann, schlug der Sultan, wiewohl hoch in den Sechzigen, der großen Hitze ungeachtet, eine Art Laufschritt an, was uns manchen Schweißtropfen kostete und die Besichtigung einiger der Anstalten zu einer oberflächlichen gestaltete. So stürmten wir durch die im Regierungsgebäude befindlichen Bureaux, durch das Post- und Telegraphenamt, durch die Gerichtshalle, bis endlich das Gefährte, welches mittlerweile für mich herbeigeholt worden war, — ein kleiner, mit einem Pony bespannter Gig — herankam, um mich zu dem neu errichteten Museum zu bringen. Auch hier wollte der Radscha alles nur im Lauf erledigen, doch fand ich in dem zwar kleinen, aber reichhaltigen Museum zu viel des Interessanten vor, um nicht die Schritte Brookes zu zügeln. Die Sammlung enthält nur aus Borneo selbst stammende naturwissenschaftliche und ethnographische Objekte: Orang-Utans, die ich sonach auf Borneo leider nur in ausgestopftem Zustand zu Gesicht bekommen sollte; die merkwürdigen Nasenaffen (Nasalis larvatus); Vertreter der anderen auf Borneo vorkommenden, nicht eben zahlreichen Säugetiere; eine reiche Kollektion Vögel und Schmetterlinge zahlreicher, prachtvoller Arten u. s. w.

Die bedeutendste Abteilung dieses Museums ist die ethnographische, welche nur von Dajaks herrührende Gegenstände in sich schließt. Der Geschmack und die Kunstfertigkeit, welche die Dajaks, ein in vieler Beziehung sehr tief stehender .Stamm, bei der Anfertigung und Verzierung von Waffen, Schmucksachen, Hausgeräten u. a. m. an den Tag zu legen wissen, ist staunenswert. Unter dem Material, das hier Verwendung gefunden hat, spielen Menschenhaare, Zähne, Knochen sowie ganze Menschenschädel eine hervorragende Rolle.
Von der Terrasse des Museums genießt man einen hübschen Überblick auf die Stadt, sieht die neu gebaute Kirche, das Palais des Bischofs, die netten, mitten im dichten Grün der Gärten gelegenen Landhäuser der wenigen in Kutsching wohnenden Europäer.

Bei der Rundfahrt lernte ich die musterhafte Ordnung und Reinlichkeit der Straßen kennen, überall zeigte sich, dass eine feste Hand und europäischer Kultursinn der angeborenen Trägheit und Indolenz der Bevölkerung steuert. Unleugbar hat das Haus Brooke während der kurzen Zeit seiner Herrschaft Hervorragendes geleistet; wie aber die Verhältnisse im Innern des Landes liegen und wie die Verwaltung dort funktioniert, konnte ich natürlich nicht beurteilen.

In kleinen Barken setzten wir über den Fluss, um die Residenz des Radschas zu erreichen, die am linken Ufer auf einem Hügel erbaut und von einem Park umgeben ist. Das Äußere des Gebäudes ist völlig schmucklos, und im Innern fand ich eine Anzahl kahler, verwahrloster Gemächer; die Möbel und die übrigen Einrichtungsgegenstände der Empfangshalle sowie des Speisesaales, zweier Räume, in denen uns eine moderige Atmosphäre entgegenwehte, machten den Eindruck, als würden sie selten benützt. Es ist meine Gewohnheit, in einem Haus oder Palais, das ich zum ersten Mal betrete, sofort alle Bilder zu besichtigen, wobei ich im stillen Schlüsse über den Charakter und die Passionen des Besitzers zu ziehen suche. Hier nun gab es wenig Bilder, und nur eines fesselte mich: ein lebensgroßes Porträt James Brookes, des Staatenbegründers, dessen kraftvolle, energische Züge völlig meiner Vorstellung entsprachen; dieser angenehme Eindruck wurde aber durch das Bild Garibaldis, welches in der Nähe hing, ganz verwischt.

In dem Fremdenzimmer, das mir der Sultan anwies, hatten die Motten an den Möbeln und an dem Bett argen Schaden angerichtet, so dass nur unsichere Urteile über die ehemalige Blüte dieser Einrichtungsstücke gebildet werden konnten; doch war es bei der waltenden Hitze immerhin angenehm, bis zu dem Lunch ausruhen zu können.

Der Lunch war nicht fürstlich zu nennen — der Hof von Sarawak führt eine nicht eben gute englische Küche, womit für jene alles gesagt ist, die je bei einem Sohn Albions gute englische Küche kennen gelernt haben und auch deren Produkte nicht als gastronomische Kunstleistungen betrachten. Der Hofkeller schien nicht reich versehen zu sein, da nur mir Champagner serviert wurde, während die übrigen Herren leer ausgingen. Nebst dem Sohn des Radschas, dem Thronfolger Charles Vyner Brooke und dessen Erzieher vervollständigte unseren Kreis — Ihre Hoheit die Sultanin weilt seit längerer Zeit in England — eine Lady, die gekommen war, um den Rennen, welche demnächst hier stattfinden sollen, beizuwohnen. Der Beitrag dieser Dame zur Konversation beschränkte sich auf die von Zeit zu Zeit zum besten gegebenen Worte „Yes“ und „No“, die sie mit keiner Bewegung, nicht einmal mit einer Wendung des Kopfes begleitete, und ich konnte daher, weil der Radscha etwas schwerhörig ist, überdies ausschließlich englisch gesprochen wurde, das Mahl in dem düsteren Speisesaal nicht zu den anregendsten geselligen Vergnügungen rechnen.

Vor meiner Abreise ließ der Radscha noch eine Kompanie seiner Truppen mit der Musikkapelle vor dem Palais ausrücken. Die reguläre Truppenmacht besteht aus 300 Mann. Es ist nicht zu leugnen, dass die Soldaten, die ich zu sehen bekam, einen sehr guten, wahrhaft militärischen Eindruck machen; sie sind mit weißen Leinwandröcken, die schwarz, nach ungarischer Art, verschnürt sind, und mit Hosen aus gleichem Stoffe sowie mit runden, schwarzen Mützen bekleidet und mit Snider Gewehren bewaffnet. Die Mannschaft rekrutiert sich ausschließlich aus den einheimischen Dajaks, die zwar von sehr kleiner Statur sind, sich aber gleichwohl durch Kraft, Ausdauer und Muth auszeichnen sollen. Die Kompanie salutierte, und die Musikkapelle — die Virtuosen waren Malayen — spielte unsere, offenbar im letzten Augenblick eingeübte Volkshymne, über deren ersten Teil die Künstler nicht hinauskamen, während eine in der Nähe postierte Batterie unzählige Schüsse abfeuerte. Dann nahm ich herzlichen Abschied von dem freundlichen Radscha und fuhr mit unserer Barkasse flussabwärts, was dank dem günstigen Ebbestrom so rasch ging, dass wir die 25 Seemeilen in 2,5 Stunden zurücklegten.

Im letzten Teil der Talfahrt erstand vor unseren Augen ein schönes Schauspiel, da die Sonne, im Untergang begriffen, ihre letzten leuchtenden Strahlen auf die regnenden Wolken eines aufsteigenden Gewitters warf und hiedurch eine ganze Reihe entzückend schön gefärbter Regenbogen erscheinen ließ.

An Bord der „Elisabeth“ wurde beschlossen, sofort die Anker zu lichten, direkt Singapur anzulaufen und erst von dort aus nach Bangkok zu steuern. Der Gedanke an einen abermaligen Aufenthalt in Singapur hatte für mich zwar wenig Entzückendes, doch war das neuerliche Anlaufen dieses Hafens durch eine Reihe von Gründen geboten: der Kohlenvorrat musste erneuert werden, was in Sarawak wegen Umständlichkeit der‘ Einschiffung und nicht entsprechender Qualität des Heizmaterials nicht tunlich war; ferner hatte sich das ethnographische und sonstige Material der Sammlungen so gehäuft, dass eine baldige Ausschiffung eines Teiles behufs Raumgewinnung geboten schien. Hauptsächlich war aber für das Anlaufen Singapurs maßgebend, dass wir in den in letzter Zeit berührten Häfen unbestimmte Gerüchte über Verwickelungen zwischen Frankreich und Siam vernommen hatten, worüber Klarheit gewonnen werden musste, damit die Reise nach Bangkok nicht unter dem Risiko erfolge, die Mündung des Menam blockiert zu finden.

Links

  • Ort: Kuching, Sarawak, Borneo
  • ANNO – am 10.07.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Der Veilchenfresser“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.

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