Die Jagd und besonders das Jagdterrain des Vortages hatten uns so sehr angesprochen, dass wir den Beschluss fassten, noch einen Tag zu einem abermaligen Ausfluge nach Bhartpur zu verwenden und statt am Morgen erst des Abends nach Delhi zu fahren. Um 1/2 8 Uhr morgens stand unser Extrazug bereit. Ich ließ den Eisenbahn-Director bitten, bei dem Teich, auf welchem wir tagszuvor so zahlreiches Sumpfwild gesehen, Halt zu machen, eine Proposition, die anfänglich der entgegenkommenden Züge wegen auf Schwierigkeiten stieß, bis endlich der gestrenge Direktor fünf Minuten Aufenthaltes bewilligte.
An Ort und Stelle angelangt, sprangen wir aus den Waggons und feuerten in die Schwärme abstreichender Vögel. Ein Riesenstorch, sowie drei Enten waren das Ergebnis der ersten Salve. Eben hatten wir das Signal zum Weiterfahren gegeben, als ein Kondukteur eine Strecke auf dem Bahnkörper zurücklief und einen prächtigen Rosen-Pelikan (Pelecanus roseus) brachte, den er stürzen gesehen hatte. Vermutlich war bei der Kanonade auf den Riesenstorch ein rückwärts streichender Pelikan durch ein Schrotkorn getroffen worden; denn keiner von uns hatte direkt auf einen solchen gezielt.
In voller Fahrt erlegte ich von der Plattform meines Coupes aus noch einen streichenden Riesenstorch und einen fischenden Metallstorch, wie wir den Weißhalsigen Storch wegen seines glänzenden Rückengefieders tauften. Der Lokomotivführer hatte das Fallen der beiden großen Vögel bemerkt und hielt den Zug an, so dass wir das Wild holen konnten. Nun wurde die Zugsbegleitung von einer wahren Leidenschaft für die Jagd ergriffen, und als wir bald nachher ein Rudel Nilgaus zu Gesicht bekamen, stand der Zug sofort still, worauf Wurmbrand eine Kuh schoss, die in den Packwagen wanderte.
Kaum wieder in Bewegung gesetzt, wurde der Zug nach einigen hundert Metern neuerlich gebremst, die Kondukteure eilten herbei und zeigten uns ein Rudel Nilgau-Stiere, die in einem dichten Dschungel ästen. Die Herren waren flugs mit ihren Stutzen aus den Waggons, während ich nur als Zuschauer fungierte, da ich ja schon tagszuvor drei Nilgaus erlegt hatte. Clam streckte einen Stier im Feuer, Wurmbrand schweißte einen anderen stark an, den er nach langer Nachsuche endlich ausmachte, Prónay fehlte einen Stier in der Flucht. Nun erwachte aber in mir, obschon ich nur Beobachter hatte bleiben wollen, doch auch die Jagdpassion, und da Clam so freundlich war, mir seinen Stutzen zu leihen, eilte ich im Laufschritt der Herde nach und erlegte noch glücklicherweise einen sehr starken Stier in der Flucht. So hatten wir vom Zug aus in der kürzesten Zeit drei Nilgau-Stiere und eine Nilgau-Kuh auf der Decke.
Der Train, geführt von der jagdeifrigen Begleitung, fuhr bald vor, bald zurück, je nach der Richtung, in der sich die Jagd zog, so dass wir das erlegte Wild sofort verladen und selbst wieder einsteigen konnten. Ich habe schon zu Fuß, zu Pferd, im Wagen und im Boot gepürscht, aber eine „Pürsche mit einem Eisenbahnzug“ zum ersten Mal mitgemacht, kann dieselbe nur als höchst gelungen bezeichnen und — jedermann bestens empfehlen.
Wir kamen mit einstündiger Verspätung in Bhartpur an, wo uns der sehr erstaunte Maharadscha abermals empfing, nicht ohne ernste Blicke durch die Fenster meines Waggons zu werfen, in welchem die großen Vögel zum Trocknen aufgehängt waren. Von den „gewildschützten“ Nilgaus ahnte er zum Glück nichts.
Nach einem Frühstück bei dem liebenswürdigen Colonel Martelli entwarf ich den Schlachtplan und beschloss mit allen Herren einen großen Streif durch das ganze Dschungel zu unternehmen, in dem ich tagszuvor gepürscht und zahlreiche Nilgaus, sowie Schakale gesehen hatte. Letztere waren jedoch leider nicht zu finden, da sie, durch das gestrige Schießen beunruhigt, ausgewandert zu sein schienen. Hingegen schoss ich gleich zu Beginn der Jagd drei der kleinen Indischen Hasen (Lepus ruficaudatus), ferner mit der Kugel einen prachtvollen Antigone-Kranich mit purpurrotem Kopfe.
Scharen von heiligen Pfauen und Tauben, ferner zahlreiche Nilgaus und Black-bucks, die aber selbst auf Kugeldistanz nicht Stand hielten, waren zu sehen. Da das Wild noch viel zu rege war, so bat ich Colonel Martelli, uns in dem Dschungel streifen zu lassen, welches den einen der Teiche umgibt und gestern nur von den treibenden Elephanten passiert worden war. Um rascher dahin zu gelangen, bestiegen wir die Elephanten und durchquerten einen der Teiche, wobei wir beobachten konnten, wie sicher die klugen Dickhäuter selbst in tiefem Wasser gingen, indem sie, langsam schreitend, stets vorsichtig den Untergrund sondierten, bevor sie die mächtigen Füße aufsetzten. Hiebei spielten sie ununterbrochen mit den Rüsseln, nahmen Wasser auf, spritzten es wieder aus und ästen die zahlreichen Wasserpflanzen ab. Ich benützte diesen Ritt, um mich für die Jagd in Nepal etwas einzuschießen; denn infolge der fortwährenden Unruhe des Elephanten ist der ungewohnte Schuss aus der Häuda, wie ich mich schon in Tandur überzeugt hatte, anfänglich sehr unsicher. Bei dem ersten Versuch fehlte ich auch eine erkleckliche Zahl von Enten und Kormoranen, und nicht besser erging’s mit der Kugel, da ich gleich nach dem Eindringen in das Dschungel ein Nilgau fehlte. Nur ein Riesenstorch, dieser herrliche Vogel der hiesigen Sumpfwelt, fiel mir zur Beute. Überall krachten lustig die Büchsen, und als wir auf einer kleinen Lichtung zusammentrafen, hatte der von St. Hubertus stets begünstigte Clam eine reizende Indische Gazelle, sogenannte Chinkara (Gazella bennetti) und zwei Schakale aufzuweisen.
Da mir das Reiten auf dem Elephanten und das Fehlschießen recht unangenehm war, formierte ich mich mit den Herren wieder zu Fuß und drang, nicht ohne bedeutende Schäden an Haut und Kleidern, durch das dichte Dornengebüsch, wo die Ausbeute eine reichliche war. Prónay und ich erlegten noch je einen Nilgau-Stier; ferner kamen Schakale, Rebhühner, Wachteln und Hasen zur Strecke. Wie gewöhnlich in so dichtem Buschwerk war die Schützenlinie etwas in Unordnung gekommen, so dass es einiger Zeit bedurfte, bis wir uns an dem Rendez-vous zusammengefunden hatten, um vergnügt über den gelungenen Streifzug die Wagen zu besteigen und nach Bhartpur zu fahren.
Aus einem oder zwei nur „aus Versehen“ zu schießenden Nilgaus waren deren neun geworden; ich hoffe aber, dass der Maharadscha, sollte er je den Frevel erfahren, uns als eifrigen Jüngern Dianens verzeihen und seinem Unwillen nicht an anderen, schuldlosen Wesen Luft machen werde. Beim Abschied von Bhartpur war der Maharadscha sehr freundlich, schenkte mir sein Porträt sowie einen aus Elfenbeinstreifen zusammengestellten Fliegenwedel und ließ abermals Salutschüsse abfeuern, dass es eine Freude war. Hätte er schon von den Nilgaus gewusst, die Trennung wäre sicherlich keine so herzliche gewesen!
Als wir nach Agra zurückgekehrt waren, machten wir allerlei Handelsgeschäfte — in unserem Palais hatte sich ein förmlicher Bazar entwickelt — kurz ab, nahmen von Kinsky, der seines Fiebers wegen vorläufig zurückbleiben musste, Abschied und fuhren gegen 9 Uhr abends noch einmal zum Tadsch; denn, da uns das Wetter bei der ersten Besichtigung einen so argen Possen gespielt hatte und auch jetzt der Mond nicht schien, wollte ich Agra nicht verlassen, ohne jenes herrliche Bauwerk wenigstens bei künstlicher Beleuchtung gesehen zu haben. Letztere erfolgte mittels bengalischer Kerzen; diese wurden von Hunderten von Eingeborenen gehalten, welche auf den Dächern der beiden im Garten befindlichen Seitenmoscheen postiert waren, und sich da oben ausnahmen, wie Neros lebende Fackeln. Die Wirkung der Beleuchtung war geradezu feenhaft, und sprachlos bewunderte ich die ruhige Pracht und Majestät dieses herrlichen Bildes. In blendend leuchtendem Weiß lag das Juwel orientalischer Baukunst vor mir, dunkel hoben sich die Konturen der Bäume sowie des Zedernhaines ab und ringsum herrschte tiefe Stille der Nacht. Mir war’s, als umfächle meine Sinne der Odem des längst versunkenen Jahrhunderts, das in seinem Meisterwerke seine Größe bezeugt. Wir traten in eine der Moscheen und ließen die bengalischen Kerzen zuerst verlöschen und dann wieder anzünden, so dass wir durch das Tor der Moschee den Tadsch wie in einem Rahmen schauten. Da erstrahlten mild wie Mondschein, die bengalischen Flammen über dem stolzen Bau, der, als wär‘ er aus Licht gewoben, zauberhaft emporragte — ein hinreißender Anblick. Versunken in diesen Genuss standen wir lange, lange, bis Flamme auf Flamme verloschen und das entzückende Bild in dunkler Nacht entschwunden war.
Kurze Zeit danach ging’s auf der Linie der East Indian Railway über Tundia und Aligarh nach Delhi weiter.
Links
- Ort: Agra, Indien
- ANNO – am 15.02.1893 in Österreichs Presse. Die Neue Freie Presse meldet per Telegramm, dass SMS Fasana nach einer Weltumsegelung von 17,5 Monaten wohlbehalten in Pola, dem Kriegshafen Österreichs, eingetroffen ist. Franz Ferdinand hat die Besatzung inmitten des Indischen Ozeans bekanntlich getroffen. In Russland ist eine Hungersnot ausgebrochen.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater führt auf Lessings “Nathan der Weise“, während das k.u.k. Hof-Operntheater Wagners „Lohengrin“. gibt.