Calcutta, 5. Februar 1893

In der römisch-katholischen, der Jungfrau Maria vom Rosenkranz geweihten Kathedrale von Murghihatta (Moorgheehatta) wohnten wir einer feierlichen Messe an, die der dem Jesuitenorden angehörige Erzbischof Paul Goethals, ein Belgier von Geburt, zelebrierte. Vor der Kirche waren eine Ehrenkompanie mit Musikkapelle und die Zöglinge des Waiseninstitutes von Murghihatta aufgestellt, welch letztere mich durch Absingung der Volkshymne erfreuten; ebenso wurde das »Gott erhalte« in der Kirche vom Chor herab intoniert. Die ganze Kirche war mit Gläubigen erfüllt, unter denen ich auch Braganca entdeckte, welcher des Morgens in Calcutta angekommen war, um einige Wochen in Indien zuzubringen. Als wir die Kirche verließen, wurde »O. du mein Österreich« gespielt.

Ich verabschiedete mich von dem Erzbischof, einer liebenswürdigen Persönlichkeit, und fuhr in das Jesuiten-Kollegium St. Xaver, in welchem 800 Schüler der verschiedensten Nationalitäten und Religionsbekenntnisse in den Gymnasialfächern unterrichtet werden. Die zahlreichen Schulen und Kollegien, welche den Jesuiten in Indien gehören, erfreuen sich bei den Eingeborenen großer Beliebtheit; der Zudrang zu diesen Unterrichtsanstalten wächst von Jahr zu Jahr und selbst die Engländer erklären sie einstimmig für die besten Schulen im Land. Die Jesuiten befolgen dabei das Prinzip, keine Proselyten für die katholische Religion zu machen, sondern sie belassen vielmehr jeden bei dem Glauben seiner Väter und streben nur danach, gebildete und rechtschaffene Menschen zu erziehen; ein Vorgehen, durch welches sie Scheu und Argwohn wirksam besiegen. Die Patres sind beinahe durchwegs Belgier. Das Gebäude ist sehr geräumig, besitzt eine Kapelle, große Schulräume, zahlreiche Wohnzimmer für die Patres u. a. m. Durch einen großen Spielplatz ist für die Erholung und körperliche Ausbildung der Jugend, worauf die Jesuiten mit Recht großes Gewicht legen, vorgesorgt. Besonders genannt zu werden verdient auch das physikalische Kabinet, in welchem uns der Rektor, Pater Lafont, mit lebhaftem Interesse die Instrumente zeigte, welche er im Lauf der Jahre gesammelt hatte, darunter Dynamo- und verschiedene Dampfmaschinen, sowie einen kleinen Phonographen, welcher den Gegenstand seines besonderen Stolzes bildet und das »Gott erhalte« fehlerlos ertönen ließ.

Da der Zug, welcher uns nach Dardschiling (Darjeeling) zu bringen hatte, erst um 4 Uhr nachmittags abgehen sollte, proponierte mir der Vizekönig, sein nördlich von Calcutta gelegenes Landhaus Barrackpur zu besuchen. Ich nahm diesen Vorschlag mit Vergnügen an. Wir bestiegen in der Nähe des Justizpalastes die Dampfbarkasse „Maud“, fuhren zwischen den zahlreichen Schiffen den Hugli hinauf, passierten zuerst die große Brücke, hierauf die Verbrennungsstätten, wo eben drei Hindus in Asche verwandelt wurden, und befanden uns bald zwischen grünen, lachenden Ufern, auf welchen kleine Dörfer und eine ganze Reihe moderner Hindu-Tempel miteinander abwechseln, sowie einzelne Landhäuser reicher Calcuttaer durch das saftige Grün der Bäume schimmern.

Die Hindu-Tempel sind in den mannigfaltigsten Formen gebaut; bald sind es rundlich zuckerhutartige Gebäude, bald Komplexe, aus einer Anzahl kleiner Tempelchen und Baulichkeiten bestehend, deren einzelne sogar an die Kuppeldächer der Moskauer Kirchen erinnern. Bei allen Tempeln sind lange Freitreppen zu sehen, welche direkt zu den Fluten des heiligen Ganges führen und von den Gläubigen benützt werden, indem diese am Fuße der Treppen ihren religiösen Waschungen obliegen.

Geraume Zeit ging es den Fluss hinan; dann landete die „Maud“ am Park des Landhauses. Durch eine dichte Allee von Bambus, in der ich einen am Weg sitzenden Mungo erblickte, erreichten wir die vom General-Gouverneur Marquis of Hastings angelegte Residenz Barrackpur. Diese ist durch ihren im Richmond-Stil gehaltenen, mit Wiesenflächen und Solitär-Bäumen geschmückten Park charakterisiert.

Lord Landsdowne hatte leider an einer starken Neuralgie zu leiden, die ihn zwang, sich zurückzuziehen, während wir mit Lady Landsdowne und der Gemahlin des Leibarztes unter einer großen Ficus religiosa das Lunch einnahmen. Wir hatten kaum Platz genommen, als schon Hunderte von Milanen herbeigeflogen kamen, die stets an dieser Stelle gefüttert werden und eine solche Keckheit entwickelten, dass sie mit Stangen ferngehalten werden mussten. Während des Speisens fütterten wir die Milane mit Fleisch und erfreuten uns an der Geschicklichkeit, mit der sie zugeworfene Stückchen in der Luft auffingen, und an der Zahmheit, mit der sie Fleisch von einer Gabel nahmen.

Selbstverständlich war der unvermeidliche Photograph erschienen und erst nach unzähligen Aufnahmen verabschiedeten wir uns von Lord und Lady Landsdowne, die während meines kurzen Aufenthaltes in Calcutta dank ihrer Liebenswürdigkeit meine volle Sympathie errungen hatten. Der Vizekönig ist vormals Gouverneur von Kanada gewesen, residiert jetzt schon vier Jahre in Indien und sehnt sich, im nächsten Jahr, nach Beendigung der vorgeschriebenen fünfjährigen Tätigkeit, auf seine Güter in Irland zurückzukehren. Er ist, da die gesamte Regierung und Verwaltung des anglo-indischen Kaiserreiches in seinen Händen liegt, außerordentlich in Anspruch genommen, unternimmt aber gleichwohl alljährlich eine Inspektionsreise in die größeren Städte Indiens und zu einzelnen Maharadschas; die heiße Zeit bringt er in dem etwa 2700 m hoch liegenden Simla — im nordwestlichen Indien. im Pendschab gelegen — zu. Er scheint ein leidenschaftlicher Gartenfreund zu sein und ist in der Botanik wohl bewandert, so dass sich das Gespräch oft genug auf Gartenkunst und Landschaftsgärtnerei lenkte, Fächer, die er mit viel Freude betreibt. Das Ehepaar Landsdowne ist mit zwei Kindern gesegnet, die ich gleichfalls kennen lernte; der Sohn obliegt in der Regel seinen Studien zu Oxford, während die Tochter als reizende Erscheinung im Government House blüht.

Um 4 Uhr nachmittags erfolgte die Abfahrt aus dem Bereiche Calcuttas. Wir verließen Barrackpur mit der Eastern Bengal Railway, welche in nordöstlicher Richtung die Gangesniederung durchquert und bei Damukdia Ghat (Damukdea), auf dem rechten Ufer des Ganges, als normalspurige Strecke ihr Ende erreicht. Auf einem großen Dampfer überschritten wir den Strom, um uns von Sara Ghat ab abermals der Eastern Bengal Railway zu bedienen, die von hier als schmalspurige Eisenbahn in nördlicher Richtung an den Fuß des Himalayagebirges führt. Die Distanz von Damukdia Ghat zur Station Sara Ghat wird je nach der Jahreszeit, welche die Strömung des Ganges beeinflusst, zurückgelegt; unter günstigen Umständen erfordert die Überfahrt die Zeitdauer von etwa 20 Minuten. Wir benützten diese Frist, um das Diner einzunehmen, und begaben uns, wieder einwaggoniert, bald zur Ruhe, soweit die leider gleichfalls schmalspurigen Betten dies gestatteten. Von Siliguri ab schließt sich an die Eastern Bengal Railway die nach Dardschiling emporführende Bergbahn.

Links

  • Ort: Siliguri, Indien
  • ANNO – am 05.02.1893 in Österreichs Presse. Die österreichische Regierung hat ihr Jahresprogramm vorgelegt und dies wird in der Presse ausführlich diskutiert.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater zeigt am Nachmittag das Lustspiel “Wehe dem, der lügt” und abends ebenfalls ein Lustspiel „Der Veilchentreffer“, während das k.u.k. Hof-Opermtheater  “Die Rantzau” wiederholt.

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