Calcutta Diamond Harbour, 29. März 1893

Morgens 7 Uhr trafen wir in Calcutta ein und wurden auf dem Bahnhof von dem Militärsekretär des Vizekönigs und einem Adjutanten desselben empfangen. Diese Herren geleiteten uns nach dem Government House, wo mich der Vizekönig, sichtlich erfreut über den so befriedigenden Verlauf meiner indischen Reise, begrüßte.

Vormittags war ich vollauf mit den Anordnungen über Verpackung und Absendung der in Indien erworbenen und für die Heimat bestimmten Schätze in Anspruch genommen und begab mich sodann in die Stadt, einige Besorgungen zu machen und namentlich die Sammlung von Photographien der besuchten Punkte zu vervollständigen. Gegen Mittag sprach ich bei Lady Landsdowne vor und nahm mit dem vizeköniglichen Paar das Lunch, worauf ein Photograph unsere liebenswürdigen Gastfreunde und uns zu einer Gruppe vereinigt aufnahm.

Ich besuchte noch den armen Beresford, der einige Tage zuvor einen bösen Sturz getan, um ihm Lebewohl zu sagen und nahm dann auf dem Calcuttaer Bahnhof Abschied von einem lieben Reisegefährten, dem Generalkonsul Stockinger, der uns während der ganzen Reise durch Indien begleitet hatte und nun in die Heimat zurückkehren sollte. Wir alle haben Stockinger nicht nur als liebenswürdigen, charmanten Gesellschafter, sondern auch als gründlichen Kenner Indiens schätzen gelernt, woselbst er während der zehn Jahre seines amtlichen Aufenthaltes sich die wesentlichsten Verdienste um die Heimat erworben hat, dabei stets lebhaftes und dauerndes Interesse für alle Verhältnisse Indiens an den Tag legend.

Nach zweistündiger Fahrt durch ein von zahlreichen Wasserläufen durchzogenes, stark versumpftes Gebiet langten wir in Diamond Harbour ein, wo mich Schiffskommandant v. Becker empfing, um mich im Galaboot durch einen Seitenkanal nach der „Elisabeth“ zu geleiten, die in dem Hugli vor Anker lag. Ich war freudig bewegt, nach einer Abwesenheit von dritthalb Monaten unser schönes Schiff wieder zu sehen und ein Stück heimatlichen Bodens zu betreten. Die Volkshymne erklang, die Mannschaft war an den Salutstationen und die Geschütze donnerten, als ich mich einschiffte. An Bord wurde ich von den Herren des Stabes begrüßt, die manch interessantes Erlebnis von der langen Fahrt über Goa, Colombo, Trincomali nach Calcutta, bis wohin die „Elisabeth“ gelangt war, zu erzählen wussten.

Erst nach Sonnenuntergang ließ die drückende Schwüle etwas nach, und eine frische Brise gewährte Kühlung, als uns der Abend mit den Herren der englischen Suite zum Abschieds-Diner am Achterdeck vereinigte. Bussatto, der Koch, hatte sein Bestes getan, die Bordkapelle ließ die schönsten Weisen ertönen, so dass ungeachtet der bevorstehenden Trennung von einigen unserer Reisegefährten in Indien bald eine recht animierte Stimmung herrschte und die allseits ausgesprochene Hoffnung auf baldiges Wiedersehen für das Auseinandergehen einigermaßen trösten konnte. Gleichwohl sahen wir Kinsky, sowie die Herren der englischen Suite, General Protheroe, Captain Fairholme und Mr. Crawford sehr ungern ziehen; denn wir hatten uns im Laufe der gemeinschaftlichen Kreuz- und Querzüge durch Indien, alle Eindrücke und Erlebnisse teilend, an das Miteinanderleben gewöhnt und waren in eine einheitliche Reisegesellschaft so sehr zusammengewachsen, dass wir die Auflösung derselben nur als den schmerzenden Riss eines einigenden Bandes empfinden konnten. Die Freunde, von denen wir uns trennen sollten, waren nicht bloß angenehme Begleiter gewesen, sondern hatten sich auch wichtige, den Erfolg der Reise sichernde Verdienste erworben: Kinsky durch die trefflichen Vorbereitungen, die englischen Herren durch die fürsorgliche, umsichtige Leitung aller Fahrten und Expeditionen, durch das unermüdliche Bestreben, die Reise zu einer wahrhaft genussreichen zu gestalten.

Die vier Sowars, eingeborene Kavallerie-Unteroffiziere der Brigade des Generals Protheroe, welche die ganze Reise mitgemacht und sich durch musterhafte Aufführung, sowie durch gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten, namentlich bei der ihnen übertragenen Obsorge für die Bagage und als Büchsenspanner ausgezeichnet hatten, waren ebenfalls an Bord gekommen. Sie konnten über das prächtige Schiff— sie hatten noch nie ein Kriegsschiff gesehen — nicht genug staunen; die Bordkapelle versetzte sie geradezu in helles Entzücken. Reich beschenkt kehrten sie ans Land zurück.

Als Kinsky, General Protheroe, Captain Fairholme und Crawford nach herzlicher Verabschiedung gegen Mitternacht vom Schiffe abstießen, ließ ich Blickfeuer abbrennen und die englische Hymne spielen. Mit einem dreimaligen Hurrah verschwanden die Reisegefährten im Dunkel der Nacht.

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  • Ort: Calcutta, Indien
  • ANNO – am 29.03.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater ist bis zum 2. April, das k.u.k. Hof-Operntheater bis zum 1. April geschlossen.
Franz Ferdinand is leaving India, in good health. Wiener Salonblatt 2. April 1893, p. 4

Franz Ferdinand reist bei bester Gesundheit aus Indien ab. Wiener Salonblatt 2. April 1893, S. 4