Früh am Tag fuhren wir in den Galakarossen des Gouverneurs, geleitet von einem Teil der Garde nach den Docks, um das zwei Tage zuvor eingelaufene Lloyd-Schiff „Elektra“ zu besichtigen. Die Docks, von Handelsgesellschaften erbaut und im Besitz von solchen, sind wahrhaft imponierende Anlagen sowohl durch ihre Ausdehnung, als durch die allen Anforderungen des Warentransportes entsprechenden Einrichtungen. Es sind Zeugnisse eines kühnen Unternehmungsgeistes, der, verglichen mit jenem der Heimat, kleinlaut stimmt. Neben den Docks stehen die Warenhäuser, durch welche sich der Strom der einlangenden und zu verladenden Güter bewegt; wie im menschlichen Organismus ununterbrochen das Blut durch das reich verzweigte Geäste der Adern dem Herzen zu- und von diesem wieder weggeführt wird, so rollen hier auf Schienensträngen ohne Unterlass Fässer und Ballen nach und von den Warenhäusern. In diesen grandiosen Magazinen fühlt man wahrhaftig den Pulsschlag der Güterbewegung. Die Dampfkräne gleichen den Armen eines Riesen, welcher den Menschen frohnend — Gulliver unter den Liliputanern — die schwersten Lasten hebt, als wär es Kinderspiel. Ohne Rast und Ruh‘, in immerwährender Bewegung, waltet in den Docks das Getriebe des Güterverkehrs; scheinbar in chaotischem Durcheinander und doch jener strengen Ordnung gehorchend, welche von der organisierenden Kraft des Kaufmannes geschaffen wird….
Die „Elektra“ war aus Schanghai vollgeladen mit Tee und Häuten eingelangt und nahm Baumwolle für Triest an Bord. Das mächtige Schiff hatte, wie alle Schiffe in den Docks, Flaggengala angelegt und präsentierte sich in seinem Schmuck. Ich kann auf Grund eingehender Besichtigung der „Elektra“ für die rühmlich bekannte, den Reisenden so bequeme Einrichtung der Lloyd-Schiffe, wie für die auf denselben herrschende Nettigkeit und Reinlichkeit nur ein neues glänzendes Zeugnis ausstellen. Es ist erfreulich zu hören, dass auch Engländer die Lloyd-Schiffe mit Vorliebe benützen. Gewiss ein sehr nachdrücklich zu Gunsten unseres Lloyd sprechendes Moment; zumal bei der auch unter den verschiedenen Schifffahrtsgesellschaften herrschenden Konkurrenz, welche kaum mehr einem wirklichen Bedürfnis entspricht, sondern sogar Gefahren für reelle Unternehmungen heraufbeschwören kann. Jeder Österreicher muss den Wunsch hegen, dass es dem Lloyd ermöglicht werde, in einer seinen überkommenen guten Traditionen und seinem spezifisch heimatlichen Charakter entsprechenden Weise jeden Wettbewerb zu bestehen. Wo dieses Ziel in Frage steht, darf man selbst vor einer noch ausgiebigeren Staatssubvention, als die jetzige ist, nicht zurückscheuen; denn dieselbe wird in den Händen einer der Wichtigkeit des Unternehmens bewussten Leitung goldene Früchte zeitigen, nicht bloß für die Aktionäre, sondern auch für die vaterländische Produktion, für das Ansehen der Monarchie, deren Flagge der Lloyd in diesen Meeren repräsentiert. Mit den wärmsten Wünschen für ein glückliches Gedeihen des Lloyd verließ ich die „Elektra“, nicht ohne ihre Ladung durch Grüße für die Heimat vermehrt zu haben.
In dem von der Munizipalität erhaltenen Victoriapark, dem wir uns nun zunächst zuwandten, besitzt Bombay eine zoologisch-botanische Gartenanlage, — ein tropisches Schönbrunn — welche die vollste Anerkennung verdient, wenn sie sich auch nicht mit dem Peradenia-Garten auf Ceylon messen kann. Tiger, Bären, Panther, Gazellen und Antilopen, Strauße und Affen betrauern den Verlust ihrer Freiheit in allerlei kleinen, eisernen Käfigen, zwischen denen in geschmackvoller Anordnung Sträucher gruppiert sind. Besondere Sorgfalt wird, dem englischen Geschmack gemäß, dem Rasen zugewendet, der infolge steter Überrieselung in erquickendem Grün, einem Samtteppiche ähnlich, prangt.
An die abermalige Plünderung von Tellery’s Schätzen schloss sich eine Fahrt — ein „Bummel“ — durch die belebtesten Straßen des Eingeborenen-Viertels.
Die Häuser sind bis zum Giebel hinauf bewohnt, ja vollgepfropft, was der Reinlichkeit bedeutenden Eintrag tut. In dem Erdgeschoss befinden sich durchwegs Kaufläden und Bazars; hier werden alle Gattungen Waren, darunter zahlreiche europäische Erzeugnisse, feilgeboten, die stets von einer schreienden Menge umlagert sind. Sehr erfreulicher Weise findet man in diesen Warenlagern viele heimatliche Fabrikate, besonders Papier, Kurz-, Hart- und Glaswaren, Wolldecken und Fez, letztere sämtlich aus Strakonitz in Böhmen. Ein schwungvoller Handel wird auch mit österreichischem Kölnerwasser getrieben, welches die Hindus fleißig an Stelle des verbotenen Weines trinken, eine Tatsache, die unbedingt für die vorzügliche Qualität sowohl der betreffenden Mägen, als auch des Fabrikates spricht.
Einzelne alte Häuser mit etwa zweihundertjährigen, verschnörkelten Holzverzierungen, kleinen Giebeln, Erkern und Pilastern, die aus dem unverwüstlichen Black wood hergestellt sind, sowie kleine Moscheen und Hindu-Tempel unterbrechen malerisch die langen Häuserreihen. Besonders in die Augen springt der bunt bemalte und mit Statuen von Affen und Fakiren geschmückte Kalbadewi-Tempel.
In den Straßen drängt sich eine lärmende Menge, zusammengewürfelt aus Völkern Asiens, Afrikas, Europas und Oceaniens, ein wandelnder Turmbau von Babel. Buntbewegte Bilder ziehen an des Betrachtenden Auge vorbei. Das Hauptkontingent stellen selbstverständlich die Hindus; dazwischen eilen Parsen und Mohammedaner geschäftig hin und her; schweigsame Araber im schwarzen Burnus kommen vom Pferdemarkte herbeigeritten; hin und wieder sieht man Afghanen und tibetanische Bettelmönche.
Bemerkenswert ist die Höflichkeit aller Eingeborenen gegen Europäer, denen sie allenthalben freundliches Entgegenkommen zeigen. Auffallend heben sich aus der Menge ab die Fakire, worunter man gewöhnt ist, jeden religiösen Bettler ohne Unterschied zu verstehen, obschon die Inder mit jenem Worte nur Bettler mohammedanischen Glaubens bezeichnen, während die frommen Bettler, welche eine der Hindu-Kasten bilden, andere Namen führen, und zwar Gosäwi (Gosain), Dschogi bei den Anhängern Schiwas, Bairagi bei jenen Wischnus. Diese Fakire nun, welche der Welt und all ihren Freuden entsagt haben, betätigen die Entsagung äußerlich dadurch, dass sie den Leib mit gelbem oder grauem Lehm bestreichen, die Stirne mit zu Pulver geriebenem Sandelholz und Zinnober bemalen. Bettelnd ziehen diese Asketen und Büßer in solch scheußlichem Aufzuge, eine Ausgeburt fanatischen Wahnes, von Haus zu Haus. Nur allzuhäufig aber ist die scheinbare Entsagung des Fakirs nur der Deckmantel für das Bestreben nach mühe- und arbeitslosem Wohlleben. Der Hindu hat für den Fakir eine stets hilfsbereite Hand und unbeschränkte Gastfreundschaft, die ihn mit dem Bettler alles teilen lässt — oft sogar das Weib. Unter der Maske des Fakirs verbergen sich manchmal auch schwere Verbrecher, die sich auf diese Weise den Augen der Polizei zu entziehen oder doch vor derselben zu schützen trachten, da bei dem Fanatismus der Hindus ein eingeborener Policeman nur schwer wagen kann, an einen Fakir Hand anzulegen. Die einheimische Polizei, kenntlich an blauer Uniform mit lichtgelben Aufschlägen und Mützen, soll übrigens, wie man mir sagte, ganz Vorzügliches leisten.
Alle erdenklichen Fahrzeuge, vom landesüblichen kleinen, mit zwei Zebuochsen bespannten Karren, dessen Wandseiten meist bemalt sind, bis zu dem eleganten europäischen Landauer, durcheilen die Straßen.
Ungemein roh behandeln die eingeborenen Lenker die schnellen Zebuöchslein; denn um sie zu möglichst raschem Laufe zu bringen, drehen ihre Peiniger ihnen die Schweife im Kreise, durch welch barbarische Prozedur oft sogar die Schweifwurzel gebrochen wird. Das Los eines heimatlichen Einspännergaules scheint im Vergleiche mit jenem der bedauernswerten Zebuochsen ein glückliches zu sein.
Nach dem Lunch im Government House, wobei ich den hoffnungsvollen Sprössling meiner Gastfreunde kennen lernte, nahte die Versuchung in Gestalt des größten Juwelenhändlers Bombays, Harichands, des ersten Lieferanten sämtlicher Radschas. Kostbarkeiten im Werte von Millionen lagen vor uns ausgebreitet: taubeneigroße Diamanten. Rubine, Smaragde, Saphire und Perlen, teils lose, teils in Colliers, in Ringe, in Diademe gefasst. Es war ein Glänzen, Glitzern und Gleißen, ein Strahlen, Flammen und Flimmern, ein in allen Farben sich brechendes Feuer von unwiderstehlicher, die Sinne berückender Anziehungskraft. Ich habe in Europa nichts Ahnliches gesehen und glaube, dass sich kein Kronschatz mit Harichands Kostbarkeiten messen kann. Der Mann ist im eigentlichsten Sinne des Wortes „steinreich“ und forderte so maßlose Preise, dass es unmöglich war, mit ihm handelseins zu werden und ich daher — mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe — der Versuchung nicht erlag.
Für 5 Uhr nachmittags war eine Gartenpartie in Parel — einem Sommersitz des Gouverneurs, ungefähr 4 km von Bombay — angesagt. Daselbst konnte man auf der Straße die gesamte Bevölkerung sehen, die uns lebhaft begrüßte. Auf einer großen Wiese mitten im Park stand eine mit rotem Tuch überzogene Estrade, auf welcher die hohe Gesellschaft Bombays, Offiziere und Würdenträger, angesehene Parsen, Hindus und Mohammedaner Platz genommen hatten.
Vor der Estrade hatte man ein großes Viereck — eine Art offener Reitschule — ausgesteckt, in welchem die Leibgarde des Gouverneurs auf ihren australischen Dienstpferden eine Quadrille ritt. Die Mannschaft der Leibgarde besteht durchwegs aus Sikhs, Nachkommen jener fanatischen Krieger, deren einst Lahore und ganz Pendschab umfassendes Reich im Jahre 1849 nach hartnäckigen Kämpfen Britisch-Indien einverleibt worden ist. Diese Sikhs stellten sich uns als schöne, große Leute dar, in kleidsamer Uniform, langen, roten Röcken mit einer Reihe blanker Knöpfe und stählernen Ketten-Epauletten, dazu weißen Hosen, hohen Stulpstiefeln und auf dem Kopfe einen großen, roten Turban, umschlungen von einem bunten Überwurfstuch. Sattlung, Zäumung und Beschlag sind europäisch und in vorzüglichem Zustande. Das Aussehen der Pferde ist gut, wenn auch unter ihnen viele ziemlich alte zu bemerken sind. Die mit vollendeter Ruhe nur im Galopp gerittene Quadrille war gut einstudiert und wurde mit großer Präcision ausgeführt; besonders gut gelangen Moulinets, Aufmärsche und verschiedene schwierige Schlangentouren mit Changieren. Zum Schluss wurde den Reitern, sowie dem Arrangeur Captain Gordon allgemeiner Beifall gezollt.
In einer Zwischenpause stellte mir der Gouverneur mehrere Damen, sowie angesehene Mohammedaner und einige von Diamanten funkelnde Radschas der Umgebung vor.
Der zweite Teil der hippischen Produktion bestand aus einem Tentpegging, einem Lanzenstechen, wobei vier Pflöcke in den Boden gesteckt waren, welche von vier in voller Carriere ansausenden Reitern mit den Lanzen aufgespießt werden mussten. Auch bei dieser Übung erwiesen sich die Leute als gewandte und geschickte Reiter.
Zum Schluss des Festes zeigte mir der Gouverneur noch das Schloss von Parel, ein unschönes Gebäude, einst ein portugiesisches Kloster, sowie den Park mit einem großen, ummauerten Teich, an dessen Ufern wir einen herrlichen Sonnenuntergang genossen.
Den Abend beschlossen ein Galadiner und eine musikalische Soiree im Government House. Im Verlauf der letzteren machten einige Damen den Versuch, mehrere Liebeslieder zum besten zu geben, worauf ein Violinkünstler eine undefinierbare Weise zum Vortrag brachte. Endlich gab uns noch ein Taschenspieler Proben seiner Fertigkeit, nicht ohne dass einige derselben die lebhafteste Heiterkeit unserer liebenswürdigen Hausfrau erregt hätten.
Links
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- Ort: Bombay, Indien
- ANNO – am 19.01.1893 in Österreichs Presse. In Istrien tobt der Sprachenstreit: Italienisch vs. Slawisch vs. Amtssprache Deutsch. Triest kämpft zudem mit dem Schnee.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt das Lustspiel „Gönnerschaften“, während das k.u.k Hof-Operntheater die komische Oper „Gute Nacht, Herr Pantalon“ mit dem Ballet „Die Sireneninsel“ kombiniert.
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