Bhanderia — Sohela, 26. März 1893

Heute hieß es Abschied nehmen von dem schönen Nepal; Abschied nehmen von den nepalischen Eingeborenen, namentlich den Jagdleitern und Schikäris, diesen prächtigen Leuten, die wir während unseres allzu kurzen Aufenthaltes so sehr schätzen gelernt hatten; Abschied nehmen von unseren braven Häthis, die uns drei Wochen hindurch so fleißig und treu auf manch schwierigen Märschen und Jagden getragen hatten.

Voll der schönsten Erinnerungen an die so gelungene, hochinteressante Jagdzeit, an merkwürdige Erlebnisse und an ein freies, ungebundenes Zeltleben in der Urwaldnatur, verließen wir Nepal. Als wollte uns der Himmel das Scheiden recht schwer machen, war der Tag herrlich und wolkenlos; die blauen Berge und die Gletscherspitzen winkten uns einen Abschiedsgruß zu; das grüne Dschungel mit seinen mächtigen Sal-Bäumen lag so einladend vor uns, als sollten wir neuerdings zur Tigerjagd aufbrechen.

Fast jeder einzelne der wackeren Nepalesen kam heran, um mir sein Bedauern über unser Scheiden auszusprechen. Der Onkel und der Vetter des Maharadschas hatten sich in vollen Staat geworfen, um mir ihre Abschiedsaufwartung zu machen; der erstere trug die Uniform eines Obersten, der letztere jene eines Kapitäns der nepalischen Garde. Die Uniform bestand aus dunkelblauem, verschnürtem Rock und ebenso verzierten Beinkleidern aus dickem, barchentartigem Stoffe; die Kopfbedeckung wurde lediglich durch einen Goldreif mit goldener Kokarde gebildet, welche, um die Distinktion zu markieren, je nach dem Grad der Charge, mehr oder weniger, reich mit Edelsteinen geschmückt ist. Ich beschenkte die beiden Herren mit meiner Photographie und mit großen, vergoldeten Hirschfängern, welche, eigentlich wahre Ungetüme, den guten Herren nicht geringe Freude verursachten. Sie schnallten die Waffen sofort über die Uniform und ließen sich in dieser Adjustierung von unserem Photographen aufnehmen.

Dann kamen die Unterbeamten, die Mahauts, die Soldaten der Eskorte, mit einem Wort jedermann aus dem ganzen Völkchen, mit dem wir drei Wochen in angenehmster Weise verlebt hatten, heran, um mir aufzuwarten und mir seinen Selam zu machen, worauf die Auszahlung der Leute erfolgte. Es war ein hübsches Bild, als sie alle, die Mahauts auf ihren Elephanten voraus, vorbeidefilierten, Lohn und Trinkgeld in Empfang nahmen und hiebei ihre Danksagungen zum Ausdruck brachten. Eine komische Figur bot unser einheimischer Postmeister, als er, sofort nach Empfang des ihm gespendeten Geldbetrages, um Ausfertigung eines Zertifikates bat, des Inhaltes, dass er, der Postmeister, auf redlichem Weg in den Besitz dieser Summe gelangt sei.

Auch die anderen alle baten dringend um schriftliche „Wohlverhaltungs-Zeugnisse“, ein Begehren, dessen Erfüllung uns den ganzen Morgen über in Atem hielt, da das Niederschreiben, Fertigen, Siegeln der Briefe gar kein Ende finden wollte. Eine rechte Freude äußerten die Leute über das Rot-Weiß der Stampiglie meiner Kammervorstehung, da diese Farben die Landesfarben von Nepal bilden.

Endlich war das Lager abgebrochen, alles verpackt; wir winkten all den Freunden noch einen letzten Abschiedsgruß von unseren Elephanten zu; dann setzte sich die Karawane in Bewegung, um die Grenze zu überschreiten und sich in südlicher Richtung gegen Sohela, den letzten Lagerplatz, zu wenden. Wir hatten vorgehabt, während des Marsches auch auf dem indischen Gebiete bis nach Sohela hin zu jagen, da, wie in Nepal, auch hier günstige Dschungel sind, doch die Nepalesen, Onkel und Vetter des Maharadschas an der Spitze, waren um keinen Preis zu bewegen, anglo-indisches Gebiet zu betreten.

Wiewohl hiedurch meine Jagdpläne behindert wurden, konnte ich den Nepalesen so starres Festhalten an der Theorie vollkommener Absperrung ihres Landes gegen anglo-indisches Gebiet nicht verübeln. Die stete Besorgnis vor der Annexion ihres Reiches durch England scheint eben, angesichts der Mediatisierung der benachbarten, vormals unabhängigen Fürsten, wohlberechtigt und die systematische Einschränkung des Verkehres zwischen Nepal und Indien das einzige Mittel zu sein, Nepal wenigstens vorderhand selbständig zu erhalten.

Die freundlichen Beziehungen jedoch, welche uns mit den Nepalesen verbanden, ein Verhältnis, das vielleicht durch die persönliche Überreichung der Hirschfänger noch bestärkt worden war, bestimmten die Bevollmächtigten des Maharadschas von Nepal mir gegenüber zu besonderen Konzessionen. Diese bestanden darin, dass sich die Nepalesen bereit erklärten, unter dem Kommando eines eingeborenen Kapitäns etwa hundert Elephanten speziell für die von uns geplante Jagd auf anglo-indisches Gebiet übertreten zu lassen; doch wurde hieran die Bedingung geknüpft, diese Leute mit den Elephanten noch am Abend selbst wieder auf nepalisches Gebiet zurückzusenden.

Auf dem indischen Territorium empfingen mich ein englischer Beamter und ein Oberforstmeister, der hier etwa 115.000 ha des schönsten Teak- und Sal-Waldes, sonach Bestände kostbarster Art, unter sich hat. In diesen Wäldern herrscht eine Art Plenterbetrieb, das heißt der Bedarf an Holz für die Zwecke der staatlichen Verwaltung wird in der Art gedeckt, dass der Hieb auf der ganzen Waldfläche die schönsten Stämme entnimmt, doch ohne dass dem Hiebe eine Kultur in unserem Sinne folgt. Die Verjüngung geschieht durch Samenschlag; der Nachwuchs bleibt der Natur selbst überlassen.

Angesichts dieses Forstbetriebes beschränkt sich die Tätigkeit des Oberforstmeisters fast ausschließlich auf die Anlage von Straßen zur Ausbringung des Holzes, auf das Schneiden von Holzschwellen für die in diesem Distrikt im Bau begriffene Eisenbahn und auf den Waldschutzdienst. Diesem Teil seines Pflichtenkreises entsprechend, trifft der Oberforstmeister alle Anstalten, um Waldbrände zu verhüten. Ja er geht darin so weit, dass er uns im Verlauf der Jagd eindringlich ersuchte, nicht zu rauchen — eine polizeiliche Beschränkung, welche mit der uns umgebenden freien Natur in auffallender Weise kontrastierte.

Zunächst zogen wir eine jüngst durch den Wald gebahnte Straße entlang, bogen dann südlich ab, bildeten die Linie zur Streitjagd und durchquerten ein Grasdschungel, das äußerst ergiebig an Haar- und an Federwild war, so dass wir Bellendes, Schwarz- und Sumpfwild schossen, aber das Wild war verhältnismäßig scheu und manche Kugel ging in dem Gras fehl. Hierauf proponierte uns der Oberforstmeister, ein besonders gutes Dschungel zu nehmen, nämlich einen von Wald umgebenen Wasserlauf, an dessen Rändern hohes Schilf wuchs; doch hatte sich der gute Mann hinsichtlich des Wildreichtums dieses Teiles seines Distriktes geirrt; die Elephanten kamen nur mit der größten Schwierigkeit weiter, denn unaufhörlich gab’s sumpfige Stellen und umgestürzte Bäume zu überwinden. Abgesehen von einigen Metallstörchen und Kormoranen fanden wir hier kein Wild.

Schließlich baten wir den Oberforstmeister, von weiterem Streifen in diesem Terrain abzusehen, worauf er uns in ein Wasserdschungel führte, in dem unsere Elephanten beinahe zu schwimmen gezwungen waren und nur erschreckte Wasserrallen aufflogen. Wie es schien, kannte der Oberforstmeister den ihm zugewiesenen Distrikt nicht ganz genau, und nur ein besonderem Waidmannsheil führte uns zufällig in ein äußerst günstig gestaltetes Dschungel, in dem wir auch sofort auf Wild, namentlich auf Pfaue trafen.

Plötzlich hörte ich links von mir die Pfaue laut schreien und sah ein ganzes Bouquet derselben aufstehen, das sicherste Zeichen, dass sich größeres Raubwild in dem Dschungel befinde. In der Tat ertönte gleich darauf der willkommene Ruf „Bagh! Bagh!“ und instinktiv stürmten alle Elephanten konzentrisch dem Punkt zu, von dem der Ruf erscholl. Der Kreis ist bald geschlossen, zwei Schikäris reiten in demselben längere Zeit umher; endlich bewegt sich auch das Gras, die Elephanten trompeten — aber statt des Tigers wechselt ein sehr starker Keiler gegen mich. Ich schieße denselben und frage mich, ob denn die Treiber nur so ins Blaue hinein „Bagh“ gerufen haben sollten? Dies war bei der großen Erfahrung der Nepalesen nicht anzunehmen, schien aber trotzdem auf Wahrheit zu beruhen; denn im Kreis rührte sich nichts mehr und alle Mahauts kamen mit den Elephanten herbei, um den Keiler zu betrachten.

Da springt zwischen zwei Elephanten ein Panther, der sich bisher im Gras geduckt und nicht gerührt hatte, auf, durchbricht in dem Tumult, den sein unerwartetes Erscheinen hervorruft, die Linie, und flüchtet, ohne dass geschossen werden kann, in das benachbarte Dschungel. Nun aber zeigten sich die braven Nepalesen wieder in ihrer ganzen Tüchtigkeit; im Nu hatten wir den Panther eingekreist, und ich gab, als ich dann durch eine kleine Lücke ein Stück gefleckter Decke sah, Feuer; der Panther zeichnete, wurde im Gras flüchtig und setzte eben zum Sprung gegen meinen Elephanten an, als ihn ein Fangschuss des neben mir stehenden Residenten streckte. Der Panther war klein, so dass ihm leider die großkalibrige Kugel des Residenten das ganze Haupt zerschmettert hatte, während meine Kugel am Stich saß.

Obgleich sich noch einige sehr einladende Dschungel in der Nähe zeigten, baten die Nepalesen, mit dem größten Teil ihrer Elephanten nach Hause zurückkehren zu dürfen, um noch vor Einbruch der Dunkelheit heimisches Gebiet zu erreichen. Wir konnten ihnen die Bitte nicht abschlagen, und so ritten wir auf Reitelephanten in unser Lager Sohela, das 16 km vom Lager Bhanderia entfernt lag, indes die Nepalesen in langen Linien nordwärts zogen. Wie gerne wären wir den Jagdgenossen gefolgt!

Das Lager stand knapp an einer eben im Bau begriffenen Bahn, die von Mailani aus, einer Station der Rohilkund Kumaon Railway, nördlich über den Sardafluss bis knapp an die nepalische Grenze führen soll. Mit der Herstellung dieser Zweigbahn wird hauptsächlich der Zweck verfolgt, die unermesslichen Wälder zu erschließen, die sich an der Grenze befinden und in ihren Beständen einen sehr bedeutenden, gegenwärtig ertraglosen Kapitalswert darstellen.

Den letzten Abend, den wir im Zeltlager verbrachten, widmeten wir der Zusammenstellung der Schussliste über die nepalische Expedition. Welche Fülle von Erinnerungen an frohe und glücklich verlebte Tage wurde hiebei wach!

Links

  • Ort: Sohela, Indien
  • ANNO – am 26.03.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater bleibt bis inklusive 2. April geschlossen, während das k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet „Excelsior“ aufführt.

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