Der Morgen war abermals recht garstig, kalt und regnerisch, ganz anders, als man sich „indisches Wetter“ vorzustellen pflegt, so dass wir uns in dicke Kleider und Mäntel hüllen mussten, trotzdem aber bedeutend in unserem Käfigpalast froren.
Wir sollten nach Fatehpur Sikri fahren und versahen uns, da die Distanz 36 km beträgt, mit unseren Gewehren, was wir nicht zu bereuen hatten. Die Fahrt selbst bot wenig Reiz; die Straße führte durch eintöniges, ebenes Land; hie und da passierten wir ein ärmliches Eingeborenendorf und sahen im übrigen nur flache, mit vereinzelten Bäumen besetzte Felder, so dass wir jeden Meilenzeiger zählten, welcher uns das Vorrücken gegen das Ziel der Fahrt auswies.
Für die Eintönigkeit der Landschaft entschädigte uns die Fauna. Unmittelbar nachdem wir die Stadt verlassen hatten, schoss ich vom Wagen aus mehrere große Geier (Gyps indicus und Gyps bengalensis: ferner einen der so häufig sichtbaren Schmutzgeier und einige Schmarotzer- oder Pariah-Milane. Kurz darauf, noch im Weichbild der Stadt, fiel mir ein Adler zur Beute, den ich am Rand seines Horstes erlegte; wir bestimmten ihn als Aquila mogilnik, sogenannten Russischen Adler. Ebenfalls vom Horst herab, der auf einem Alleebaum gebaut war, schoss ich einen Vertreter einer anderen Adlerart, nämlich einen Fahlen Adler (Aquila vindhiana). Auch zwei Honig-Bussarde (Pernis ptilonorhyncha), unserem Wespen-Bussarde ähnlich, wanderten in den Rucksack. Bei einer Pfütze saßen auf einem Baum zwei Nimmersatte (Tantalus leueocephalus), die ich mit glücklichem Coup double herunterholte; es waren selten schöne, große Exemplare mit auffallend rosaroten Federn an den Flügeln. Im weiteren Verlaufe der Fahrt erbeutete ich noch Dschungelkrähen (Centropus rufipennis), einen Sirkier-Kuckuck (Taccocua sirkee) und zwei Sperber-Bussarde (Butastur teesa).
So gelangten wir endlich, der von Agra her stets genau in südwestlicher Richtung dahinziehenden Straße folgend, nach Fatehpur Sikri, der Palaststadt Akbars. Ihre Gründung, um das Jahr 1570, wird von der Legende auf folgende Weise erklärt: Von Agra aus in trüben Gedanken zu dem Sandsteinhügel wandernd, auf welchem heute die Palaststadt liegt, traf Akbar hier den Fakir Selim Tschisti, einen weisen und frommen Bettler, der, des Moguls Trauermiene gewahrend, die ihm, dem weltentrückten Einsiedler, unverständliche Ursache der Betrübnis eines so mächtigen Herrschers zu erkunden suchte. Da klagte Akbar, wohl sei er ein mächtiger Fürst, sein Reich aber drohe nach seinem Tod zu verfallen; denn jeder der Söhne, die ihm seine Gattin geboren, sei, noch in der Wiege, frühen Todes verblichen. „Erbaue“, sprach weissagend der Fakir, „Dein Schloss auf diesem durch meine Gebete geheiligten Hügel und schlage hier Deinen Wohnsitz auf. Neun Monde nach Deinem Einzuge durch die Pforten des neuen Palastes wird Dir ein Erbe geschenkt werden, dem der Himmel langes Leben, Kraft und Macht verleihen wird. Dieser Sohn wird Dir folgen auf dem Thron der Großmoguln.“ Die Prophezeiung erfüllte sich. In dem neuen Palast von Fatehpur Sikri hat Dschehangir, der Erbe Akbars, das Licht der Welt erblickt.
Mit Ausnahme der von der britischen Regierung im Stand gehaltenen Teile der Palaststadt ist Fatehpur Sikri — an der Stätte errichtet, wo Schah Baber im Jahre 1527 die Fürsten von Radschputana in offener Feldschlacht vernichtet hat — ein Trümmerfeld, aus welchem Mauern, Säulen, Reste von Sälen und Hallen und andere verfallene Bauwerke emporragen. All die Erinnerungszeichen der einstigen Größe und Schönheit der Palaststadt sind von einer hohen, krenelierten, mehr als 11 km langen Ringmauer umgeben, welche den Hügel von Fatehpur Sikri völlig umschließt.
Als Hauptursache des raschen Verfalles und der Verödung der Palaststadt Akbars, eines Riesenwerkes, das — im Widerspruch mit dem von der Legende behaupteten raschen Aufbau Fatehpur Sikris — lange Jahre hindurch Tausende von Menschen beschäftigt haben soll, wird angegeben, Akbars Sohn habe plötzlich das Wasser und die Luft hier schlecht gefunden und den Palast einfach verlassen, ihn den Unbilden von Wind und Wetter preisgebend. Doch unter Indiens Himmel schreitet der Verfall der Bauwerke glücklicherweise nicht so rasch vor, dass wir nicht einen Teil der Bauten von Fatehpur Sikri noch wohlerhalten zu Gesicht bekommen hätten.
Wie an anderen Fürstensitzen Indiens herrscht auch hier eine wahrhafte Verschwendung von Raum und edlem Baumaterial. Zunächst in den Diwan-i-Am eintretend, überblickten wir großartige, von Säulenhallen eingeschlossene Plattformen und Terrassen, die einst den Schauplatz festlicher Aufzüge und glänzender Empfänge gebildet haben; an dem Diwan-i-Am liegt eine Plattform, welche dem Patschisi-Spiele gedient haben soll. Weiterhin erheben sich Moscheen, Prunkräume und Wohngebäude aller Art. welche aus dem bei Fatehpur Sikri gebrochenen roten Sandstein hergestellt sind.
Die schönsten Beispiele dafür, wie wohl die Werkleute in der Palaststadt den Sandstein zu verwenden und zu schmücken wussten, bietet das sogenannte Haus der Türkischen Königin (Stambuli Begum). Hier findet sich keine Wand, keine Säule, kein Fleckchen, wo nicht die allerfeinsten Ornamente ausgemeißelt wären. Unweit davon ist „Haus der Christlichen Frau“ (Bibi Mariam Zumani) erbaut; heute schmucklos. führte dies Gebäude einst, weil innen und außen vergoldet und bemalt, den Namen Sonahra Makan, das ist „Goldenes Haus“. Zwischen den beiden Frauenhäusern steht der Chwab Gah (Chab Ghar), Akbars Haus der Träume, das in seinem Oberstocke das einfache Schlafgemach des Großmoguls birgt.
Nördlich von Miriams Haus erhebt sich der Pendsch Mahal, eine in stufenförmigen Terrassen aufsteigende, mit originellen Säulen geschmückte Colonnade und der Diwan-i-Khas Akbars. Auf dem Riesenkapital der hohen, mit Pilastern geschmückten und prachtvoll ziselierten Säule, die in der Mitte der Halle aufragt, soll Akbar gethront haben. Diese Säule ist durch schmale Steinstege mit vier in den Ecken der Halle angeordneten Sitzplätzen verbunden, welche die vier Veziere Akbars eingenommen haben sollen, wenn Akbar, auf der Säule thronend, Rat hielt. Ich konnte mich des komischen Eindruckes nicht erwehren, den die Vorstellung in mir hervorrief, dass Akbar auf einem dieser schmalen Stege zur Mitte der Halle hin balancierte und dann auf seiner Säule „aufbaumte“, während die vier Veziere auf ihren Ecksitzen kauerten. So lächerlich mir dies erschien, so konnte ich mir doch auch nicht verhehlen, dass in dieser Halle des Rates oft genug über das Wohl und Wehe ganzer Völker entschieden, dass hier mancher in seinen Konsequenzen gewiss noch heute bedeutsame Entschluss gefasst wurde.
Bemerkenswert ist ferner ein langer, gedeckter Gang, der von den Frauengemächern zu einem ziemlich weit entfernten Tor führt, von welchem aus die Frauen des Moguls ins Land hinausblickten, ihren Herrn und Gebieter zu erspähen, wenn dieser in der Ebene vor dem Palast dem Waidwerk oblag. Vielleicht wurde auch dieser Zeitvertreib von übereifrigen Höflingen in ähnlicher Weise wie der Fischzug des Moguls im Fort von Agra auf künstliche Art beutereich und interessant gestaltet.
Ein kleiner Imbiss, den wir in dem einstigen Arbeitszimmer des Moguls einnahmen, und kurze Rast machten uns von Neuem für die Besichtigung all der Merkwürdigkeiten der Palaststadt aufnahmsfähig. Ich möchte hier als Problem für die Wissenden auf dem Gebiet der Ästhetik in ihrem Verhältnis zu der Physiologie des Menschen die Frage aufwerfen, wie es wohl komme, dass nichts so hungrig macht, nichts so ermüdet, als die genaue Besichtigung einer großen Anzahl von Kunstobjekten.
Von besonderer Schönheit ist der Palast Birbals — eines Hindus und Ministers Akbars — ein kleines, zweistöckiges Gebäude, welches innen und außen so reich und geschmackvoll verziert ist, dass man es nach Victor Hugos Worten zwar den kleinsten aller Paläste, jedoch das größte aller Schmuckkästchen nennen darf.
Weit umfangreicher, jedoch minder reich geschmückt ist der etwa in der Mitte der Palaststadt gelegene Palast der Prinzessin Dschodh Bai, einer der Frauen Akbars und Mutter Dschehangirs.
Ohne mich auf die Anführung der übrigen in der Palaststadt und unter ihren Mauern liegenden Baudenkmale aus der Glanzperiode der Großmoguln einzulassen, muss ich noch der Dargah, des »Heiligen Vierecks«, welches das Grabmal Scheik Selim Tschistis enthält, sowie der Moschee Erwähnung tun.
Die Dargah, ein Rechteck, ist von Bogenhallen umgeben, in deren Mitte ein Wasserbecken liegt; an der Nordseite des Rechteckes steht das Grabmal Selim Tschistis, des Fakirs, auf dessen Prophezeiung hin Akbar die Palaststadt erbaute. Während fast sämmtliche Gebäude der Palaststadt aus rotem Sandstein errichtet sind, schimmert uns dies Grabmal, eine wahrhaftige Miniaturausgabe des Tadsch von Agra, in blendend weißem Marmor entgegen, so dass ich auch an diesem Mausoleum die Schönheit der Ziselierungen, die herrliche Arbeit der durchbrochenen Marmorgitter bewundern musste. Die Gitter tragen farbige Bandschleifen und bunte Lappen, die von den am Grab Selim Tschistis um Kindersegen flehenden Pilgerinnen herrühren.
An die Westseite der Dargah schließt sich die ungefähr 23 m hohe Moschee an. Für den Reichtum ihres Schmuckes und die stilvolle Ausführung der gewundenen und ineinandergeschlungenen Ornamente dieser Moschee spricht wohl deutlich der Umstand, dass ich im Innern derselben einen Zeichner damit beschäftigt fand, diese Unica der Flächendekoration für ein Werk zu kopieren, welches die britische Regierung über die Perlen indischer Kunst herausgibt.
Als ich die Moschee verließ, hielt ein bakschisch-lüsterner, alter Muezzin heftig gestikulierend und laut schreiend eine unverständliche, sonderbar klingende Ansprache an mich. Südlich der Dargah ragt oberhalb einer den Hügel hinanführenden Freitreppe die berühmte, 43 m hohe Siegespforte Buland Darwaza empor. Auffallend zahlreiche Nester einer großen Wespenart verwehrten uns den Aufstieg zu den Zinnen der Pforte, welche eine schöne Rundschau gewähren sollen.
Zu Füßen der Pforte, außerhalb der Wallmauer, erstreckt sich neben den verfallenen Bädern ein gemauertes Bassin, zu dem jeder Fremde geführt wird, um den Produktionen beizuwohnen, welche darin bestehen, dass Eingeborene von der Oberkante der Wallmauer kühne und keineswegs gefahrlose Tauchersprünge in das mit Wasser gefüllte Bassin ausführen. Zwei Tage vor unserer Ankunft hatte sich einer der Gilde gelegentlich eines ähnlichen Tiefsprunges den Tod geholt.
Die Umgebung der Moschee lieferte mir ornithologische Ausbeute. indem ich in dem Trümmerhaufen einen Juggur-Falken (Falco juggur) und den seltenen Grauen Nashornvogel (Ocyceros birostris) erlegte. Staunenerregend war die Menge der gestreiften Eichhörnchen, die auf den Steinen und an den Bäumen umherhuschten.
Die Rückfahrt war weit angenehmer als die Hinfahrt, da sich das Wetter etwas gebessert hatte und die Sonne freundlich aus den Wolken lugte. Auf dem Heimweg schoss ich nebst einigen Geiern noch einen metallisch schimmernden Weißhalsigen Storch (Ciconia leucocephala). der unserem schwarzen Storch sehr ahnlich ist, sowie zwei Marabus, darunter ein besonders altes Männchen mit schneeweißer Brust und langen Flaumfedern.
Im Palais zu Agni erwartete mich der Erzbischof Monsignore van den Bosch, mit zweien seiner Geistlichen, um mir seine Aufwartung zu machen; er ist von Geburt ein Belgier und wirkt schon lange in Indien.
Links
- Ort: Agra, Indien
- ANNO – am 13.02.1893 in Österreichs Presse. Der Kaiser hat 10.000 Francs für die Erdbebenopfer auf Zakynthos gespendet.
- Das k.u.k. Hof-Burgtheater zeigt “Verbot und Befehl“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die komische Oper „Gute Nacht Herr Pantalon“ gibt.