Bombay, 18. Jänner 1893

Um 6 Uhr war Tagreveille. Der Morgen war frisch und angenehm. Die Bewohner des Villenviertels Malabar Hill, durch das wir fuhren, schienen noch sämtlich in Schlaf versunken zu sein; denn in den Villen und Gärten war alles still. Das Ziel der Fahrt bildeten die Begräbnisstätten der Parsen, die berühmten »Türme des Schweigens«. Einer der angesehensten Parsen, Sir Jamsedji Jijibhai Bart., sowie Mr. Nüsservanji Behramji empfingen uns am Fuße des Hügels und geleiteten uns über eine lange, steinerne Treppe in einen blühenden, schönen Garten, der in nichts die Nähe der Begräbnisstätte verriet. In der Nähe des Thores sitzt ein Hund, der über den natürlichen Augen zwei in Farbe ausgeführte Augen besitzt, und von dessen Verhalten es, wie die Parsen glauben, abhängt, ob der Tote unter günstigen oder ungünstigen Auspizien in das Jenseits gelangt; blickt nämlich der Hund den Toten an, so gilt dies als gutes Omen, während das Umgekehrte übel gedeutet wird. Knapp am Eingang des Gartens steht ein Tempel, in dem das heilige Feuer lodert, welches — so wird behauptet — die Parsen von ihrer ursprünglichen Heimat mitgebracht und stets brennend erhalten haben.

Tower of Silence, p. 102

Türme des Schweigens, S. 102

Im Garten weiter schreitend, kommt man zu fünf kreisrunden, grell weißen Türmen, deren größter 7,5m Höhe und einen Umfang von rund 90 m besitzt; auf dem Rande derselben sitzt eine Legion von Geiern und Raben; eine kleine eiserne Türe, zu der einige Stufen führen, bildet den Eingang. Man darf sich den Türmen nur auf 30 m nähern, doch gibt ein im Garten aufgestelltes Modell Aufschluss über die Einrichtung dieser Begräbnisstätten. Innerhalb der Türme, die mit bedeutendem Aufwand gebaut sind — der größte soll über 360.000 fl. ö. W. gekostet haben — befindet sich eine trichterartige, in einen runden Schacht endigende Plattform, welche in ringförmige Abteilungen geschieden ist; die äußere Abteilung dient für Männer, die mittlere für Frauen und die innere, dem Schacht zunächst liegende für Kinder. Von vier eigens dazu bestimmten Wächtern, den einzigen lebenden Wesen, welche den Turm betreten dürfen, werden die Leichname ganz entkleidet in die betreffenden Abteilungen gelegt. Alsbald stürzen sich die hungrigen Geier auf ihre Beute und binnen einer Stunde ist der Leichnam bis auf die Knochen verzehrt. Die Sonne trocknet das Gerippe, welches sodann in den Schacht versenkt und in demselben mit Wasser oder wohl auch mit Kalk begossen wird. Von dem Schacht gehen vier radiale Kanäle ab, die mit Kohlen sowie mit Sandfiltern versehen sind und in große Vertiefungen auslaufen, in welchen die letzten Überbleibsel der Gebeine ihrem Schicksal überlassen werden.

„Stirbt Achab in der Stadt, so sollen ihn die Hunde fressen, stirbt er aber auf dem Land, so sollen ihn die Vögel des Himmels fressen.“ Was der Prophet Elias dem König, der durch Jezabel, sein Weib, übel beraten schweres Verschulden auf sein Haupt geladen hatte, als Strafe angedroht, hier ist es zur schauerlichen Wahrheit, schrecklichen Regel geworden. Die Vögel des Himmels fressen Tote, fressen Gerechte und Ungerechte, Vornehme und Niedere. „Erectos ad sidera vultus“ sie alle durchs Leben schritten; Aas für die Vögel liegen sie hier im Tod.

Von dieser jeder Pietät baren Stätte menschlicher Erniedrigung, wo die geflügelten Totengräber ein düsteres „Lasciate ogni speranza“ krächzen, flüchten die Gedanken auf einen Kirchhof in den heimatlichen Bergen. Hier ruhen die teuren Toten in der Erde, welche schützend verbirgt, wie sich das Wort erfüllt: »Du bist Staub und sollst zum Staub wiederkehren«. Über den Gräbern stehen Kreuze; einfache Holzkreuze, aber errichtet, geschmückt von der Liebe; von der Liebe, welche lächelnd die Lebenden umfangen hat und nun weinend zu den Toten spricht: »Ruhet in Frieden« So sinnend, verließen wir diese beredten Türme des Schweigens.

Der nächste Besuch galt dem Tierspital Pindschrapol, welches Stiftungen reicher Hindus seine Entstehung verdankt. Eine vollkommene Verirrung religiösen Empfindens! In ungezählter Menge fristen in Pindschrapol herrenlose, kranke, mit ekeln Gebresten behaftete, mit Wunden aller Art bedeckte Tiere ein trauriges Dasein, bis der Tod — barmherziger als jene Menschen, denen ein Irrwahn verbietet, sei es auch nur aus Mitleid Blut zu vergießen — diesen bedauernswerten Geschöpfen naht. In einem Hof etwa vierhundert Kühe, jede, den biblischen Schwestern gleich, geeignet, Hungersnot zu verkünden; in einem zweiten Hof Pferde, wahre Mähren; in einem dritten, hinter Gittern, Hunde, Affen, Schafe, Papageien, Hühner, Tauben. Myriaden von Fliegen und Bremsen summen einen Chor von Pein und Plage.

Einen genussreichen Eindruck boten die grandiosen Markthallen (Crawford Market). Sie sollen mit den Höfen und Gärten eine Fläche von 60 ha bedecken und sind nach europäischer Art lediglich aus Stein. Eisen und Glas gebaut; sie teilen sich in eine von dem 43 m hohen Glockenturm überhöhte Zentralhalle mit zwei Flügeln und eine Reihe einzeln stehender Markträume. Der rechte Flügel der Markthallen ist für Blumen und Früchte, der linke für Gemüse und Spezereien bestimmt. Dort erregten die herrlichen Rosen, Chrysanthemen, Jasmineen, die Fülle köstlicher Bananen, Bäume mit apfelartigen Früchten, Mangos unsere Aufmerksamkeit; hier die seltsam gefärbten und geformten Kürbisse und Schlangengurken, die Curcumawurzeln, Cardemomen, die in Indien so beliebten und auch den europäischen Feinschmeckern als Curry powder wohlbekannten Gewürzmischungen, die Proben der einheimischen Rauch- und Kautabake u. a. m. In besonderen Räumen werden Fische, Rind- und Schaffleisch, sowie Geflügel feilgeboten. Der große Fischmarkt beherbergt hunderterlei Früchte des Meeres, von den kleinen Bombay ducks (Bombil) an, bis zu den Ungeheuern, welche dem Gaumen der landsässigen Leute noch lecker dünken. Auch lebende Tiere werden hier feilgeboten. Wir nahmen diese Gelegenheit wahr, um unsere Schiffsmenagerie mit mehreren Mainas, Papageien und einem grünen Laubvogel zu bereichern; doch wurden wir nicht ohne Schwierigkeiten mit den eingeborenen Verkäufern handelseins.

Hatte uns die duftende, üppige, Gemüse aller Art bergende Markthalle mit ihrem durch Angebot und Nachfrage hervorgerufenen, bewegten Treiben ein Bild des Lebens geboten, so lag in dem Schauspiele, dem wir hierauf beiwohnten, einer Hinduverbrennung, ein düsteres Gegenstück vor uns: die Zerstörung des nunmehr allem Sinnlichen entrückten menschlichen Körpers, die Auflösung der Materie in eine Handvoll Asche.

Mr. Tribhowandas Mangaldas Nathubhai, der Präsident des »Bombay Hindu Burning and Burial Ground Committee«, nebst einigen anderen diesem Verein angehörigen Mitgliedern empfing uns, als wir die Verbrennungsstätte betraten. Die Anlage derselben und mehr noch das Verhalten der Leidtragenden bei der Ceremonie lassen jede Pietät vermissen. In einem länglichen Hofe, an dessen einer Rückwand Bänke und Stühle stehen, sind alle 10 m je vier eiserne, meterhohe Ständer eingemauert; zwischen diesen wird das Scheitholz für die Verbrennung der Leichen aufgehäuft. Aus einem eben verkohlten Scheiterhaufen sammelten zwei Hindus mit vollkommenster Indifferenz Asche und kalzinierte Knochen, die letzten spärlichen Überreste eines menschlichen Körpers, um sie in einer blumengeschmückten Vase zu bergen und ins Meer zu werfen.

Eben wollten wir uns wieder zum Gehen wenden, als Gesang und Tschinellenklang ertönte. Ein Leichenzug bog in den Hof. Voran die Sänger und Musikanten; dann auf zwei Bambusstöcken, nur mit einigen Bändern umschlangen, der Leichnam, von vier Männern getragen; zum Schluss die Verwandten, ohne Äußerung des Schmerzes oder der Teilnahme, auch nicht als lachende Erben, nur gleichgültig, schrecklich gleichgültig. Die ohrenbeleidigende Musik hebt schon während der letzten Stunde des Sterbenden an, da sie die Bemühungen des Zauberers unterstützen soll, welcher die Dämonen der Krankheit zu verscheuchen sucht. Was gegen diese nicht gewirkt, hätte fast uns vertrieben. Doch wurden wir aufgefordert, uns auf die Bänke niederzulassen und konnten nun mit Muße und aus nächster Nähe den Act der Verbrennung beobachten. Die Leiche, jene einer jungen, äußerst schmächtigen Frau, war völlig in ein rotes Tuch gehüllt, mit rotem Pulver bestreut und mit Blumen bedeckt. Das arme Wesen mochte vor wenigen Stunden erst verschieden sein; ihr Körper wies noch nicht den Zustand der Todesstarre auf.

Es ist Sitte der Hindus, ihre Toten, kaum dass sie den letzten Seufzer getan, sogleich den Flammen zu übergeben, eine Sitte, die dem Distrikts-Arzt die rechtzeitige Feststellung des Todes ungemein erschwert, ja zuweilen dieselbe, besonders wenn bei stärker auftretenden Cholera-Epidemien die Todesfälle sich häufen, oft unmöglich macht. Nicht selten melden die Hindus den erfolgten Tod einer Person erst nach deren Verbrennung an. Eine Cholera-Epidemie ist für Hindus häufig die erwünschte Gelegenheit, eine lästige Person durch Arsenik, welches ja choleraähnliche Symptome hervorruft, oder durch Opium aus dem Leben zu schaffen, rasch zu verbrennen und bei der Todesanzeige als an Cholera verstorben anzumelden. In früherer Zeit, in welcher die Regierung noch nicht wie jetzt mit voller Strenge einschritt, war besonders das Töten der Mädchen durch Opium sehr im Schwang; infolge dessen trat in manchen Gegenden Indiens ein derartiger Mangel an Frauen ein, dass die wenigen zurückgebliebenen der Polyandrie verfielen.

Der Leichnam der jungen Hindu wurde auf die Erde gelegt, mit Wasser übergossen und von dem Gatten und einem der Verwandten dreimal um den vorbereiteten Scheiterhaufen getragen, dann legten die Leidtragenden Weizen und Zucker auf die Leiche nieder und lagerten diese, mit dem Antlitze nach Osten, auf den Scheiterhaufen, wo sie mit sechs großen Balken bedeckt wurde. An einem Feuer, das, vom häuslichen Herde stammend, in einer Urne mitgebracht worden, entzündete der Gatte Sandelholz, ging, die Späne vor sich tragend, dreimal um den Scheiterhaufen herum, berührte jedes Mal die unter dem Bahrtuche hervorlugenden Zehen der Leiche und setzte endlich durch brennende Späne und Strohbüschel zu Häupten der Toten den Holzstoß in Brand. In diesem Augenblick äußerte der Gatte schmerzliche Ergriffenheit, vielleicht mehr uns, als seinen Gefühlen zu Ehren, bis ihn ein, wie es schien, minder weichmütiger Verwandter beiseite schob. Der Scheiterhaufen flammte, prasselte, qualmte. Gierig fraß das Feuer, als wollte es sein Opfer den teilnahmslosen Blicken der Menschen entziehen.

Ein zweiter Leichenzug nahte. Abermals war die Tote eine junge Frau, offenbar aus reichem Haus, aus höherer Kaste. Unverschleiert lag die früh Verblichene auf der Bahre. Der rosige Hauch auf den Wangen verriet, dass auch diese Verstorbene kaum die Schwelle des Todes überschritten.

Es war genug des grausigen Schauspiels; ich wandte mich zum Gehen. Am Ausgang der Verbrennungsstätte steht ein Haus, in dem reiche Leidtragende der höchsten Kasten das Ende der Zeremonie abzuwarten pflegen und nicht selten — eine empörende Gefühlsrohheit — Tänzerinnen hieher berufen, die Wartezeit zu verkürzen.

Rasch muss der Tote, dem nachdrängenden Geschlechte weichend, diese Erde räumen, in das Nichts hinübereilen: der Parse von Vögeln gefressen, der Hindu vom Feuer verzehrt und als Asche ins Meer geworfen — im Tierspital aber werden jämmerliche Geschöpfe künstlich ihren Leiden erhalten; für diese hat die Erde Raum, der Mensch Gefühl.

Um den Vormittag vollständig auszunützen, fuhren wir noch ins Museum — Natural History Society’s Museum — das unter der Direktion Mr. Phipsons steht und ein anschauliches Bild der Fauna Indiens gewährt. Gleich beim Eingange fallen abgehäutete Krokodile, riesige Büffelschädel und einige lebende, indische Eichhörnchen ins Auge. Zahlreiche Schränke bergen die wichtigsten Vertreter der Ornis, sowie alle möglichen Schmetterlingsarten; in mit Spiritus gefüllten Behältern schwimmen da etwa hundert verschiedene Schlangen- und Skorpionarten; Spinnen, Käfer und die in die Ordnung der Heuschrecken gehörigen, sogenannten wandelnden Blätter sind hier zu sehen. Zahlreiche Abnormitäten und Raritäten bilden besondere Anziehungspunkte: Geweihe von capitalen Sambarhirschen, abnorme Gehörne von Gazellen und Black-bucks; verschiedene Felle von Bären, Tigern, Panthern, Schneeleoparden und anderer schongezeichneter indischer Katzenarten; der dem Magen eines Krokodils entnommene Fuß eines Hindu-Knaben; die Häute von Riesenschlangen (Python); Skorpion-Zwillinge; eine Sammlung lebender Schlangen, eine grüne Peitschenschlange-und zwei Cobras, die fortwährend gegen die Wände ihrer gläsernen Behausung losfahren. Besondere Anerkennung verdient die Anordnung der Objekte, welche den Anforderungen der Wissenschaft entspricht, aber auch jene Liebe für die Natur zeigt, die sich nicht mit trockener Nummerierung und Etikettierung begnügt hat, sondern zu dem Bestreben drängt, die gesamten Objekte durch systematische und doch geschmackvolle Gruppierung, sowie durch belebende Abwechslung mit Trophäen. Bildern und Photographien auch dem Laien anschaulicher zu machen und seinem Verständnisse näherzurücken.

Mr. Phipson hatte die Freundlichkeit, mir für meine Sammlung eine Anzahl Vogel-Doubletten anzubieten, die ich mit Dank annahm.

Lebhaft befriedigt von dem Gesehenen fuhr ich nun zu Herrn Tellery (S. J. Tellery & Co.), einem Landsmann, in dessen Niederlage sämtliche kunstindustrielle Erzeugnisse Indiens vertreten sind. Dieses Warenhaus bildet eine Stätte der Versuchung für die Kauflustigen. Alles, was Bombay, Madras, Haidarabad, Maisur, Agra, Dehli, Benäres, Calcutta, Afghanistan und Birma erzeugen, ist herbeigeschafft: Göttergestalten und Götzenbilder in Bronze, Silber und Marmor; Vasen, Teller, Becher in Kupfer oder vergoldeter Bronze; Schnitzarbeiten in Elfenbein, eingelegte Sandelholzbüchsen; Kaschmirdecken, Fulkaris aus dem Pendschab; Tücher mit Dessins in aufgelegtem Wachsglimmer aus Peschawer, bedruckte Kattune aus Madras mit Illustrationen aus den großen indischen Heldengedichten Rämäyana und Mahabharata: in Dakka gewebter Tüll für Tänzerinnen; Teppiche von Bidschapur mit dem bekannten Pfauen- oder Schikanmuster; Waffen und Schilder, Elephantenspieße und Hellebarden; Musikinstrumente, Tischchen und Korängestelle — ein vollendetes Chaos der verlockendsten Dinge. Bald war ich der Versuchung erlegen — eine ganze Wagenladung wurde an Bord gebracht, worüber der Gesamt-Detailoffizier schier in Verzweiflung geriet.

In liebenswürdiger Fürsorge für unser leibliches Wohl hatte Generalkonsul Stockinger die Freundlichkeit, mich und meine Suite zu einem Lunch im Haus des »Bombay Yacht Club« zu laden, welchem lockenden Ruf wir willig folgten. Der Yacht Club hat seinen Sitz innerhalb des »Forts« in einem luftig gebauten Haus, welches am Rand des Hafens, auf dem Apollo Bandar, in einem Garten gelegen, einen reizenden Ausblick auf die Hafenanlage und die gegenüber befindlichen Inseln gewährt, durch welchen das Mahl gewürzt und die Ruhepause versüßt wurde.

Neu gestärkt fuhren wir nachmittags mit einer raschen Dampfbarkasse des Marine-Arsenals vom Wellington Pier aus quer durch den Hafen nach der durch ihre Felsentempel berühmten, etwa 10 km entfernten Insel Elephanta.

Während der Seefahrt genießt man den Anblick Bombays, jenen der Inseln und der vermöge der scharfen Beleuchtung deutlich hervortretenden Gebirge des Festlandes. Das Landen auf Elephanta ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da man zu diesem Zwecke kleine Boote benützen und über verschiedene glatte und obendrein vom Meereswasser schlüpfrig gemachte Cementwürfel balancieren muss. Ungestraft unter Palmen wandelnd, erreicht man, nach Überwindung einer langen steinernen Treppe, die Tempel Elephantas. Junge Hindus bilden, überall umherlungernd, die lebende Staffage und bieten den Reisenden Nester von Webervögeln, sowie in Schachteln für Zündhölzchen die verschiedenartigsten Käfer und prächtig metallisch glänzende Baumwanzen zum Kauf an.

Die Insel Elephanta, auch Gharapuri, Stadt der Höhlen, genannt, ist schon durch den Reiz des Vegetationsbildes, das sie vor dem farbentrunkenen Auge des Besuchers entfaltet, eine Sehenswürdigkeit. Palmen, Lianen, Tamarinden, Banianen; Bäume, Buschwerk und Blumen reizvoll geformt und gefärbt, von seltenen Schmetterlingen, schillernden Käfern, bunten Vögeln umflattert, schmücken dieses Eiland. Doch, ob auch die Natur dieses Kleinod des Archipels von Bombay verschwenderisch mit Schätzen der Pflanzenwelt überschüttet hat, das Hauptziel der Fahrt an dieses Gestade bildet dennoch die uralte, im Schoße der Insel ruhende, seltsam ausgeschmückte Heimstätte jener Gottheiten, die da schaffen, erhalten, vernichten sollen.

Ihren Namen verdankt die Insel dem in altersgrauen Zeiten in den Felsen gehauenen Kolosse, welcher heute, im Victoriagarten nächst dem Museum von Bombay aufgestellt, zur unförmlichen Masse verwittert, das einst so berühmte Bildwerk — einen riesenhaften Elephanten im Kampfe mit einem mächtigen Tiger — kaum mehr ahnen lässt. Noch aber sind die gewaltigen Tempelgrotten erhalten, in deren Dämmerschein allerlei von brahmanischen Legenden umwobene Heiligthümer indischer Gottheiten geborgen sind. Von einem mit Ehrenzeichen geschmückten Veteranen der englischen Armee geleitet, der hier als Cicerone fungiert, stiegen wir zu den Tempelgrotten nieder. Wie der Elephantenkoloss, einst der Wächter der Tempelpforte, so ist nun auch die Vorhalle des Felsentempels den Unbilden der Jahrhunderte zum Opfer gefallen.

Erhalten ist nur noch, weil von der Mutter Erde beschützt, der Tempel selbst. Er gliedert sich in verschiedene Theile. Der erste derselben ist dem »Gott der Erde« Schiwa (Mahadewa), dem Befruchtenden und zugleich Zerstörenden, geweiht. Dem Eingange dieses von doppelten Säulenreihen gestützten Haupttempels gegenüber erhebt sich in dessen Innerem zunächst die Bildsäule derTrimurti (Dreigestalt), welche Brahma. Wischnu und Schiwa darstellt. Als Symbole trägt diese Trinität ein Trinkgefäß, die mystische Lotosblume und die Cobra, die giftige Brillenschlange. Die Wände des Tempelraumes sind mit Skulpturen bedeckt, welche den Lebenslauf Schiwas, seine Geburt, die Vermählung mit Kali (Pärwati) und andere, zum Theile ungeheuerliche Szenen schildern. Drei kleinere, viereckige, gewölbte Gehäuse enthalten je einen Lingam, das Symbol der erschaffenden Natur. Linkerhand von diesem Haupttempel liegt der Tempel des Elephantengottes und Gottes der Gelehrsamkeit, Ganescha, dessen Heiligthum mit Bildern seiner zahlreichen Frauen geziert ist.

Die durchwegs symmetrisch angeordneten Säulen, sowie die von Verständnis für anatomische Verhältnisse zeigenden Bildwerke sind zum Teile künstlerisch schön, so dass die Ausführung dieser Arbeiten und mehr noch die Herstellung der enormen Tempelräume unser Staunen erregen. Mussten doch die 1564 m2 bedeckenden Räume, da die Epoche, in welche ihre Ausgestaltung fällt, der Hilfsmittel der modernen Technik, der Maschinen und Sprengstoffe, entbehrte, dem harten Granitfelsen lediglich mit Meißel und Hammer abgerungen werden. Vor einigen Jahrhunderten noch waren diese heiligen Hallen von Brahmanen und deren ganzem Gefolge und den dem Tempeldienste geweihten Sängerinnen und Tänzerinnen bevölkert; ununterbrochen zogen Scharen von Gläubigen, namentlich Kindersegen erflehende Frauen, hier zu und ab. Die Portugiesen haben zur Zeit ihrer Oberherrschaft über Ostindien in ihrem heiligen Eifer die brahmanischen »Zöllner und Schriftgelehrten« aus dem Tempel vertrieben, ja, wenn man der Überlieferung Glauben schenken darf, des Guten zu viel tuend, auch die Tempel selbst durch Kanonenschüsse zu zerstören versucht und so diese Denkmäler alter Kunst arg beschädigt, zum Theile sogar vernichtet.

Heutzutage pilgern an hohen Feiertagen noch hin und wieder fromme Hindus mit ihren Familien zum Tempel Elephanta, dem Zeugen vergangener Herrlichkeit. Weit eifriger jedoch als jene betrachtet die imposanten Überreste des einst so prächtigen Kunstwerkes der fremdländische Wanderer, der hier Belehrung und Genuss findet.

Der Schluss des Tages war der Teilnahme an großen, offiziellen Festlichkeiten im Government House gewidmet. Dem Diner folgte ein Ball, zu dem das High life von Bombay geladen war. Für mich war die Vereinigung der Spitzen der »Upper ten« nicht nur gesellschaftlich, sondern namentlich auch vom choreographischen Standpunkt aus von großem Interesse, da die englische Art, dem Vergnügen des Tanzes zu huldigen, in manchen Beziehungen von der bei uns üblichen abweicht. Besonders ein neu importierter Tanz, der sogenannte Barndoor dance, der von einer einförmigen Musik begleitet, die Mitte zwischen einer schleppend getanzten Mazurka und einem Bärentanz hält, fiel mir sehr auf. Ein Ehren-Lancier, den ich mit Lady Harris tanzte, wollte nicht recht klappen, da hier Figuren ausgeführt werden, die bei uns unbekannt sind. Lord Harris schien hiemit durchaus nicht einverstanden, während Lady Harris die Situation von der heiteren Seite auffasste. Da sich in unserem Carre nur die Gemahlinnen der höchsten Würdenträger und der Beamten oberster Diätenklasse beteiligten, waren auf dem kleinen Raum Jahrhunderte vertreten, so dass ich mit Wehmut manches in der Heimat getanzten Lanciers gedachte. Im übrigen legte ich mir Enthaltsamkeit auf, den Anforderungen der kommenden Tage Rechnung tragend. Nach Mitternacht wurde ein Souper serviert, in dessen Verlauf ich mit Lady Harris, über deren Wunsch, in der Mitte des Saales Knallbonbons ziehen musste, was die lebhafteste Heiterkeit der Anwesenden erregte.

Links

      • Ort: Bombay, Indien
      • ANNO – am 18.01.1893 in Österreichs Presse. Die gute telegraphische Verbindung mit Bombay lässt die Neue Freie Presse fast zeitgleich über Franz Ferdinands Ankunft in Bombay berichten.
Notice about Franz Ferdinand's arrival in Bombay in Neue Freie Presse, 18 January 1893, p. 5

Nachricht über Franz Ferdinands Ankunft in Bombay in der Neue Freie Presse, 18. Jänner 1893, S. 5

    • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt Schillers „Maria Stuart“, das k.u.k Hof-Operntheater wiederholt „Romeo und Julie“.

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